Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Historisch - dramatisches Fignrenkabinett sein Drama zur reinen Staatsaktion machen sollte. Daß Leicester ein elender Die Schwierigkeit, ein wahrheitsgetreues Bild der Königin Elisabeth zu Historisch - dramatisches Fignrenkabinett sein Drama zur reinen Staatsaktion machen sollte. Daß Leicester ein elender Die Schwierigkeit, ein wahrheitsgetreues Bild der Königin Elisabeth zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296160"/> <fw type="header" place="top"> Historisch - dramatisches Fignrenkabinett</fw><lb/> <p xml:id="ID_828" prev="#ID_827"> sein Drama zur reinen Staatsaktion machen sollte. Daß Leicester ein elender<lb/> und feiger Liebhaber ist, steht auf einem andern Blatte; und doch muß man,<lb/> wenn man Marias Abschied von ihm und seinen Monolog hört oder liest, zu¬<lb/> geben, daß der Dichter, der Schiller das gleichend, noch geboren werden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_829" next="#ID_830"> Die Schwierigkeit, ein wahrheitsgetreues Bild der Königin Elisabeth zu<lb/> geben, ist vielfach gefühlt und anerkannt worden. Während ihre schwachen<lb/> Seiten und unliebenswürdigen Eigenschaften hinreichen würden, die schlimmsten<lb/> Mißerfolge zu erklären, kann man sich, da es sich bei ihr um Erklärung nicht<lb/> von Mißerfolgen, sondern von fast beispiellosen Erfolgen handelt, mit dem<lb/> auf den ersten Blick gewonnenen wenig erfreulichen Eindruck nicht begnügen<lb/> und muß die Sache von allen Seiten ansehen, um sich, soweit möglich, darüber<lb/> klar zu werden, ob Elisabeth ihre Erfolge nächst dem Glück nur Burghleys<lb/> und Walsinghmns Staatsklugheit und nicht vielmehr auch dein eignen Ver¬<lb/> dienst verdankte. Für großmütig, edelherzig, wahrheitsliebend werden sie wohl<lb/> auch ihre treuesten Verehrer nicht gehalten haben; aber wenn ein weder durch<lb/> Ideale noch durch die weltläufigen Tugendvorstellungen beeinflußter Blick und<lb/> eine ohne jede Rücksicht auf das Urteil der Welt nur den Nutzen des Staats<lb/> im Auge habende Klugheit namentlich in schwierigen Zeiten unschätzbare Eigen¬<lb/> schaften des mit der Führung des Staatsruders betrauten sind, so war sie<lb/> nicht bloß eine glückliche, sondern auch eine große Regentin. Einen Ludwig<lb/> den Dreizehnter würden Burghley und Walsingham um die Wette in die<lb/> Tasche gesteckt haben. Sie dagegen machte sich mit jedem Regierungsjahre<lb/> mehr und mehr von jedem Einfluß frei. Sie war geizig und wie eine Elster<lb/> auf Edelsteine erpicht: sie hatte durch ihre Wuchererkniffe die Kronjuwelen dreier<lb/> der ersten Fürstenfamilien Europas, der Burgunder, der Stuarts und der<lb/> Braganzas, schließlich sogar die Diamantringe Heinrichs von Navarra an sich<lb/> gebracht, und wieviel sie davon je wieder herausgegeben hat, ist nicht bekannt.<lb/> Sie liebte byzantinische Pracht und asiatischen Pomp. Wenn das, was uns<lb/> erzählt wird, wahr ist, waren bei ihrem Tode in ihren Garderobeständen<lb/> mehrere Tausend Kleider gefunden worden. Aber sie hatte es verstanden,<lb/> ihren Reichtum, ihre Schätze, ihre Pracht zu Pfeilern ihrer Macht und ihres<lb/> Ansehens zu machen. Sie kannte die Welt. Sie wußte, daß auch Königinnen<lb/> das ihnen von der Vorsehung bescherte Stück Kuchen nicht verzehren und dabei<lb/> zu gleicher Zeit auch aufheben können. Sie hielt es für klüger, bei andern<lb/> von Zeit zu Zeit ein Stück abzubeißen und ihr Stück bis an ihr Ende auf¬<lb/> zuheben. Am liebsten hätte sie es mitgenommen, aber da es in dieser Be¬<lb/> ziehung auch für gekrönte Häupter kein Privileg gibt, so hat sie es dalassen<lb/> müssen, und es war eine Ironie des Schicksals, daß Jakob von Schottland,<lb/> ein ebenso hungriger wie genußsüchtiger Erbe, mit Buckinghams Hilfe so rasch<lb/> damit fertig wurde. Aber das sorgfältig im Speisegewölbe ausgehöhlte Stück<lb/> Kuchen hatte, als sie starb, die erwünschte Wirkung getan: es hatte sie zur<lb/> allgemein umworbnen Besitz- und Erdkarte gemacht, und wer zu beobachten<lb/> Gelegenheit hat, wie innig die Anläufe sind, zu denen der Hinblick auf eine<lb/> vorhandne besitzkräftige Erdkarte ganze Sippen zu begeistern vermag, kann sich<lb/> leicht einen Begriff von der Leidenschaftlichkeit des Ankratzes machen, dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Historisch - dramatisches Fignrenkabinett
sein Drama zur reinen Staatsaktion machen sollte. Daß Leicester ein elender
und feiger Liebhaber ist, steht auf einem andern Blatte; und doch muß man,
wenn man Marias Abschied von ihm und seinen Monolog hört oder liest, zu¬
geben, daß der Dichter, der Schiller das gleichend, noch geboren werden soll.
