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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Geschichte und deutscheu Beruf

etwas, das dem Ganzen zulieb und zunutze sein soll. Aber über diese bloße
Auffassung und Beurteilung der Arbeit hinaus soll die Arbeit des Einzelnen
auch faktisch, in ihrer Betriebsform, ohne aufzuhören, privates Unternehmen zu
sein, ein Dienst fürs Ganze werden kraft der Bindung der Privattätigkeit durch
das Ganze, d. h, nun durch den engen Anschluß, den der Einzelne an den Kreis
zu nehmen hat, der ihn zunächst umgibt, an seine Berufsgenossenschaft. Die
Aufgabe der organisierten Berufsgenossenschaft ist es, die Tätigkeit der sämt¬
lichen ihr angehörenden Glieder zu überschaue!?, zu leiten, zu fördern und zu
stützen -- nicht in zünftig örtlichen, sondern in großem nationalem Nahmen.
Durch diese Beziehung aufs Ganze, zunächst vermöge dieses Anschlusses an die
Berufsgemeinschaft, wird vor allem schon die technische Ausbildung vervoll¬
kommnet, die Übersicht über die Leistungen, über Angebot und Nachfrage usw.
innerhalb des jeweiligen Bcrufszweigs erleichtert, eben damit nicht nur die
Möglichkeit des Erwerbs gesteigert, sondern auch die gesamte Tätigkeit und
Stellung, Denkweise und Auffassung des Einzelnen innerlich gehoben, die Hervor¬
bringung selbst zum Schönen geadelt. Bei dem Bilde, das unser Philosoph von
dem planvollen Zusammenwirken der innerhalb der durch die Zweckmäßigkeit
gezognen Grenzen selbständigen und freien Berufsgenossen betrifft, werden wir
lebhaft an Schillers Glockenlied gemahnt:

Die sich aus den frei zusammentretender Berufsgenossen bildenden Berufs-
genossenschaften stellen dann zugleich die Wahlkörper dar, aus denen für die
Volksvertretung die Abgeordneten hervorgehn. Denn nicht aus "bloßen Bürgern,"
sondern aus den Repräsentanten der verschiednen Berufsgruppen soll das Par¬
lament bestehn, wenigstens in einer seiner Kammern, neben die sich als konserva¬
tives Gegengewicht auch noch eine andre, Gemeinde, Bezirk, Provinz u. tgi. und
ihre partikuläre Eigentümlichkeit vertretende stellen mag. Während unser Staat
noch zusammengesetzt ist aus der bevormundenden Bureaukratie und den rein
egoistisch erwerbenden Einzelexistenzen, die freilich dieser Bevormundung sehr
bedürftig seien, soll der Staat nach dem Plcmckschen Ideal nichts andres sein
als die Zusammenfassung der sich selbst verwaltenden einzelnen Berufskörper.
Und entsprechend würde an die Stelle des Dualismus des auch wieder bureau¬
kratisch angehauchten heutigen Parlaments einerseits und der von diesem durch
eine Kluft getrennten Wühler- und Bürgerschaft andrerseits die lebendige Wechsel¬
wirkung zwischen den Berusskörpern mit ihren Angehörigen und dem Parlament,
mit dem sie organisch verbunden sind, treten müssen.

Diese und ähnliche Ideen sind ja zum Beispiel auch von Schüffle geteilt
worden, und manche Regierungen haben schon versucht, sie ins Leben einzu-


Deutsche Geschichte und deutscheu Beruf

etwas, das dem Ganzen zulieb und zunutze sein soll. Aber über diese bloße
Auffassung und Beurteilung der Arbeit hinaus soll die Arbeit des Einzelnen
auch faktisch, in ihrer Betriebsform, ohne aufzuhören, privates Unternehmen zu
sein, ein Dienst fürs Ganze werden kraft der Bindung der Privattätigkeit durch
das Ganze, d. h, nun durch den engen Anschluß, den der Einzelne an den Kreis
zu nehmen hat, der ihn zunächst umgibt, an seine Berufsgenossenschaft. Die
Aufgabe der organisierten Berufsgenossenschaft ist es, die Tätigkeit der sämt¬
lichen ihr angehörenden Glieder zu überschaue!?, zu leiten, zu fördern und zu
stützen — nicht in zünftig örtlichen, sondern in großem nationalem Nahmen.
Durch diese Beziehung aufs Ganze, zunächst vermöge dieses Anschlusses an die
Berufsgemeinschaft, wird vor allem schon die technische Ausbildung vervoll¬
kommnet, die Übersicht über die Leistungen, über Angebot und Nachfrage usw.
innerhalb des jeweiligen Bcrufszweigs erleichtert, eben damit nicht nur die
Möglichkeit des Erwerbs gesteigert, sondern auch die gesamte Tätigkeit und
Stellung, Denkweise und Auffassung des Einzelnen innerlich gehoben, die Hervor¬
bringung selbst zum Schönen geadelt. Bei dem Bilde, das unser Philosoph von
dem planvollen Zusammenwirken der innerhalb der durch die Zweckmäßigkeit
gezognen Grenzen selbständigen und freien Berufsgenossen betrifft, werden wir
lebhaft an Schillers Glockenlied gemahnt:

