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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Junisonne

Er hatte die Feder schon eingetaucht, legte sie aber wieder hin. -- Hessel
erkennt sofort meine Schrift, sagte er. Allerdings kann er sich ja denken, daß eine
solche Postkarte nur von Pardo oder von mir stammen könnte, aber trotzdem --
nein, dann wäre die Romantik hin.

Ja was sollen wir dann tun? fragte Fräulein Inge und machte ein sehr
einfältiges Gesicht.

Wir könnten ja -- das heißt, könnten Sie nicht --

Was denn?

Die Karte für mich schreiben, meine ich?

Ja aber geht das denn an?

Warum denn nicht?

Und dann schrieb Fräulein Inge auf eine Postkarte: "Sie, die auf den, Stein
stand, ist in Rörvig."

Blom lachte. Das ist brillant! Aber wir sagen Pardo nichts davon, nicht wahr?

Nein, bewahre! Es soll ja auch für ihn eine Überraschung sein! sagte Fräulein



Und eine Überraschung für Pardo war es allerdings zwei Tage später, als
er um die Mittagszeit vor dem Kruge stand und seine Zigarette rauchte, plötzlich
Hessel von einem Wagen springen zu sehen. Als Hessel in demselben Augenblick
Pnrbo gewahrte, ging er schnell auf ihn zu und sagte:

Ach so -- du hast das geschrieben!

Was?

Dies! antwortete Hessel und reichte ihm die Postkarte.

Pardo warf einen Blick darauf und sagte kurz und abweisend:

Ich stehe der Sache völlig fern.

Ist denn Blom auch hier?

Ja, er ist auch hier.

Dann ist er es also -- es sieht ihm übrigens so gar nicht ähnlich!

Einen Augenblick später kam Blom hinzu, und nun fuhr Hessel mit der Postkarte
n: der Hand und einem keineswegs freundlichen: Hast du das geschrieben? auf ihn ein.

Nein, versicherte Blom mit einer Miene, wie sie ein Schuljunge dem Lehrer
gegenüber aufsetzt; das hatte er wirklich nicht geschrieben.

Dann hast du es jemand anders für dich schreiben lassen?

Blom lachte verschmitzt.

Ja das wäre ja nicht so ganz unmöglich! Ich fand nämlich, daß es ganz
amüsant sein könnte, dich auch hier zu haben, und ich dachte mir, daß du wohl
doch kommen würdest, wenn ich das schreiben ließe.

Pardo biß sich auf die Lippe, und Hessel sagte bebend: Das ist ein schlechter
Witz, Erik!

Der arme Blom sah sehr reumütig aus, aber allmählich legte sich Hessels
Zorn doch so weit, daß er sich entschloß, die Nacht in Rörvig zu bleiben, statt, wie
er in dem Augenblick seines aufwallenden Zorns beabsichtigt hatte, stehenden Fußes
zurückzukehren.

Am Abend machten Blom und Hessel einen gemeinsamen Spaziergang --
Pardo hatte nicht mit gewollt. Sie kamen bei Rittmeisters vorüber, Blom stellte
seinen Freund vor, und alle vier setzten die Wanderung zusammen fort.

Am nächsten Morgen sagte Hessel, er bleibe ein paar Tage hier; es sei eine
so eigentümliche Natur, fände er, etwas ganz Apartes.




Hessel und Fräulein Inge besahen miteinander die Gegend unter des Ritt¬
meisters kundiger Führung, aber Fräulein Inge sah sie eigentlich jetzt zum ersten¬
mal, wie sie meinte, sah sie durch Hessels Worte und mit Hessels Augen.


Junisonne

Er hatte die Feder schon eingetaucht, legte sie aber wieder hin. — Hessel
erkennt sofort meine Schrift, sagte er. Allerdings kann er sich ja denken, daß eine
solche Postkarte nur von Pardo oder von mir stammen könnte, aber trotzdem —
nein, dann wäre die Romantik hin.

Ja was sollen wir dann tun? fragte Fräulein Inge und machte ein sehr
einfältiges Gesicht.

Wir könnten ja — das heißt, könnten Sie nicht —

Was denn?

Die Karte für mich schreiben, meine ich?

Ja aber geht das denn an?

Warum denn nicht?

Und dann schrieb Fräulein Inge auf eine Postkarte: „Sie, die auf den, Stein
stand, ist in Rörvig."

Blom lachte. Das ist brillant! Aber wir sagen Pardo nichts davon, nicht wahr?

