Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der fromme Maier

Bett und sah durchs Kammerfenster hinaus. Die Stadt lag schwarz und schweigend
da, es war nach Mitternacht; nur hie und da klapperten Läden, und dann drang
wieder ein dumpfer Schall in die Höhe. Der konnte von einem auffallenden Ziegel
sein. Am Himmel rasten die Wolken dahin, große, gespenstisch zerrissene Massen,
bald vom Mond bleich durchleuchtet, bald ihn trotzig bedeckend. Es möcht regnen,
aber es kann nicht, sagte der Beobachter. Der Wind reißt die Wolken mit sich
fort, weiß kein Mensch wohin. Wie das heult! Man meint, das Wnotesheer sei
unterwegs! Dann stand er auf, zog sich an und stellte sich unters Fenster. Das
war ein Stück große, mächtige Naturgewalt, was da außen schaffte. Das hatte
etwas Ausweitendes, Befreiendes. Der Sturm brauste auf großen, schwarzen
Fittichen an ihm vorüber, weithin, über die Stadt, über die Berge. Was hatte
er zu schaffen? Was schrie er so in die Welt hinein? Da öffnete Gottlob Maier
das Hemd auf der Brust und bot sie frei dem wilden Wehen.

Und in dem Tosen wurde ihm zumute wie einem verlaufnen Kinde, das mit
Schelten und Liebkosen zuhause empfangen wird.

Es gab keinen Menschen, der ihm etwas sagen konnte, denn er sprach eine
andre Sprache als die andern. Er war zu lang allein gewesen; sie konnten ihn
nicht loben und nicht tadeln, so wie sein einsam entwickeltes Ich es brauchte.

Der Sturm, der konnte es. Der war stark und frei und ursprünglich. Der
schrie ihn an: Was verkaufst du dich? Was läßt du dich anbinden? Du Tor!
Du Knecht! Was willst du mit den Pfennigen? Dir war ein Reichtum gezeigt,
den die andern nicht kennen. Was hattest du für ein Königtum, eins, das dir
niemand nehmen konnte! Wie konntest dn in dich hineinlachen. Nein, aus dir
heraus! -- Und der Sturm lachte, daß es dröhnte.

Dann redete er ein wenig sanfter: Komm wieder, sagte er. Komm wieder
nach Hause. Du brauchst dich nicht so abzuquälen. Wofür tust du das? Laß dirs
doch wohl sein; das Leben ist so schön, so ganz innerlich schön; du hasts schon ge¬
schmeckt. Wenn man wahr ist und frei und sich nicht knechten läßt. Das Fräu¬
lein? -- Nein, du. Weil du die Sorge hereinließest und die Begierde. Aber nun
laß es.

Was konnte der Sturmwind für sanfte Töne anschlagen, für streichelnde.
Das ging dem Gcscholtnen durch und durch in einem schauernden Wohlsein. Er
war nicht klug, nein, das war er nicht. Aber er hatte ein Ohr für die Sprache
der Natur; und, und er wollte wieder bei ihr zuhause sein. Er hatte sich nur ein
wenig verlaufen, und nun wollte er wieder umkehren. Er stand noch lange am
Fenster; ich weiß nicht, wie lange. Er war ganz durchblasen, als er sich wieder
ins Bett legte. Aber er lachte leise vor sich hin. Da wär ich dumm, sagte er.
Da wär ich dumm, und --

Dann schlief er ein.

Als er erwachte, goß der Regen in breiten Strömen herunter. Er klatschte
auf das Zinkdach des Hauses und warf sich gegen das Kammerfenster. Die Wolken
hingen schwer und tief über der Stadt; sie regneten so recht mit plätschernden
Behagen und schienen nicht gesinnt, bald wieder aufzuhören.

