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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Der fromme Neuer

Es geschah ihm gerade recht, daß er gehörig in die Walkmühle kam, und in die
kam er nun. Denn um war er weder in der einen noch in der andern Welt
mehr recht zuhause. Er kam am Friedhof vorbei. Da sang gerade irgend ein
unsichtbarer Chor hinter einer Zypressengrnppe: "Rudel wohl, ihr Totenbeine!"
Das war sein Leiblied, er Pflegte es sogar hie und da bei sorgfältig verschlossenen
Fenstern in seiner Kammer zu singen. Nicht, weil er so besonders gern an den
Tod dachte. Es war aus seiner Kinderzeit her, aus der Zeit, wo er mit dem
Schulmeister und den andern Schulkindern an den Gräbern gesungen hatte, an
ihm hängen geblieben und erweckte immer eine heimatliche erfreuliche Vorstellungs¬
reihe, eine Mischung von Wehmut, Leicheubrezelu und Sonntagskleidern, von ge¬
nußreichen Grausen und frohem Nachhausekommen in ihm. Viel mehr war es
vielleicht nicht; aber weil es so viele Töne ans der harmlosen, schuldlosen Kindheit
umschloß, war ihm das Lied immer wie ein Garten, wo er fromm und kindlich
spazieren ging trotz der Mahnung an Totenbeine, Gräber und das Ende aller Dinge.
Dieser Spaziergang kam heute nicht recht zustande. Denn es sangen allerlei fremde
Vögel in seinem Garten; da machte er, daß er aus seinem Bereich kam.

Als er bei anbrechender Nacht das Haus erreichte, wo er wohnte, stand die
Falzerin aus dem Hinterhaus im Licht der Laterne unter dem Hoftor. Sie hatte
die Hände in die Schürze gewickelt und schien zu warten. Da sah sie, daß er
mit leeren Händen kam, und war enttäuscht und verlegen. Sie war eine ledige
Person und nicht gerade von feiner Art. Aber jetzt beherrschte das mitleidende
Muttergefühl für ihr hinsiechendes Kind ihr ganzes Wesen. Sie war hier heraus
gegangen, weil das Kind immer wieder mit so verlangenden Tönen gesagt hatte:
Kommt jetzt bald mein Strauß, Mutter? Bringt er nur wieder einen? Sie hatte
ihn herbciziehn wollen mit suchenden Augen. Und nun kam er leer. Sie konnte
nicht schnell genug ihre Enttäuschung verbergen. Er sah sie wohl, aber er wollte
nicht daran erinnert sein. Er steckte die Hände in die Taschen.

Guten Abend! sagte er und wollte vorbei. Da sagte sie:

Dem Kinde gehts schlecht. Es ist ihm noch nie so schlecht gegangen als jetzt.
Und dabei zitterte ihr die Angst und der Jammer in der Stimme.

Nun konnte er wohl nach den Nickelstücken in seiner Tasche greifen und ver¬
legen damit klimpern. Die halfen hier nichts.

Ißt es Zuckerbrezeln? fragte er unsicher. Ich hol ihm eine.
Er hatte sich geschwind entschlossen, ein paar Pfennige zu opfern. Da sah
sie ihn mit aufwallenden Zorn an.

Ach, Zuckerbrezeln, ich hol ihm einen Arm voll davon, wann es will. Was
laufen Sie im Wald herum und wissen, daß so ein Kind sich die Angen ausguckt
nach etwas Grünem, und bringen ihm kein Zweiglein? Ich will Ihnen sagen,
was Sie sind. Sie sind -- Da liefen ihr die Tränen über das Gesicht, und
sie kehrte ihm den Rücken und lief über den Hof. Wie gejagt. Zu ihrem Kinde.
Dem wollte sie alles ersetzen, alles. Daß ihm niemand eine Liebe tat, und daß es
nichts Grünes bekam, alles, mit einer lodernden Mutterzärtlichkeit.

Gottlob Maier sah ihr nach; es war jetzt völlig dunkel. Drüben flammte
nun ein Lichtschein auf; dort sprachen wohl jetzt die zwei über ihn, die Mutter
und das Kind. Es konnte ihm einerlei sein; die Leute hatten schon viel über ihn
gesprochen, er hatte sich längst nichts mehr daraus gemacht. Sie mochten doch
sagen, was sie wollten. Er war ja doch ein Einsiedler, ein alter Eigenbrötler.
Aber es war ihm heute nicht einerlei. Er bedürfte der andern, er war nicht
recht daheim bei sich. Was wollte sie sagen? Was sei ich? Er brummte vor
sich hin, als er die Treppen hinanstieg. Ich will ihr -- Mich kann niemand
zwingen. Ich tu, was ich will. Die sollen mich in Ruh lassen, und --

Er ging früh zu Bett; er wollte nichts mehr wissen heute. Morgen trug er
Geld in die Sparkasse; er zählte noch einmal den Inhalt der roten Blechbüchse,,
die er in seinem Kleiderschrank verschlossen hielt.


