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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Es war um einem der klaren, sonnigen Tage zu Ende Oktober, wo die Welt
in fast unverhüllter goldner Schönheit steht, wo sie-wie ein Sterbender, dessen
Seele sich zu sieghafter Schönheit entwickelt hat, und der um nichts mehr von
scincni innern Glanz zu verbergen braucht, noch einmal mit strahlenden Augen um
sich sieht- Grüß euch Gott! Lebt wohl! Ist das Lebe" nicht etwas Wunderbares?

Gottlob Miller kam ans dem Walde und ging auf der Landstraße am Walo-
famue dahin. Mit seinen zwinkerndem Augen sah er in die Weite. Wie die Höhen
glänzten, die sich fern an Horizont hinzogen! Blau, ein hartes Stahlblau, und
da und dort ein weißglänzendcr Fleck daran, Mauerreste einer alten Burg oder
eine neue Villa. Ans den Wiesen zur Linken standen die blassen Kelche der Zeit¬
lohn und tranken die letzten Sonnenstrahlen; drunten im Tal lag die Stadt, und
da und dort leuchtete ein Fenster auf im Abendschein. Und über allem stand in
durchsichtiger Pläne der Oltoberhimmcl, und die Sonne, die nahe am Untergehn
war, wob ihm einen Purpursaum.

Das alles sah der Wandrer, aber er sog eS nicht in sich, wie er sonst getan
halte, mit diesen, laugen Zügen. Er trug einen Strauß in der Hand; der war
schön, er schien mit liebevollen Augen gesehen und gesammelt zu sein. Purpurrote
und goldfarbige Ranken und schwarzglänzende Brombeeren, rote Hagebutten und
rotviolctte Blüten des Heidekrauts. Und dazwischen leichte, hellgrüne Lärchcnzweige
und ein paar ernsthafte Tannenspitzen, an denen, wie der Schelmcnzug im Angesicht
eines würdige" Mnuncs, silbergraue Fähnchen der Bartflccbte süßen. Diesen Strauß
umschloß die eine der große", roten Hände, die andre krabbelte in den Taschen
umher. Da klimperte etwas MetallneS. Es war Kleingeld. Das beschäftigte seine
Gedanken. Ob er es unberührt heimbrachte? Er mußte zu Abend essen, "er hatte
kein ordentliches Mittagen gehabt, nur ein Stück Schwarzbrot und Wurst ans
der Tasche gegessen. Und er hatte auch eine kleine Schuld bei dem Wirt. Nur
eine kleine. Aber dem zäh und unerbittlich Sparenden galten anch Pfennige viel.
Er sah den Strauß an, wieder und wieder, wie er so dahinschritt neben der
Tannenwand. Da vorn bog der Weg ab. Da standen ein paar Bitten. Stadt¬
flüchtige Leute hatten sich hier oben angebaut. In eine davon, das wußte er,
hatte der Blnmenmichcl öfter seine Sträuße getragen. Wenn er das auch täte?
Warum sollte er nicht? Er konnte eine Mark verlangen. Das reichte zum Abend-
essen und zum Schnldcnzahlen, und das andre Geld blieb ihm in der Tasche. Das
Herz klopfte ihm stark. Es war nicht nur Berlegeuheit, der ungewohnten Handel¬
schaft wegen. Es fiel ihm allerlei ein, aus frühern Zeiten. Ob das wohl die
Mutter gern gesehen hätte? Oder der Vater? Er war viele Jahre laug blind
gewesen, aber nun fühlte der Sohn die lichtlosen Augen auf sich ruhn. Ach was,
sagte er, mir hilft kein Mensch. Ich muß mir selber helsen. Das ist keine
Schande. Und --

Er wußte sich nicht recht zu verteidigen. Es kam ihm auf einmal so allerlei
in den Sinn, was die Genosse" in der Fabrik sagten. Da sprach er sichs trotzig
vor: Man muß sichs sauer genng werden lassen, man muß erraffen, was man kann.
Vornehmern ist nichts für uns Leute. Die zahlens wohl, die in der Villa. Die
haben Geld genng. Wenn ich mir so ein Haus hinstellen könnte, dann hätt ichs
auch nicht nötig, Sträuße zu verkaufen.

Nötig? Aber er wollte die Frage nicht hören. Ein kleines Mädchen fiel ihm
ein, es wohnte im Hintergebäude des Hauses, wo er seine Kammer hatte. Das
lag schon lange krank, es schwand so hin. Dem hatte er schon ein paarmal Blumen
gebracht; seine Mutter war Falzerin in derselben Buchbinderei, in der er arbeitete.
Er sah das aufgehellte Gesicht des Kindes vor sich, wie es sich das letztemal fast
ganz in den walddnftigen Strauß verborgen hatte. Sie sind halt ein Braver,
hatte die Mutter gesagt, und sie hatte sich erboten, ihm Knopfe anzunähen oder
so etwas, wenn es nötig sei. Er nähte sich seine Knopfe selber an, aber es hatte
ihn doch gefreut. Heute wartete das Kind vergeblich auf einen Strauß. Er hatte


Es war um einem der klaren, sonnigen Tage zu Ende Oktober, wo die Welt
in fast unverhüllter goldner Schönheit steht, wo sie-wie ein Sterbender, dessen
Seele sich zu sieghafter Schönheit entwickelt hat, und der um nichts mehr von
scincni innern Glanz zu verbergen braucht, noch einmal mit strahlenden Augen um
sich sieht- Grüß euch Gott! Lebt wohl! Ist das Lebe» nicht etwas Wunderbares?