Was war das für ein herrliches, schönes Regenwetter! Wie war das lösend
und reinigend! Und wie verstand es sich von selbst, daß man zuhause blieb; so
in aller Stille, in aller Ungebundenheit des Sonntagmorgens. Gottlob Maier
hantierte in seiner Kammer herum, putzte Hosen und Stiefel, und stäubte ab, und
sagte hie und da vor sich hin: Da wär ich dumm! und lachte leise dazu. Sein
echtes, altes Lachen. Er konnte es nicht oft genug sagen; er sagte es, so oft ihm
einer der Gedanken aufstieg, die ihn in der letzten Zeit umgetrieben hatten. Er
schlug sie alle damit tot. Es war wie ein wackerer Kampfruf gegen Geiz, Sorge,
Werktagssinn und Sklavenart. Er wollte eben anfangen, vor sich hin zu singen'
da siel der Kehrbesen der Wirtin polternd an seine Tür. Vielleicht nicht ohne Lei¬
tung. Die Frau hatte ein Mitteilungsbedürfnis. Als Gottlob Maier die Tür auf-


Grenzboten IV 1904 1^
Der fromme Maier

Bett und sah durchs Kammerfenster hinaus. Die Stadt lag schwarz und schweigend
da, es war nach Mitternacht; nur hie und da klapperten Läden, und dann drang
wieder ein dumpfer Schall in die Höhe. Der konnte von einem auffallenden Ziegel
sein. Am Himmel rasten die Wolken dahin, große, gespenstisch zerrissene Massen,
bald vom Mond bleich durchleuchtet, bald ihn trotzig bedeckend. Es möcht regnen,
aber es kann nicht, sagte der Beobachter. Der Wind reißt die Wolken mit sich
fort, weiß kein Mensch wohin. Wie das heult! Man meint, das Wnotesheer sei
unterwegs! Dann stand er auf, zog sich an und stellte sich unters Fenster. Das
war ein Stück große, mächtige Naturgewalt, was da außen schaffte. Das hatte
etwas Ausweitendes, Befreiendes. Der Sturm brauste auf großen, schwarzen
Fittichen an ihm vorüber, weithin, über die Stadt, über die Berge. Was hatte
er zu schaffen? Was schrie er so in die Welt hinein? Da öffnete Gottlob Maier
das Hemd auf der Brust und bot sie frei dem wilden Wehen.

Und in dem Tosen wurde ihm zumute wie einem verlaufnen Kinde, das mit
Schelten und Liebkosen zuhause empfangen wird.

Es gab keinen Menschen, der ihm etwas sagen konnte, denn er sprach eine
andre Sprache als die andern. Er war zu lang allein gewesen; sie konnten ihn
nicht loben und nicht tadeln, so wie sein einsam entwickeltes Ich es brauchte.

Der Sturm, der konnte es. Der war stark und frei und ursprünglich. Der
schrie ihn an: Was verkaufst du dich? Was läßt du dich anbinden? Du Tor!
Du Knecht! Was willst du mit den Pfennigen? Dir war ein Reichtum gezeigt,
den die andern nicht kennen. Was hattest du für ein Königtum, eins, das dir
niemand nehmen konnte! Wie konntest dn in dich hineinlachen. Nein, aus dir
heraus! — Und der Sturm lachte, daß es dröhnte.

Dann redete er ein wenig sanfter: Komm wieder, sagte er. Komm wieder
nach Hause. Du brauchst dich nicht so abzuquälen. Wofür tust du das? Laß dirs
doch wohl sein; das Leben ist so schön, so ganz innerlich schön; du hasts schon ge¬
schmeckt. Wenn man wahr ist und frei und sich nicht knechten läßt. Das Fräu¬
lein? — Nein, du. Weil du die Sorge hereinließest und die Begierde. Aber nun
laß es.

Was konnte der Sturmwind für sanfte Töne anschlagen, für streichelnde.
Das ging dem Gcscholtnen durch und durch in einem schauernden Wohlsein. Er
war nicht klug, nein, das war er nicht. Aber er hatte ein Ohr für die Sprache
der Natur; und, und er wollte wieder bei ihr zuhause sein. Er hatte sich nur ein
wenig verlaufen, und nun wollte er wieder umkehren. Er stand noch lange am
Fenster; ich weiß nicht, wie lange. Er war ganz durchblasen, als er sich wieder
ins Bett legte. Aber er lachte leise vor sich hin. Da wär ich dumm, sagte er.
Da wär ich dumm, und —

Dann schlief er ein.

