Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Das neue Griechenland im neuen den Wirklichkeitssinn ertötet. Sie hat euch das alte Griechenland als ein end¬ So kam der Hochzeitstag heran, und mit ihm das Verhängnis für den Auch in der noch sehr jungen und wenig entwickelten dramatischen Poesie, Ist dieses Drama durchaus pessimistisch in seiner satirischen Tendenz, so Wie hilflos die Athener Presse dein Erscheinen dieses Dramas gegenüberstand, zeigt dessen Ankündigung in einer Tageszeitung: "Miß Anna Kuxleu und die Kurden, Werke des Herrn I. Kambissis, dialogisch geschrieben und sich den üblichen Beurteilungen durch ihren wirklich sonderbaren Charakter entziehend." Das neue Griechenland im neuen den Wirklichkeitssinn ertötet. Sie hat euch das alte Griechenland als ein end¬ So kam der Hochzeitstag heran, und mit ihm das Verhängnis für den Auch in der noch sehr jungen und wenig entwickelten dramatischen Poesie, Ist dieses Drama durchaus pessimistisch in seiner satirischen Tendenz, so Wie hilflos die Athener Presse dein Erscheinen dieses Dramas gegenüberstand, zeigt dessen Ankündigung in einer Tageszeitung: „Miß Anna Kuxleu und die Kurden, Werke des Herrn I. Kambissis, dialogisch geschrieben und sich den üblichen Beurteilungen durch ihren wirklich sonderbaren Charakter entziehend." <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296144"/> <fw type="header" place="top"> Das neue Griechenland im neuen</fw><lb/> <p xml:id="ID_785" prev="#ID_784"> den Wirklichkeitssinn ertötet. Sie hat euch das alte Griechenland als ein end¬<lb/> loses Schlaraffenland dargestellt. Aber es war kein solches; es war eine große,<lb/> große Werkstatt für alle Künste des Lebens."</p><lb/> <p xml:id="ID_786"> So kam der Hochzeitstag heran, und mit ihm das Verhängnis für den<lb/> Archäologen: dieser mochte es sich nicht nehmen lassen, im Speisezimmer die<lb/> Statue des Ruhms aufzustellen, seine schönste Antike. Beim Aufstellen aber<lb/> stürzt der Marmorkoloß um und zerschmettert ihm den Kopf — der letzte Ver¬<lb/> treter des „alten Griechenlands im neuen" hat sein unrühmliches Ende gefunden.</p><lb/> <p xml:id="ID_787"> Auch in der noch sehr jungen und wenig entwickelten dramatischen Poesie,<lb/> soweit sie innerlich echt ist, hat sich schon das Bedürfnis nach Befreiung von<lb/> dem Fluche des Epigonentums, der auf der bürgerlichen Gesellschaft lastet,<lb/> Ausdruck verschafft. Es sind hier vornehmlich zwei Werke zu nennen: das eine,<lb/> „Miß Anna Kuxley" (1897), von dem jung verstorbnen, hoffnungsvollen, be¬<lb/> sonders von Ibsen und Hauptmann beeinflußten I. Kambissis, schildert die teils<lb/> übermütig-frohlockende, teils drückend-schwüle, pessimistische Stimmung, die sich<lb/> bei den „Olympischen Spielen" von 1896 der Athener Gesellschaft bemächtigt<lb/> hat, und die in der unheimlich hereinragenden Gestalt der amerikanischen Wahr¬<lb/> sagerin Anna Kuxley verkörpert ist. Wie diese der einen der beiden Töchter des<lb/> Hauses, Marina, ein frühes Ende voraussagt, so glaubt man darin ein nationales<lb/> „Menetekel" zu erkennen, das der Dichter drohend an die Wand schreibt. Denn<lb/> mit dieser unglücklichen Tochter, die auch am Schlüsse des Stückes stirbt, soll<lb/> offenbar das Schicksal Griechenlands symbolisiert sein, wie es sich auch im<lb/> Jahre darauf in der Niederlage gegen die Türken erfüllte. Der Geliebte<lb/> Marinas, Perikles, ist der Dichter selbst; seine sorgenvolle Stimmung steht<lb/> in starkem Kontrast zu der oberflächlichen der übrigen Personen. Man unter¬<lb/> hält sich gerade über den Sieg des Schnellläufers Luis; ein älterer Herr,<lb/> Marinas Onkel, der Vertreter des chauvinistischen Patriotismus, ist außer sich<lb/> vor Freude und Stolz: „Ein Mensch, ein Bauer, ruft er begeistert aus, hat<lb/> Griechenland hoch emporgehoben in seiner Stellung. . . . Versteht ihr? Hundert<lb/> Stacitsbcmkrotts hat dieser eine Sieg wett gemacht!" Und als ihm Perikles<lb/> dagegen bemerkt, es liege etwas Dekadentes in diesem Freudentaumel, bricht er<lb/> erst recht in Begeisterung aus: „Das Stadion und Luis sind die Wiedergeburt<lb/> des antiken Ruhms, und stolz muß die Nation sein, die einen solchen Mann<lb/> geboren hat!" Da erwidert ihm der junge Perikles mit bitterm Sarkasmus:<lb/> «Und wenn es einem in den Sinn käme, einen Wettkampf zu veranstalten<lb/> darum, wer die größten Ohren hat, auch daun müßte das Griechentum stolz<lb/> sein, wenn der Sieger ein Grieche ist. . . . Das Genie der Ohren wäre dann,<lb/> was heute das Genie der Beine ist."")</p><lb/> <p xml:id="ID_788" next="#ID_789"> Ist dieses Drama durchaus pessimistisch in seiner satirischen Tendenz, so<lb/> spricht ans dem zweiten: „Lebendige und Tote" von D. P. Tangopulos, das<lb/> erst vor kurzem erschienen ist, ein zukuuftsfreudigerer Optimismus. Der Ver-</p><lb/> <fw type="header" place="top"> Wie hilflos die Athener Presse dein Erscheinen dieses Dramas gegenüberstand, zeigt<lb/> dessen Ankündigung in einer Tageszeitung: „Miß Anna Kuxleu und die Kurden, Werke des<lb/> Herrn I. Kambissis, dialogisch geschrieben und sich den üblichen Beurteilungen durch ihren<lb/> wirklich sonderbaren Charakter entziehend."</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0133]
Das neue Griechenland im neuen
Wie hilflos die Athener Presse dein Erscheinen dieses Dramas gegenüberstand, zeigt
dessen Ankündigung in einer Tageszeitung: „Miß Anna Kuxleu und die Kurden, Werke des
Herrn I. Kambissis, dialogisch geschrieben und sich den üblichen Beurteilungen durch ihren
wirklich sonderbaren Charakter entziehend."