Gottlob Miller kam ans dem Walde und ging auf der Landstraße am Walo-
famue dahin. Mit seinen zwinkerndem Augen sah er in die Weite. Wie die Höhen
glänzten, die sich fern an Horizont hinzogen! Blau, ein hartes Stahlblau, und
da und dort ein weißglänzendcr Fleck daran, Mauerreste einer alten Burg oder
eine neue Villa. Ans den Wiesen zur Linken standen die blassen Kelche der Zeit¬
lohn und tranken die letzten Sonnenstrahlen; drunten im Tal lag die Stadt, und
da und dort leuchtete ein Fenster auf im Abendschein. Und über allem stand in
durchsichtiger Pläne der Oltoberhimmcl, und die Sonne, die nahe am Untergehn
war, wob ihm einen Purpursaum.

Das alles sah der Wandrer, aber er sog eS nicht in sich, wie er sonst getan
halte, mit diesen, laugen Zügen. Er trug einen Strauß in der Hand; der war
schön, er schien mit liebevollen Augen gesehen und gesammelt zu sein. Purpurrote
und goldfarbige Ranken und schwarzglänzende Brombeeren, rote Hagebutten und
rotviolctte Blüten des Heidekrauts. Und dazwischen leichte, hellgrüne Lärchcnzweige
und ein paar ernsthafte Tannenspitzen, an denen, wie der Schelmcnzug im Angesicht
eines würdige» Mnuncs, silbergraue Fähnchen der Bartflccbte süßen. Diesen Strauß
umschloß die eine der große», roten Hände, die andre krabbelte in den Taschen
umher. Da klimperte etwas MetallneS. Es war Kleingeld. Das beschäftigte seine
Gedanken. Ob er es unberührt heimbrachte? Er mußte zu Abend essen, "er hatte
kein ordentliches Mittagen gehabt, nur ein Stück Schwarzbrot und Wurst ans
der Tasche gegessen. Und er hatte auch eine kleine Schuld bei dem Wirt. Nur
eine kleine. Aber dem zäh und unerbittlich Sparenden galten anch Pfennige viel.
Er sah den Strauß an, wieder und wieder, wie er so dahinschritt neben der
Tannenwand. Da vorn bog der Weg ab. Da standen ein paar Bitten. Stadt¬
flüchtige Leute hatten sich hier oben angebaut. In eine davon, das wußte er,
hatte der Blnmenmichcl öfter seine Sträuße getragen. Wenn er das auch täte?
Warum sollte er nicht? Er konnte eine Mark verlangen. Das reichte zum Abend-
essen und zum Schnldcnzahlen, und das andre Geld blieb ihm in der Tasche. Das
Herz klopfte ihm stark. Es war nicht nur Berlegeuheit, der ungewohnten Handel¬
schaft wegen. Es fiel ihm allerlei ein, aus frühern Zeiten. Ob das wohl die
Mutter gern gesehen hätte? Oder der Vater? Er war viele Jahre laug blind
gewesen, aber nun fühlte der Sohn die lichtlosen Augen auf sich ruhn. Ach was,
sagte er, mir hilft kein Mensch. Ich muß mir selber helsen. Das ist keine
Schande. Und —

Er wußte sich nicht recht zu verteidigen. Es kam ihm auf einmal so allerlei
in den Sinn, was die Genosse» in der Fabrik sagten. Da sprach er sichs trotzig
vor: Man muß sichs sauer genng werden lassen, man muß erraffen, was man kann.
Vornehmern ist nichts für uns Leute. Die zahlens wohl, die in der Villa. Die
haben Geld genng. Wenn ich mir so ein Haus hinstellen könnte, dann hätt ichs
auch nicht nötig, Sträuße zu verkaufen.

Nötig? Aber er wollte die Frage nicht hören. Ein kleines Mädchen fiel ihm
ein, es wohnte im Hintergebäude des Hauses, wo er seine Kammer hatte. Das
lag schon lange krank, es schwand so hin. Dem hatte er schon ein paarmal Blumen
gebracht; seine Mutter war Falzerin in derselben Buchbinderei, in der er arbeitete.
Er sah das aufgehellte Gesicht des Kindes vor sich, wie es sich das letztemal fast
ganz in den walddnftigen Strauß verborgen hatte. Sie sind halt ein Braver,
hatte die Mutter gesagt, und sie hatte sich erboten, ihm Knopfe anzunähen oder
so etwas, wenn es nötig sei. Er nähte sich seine Knopfe selber an, aber es hatte
ihn doch gefreut. Heute wartete das Kind vergeblich auf einen Strauß. Er hatte


