Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Historisch - dramatisches Figurenkabinett an der Ermordung ihres Gatten Lord Darnley ausweichen. Denn der Konflikt, Nach dem Völkerrecht, das allein zwischen zwei Souveränen entscheiden Historisch - dramatisches Figurenkabinett an der Ermordung ihres Gatten Lord Darnley ausweichen. Denn der Konflikt, Nach dem Völkerrecht, das allein zwischen zwei Souveränen entscheiden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296162"/> <fw type="header" place="top"> Historisch - dramatisches Figurenkabinett</fw><lb/> <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> an der Ermordung ihres Gatten Lord Darnley ausweichen. Denn der Konflikt,<lb/> den uns Schiller vorführt, gehört vor den Richterstuhl des Völkerrechts.<lb/> Englische Staatsmänner und Geschichtsforscher haben sich auf diesen Stand¬<lb/> punkt nicht stellen können, weil es für sie überhaupt kein Völkerrecht gibt.<lb/> Der Nutzen des englischen Staats, die englischen Gesetze und Nechtsgewvhn-<lb/> heiten sind für sie allein maßgebend, und soweit das Ausland in Frage kommt,<lb/> gibt es für den Engländer keine Rechts-, sondern nur Machtfragen. Früher<lb/> oder später — wir jetzt Lebenden werden diese Genugtuung kaum haben —<lb/> konnte freilich der Augenblick kommen, wo die Engländer mit schwerem Herzen<lb/> das bisher versäumte Kolleg über diese Disziplin werden nachholen müssen;<lb/> bis dahin kann aber der egoistische Grundsatz, daß der englische Staat zu Wasser<lb/> und zu Lande, namentlich aber zu Wasser tun und lassen kann, was er will,<lb/> wenn er nur mächtig genug ist, seinen Willen durchzusetzen, allerhand Ver¬<lb/> gewaltigungen veranlassen, gegen die das Haager Schiedsgericht machtlos ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_833" next="#ID_834"> Nach dem Völkerrecht, das allein zwischen zwei Souveränen entscheiden<lb/> kann, stand der Königin von England über die Königin von Schottland keinerlei<lb/> Gerichtsbarkeit zu; was sie ihr angetan hat, indem sie ihr während neunzehn<lb/> Jahren die Freiheit und schließlich das Leben nahm, war eine Reihe von<lb/> Vergewaltigungen, bei denen leider von Elisabeths und ihrer Berater Seite<lb/> ein gutes Teil Lüge, Scheinheiligkeit, Schikane und Carl mit untergelaufen<lb/> sind, über deren Eigenschaft als Zuwiderhandlungen gegen die Satzungen des<lb/> Völkerrechts aber nicht der leiseste Zweifel bestehn kann. Wäre Maria, als<lb/> sie am 16. Mai 1568 in einem Fischerboot über den Solwaybusen setzte und<lb/> an der Küste von Cumberland landete, nach England als Feindin und nicht<lb/> als Hilfe suchende Verwandte gekommen, so hätte Elisabeth, ohne das Völker¬<lb/> recht zu verletzen, mit ihr machen können, was sie gewollt hätte; nur das<lb/> eine hätte sie auch dann nicht tun können, sie hätte sie nicht, als wenn sie<lb/> eine englische Untertanin gewesen wäre, vor ein englisches Gericht stellen können,<lb/> sondern sie Hütte standrechtlich mit ihr fertig werden müssen. Aber wie gesagt,<lb/> Maria kam nicht als Feindin, sie kam als Hilfesuchende, und zwar nicht auf<lb/> gut Glück, sondern im Vertrauen auf die ausdrücklichen Zusicherungen, die<lb/> ihr „ihre gute Schwester" gegeben hatte. Was Maria während ihrer neunzehn¬<lb/> jährigen Gefangenhaltung getan hat, um frei zu werden, war berechtigte Ab¬<lb/> wehr unberechtigten Zwangs. Hiervon — die Verteidiger Elisabeths mögen<lb/> es drehn, wie sie wollen — beißt die Maus keinen Faden ab. Wir können<lb/> uns also, ohne in falsche Sentimentalität zu verfallen, mit ganzem Herzen auf<lb/> Marias Seite stellen. Ihre Rolle freilich hatte sie, als sie den Fuß auf<lb/> englischen Boden setzte, sowohl in Frankreich wie in Schottland ausgespielt.<lb/> Ganz gewiß nicht ohne ihre Schuld in Frankreich sowohl wie in Schottland.<lb/> Es hatten ihr von der ersten Stunde an die Klugheit, die Vorsicht, die Ver¬<lb/> stellungskunst, das Ange für die Gefahr gefehlt, durch die Elisabeth ihr hart<lb/> bedrohtes junges Leben gerettet hatte und mit Cecils und Walsinghams Hilfe<lb/> den zahllosen Gefahren entgangen war, von denen sie und das von ihr be¬<lb/> herrschte Reich auf allen Seiten bedroht wurden. Hätte es Maria Stuart<lb/> verstanden, die schwierige Stellung, in die sie in Frankreich mitten in den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Historisch - dramatisches Figurenkabinett
an der Ermordung ihres Gatten Lord Darnley ausweichen. Denn der Konflikt,
den uns Schiller vorführt, gehört vor den Richterstuhl des Völkerrechts.