Als er erwachte, goß der Regen in breiten Strömen herunter. Er klatschte
auf das Zinkdach des Hauses und warf sich gegen das Kammerfenster. Die Wolken
hingen schwer und tief über der Stadt; sie regneten so recht mit plätschernden
Behagen und schienen nicht gesinnt, bald wieder aufzuhören.

Was war das für ein herrliches, schönes Regenwetter! Wie war das lösend
und reinigend! Und wie verstand es sich von selbst, daß man zuhause blieb; so
in aller Stille, in aller Ungebundenheit des Sonntagmorgens. Gottlob Maier
hantierte in seiner Kammer herum, putzte Hosen und Stiefel, und stäubte ab, und
sagte hie und da vor sich hin: Da wär ich dumm! und lachte leise dazu. Sein
echtes, altes Lachen. Er konnte es nicht oft genug sagen; er sagte es, so oft ihm
einer der Gedanken aufstieg, die ihn in der letzten Zeit umgetrieben hatten. Er
schlug sie alle damit tot. Es war wie ein wackerer Kampfruf gegen Geiz, Sorge,
Werktagssinn und Sklavenart. Er wollte eben anfangen, vor sich hin zu singen'
da siel der Kehrbesen der Wirtin polternd an seine Tür. Vielleicht nicht ohne Lei¬
tung. Die Frau hatte ein Mitteilungsbedürfnis. Als Gottlob Maier die Tür auf-


Grenzboten IV 1904 1^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0769" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295988"/>
          <fw type="header" place="top"> Der fromme Maier</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3850" prev="#ID_3849"> Bett und sah durchs Kammerfenster hinaus. Die Stadt lag schwarz und schweigend<lb/>
da, es war nach Mitternacht; nur hie und da klapperten Läden, und dann drang<lb/>
wieder ein dumpfer Schall in die Höhe. Der konnte von einem auffallenden Ziegel<lb/>
sein. Am Himmel rasten die Wolken dahin, große, gespenstisch zerrissene Massen,<lb/>
bald vom Mond bleich durchleuchtet, bald ihn trotzig bedeckend. Es möcht regnen,<lb/>
aber es kann nicht, sagte der Beobachter. Der Wind reißt die Wolken mit sich<lb/>
fort, weiß kein Mensch wohin. Wie das heult! Man meint, das Wnotesheer sei<lb/>
unterwegs! Dann stand er auf, zog sich an und stellte sich unters Fenster. Das<lb/>
war ein Stück große, mächtige Naturgewalt, was da außen schaffte. Das hatte<lb/>
etwas Ausweitendes, Befreiendes. Der Sturm brauste auf großen, schwarzen<lb/>
Fittichen an ihm vorüber, weithin, über die Stadt, über die Berge. Was hatte<lb/>
er zu schaffen? Was schrie er so in die Welt hinein? Da öffnete Gottlob Maier<lb/>
das Hemd auf der Brust und bot sie frei dem wilden Wehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3851"> Und in dem Tosen wurde ihm zumute wie einem verlaufnen Kinde, das mit<lb/>
Schelten und Liebkosen zuhause empfangen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3852"> Es gab keinen Menschen, der ihm etwas sagen konnte, denn er sprach eine<lb/>
andre Sprache als die andern. Er war zu lang allein gewesen; sie konnten ihn<lb/>
nicht loben und nicht tadeln, so wie sein einsam entwickeltes Ich es brauchte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3853"> Der Sturm, der konnte es. Der war stark und frei und ursprünglich. Der<lb/>
schrie ihn an: Was verkaufst du dich? Was läßt du dich anbinden? Du Tor!<lb/>
Du Knecht! Was willst du mit den Pfennigen? Dir war ein Reichtum gezeigt,<lb/>
den die andern nicht kennen. Was hattest du für ein Königtum, eins, das dir<lb/>
niemand nehmen konnte! Wie konntest dn in dich hineinlachen. Nein, aus dir<lb/>
heraus! &#x2014; Und der Sturm lachte, daß es dröhnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3854"> Dann redete er ein wenig sanfter: Komm wieder, sagte er. Komm wieder<lb/>
nach Hause. Du brauchst dich nicht so abzuquälen. Wofür tust du das? Laß dirs<lb/>
doch wohl sein; das Leben ist so schön, so ganz innerlich schön; du hasts schon ge¬<lb/>
schmeckt. Wenn man wahr ist und frei und sich nicht knechten läßt. Das Fräu¬<lb/>
lein? &#x2014; Nein, du. Weil du die Sorge hereinließest und die Begierde. Aber nun<lb/>
laß es.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3855"> Was konnte der Sturmwind für sanfte Töne anschlagen, für streichelnde.<lb/>
Das ging dem Gcscholtnen durch und durch in einem schauernden Wohlsein. Er<lb/>
war nicht klug, nein, das war er nicht. Aber er hatte ein Ohr für die Sprache<lb/>
der Natur; und, und er wollte wieder bei ihr zuhause sein. Er hatte sich nur ein<lb/>
wenig verlaufen, und nun wollte er wieder umkehren. Er stand noch lange am<lb/>
Fenster; ich weiß nicht, wie lange. Er war ganz durchblasen, als er sich wieder<lb/>
ins Bett legte. Aber er lachte leise vor sich hin. Da wär ich dumm, sagte er.<lb/>
Da wär ich dumm, und &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3856"> Dann schlief er ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3857"> Als er erwachte, goß der Regen in breiten Strömen herunter. Er klatschte<lb/>
auf das Zinkdach des Hauses und warf sich gegen das Kammerfenster. Die Wolken<lb/>
hingen schwer und tief über der Stadt; sie regneten so recht mit plätschernden<lb/>
Behagen und schienen nicht gesinnt, bald wieder aufzuhören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3858" next="#ID_3859"> Was war das für ein herrliches, schönes Regenwetter! Wie war das lösend<lb/>
und reinigend! Und wie verstand es sich von selbst, daß man zuhause blieb; so<lb/>
in aller Stille, in aller Ungebundenheit des Sonntagmorgens. Gottlob Maier<lb/>
hantierte in seiner Kammer herum, putzte Hosen und Stiefel, und stäubte ab, und<lb/>
sagte hie und da vor sich hin: Da wär ich dumm! und lachte leise dazu. Sein<lb/>
echtes, altes Lachen. Er konnte es nicht oft genug sagen; er sagte es, so oft ihm<lb/>
einer der Gedanken aufstieg, die ihn in der letzten Zeit umgetrieben hatten. Er<lb/>
schlug sie alle damit tot. Es war wie ein wackerer Kampfruf gegen Geiz, Sorge,<lb/>
Werktagssinn und Sklavenart. Er wollte eben anfangen, vor sich hin zu singen'<lb/>
da siel der Kehrbesen der Wirtin polternd an seine Tür. Vielleicht nicht ohne Lei¬<lb/>
tung. Die Frau hatte ein Mitteilungsbedürfnis. Als Gottlob Maier die Tür auf-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1904 1^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0769] Der fromme Maier Bett und sah durchs Kammerfenster hinaus. Die Stadt lag schwarz und schweigend da, es war nach Mitternacht; nur hie und da klapperten Läden, und dann drang wieder ein dumpfer Schall in die Höhe. Der konnte von einem auffallenden Ziegel sein. Am Himmel rasten die Wolken dahin, große, gespenstisch zerrissene Massen, bald vom Mond bleich durchleuchtet, bald ihn trotzig bedeckend. Es möcht regnen, aber es kann nicht, sagte der Beobachter. Der Wind reißt die Wolken mit sich fort, weiß kein Mensch wohin. Wie das heult! Man meint, das Wnotesheer sei unterwegs! Dann stand er auf, zog sich an und stellte sich unters Fenster. Das war ein Stück große, mächtige Naturgewalt, was da außen schaffte. Das hatte etwas Ausweitendes, Befreiendes. Der Sturm brauste auf großen, schwarzen Fittichen an ihm vorüber, weithin, über die Stadt, über die Berge. Was hatte er zu schaffen? Was schrie er so in die Welt hinein? Da öffnete Gottlob Maier das Hemd auf der Brust und bot sie frei dem wilden Wehen. Und in dem Tosen wurde ihm zumute wie einem verlaufnen Kinde, das mit Schelten und Liebkosen zuhause empfangen wird. Es gab keinen Menschen, der ihm etwas sagen konnte, denn er sprach eine andre Sprache als die andern. Er war zu lang allein gewesen; sie konnten ihn nicht loben und nicht tadeln, so wie sein einsam entwickeltes Ich es brauchte. Der Sturm, der konnte es. Der war stark und frei und ursprünglich. Der schrie ihn an: Was verkaufst du dich? Was läßt du dich anbinden? Du Tor! Du Knecht! Was willst du mit den Pfennigen? Dir war ein Reichtum gezeigt, den die andern nicht kennen. Was hattest du für ein Königtum, eins, das dir niemand nehmen konnte! Wie konntest dn in dich hineinlachen. Nein, aus dir heraus! — Und der Sturm lachte, daß es dröhnte. Dann redete er ein wenig sanfter: Komm wieder, sagte er. Komm wieder nach Hause. Du brauchst dich nicht so abzuquälen. Wofür tust du das? Laß dirs doch wohl sein; das Leben ist so schön, so ganz innerlich schön; du hasts schon ge¬ schmeckt. Wenn man wahr ist und frei und sich nicht knechten läßt. Das Fräu¬ lein? — Nein, du. Weil du die Sorge hereinließest und die Begierde. Aber nun laß es. Was konnte der Sturmwind für sanfte Töne anschlagen, für streichelnde. Das ging dem Gcscholtnen durch und durch in einem schauernden Wohlsein. Er war nicht klug, nein, das war er nicht. Aber er hatte ein Ohr für die Sprache der Natur; und, und er wollte wieder bei ihr zuhause sein. Er hatte sich nur ein wenig verlaufen, und nun wollte er wieder umkehren. Er stand noch lange am Fenster; ich weiß nicht, wie lange. Er war ganz durchblasen, als er sich wieder ins Bett legte. Aber er lachte leise vor sich hin. Da wär ich dumm, sagte er. Da wär ich dumm, und — Dann schlief er ein. Als er erwachte, goß der Regen in breiten Strömen herunter. Er klatschte auf das Zinkdach des Hauses und warf sich gegen das Kammerfenster. Die Wolken hingen schwer und tief über der Stadt; sie regneten so recht mit plätschernden Behagen und schienen nicht gesinnt, bald wieder aufzuhören. Was war das für ein herrliches, schönes Regenwetter! Wie war das lösend und reinigend! Und wie verstand es sich von selbst, daß man zuhause blieb; so in aller Stille, in aller Ungebundenheit des Sonntagmorgens. Gottlob Maier hantierte in seiner Kammer herum, putzte Hosen und Stiefel, und stäubte ab, und sagte hie und da vor sich hin: Da wär ich dumm! und lachte leise dazu. Sein echtes, altes Lachen. Er konnte es nicht oft genug sagen; er sagte es, so oft ihm einer der Gedanken aufstieg, die ihn in der letzten Zeit umgetrieben hatten. Er schlug sie alle damit tot. Es war wie ein wackerer Kampfruf gegen Geiz, Sorge, Werktagssinn und Sklavenart. Er wollte eben anfangen, vor sich hin zu singen' da siel der Kehrbesen der Wirtin polternd an seine Tür. Vielleicht nicht ohne Lei¬ tung. Die Frau hatte ein Mitteilungsbedürfnis. Als Gottlob Maier die Tür auf- Grenzboten IV 1904 1^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/769
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/769>, abgerufen am 23.07.2024.