den Wirklichkeitssinn ertötet. Sie hat euch das alte Griechenland als ein end¬
loses Schlaraffenland dargestellt. Aber es war kein solches; es war eine große,
große Werkstatt für alle Künste des Lebens."
So kam der Hochzeitstag heran, und mit ihm das Verhängnis für den
Archäologen: dieser mochte es sich nicht nehmen lassen, im Speisezimmer die
Statue des Ruhms aufzustellen, seine schönste Antike. Beim Aufstellen aber
stürzt der Marmorkoloß um und zerschmettert ihm den Kopf — der letzte Ver¬
treter des „alten Griechenlands im neuen" hat sein unrühmliches Ende gefunden.
Auch in der noch sehr jungen und wenig entwickelten dramatischen Poesie,
soweit sie innerlich echt ist, hat sich schon das Bedürfnis nach Befreiung von
dem Fluche des Epigonentums, der auf der bürgerlichen Gesellschaft lastet,
Ausdruck verschafft. Es sind hier vornehmlich zwei Werke zu nennen: das eine,
„Miß Anna Kuxley" (1897), von dem jung verstorbnen, hoffnungsvollen, be¬
sonders von Ibsen und Hauptmann beeinflußten I. Kambissis, schildert die teils
übermütig-frohlockende, teils drückend-schwüle, pessimistische Stimmung, die sich
bei den „Olympischen Spielen" von 1896 der Athener Gesellschaft bemächtigt
hat, und die in der unheimlich hereinragenden Gestalt der amerikanischen Wahr¬
sagerin Anna Kuxley verkörpert ist. Wie diese der einen der beiden Töchter des
Hauses, Marina, ein frühes Ende voraussagt, so glaubt man darin ein nationales
„Menetekel" zu erkennen, das der Dichter drohend an die Wand schreibt. Denn
mit dieser unglücklichen Tochter, die auch am Schlüsse des Stückes stirbt, soll
offenbar das Schicksal Griechenlands symbolisiert sein, wie es sich auch im
Jahre darauf in der Niederlage gegen die Türken erfüllte. Der Geliebte
Marinas, Perikles, ist der Dichter selbst; seine sorgenvolle Stimmung steht
in starkem Kontrast zu der oberflächlichen der übrigen Personen. Man unter¬
hält sich gerade über den Sieg des Schnellläufers Luis; ein älterer Herr,
Marinas Onkel, der Vertreter des chauvinistischen Patriotismus, ist außer sich
vor Freude und Stolz: „Ein Mensch, ein Bauer, ruft er begeistert aus, hat
Griechenland hoch emporgehoben in seiner Stellung. . . . Versteht ihr? Hundert
Stacitsbcmkrotts hat dieser eine Sieg wett gemacht!" Und als ihm Perikles
dagegen bemerkt, es liege etwas Dekadentes in diesem Freudentaumel, bricht er
erst recht in Begeisterung aus: „Das Stadion und Luis sind die Wiedergeburt
des antiken Ruhms, und stolz muß die Nation sein, die einen solchen Mann
geboren hat!" Da erwidert ihm der junge Perikles mit bitterm Sarkasmus:
«Und wenn es einem in den Sinn käme, einen Wettkampf zu veranstalten
darum, wer die größten Ohren hat, auch daun müßte das Griechentum stolz
sein, wenn der Sieger ein Grieche ist. . . . Das Genie der Ohren wäre dann,
was heute das Genie der Beine ist."")
Ist dieses Drama durchaus pessimistisch in seiner satirischen Tendenz, so
spricht ans dem zweiten: „Lebendige und Tote" von D. P. Tangopulos, das
erst vor kurzem erschienen ist, ein zukuuftsfreudigerer Optimismus. Der Ver-
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