Englische Staatsmänner und Geschichtsforscher haben sich auf diesen Stand¬
punkt nicht stellen können, weil es für sie überhaupt kein Völkerrecht gibt.
Der Nutzen des englischen Staats, die englischen Gesetze und Nechtsgewvhn-
heiten sind für sie allein maßgebend, und soweit das Ausland in Frage kommt,
gibt es für den Engländer keine Rechts-, sondern nur Machtfragen. Früher
oder später — wir jetzt Lebenden werden diese Genugtuung kaum haben —
konnte freilich der Augenblick kommen, wo die Engländer mit schwerem Herzen
das bisher versäumte Kolleg über diese Disziplin werden nachholen müssen;
bis dahin kann aber der egoistische Grundsatz, daß der englische Staat zu Wasser
und zu Lande, namentlich aber zu Wasser tun und lassen kann, was er will,
wenn er nur mächtig genug ist, seinen Willen durchzusetzen, allerhand Ver¬
gewaltigungen veranlassen, gegen die das Haager Schiedsgericht machtlos ist.
Nach dem Völkerrecht, das allein zwischen zwei Souveränen entscheiden
kann, stand der Königin von England über die Königin von Schottland keinerlei
Gerichtsbarkeit zu; was sie ihr angetan hat, indem sie ihr während neunzehn
Jahren die Freiheit und schließlich das Leben nahm, war eine Reihe von
Vergewaltigungen, bei denen leider von Elisabeths und ihrer Berater Seite
ein gutes Teil Lüge, Scheinheiligkeit, Schikane und Carl mit untergelaufen
sind, über deren Eigenschaft als Zuwiderhandlungen gegen die Satzungen des
Völkerrechts aber nicht der leiseste Zweifel bestehn kann. Wäre Maria, als
sie am 16. Mai 1568 in einem Fischerboot über den Solwaybusen setzte und
an der Küste von Cumberland landete, nach England als Feindin und nicht
als Hilfe suchende Verwandte gekommen, so hätte Elisabeth, ohne das Völker¬
recht zu verletzen, mit ihr machen können, was sie gewollt hätte; nur das
eine hätte sie auch dann nicht tun können, sie hätte sie nicht, als wenn sie
eine englische Untertanin gewesen wäre, vor ein englisches Gericht stellen können,
sondern sie Hütte standrechtlich mit ihr fertig werden müssen. Aber wie gesagt,
Maria kam nicht als Feindin, sie kam als Hilfesuchende, und zwar nicht auf
gut Glück, sondern im Vertrauen auf die ausdrücklichen Zusicherungen, die
ihr „ihre gute Schwester" gegeben hatte. Was Maria während ihrer neunzehn¬
jährigen Gefangenhaltung getan hat, um frei zu werden, war berechtigte Ab¬
wehr unberechtigten Zwangs. Hiervon — die Verteidiger Elisabeths mögen
es drehn, wie sie wollen — beißt die Maus keinen Faden ab. Wir können
uns also, ohne in falsche Sentimentalität zu verfallen, mit ganzem Herzen auf
Marias Seite stellen. Ihre Rolle freilich hatte sie, als sie den Fuß auf
englischen Boden setzte, sowohl in Frankreich wie in Schottland ausgespielt.
Ganz gewiß nicht ohne ihre Schuld in Frankreich sowohl wie in Schottland.
Es hatten ihr von der ersten Stunde an die Klugheit, die Vorsicht, die Ver¬
stellungskunst, das Ange für die Gefahr gefehlt, durch die Elisabeth ihr hart
bedrohtes junges Leben gerettet hatte und mit Cecils und Walsinghams Hilfe
den zahllosen Gefahren entgangen war, von denen sie und das von ihr be¬
herrschte Reich auf allen Seiten bedroht wurden. Hätte es Maria Stuart
verstanden, die schwierige Stellung, in die sie in Frankreich mitten in den
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