Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Eine Äulturgeschichte des Römeircichs den bekannten Zustünden jener Welt eine doppelt schwierige und doppelt auf¬ Aber eben die Umstünde hat das Christentum bleibend geändert. Es hat Eine Äulturgeschichte des Römeircichs den bekannten Zustünden jener Welt eine doppelt schwierige und doppelt auf¬ Aber eben die Umstünde hat das Christentum bleibend geändert. Es hat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296153"/> <fw type="header" place="top"> Eine Äulturgeschichte des Römeircichs</fw><lb/> <p xml:id="ID_810" prev="#ID_809"> den bekannten Zustünden jener Welt eine doppelt schwierige und doppelt auf¬<lb/> fällige Leistung war, kann nach dem Zeugnisse des Gcilcuus, mit dem uns<lb/> Hammel bekannt gemacht hat, nicht länger bezweifelt werden. (Jahrgang 1903<lb/> der Grenzboten Seite 80 des zweiten Bandes. Grupp führt es II, 86 an.)<lb/> Das ist jedoch noch kein Zeugnis für die Göttlichkeit des Christentums oder<lb/> gar des spezifisch-katholischen Christentums, denn heroische Tugendübung kommt<lb/> auch bei Heiden, namentlich bei Buddhisten nicht selten vor, und die in<lb/> Amerika und in England häufigen Revivals — jetzt eben wird das Erwecken<lb/> nud Bekehrer in Wales sehr stark betrieben — erzengen ebenso wie früher<lb/> das Puritauertum zeitweilig bei nicht wenig Menschen große Sittenstrenge und<lb/> tadellose Reinheit. Ähnlich verhält es sich — abgesehen von der noch uu-<lb/> entschicdnen Frage der Zahl der christlichen Märtyrer — mit dem Martyrium,<lb/> das von Unzähligen für die verschiedensten mitunter nichts weniger als christ¬<lb/> liche» Ideen erduldet worden ist. Es gibt eben epidemische sittliche Paroxysmen,<lb/> wie es lasterhafte gibt. Nur dadurch bekommt der damalige Paroxysmus, der<lb/> seine Kraft aus der Erwartung der bevorstehenden Wiederkunft Christi schöpfte,<lb/> eine alle ähnlichen Erscheinungen weit überragende Bedeutung, daß er den Austos;<lb/> zur Gründung und zur Ausgestaltung der christliche» Kirche, der größten,<lb/> wichtigsten und wohltätigsten aller irdischen Einrichtungen, gegeben hat. Und<lb/> darum braucht uus auch der Umstand, daß die konvulsive sittliche Kraftleistung<lb/> vieler einzelner und ganzer kleiner Gemeinden keine durchgreifende sittliche Er¬<lb/> neuerung der damaligen Welt bewirkt hat, an der Göttlichkeit des Christen¬<lb/> tums nicht irre zu machen. Das Christentum läßt die einzelnen Mensche»,<lb/> wie sie sind; zwische» den Individuen der Christenvölker und der edler» uuter<lb/> den Heidenvöltern besteht kein Unterschied. In beider Herzen sind höhere,<lb/> gemeine und böse Triebe wirksam, und je »und Umständen bekommt die eine<lb/> oder die andre dieser drei Arten von Trieben die Oberhand.</p><lb/> <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Aber eben die Umstünde hat das Christentum bleibend geändert. Es hat<lb/> sittliche Ideale abgestellt, die von nationalen und von Zeitmodeu unabhängig<lb/> sind, es hat die Forderung, nach der Verwirklichung dieser Ideale zu streben,<lb/> zu einer allgemein anerkannten Pflicht erhoben, sodciß grobe Verstöße gegen<lb/> das Sittengesetz nirgends mehr dauernd durch Staatsgesetze für erlaubt oder<lb/> qar geboten erklärt werden tonnen, und es hat eine Menge nützlicher Ein¬<lb/> richtungen geschaffen, die die Pflege und die Verwirklichung der Ideale fördern.<lb/> Gerade hierin offenbart sich die Göttlichkeit des Christentums, daß seine volle<lb/> und wahre Bedeutung von den ersten Generationen der Christen gar nicht<lb/> geahnt, geschweige denn verstanden werden konnte, und daß sie, von Illusionen<lb/> geleitet, in einer vermeüitlich und in gewissem Sinne wirklich dem Untergange<lb/> geweihte» Welt Einrichtn» gen trafen, die der Kulturentwicklung entfernter Jahr¬<lb/> hunderte zu dienen bestimmt waren. Durch solche allmähliche Enthüllung des<lb/> göttlichen Ratschlusses erfüllt Christus seiue Verheißung, daß nach seinem Hin¬<lb/> gange der Parallel die Jüngerschaft in alle Wahrheit leiten soll, nicht durch<lb/> die vermeintliche Verleihung der Gabe der Unfehlbarkeit an den Papst, die<lb/> psychologisch undenkbar ist, durch das Zeugnis der Geschichte widerlegt wird,<lb/> und die, wenn sie Wirklichkeit wäre, der Christenheit nichts nützen würde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
Eine Äulturgeschichte des Römeircichs
den bekannten Zustünden jener Welt eine doppelt schwierige und doppelt auf¬
fällige Leistung war, kann nach dem Zeugnisse des Gcilcuus, mit dem uns
Hammel bekannt gemacht hat, nicht länger bezweifelt werden. (Jahrgang 1903
der Grenzboten Seite 80 des zweiten Bandes. Grupp führt es II, 86 an.)