Der fromme Neuer

Es geschah ihm gerade recht, daß er gehörig in die Walkmühle kam, und in die
kam er nun. Denn um war er weder in der einen noch in der andern Welt
mehr recht zuhause. Er kam am Friedhof vorbei. Da sang gerade irgend ein
unsichtbarer Chor hinter einer Zypressengrnppe: „Rudel wohl, ihr Totenbeine!"
Das war sein Leiblied, er Pflegte es sogar hie und da bei sorgfältig verschlossenen
Fenstern in seiner Kammer zu singen. Nicht, weil er so besonders gern an den
Tod dachte. Es war aus seiner Kinderzeit her, aus der Zeit, wo er mit dem
Schulmeister und den andern Schulkindern an den Gräbern gesungen hatte, an
ihm hängen geblieben und erweckte immer eine heimatliche erfreuliche Vorstellungs¬
reihe, eine Mischung von Wehmut, Leicheubrezelu und Sonntagskleidern, von ge¬
nußreichen Grausen und frohem Nachhausekommen in ihm. Viel mehr war es
vielleicht nicht; aber weil es so viele Töne ans der harmlosen, schuldlosen Kindheit
umschloß, war ihm das Lied immer wie ein Garten, wo er fromm und kindlich
spazieren ging trotz der Mahnung an Totenbeine, Gräber und das Ende aller Dinge.
Dieser Spaziergang kam heute nicht recht zustande. Denn es sangen allerlei fremde
Vögel in seinem Garten; da machte er, daß er aus seinem Bereich kam.

Als er bei anbrechender Nacht das Haus erreichte, wo er wohnte, stand die
Falzerin aus dem Hinterhaus im Licht der Laterne unter dem Hoftor. Sie hatte
die Hände in die Schürze gewickelt und schien zu warten. Da sah sie, daß er
mit leeren Händen kam, und war enttäuscht und verlegen. Sie war eine ledige
Person und nicht gerade von feiner Art. Aber jetzt beherrschte das mitleidende
Muttergefühl für ihr hinsiechendes Kind ihr ganzes Wesen. Sie war hier heraus
gegangen, weil das Kind immer wieder mit so verlangenden Tönen gesagt hatte:
Kommt jetzt bald mein Strauß, Mutter? Bringt er nur wieder einen? Sie hatte
ihn herbciziehn wollen mit suchenden Augen. Und nun kam er leer. Sie konnte
nicht schnell genug ihre Enttäuschung verbergen. Er sah sie wohl, aber er wollte
nicht daran erinnert sein. Er steckte die Hände in die Taschen.

Guten Abend! sagte er und wollte vorbei. Da sagte sie:

Dem Kinde gehts schlecht. Es ist ihm noch nie so schlecht gegangen als jetzt.
Und dabei zitterte ihr die Angst und der Jammer in der Stimme.

Nun konnte er wohl nach den Nickelstücken in seiner Tasche greifen und ver¬
legen damit klimpern. Die halfen hier nichts.

Ißt es Zuckerbrezeln? fragte er unsicher. Ich hol ihm eine.
Er hatte sich geschwind entschlossen, ein paar Pfennige zu opfern. Da sah
sie ihn mit aufwallenden Zorn an.

Ach, Zuckerbrezeln, ich hol ihm einen Arm voll davon, wann es will. Was
laufen Sie im Wald herum und wissen, daß so ein Kind sich die Angen ausguckt
nach etwas Grünem, und bringen ihm kein Zweiglein? Ich will Ihnen sagen,
was Sie sind. Sie sind — Da liefen ihr die Tränen über das Gesicht, und
sie kehrte ihm den Rücken und lief über den Hof. Wie gejagt. Zu ihrem Kinde.
Dem wollte sie alles ersetzen, alles. Daß ihm niemand eine Liebe tat, und daß es
nichts Grünes bekam, alles, mit einer lodernden Mutterzärtlichkeit.

Gottlob Maier sah ihr nach; es war jetzt völlig dunkel. Drüben flammte
nun ein Lichtschein auf; dort sprachen wohl jetzt die zwei über ihn, die Mutter
und das Kind. Es konnte ihm einerlei sein; die Leute hatten schon viel über ihn
gesprochen, er hatte sich längst nichts mehr daraus gemacht. Sie mochten doch
sagen, was sie wollten. Er war ja doch ein Einsiedler, ein alter Eigenbrötler.
Aber es war ihm heute nicht einerlei. Er bedürfte der andern, er war nicht
recht daheim bei sich. Was wollte sie sagen? Was sei ich? Er brummte vor
sich hin, als er die Treppen hinanstieg. Ich will ihr — Mich kann niemand
zwingen. Ich tu, was ich will. Die sollen mich in Ruh lassen, und —

Er ging früh zu Bett; er wollte nichts mehr wissen heute. Morgen trug er
Geld in die Sparkasse; er zählte noch einmal den Inhalt der roten Blechbüchse,,
die er in seinem Kleiderschrank verschlossen hielt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/767>, abgerufen am 23.07.2024.