Die sich aus den frei zusammentretender Berufsgenossen bildenden Berufs-
genossenschaften stellen dann zugleich die Wahlkörper dar, aus denen für die
Volksvertretung die Abgeordneten hervorgehn. Denn nicht aus „bloßen Bürgern,"
sondern aus den Repräsentanten der verschiednen Berufsgruppen soll das Par¬
lament bestehn, wenigstens in einer seiner Kammern, neben die sich als konserva¬
tives Gegengewicht auch noch eine andre, Gemeinde, Bezirk, Provinz u. tgi. und
ihre partikuläre Eigentümlichkeit vertretende stellen mag. Während unser Staat
noch zusammengesetzt ist aus der bevormundenden Bureaukratie und den rein
egoistisch erwerbenden Einzelexistenzen, die freilich dieser Bevormundung sehr
bedürftig seien, soll der Staat nach dem Plcmckschen Ideal nichts andres sein
als die Zusammenfassung der sich selbst verwaltenden einzelnen Berufskörper.
Und entsprechend würde an die Stelle des Dualismus des auch wieder bureau¬
kratisch angehauchten heutigen Parlaments einerseits und der von diesem durch
eine Kluft getrennten Wühler- und Bürgerschaft andrerseits die lebendige Wechsel¬
wirkung zwischen den Berusskörpern mit ihren Angehörigen und dem Parlament,
mit dem sie organisch verbunden sind, treten müssen.

Diese und ähnliche Ideen sind ja zum Beispiel auch von Schüffle geteilt
worden, und manche Regierungen haben schon versucht, sie ins Leben einzu-


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[0127] Deutsche Geschichte und deutscheu Beruf etwas, das dem Ganzen zulieb und zunutze sein soll. Aber über diese bloße Auffassung und Beurteilung der Arbeit hinaus soll die Arbeit des Einzelnen auch faktisch, in ihrer Betriebsform, ohne aufzuhören, privates Unternehmen zu sein, ein Dienst fürs Ganze werden kraft der Bindung der Privattätigkeit durch das Ganze, d. h, nun durch den engen Anschluß, den der Einzelne an den Kreis zu nehmen hat, der ihn zunächst umgibt, an seine Berufsgenossenschaft. Die Aufgabe der organisierten Berufsgenossenschaft ist es, die Tätigkeit der sämt¬ lichen ihr angehörenden Glieder zu überschaue!?, zu leiten, zu fördern und zu stützen — nicht in zünftig örtlichen, sondern in großem nationalem Nahmen. Durch diese Beziehung aufs Ganze, zunächst vermöge dieses Anschlusses an die Berufsgemeinschaft, wird vor allem schon die technische Ausbildung vervoll¬ kommnet, die Übersicht über die Leistungen, über Angebot und Nachfrage usw. innerhalb des jeweiligen Bcrufszweigs erleichtert, eben damit nicht nur die Möglichkeit des Erwerbs gesteigert, sondern auch die gesamte Tätigkeit und Stellung, Denkweise und Auffassung des Einzelnen innerlich gehoben, die Hervor¬ bringung selbst zum Schönen geadelt. Bei dem Bilde, das unser Philosoph von dem planvollen Zusammenwirken der innerhalb der durch die Zweckmäßigkeit gezognen Grenzen selbständigen und freien Berufsgenossen betrifft, werden wir lebhaft an Schillers Glockenlied gemahnt: Die sich aus den frei zusammentretender Berufsgenossen bildenden Berufs- genossenschaften stellen dann zugleich die Wahlkörper dar, aus denen für die Volksvertretung die Abgeordneten hervorgehn. Denn nicht aus „bloßen Bürgern," sondern aus den Repräsentanten der verschiednen Berufsgruppen soll das Par¬ lament bestehn, wenigstens in einer seiner Kammern, neben die sich als konserva¬ tives Gegengewicht auch noch eine andre, Gemeinde, Bezirk, Provinz u. tgi. und ihre partikuläre Eigentümlichkeit vertretende stellen mag. Während unser Staat noch zusammengesetzt ist aus der bevormundenden Bureaukratie und den rein egoistisch erwerbenden Einzelexistenzen, die freilich dieser Bevormundung sehr bedürftig seien, soll der Staat nach dem Plcmckschen Ideal nichts andres sein als die Zusammenfassung der sich selbst verwaltenden einzelnen Berufskörper. Und entsprechend würde an die Stelle des Dualismus des auch wieder bureau¬ kratisch angehauchten heutigen Parlaments einerseits und der von diesem durch eine Kluft getrennten Wühler- und Bürgerschaft andrerseits die lebendige Wechsel¬ wirkung zwischen den Berusskörpern mit ihren Angehörigen und dem Parlament, mit dem sie organisch verbunden sind, treten müssen. Diese und ähnliche Ideen sind ja zum Beispiel auch von Schüffle geteilt worden, und manche Regierungen haben schon versucht, sie ins Leben einzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/127>, abgerufen am 15.01.2025.