Das ist jedoch noch kein Zeugnis für die Göttlichkeit des Christentums oder
gar des spezifisch-katholischen Christentums, denn heroische Tugendübung kommt
auch bei Heiden, namentlich bei Buddhisten nicht selten vor, und die in
Amerika und in England häufigen Revivals — jetzt eben wird das Erwecken
nud Bekehrer in Wales sehr stark betrieben — erzengen ebenso wie früher
das Puritauertum zeitweilig bei nicht wenig Menschen große Sittenstrenge und
tadellose Reinheit. Ähnlich verhält es sich — abgesehen von der noch uu-
entschicdnen Frage der Zahl der christlichen Märtyrer — mit dem Martyrium,
das von Unzähligen für die verschiedensten mitunter nichts weniger als christ¬
liche» Ideen erduldet worden ist. Es gibt eben epidemische sittliche Paroxysmen,
wie es lasterhafte gibt. Nur dadurch bekommt der damalige Paroxysmus, der
seine Kraft aus der Erwartung der bevorstehenden Wiederkunft Christi schöpfte,
eine alle ähnlichen Erscheinungen weit überragende Bedeutung, daß er den Austos;
zur Gründung und zur Ausgestaltung der christliche» Kirche, der größten,
wichtigsten und wohltätigsten aller irdischen Einrichtungen, gegeben hat. Und
darum braucht uus auch der Umstand, daß die konvulsive sittliche Kraftleistung
vieler einzelner und ganzer kleiner Gemeinden keine durchgreifende sittliche Er¬
neuerung der damaligen Welt bewirkt hat, an der Göttlichkeit des Christen¬
tums nicht irre zu machen. Das Christentum läßt die einzelnen Mensche»,
wie sie sind; zwische» den Individuen der Christenvölker und der edler» uuter
den Heidenvöltern besteht kein Unterschied. In beider Herzen sind höhere,
gemeine und böse Triebe wirksam, und je »und Umständen bekommt die eine
oder die andre dieser drei Arten von Trieben die Oberhand.
Aber eben die Umstünde hat das Christentum bleibend geändert. Es hat
sittliche Ideale abgestellt, die von nationalen und von Zeitmodeu unabhängig
sind, es hat die Forderung, nach der Verwirklichung dieser Ideale zu streben,
zu einer allgemein anerkannten Pflicht erhoben, sodciß grobe Verstöße gegen
das Sittengesetz nirgends mehr dauernd durch Staatsgesetze für erlaubt oder
qar geboten erklärt werden tonnen, und es hat eine Menge nützlicher Ein¬
richtungen geschaffen, die die Pflege und die Verwirklichung der Ideale fördern.
Gerade hierin offenbart sich die Göttlichkeit des Christentums, daß seine volle
und wahre Bedeutung von den ersten Generationen der Christen gar nicht
geahnt, geschweige denn verstanden werden konnte, und daß sie, von Illusionen
geleitet, in einer vermeüitlich und in gewissem Sinne wirklich dem Untergange
geweihte» Welt Einrichtn» gen trafen, die der Kulturentwicklung entfernter Jahr¬
hunderte zu dienen bestimmt waren. Durch solche allmähliche Enthüllung des
göttlichen Ratschlusses erfüllt Christus seiue Verheißung, daß nach seinem Hin¬
gange der Parallel die Jüngerschaft in alle Wahrheit leiten soll, nicht durch
die vermeintliche Verleihung der Gabe der Unfehlbarkeit an den Papst, die
psychologisch undenkbar ist, durch das Zeugnis der Geschichte widerlegt wird,
und die, wenn sie Wirklichkeit wäre, der Christenheit nichts nützen würde.
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