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[0765] Es war um einem der klaren, sonnigen Tage zu Ende Oktober, wo die Welt in fast unverhüllter goldner Schönheit steht, wo sie-wie ein Sterbender, dessen Seele sich zu sieghafter Schönheit entwickelt hat, und der um nichts mehr von scincni innern Glanz zu verbergen braucht, noch einmal mit strahlenden Augen um sich sieht- Grüß euch Gott! Lebt wohl! Ist das Lebe» nicht etwas Wunderbares? Gottlob Miller kam ans dem Walde und ging auf der Landstraße am Walo- famue dahin. Mit seinen zwinkerndem Augen sah er in die Weite. Wie die Höhen glänzten, die sich fern an Horizont hinzogen! Blau, ein hartes Stahlblau, und da und dort ein weißglänzendcr Fleck daran, Mauerreste einer alten Burg oder eine neue Villa. Ans den Wiesen zur Linken standen die blassen Kelche der Zeit¬ lohn und tranken die letzten Sonnenstrahlen; drunten im Tal lag die Stadt, und da und dort leuchtete ein Fenster auf im Abendschein. Und über allem stand in durchsichtiger Pläne der Oltoberhimmcl, und die Sonne, die nahe am Untergehn war, wob ihm einen Purpursaum. Das alles sah der Wandrer, aber er sog eS nicht in sich, wie er sonst getan halte, mit diesen, laugen Zügen. Er trug einen Strauß in der Hand; der war schön, er schien mit liebevollen Augen gesehen und gesammelt zu sein. Purpurrote und goldfarbige Ranken und schwarzglänzende Brombeeren, rote Hagebutten und rotviolctte Blüten des Heidekrauts. Und dazwischen leichte, hellgrüne Lärchcnzweige und ein paar ernsthafte Tannenspitzen, an denen, wie der Schelmcnzug im Angesicht eines würdige» Mnuncs, silbergraue Fähnchen der Bartflccbte süßen. Diesen Strauß umschloß die eine der große», roten Hände, die andre krabbelte in den Taschen umher. Da klimperte etwas MetallneS. Es war Kleingeld. Das beschäftigte seine Gedanken. Ob er es unberührt heimbrachte? Er mußte zu Abend essen, "er hatte kein ordentliches Mittagen gehabt, nur ein Stück Schwarzbrot und Wurst ans der Tasche gegessen. Und er hatte auch eine kleine Schuld bei dem Wirt. Nur eine kleine. Aber dem zäh und unerbittlich Sparenden galten anch Pfennige viel. Er sah den Strauß an, wieder und wieder, wie er so dahinschritt neben der Tannenwand. Da vorn bog der Weg ab. Da standen ein paar Bitten. Stadt¬ flüchtige Leute hatten sich hier oben angebaut. In eine davon, das wußte er, hatte der Blnmenmichcl öfter seine Sträuße getragen. Wenn er das auch täte? Warum sollte er nicht? Er konnte eine Mark verlangen. Das reichte zum Abend- essen und zum Schnldcnzahlen, und das andre Geld blieb ihm in der Tasche. Das Herz klopfte ihm stark. Es war nicht nur Berlegeuheit, der ungewohnten Handel¬ schaft wegen. Es fiel ihm allerlei ein, aus frühern Zeiten. Ob das wohl die Mutter gern gesehen hätte? Oder der Vater? Er war viele Jahre laug blind gewesen, aber nun fühlte der Sohn die lichtlosen Augen auf sich ruhn. Ach was, sagte er, mir hilft kein Mensch. Ich muß mir selber helsen. Das ist keine Schande. Und — Er wußte sich nicht recht zu verteidigen. Es kam ihm auf einmal so allerlei in den Sinn, was die Genosse» in der Fabrik sagten. Da sprach er sichs trotzig vor: Man muß sichs sauer genng werden lassen, man muß erraffen, was man kann. Vornehmern ist nichts für uns Leute. Die zahlens wohl, die in der Villa. Die haben Geld genng. Wenn ich mir so ein Haus hinstellen könnte, dann hätt ichs auch nicht nötig, Sträuße zu verkaufen. Nötig? Aber er wollte die Frage nicht hören. Ein kleines Mädchen fiel ihm ein, es wohnte im Hintergebäude des Hauses, wo er seine Kammer hatte. Das lag schon lange krank, es schwand so hin. Dem hatte er schon ein paarmal Blumen gebracht; seine Mutter war Falzerin in derselben Buchbinderei, in der er arbeitete. Er sah das aufgehellte Gesicht des Kindes vor sich, wie es sich das letztemal fast ganz in den walddnftigen Strauß verborgen hatte. Sie sind halt ein Braver, hatte die Mutter gesagt, und sie hatte sich erboten, ihm Knopfe anzunähen oder so etwas, wenn es nötig sei. Er nähte sich seine Knopfe selber an, aber es hatte ihn doch gefreut. Heute wartete das Kind vergeblich auf einen Strauß. Er hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/765>, abgerufen am 23.07.2024.