Die Schwierigkeit, ein wahrheitsgetreues Bild der Königin Elisabeth zu
geben, ist vielfach gefühlt und anerkannt worden. Während ihre schwachen
Seiten und unliebenswürdigen Eigenschaften hinreichen würden, die schlimmsten
Mißerfolge zu erklären, kann man sich, da es sich bei ihr um Erklärung nicht
von Mißerfolgen, sondern von fast beispiellosen Erfolgen handelt, mit dem
auf den ersten Blick gewonnenen wenig erfreulichen Eindruck nicht begnügen
und muß die Sache von allen Seiten ansehen, um sich, soweit möglich, darüber
klar zu werden, ob Elisabeth ihre Erfolge nächst dem Glück nur Burghleys
und Walsinghmns Staatsklugheit und nicht vielmehr auch dein eignen Ver¬
dienst verdankte. Für großmütig, edelherzig, wahrheitsliebend werden sie wohl
auch ihre treuesten Verehrer nicht gehalten haben; aber wenn ein weder durch
Ideale noch durch die weltläufigen Tugendvorstellungen beeinflußter Blick und
eine ohne jede Rücksicht auf das Urteil der Welt nur den Nutzen des Staats
im Auge habende Klugheit namentlich in schwierigen Zeiten unschätzbare Eigen¬
schaften des mit der Führung des Staatsruders betrauten sind, so war sie
nicht bloß eine glückliche, sondern auch eine große Regentin. Einen Ludwig
den Dreizehnter würden Burghley und Walsingham um die Wette in die
Tasche gesteckt haben. Sie dagegen machte sich mit jedem Regierungsjahre
mehr und mehr von jedem Einfluß frei. Sie war geizig und wie eine Elster
auf Edelsteine erpicht: sie hatte durch ihre Wuchererkniffe die Kronjuwelen dreier
der ersten Fürstenfamilien Europas, der Burgunder, der Stuarts und der
Braganzas, schließlich sogar die Diamantringe Heinrichs von Navarra an sich
gebracht, und wieviel sie davon je wieder herausgegeben hat, ist nicht bekannt.
Sie liebte byzantinische Pracht und asiatischen Pomp. Wenn das, was uns
erzählt wird, wahr ist, waren bei ihrem Tode in ihren Garderobeständen
mehrere Tausend Kleider gefunden worden. Aber sie hatte es verstanden,
ihren Reichtum, ihre Schätze, ihre Pracht zu Pfeilern ihrer Macht und ihres
Ansehens zu machen. Sie kannte die Welt. Sie wußte, daß auch Königinnen
das ihnen von der Vorsehung bescherte Stück Kuchen nicht verzehren und dabei
zu gleicher Zeit auch aufheben können. Sie hielt es für klüger, bei andern
von Zeit zu Zeit ein Stück abzubeißen und ihr Stück bis an ihr Ende auf¬
zuheben. Am liebsten hätte sie es mitgenommen, aber da es in dieser Be¬
ziehung auch für gekrönte Häupter kein Privileg gibt, so hat sie es dalassen
müssen, und es war eine Ironie des Schicksals, daß Jakob von Schottland,
ein ebenso hungriger wie genußsüchtiger Erbe, mit Buckinghams Hilfe so rasch
damit fertig wurde. Aber das sorgfältig im Speisegewölbe ausgehöhlte Stück
Kuchen hatte, als sie starb, die erwünschte Wirkung getan: es hatte sie zur
allgemein umworbnen Besitz- und Erdkarte gemacht, und wer zu beobachten
Gelegenheit hat, wie innig die Anläufe sind, zu denen der Hinblick auf eine
vorhandne besitzkräftige Erdkarte ganze Sippen zu begeistern vermag, kann sich
leicht einen Begriff von der Leidenschaftlichkeit des Ankratzes machen, dem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |