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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

lief, die sogenannte Wasseruhr. Jeder Redner hatte sein Wasser, wie auf den
Kanzeln eine Sanduhr zu stehn pflegte; Pompejus, der in dem genannten Jahre
ein sich darauf beziehendes Gesetz einbrachte, wollte die Sache so geregelt wissen,
daß der Kläger zwei Drittel des Wassers bekäme, das dem Angeklagten zustand,
daß also der erste etwa zwei, der letzte drei Stunden sprechen dürfte. Während
der Verlesung von Akten mußte ein Beamter das Wasser abstellen. In besonders
wichtigen Fällen trat eine Vergünstigung ein; zum Beispiel in Sachen des jüngern
Plinius. Dieser sollte zehn volle Wasser haben. Weil er auch damit noch nicht
reichte, fügten ihm die Richter noch vier hinzu. Die modernen Dauerredner und'
Obstruktivuisten können sich auf ihn berufen.

Bekanntlich wurde der Prophet Mohammed in einer Nacht von einem Wunder¬
rosse durch die Lüfte von Mekka nach dem Tempel von Jerusalem getragen und
stieg dann unter Führung des Engels Gabriel auf einer Leiter bis in den siebenten
Himmel, worauf er wieder herabstieg und mit dem Borak nach Mekka und in sein
Bett zurückkehrte. Die Ausleger sind beflissen, das Wunder mit den aus¬
schweifendsten Zusätzen auszuschmücken, und führen zum Beispiel an, die große
Reise sei mit so ungeheurer Schnelligkeit geschehen, daß ein Wassergefäß, das er
beim Aufbruch mit dem Fuß umgestoßen habe, bei seiner Rückkunft noch nicht völlig
ausgelaufen gewesen sei. Wahrscheinlich beruht diese Angabe auf einem Mißver¬
ständnis: das Gefäß brauchte gar nicht umgestoßen zu werden, sondern mit dem
Wasserkrüge war eine Wasseruhr gemeint, die gerade so viel Wasser faßte, als
während einer Nacht auslaufen konnte. Es soll nur heißen, daß die Nacht noch
nicht vorbei war. Im Jahre 807 sandte der Kauf Harun al-Raschid Karl dem
Großen eine Wasseruhr.

Im Mittelalter vertraten die Stelle der Wasseruhren die seither aufgekommnen
Kerzen. Bei Gerichtsverhandlungen durfte einer so lange sprechen, wie eine Kerze
brannte; wurde ein Ketzer in den Bann getan, so mußte ihm eine Frist gewährt
und gewartet werden, bis eine Wachskerze erlosch. Ebensolange, K onanäslle-
stsiutv durften die Käufer bei Versteigerungen bieten. Zum Beispiel in der
"Weißen Dame" auf Avenel.

Nun gibt es ein Licht, das alle Tage brennt und nach einer gewissen Zeit
ausgeht, das ist das Sonnenlicht; die Zeit, die es brennt und über dem Horizonte
verweilt, nennt man den Tag. Es ist das der natürliche Tag. dessen Dauer um
Äquator jahraus jahrein zwölf Stunden beträgt. An andern Punkten der Erde
ist er nur im Frühling und Herbst zwölfstündig; anßer diesen beiden Zeiten dauern
die Tage bald länger, bald kürzer.

Immerhin war der Tag von jeher das Hauptzeitmaß, auch in unsern Breiten.
Die Zeit von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang stellte doch im großen und
ganzen eine konstante, regelmäßig in drei Abschnitte: Morgen, Mittag und Abend
zerfallende Zeitspanne dar; um Mittag schien die Sonne, die beständig vorrückte
und am Himmel einen Bogen beschrieb, wie an den Sonnenwenden, nachdem sie
ihren höchsten Stand erreicht hatte, eine Weile still zu stehn. Jahrtausendelang
haben die Menschen keine andre Tageseinteilung gekannt; die Babylonier waren
die ersten, die mit Hilfe der Sonnenuhr eine noch genauere Abstufung vornahmen.
Sie zerlegten den natürlichen Tag in zwölf gleiche Abschnitte, in zwölf Hören oder
in zwölf Stunden. Da der Tag nicht immer gleich lang war, mußten natürlich
auch die Stunden je "ach der Jahreszeit bald länger, bald kürzer sein; nur an
den Tag- und Nachtgleichen stimmten sie mit unsern Stunden überein. Der baby¬
lonische Zwölfstundentag wurde dann zur Zeit des Polykrates, also im sechsten
Jahrhundert v. Chr., zugleich mit der babylonischen Sonnenuhr durch den Philo¬
sophen Anaximander in Griechenland eingeführt; im Jahre 291 wurde er in Rom
angenommen, wo bis dahin ein Herold auf dem Marktplatze Mittag ausgerufen
hatte, wenn er die Sonne zwischen den Rostris und der Gräcostasis stehn sah;
wo sich bis dahin jedermann auf seinen Magen zu verlassen pflegte:


Maßgebliches und Unmaßgebliches

lief, die sogenannte Wasseruhr. Jeder Redner hatte sein Wasser, wie auf den
Kanzeln eine Sanduhr zu stehn pflegte; Pompejus, der in dem genannten Jahre
ein sich darauf beziehendes Gesetz einbrachte, wollte die Sache so geregelt wissen,
daß der Kläger zwei Drittel des Wassers bekäme, das dem Angeklagten zustand,
daß also der erste etwa zwei, der letzte drei Stunden sprechen dürfte. Während
der Verlesung von Akten mußte ein Beamter das Wasser abstellen. In besonders
wichtigen Fällen trat eine Vergünstigung ein; zum Beispiel in Sachen des jüngern
Plinius. Dieser sollte zehn volle Wasser haben. Weil er auch damit noch nicht
reichte, fügten ihm die Richter noch vier hinzu. Die modernen Dauerredner und'
Obstruktivuisten können sich auf ihn berufen.

Bekanntlich wurde der Prophet Mohammed in einer Nacht von einem Wunder¬
rosse durch die Lüfte von Mekka nach dem Tempel von Jerusalem getragen und
stieg dann unter Führung des Engels Gabriel auf einer Leiter bis in den siebenten
Himmel, worauf er wieder herabstieg und mit dem Borak nach Mekka und in sein
Bett zurückkehrte. Die Ausleger sind beflissen, das Wunder mit den aus¬
schweifendsten Zusätzen auszuschmücken, und führen zum Beispiel an, die große
Reise sei mit so ungeheurer Schnelligkeit geschehen, daß ein Wassergefäß, das er
beim Aufbruch mit dem Fuß umgestoßen habe, bei seiner Rückkunft noch nicht völlig
ausgelaufen gewesen sei. Wahrscheinlich beruht diese Angabe auf einem Mißver¬
ständnis: das Gefäß brauchte gar nicht umgestoßen zu werden, sondern mit dem
Wasserkrüge war eine Wasseruhr gemeint, die gerade so viel Wasser faßte, als
während einer Nacht auslaufen konnte. Es soll nur heißen, daß die Nacht noch
nicht vorbei war. Im Jahre 807 sandte der Kauf Harun al-Raschid Karl dem
Großen eine Wasseruhr.

Im Mittelalter vertraten die Stelle der Wasseruhren die seither aufgekommnen
Kerzen. Bei Gerichtsverhandlungen durfte einer so lange sprechen, wie eine Kerze
brannte; wurde ein Ketzer in den Bann getan, so mußte ihm eine Frist gewährt
und gewartet werden, bis eine Wachskerze erlosch. Ebensolange, K onanäslle-
stsiutv durften die Käufer bei Versteigerungen bieten. Zum Beispiel in der
„Weißen Dame" auf Avenel.

Nun gibt es ein Licht, das alle Tage brennt und nach einer gewissen Zeit
ausgeht, das ist das Sonnenlicht; die Zeit, die es brennt und über dem Horizonte
verweilt, nennt man den Tag. Es ist das der natürliche Tag. dessen Dauer um
Äquator jahraus jahrein zwölf Stunden beträgt. An andern Punkten der Erde
ist er nur im Frühling und Herbst zwölfstündig; anßer diesen beiden Zeiten dauern
die Tage bald länger, bald kürzer.

Immerhin war der Tag von jeher das Hauptzeitmaß, auch in unsern Breiten.
Die Zeit von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang stellte doch im großen und
ganzen eine konstante, regelmäßig in drei Abschnitte: Morgen, Mittag und Abend
zerfallende Zeitspanne dar; um Mittag schien die Sonne, die beständig vorrückte
und am Himmel einen Bogen beschrieb, wie an den Sonnenwenden, nachdem sie
ihren höchsten Stand erreicht hatte, eine Weile still zu stehn. Jahrtausendelang
haben die Menschen keine andre Tageseinteilung gekannt; die Babylonier waren
die ersten, die mit Hilfe der Sonnenuhr eine noch genauere Abstufung vornahmen.
Sie zerlegten den natürlichen Tag in zwölf gleiche Abschnitte, in zwölf Hören oder
in zwölf Stunden. Da der Tag nicht immer gleich lang war, mußten natürlich
auch die Stunden je «ach der Jahreszeit bald länger, bald kürzer sein; nur an
den Tag- und Nachtgleichen stimmten sie mit unsern Stunden überein. Der baby¬
lonische Zwölfstundentag wurde dann zur Zeit des Polykrates, also im sechsten
Jahrhundert v. Chr., zugleich mit der babylonischen Sonnenuhr durch den Philo¬
sophen Anaximander in Griechenland eingeführt; im Jahre 291 wurde er in Rom
angenommen, wo bis dahin ein Herold auf dem Marktplatze Mittag ausgerufen
hatte, wenn er die Sonne zwischen den Rostris und der Gräcostasis stehn sah;
wo sich bis dahin jedermann auf seinen Magen zu verlassen pflegte:


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[0778] Maßgebliches und Unmaßgebliches lief, die sogenannte Wasseruhr. Jeder Redner hatte sein Wasser, wie auf den Kanzeln eine Sanduhr zu stehn pflegte; Pompejus, der in dem genannten Jahre ein sich darauf beziehendes Gesetz einbrachte, wollte die Sache so geregelt wissen, daß der Kläger zwei Drittel des Wassers bekäme, das dem Angeklagten zustand, daß also der erste etwa zwei, der letzte drei Stunden sprechen dürfte. Während der Verlesung von Akten mußte ein Beamter das Wasser abstellen. In besonders wichtigen Fällen trat eine Vergünstigung ein; zum Beispiel in Sachen des jüngern Plinius. Dieser sollte zehn volle Wasser haben. Weil er auch damit noch nicht reichte, fügten ihm die Richter noch vier hinzu. Die modernen Dauerredner und' Obstruktivuisten können sich auf ihn berufen. Bekanntlich wurde der Prophet Mohammed in einer Nacht von einem Wunder¬ rosse durch die Lüfte von Mekka nach dem Tempel von Jerusalem getragen und stieg dann unter Führung des Engels Gabriel auf einer Leiter bis in den siebenten Himmel, worauf er wieder herabstieg und mit dem Borak nach Mekka und in sein Bett zurückkehrte. Die Ausleger sind beflissen, das Wunder mit den aus¬ schweifendsten Zusätzen auszuschmücken, und führen zum Beispiel an, die große Reise sei mit so ungeheurer Schnelligkeit geschehen, daß ein Wassergefäß, das er beim Aufbruch mit dem Fuß umgestoßen habe, bei seiner Rückkunft noch nicht völlig ausgelaufen gewesen sei. Wahrscheinlich beruht diese Angabe auf einem Mißver¬ ständnis: das Gefäß brauchte gar nicht umgestoßen zu werden, sondern mit dem Wasserkrüge war eine Wasseruhr gemeint, die gerade so viel Wasser faßte, als während einer Nacht auslaufen konnte. Es soll nur heißen, daß die Nacht noch nicht vorbei war. Im Jahre 807 sandte der Kauf Harun al-Raschid Karl dem Großen eine Wasseruhr. Im Mittelalter vertraten die Stelle der Wasseruhren die seither aufgekommnen Kerzen. Bei Gerichtsverhandlungen durfte einer so lange sprechen, wie eine Kerze brannte; wurde ein Ketzer in den Bann getan, so mußte ihm eine Frist gewährt und gewartet werden, bis eine Wachskerze erlosch. Ebensolange, K onanäslle- stsiutv durften die Käufer bei Versteigerungen bieten. Zum Beispiel in der „Weißen Dame" auf Avenel. Nun gibt es ein Licht, das alle Tage brennt und nach einer gewissen Zeit ausgeht, das ist das Sonnenlicht; die Zeit, die es brennt und über dem Horizonte verweilt, nennt man den Tag. Es ist das der natürliche Tag. dessen Dauer um Äquator jahraus jahrein zwölf Stunden beträgt. An andern Punkten der Erde ist er nur im Frühling und Herbst zwölfstündig; anßer diesen beiden Zeiten dauern die Tage bald länger, bald kürzer. Immerhin war der Tag von jeher das Hauptzeitmaß, auch in unsern Breiten. Die Zeit von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang stellte doch im großen und ganzen eine konstante, regelmäßig in drei Abschnitte: Morgen, Mittag und Abend zerfallende Zeitspanne dar; um Mittag schien die Sonne, die beständig vorrückte und am Himmel einen Bogen beschrieb, wie an den Sonnenwenden, nachdem sie ihren höchsten Stand erreicht hatte, eine Weile still zu stehn. Jahrtausendelang haben die Menschen keine andre Tageseinteilung gekannt; die Babylonier waren die ersten, die mit Hilfe der Sonnenuhr eine noch genauere Abstufung vornahmen. Sie zerlegten den natürlichen Tag in zwölf gleiche Abschnitte, in zwölf Hören oder in zwölf Stunden. Da der Tag nicht immer gleich lang war, mußten natürlich auch die Stunden je «ach der Jahreszeit bald länger, bald kürzer sein; nur an den Tag- und Nachtgleichen stimmten sie mit unsern Stunden überein. Der baby¬ lonische Zwölfstundentag wurde dann zur Zeit des Polykrates, also im sechsten Jahrhundert v. Chr., zugleich mit der babylonischen Sonnenuhr durch den Philo¬ sophen Anaximander in Griechenland eingeführt; im Jahre 291 wurde er in Rom angenommen, wo bis dahin ein Herold auf dem Marktplatze Mittag ausgerufen hatte, wenn er die Sonne zwischen den Rostris und der Gräcostasis stehn sah; wo sich bis dahin jedermann auf seinen Magen zu verlassen pflegte:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/778>, abgerufen am 23.07.2024.