Nein, bewahre! Es soll ja auch für ihn eine Überraschung sein! sagte Fräulein



Und eine Überraschung für Pardo war es allerdings zwei Tage später, als
er um die Mittagszeit vor dem Kruge stand und seine Zigarette rauchte, plötzlich
Hessel von einem Wagen springen zu sehen. Als Hessel in demselben Augenblick
Pnrbo gewahrte, ging er schnell auf ihn zu und sagte:

Ach so — du hast das geschrieben!

Was?

Dies! antwortete Hessel und reichte ihm die Postkarte.

Pardo warf einen Blick darauf und sagte kurz und abweisend:

Ich stehe der Sache völlig fern.

Ist denn Blom auch hier?

Ja, er ist auch hier.

Dann ist er es also — es sieht ihm übrigens so gar nicht ähnlich!

Einen Augenblick später kam Blom hinzu, und nun fuhr Hessel mit der Postkarte
n: der Hand und einem keineswegs freundlichen: Hast du das geschrieben? auf ihn ein.

Nein, versicherte Blom mit einer Miene, wie sie ein Schuljunge dem Lehrer
gegenüber aufsetzt; das hatte er wirklich nicht geschrieben.

Dann hast du es jemand anders für dich schreiben lassen?

Blom lachte verschmitzt.

Ja das wäre ja nicht so ganz unmöglich! Ich fand nämlich, daß es ganz
amüsant sein könnte, dich auch hier zu haben, und ich dachte mir, daß du wohl
doch kommen würdest, wenn ich das schreiben ließe.

Pardo biß sich auf die Lippe, und Hessel sagte bebend: Das ist ein schlechter
Witz, Erik!

Der arme Blom sah sehr reumütig aus, aber allmählich legte sich Hessels
Zorn doch so weit, daß er sich entschloß, die Nacht in Rörvig zu bleiben, statt, wie
er in dem Augenblick seines aufwallenden Zorns beabsichtigt hatte, stehenden Fußes
zurückzukehren.

Am Abend machten Blom und Hessel einen gemeinsamen Spaziergang —
Pardo hatte nicht mit gewollt. Sie kamen bei Rittmeisters vorüber, Blom stellte
seinen Freund vor, und alle vier setzten die Wanderung zusammen fort.

Am nächsten Morgen sagte Hessel, er bleibe ein paar Tage hier; es sei eine
so eigentümliche Natur, fände er, etwas ganz Apartes.




Hessel und Fräulein Inge besahen miteinander die Gegend unter des Ritt¬
meisters kundiger Führung, aber Fräulein Inge sah sie eigentlich jetzt zum ersten¬
mal, wie sie meinte, sah sie durch Hessels Worte und mit Hessels Augen.


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[0713] Junisonne Er hatte die Feder schon eingetaucht, legte sie aber wieder hin. — Hessel erkennt sofort meine Schrift, sagte er. Allerdings kann er sich ja denken, daß eine solche Postkarte nur von Pardo oder von mir stammen könnte, aber trotzdem — nein, dann wäre die Romantik hin. Ja was sollen wir dann tun? fragte Fräulein Inge und machte ein sehr einfältiges Gesicht. Wir könnten ja — das heißt, könnten Sie nicht — Was denn? Die Karte für mich schreiben, meine ich? Ja aber geht das denn an? Warum denn nicht? Und dann schrieb Fräulein Inge auf eine Postkarte: „Sie, die auf den, Stein stand, ist in Rörvig." Blom lachte. Das ist brillant! Aber wir sagen Pardo nichts davon, nicht wahr? Nein, bewahre! Es soll ja auch für ihn eine Überraschung sein! sagte Fräulein Und eine Überraschung für Pardo war es allerdings zwei Tage später, als er um die Mittagszeit vor dem Kruge stand und seine Zigarette rauchte, plötzlich Hessel von einem Wagen springen zu sehen. Als Hessel in demselben Augenblick Pnrbo gewahrte, ging er schnell auf ihn zu und sagte: Ach so — du hast das geschrieben! Was? Dies! antwortete Hessel und reichte ihm die Postkarte. Pardo warf einen Blick darauf und sagte kurz und abweisend: Ich stehe der Sache völlig fern. Ist denn Blom auch hier? Ja, er ist auch hier. Dann ist er es also — es sieht ihm übrigens so gar nicht ähnlich! Einen Augenblick später kam Blom hinzu, und nun fuhr Hessel mit der Postkarte n: der Hand und einem keineswegs freundlichen: Hast du das geschrieben? auf ihn ein. Nein, versicherte Blom mit einer Miene, wie sie ein Schuljunge dem Lehrer gegenüber aufsetzt; das hatte er wirklich nicht geschrieben. Dann hast du es jemand anders für dich schreiben lassen? Blom lachte verschmitzt. Ja das wäre ja nicht so ganz unmöglich! Ich fand nämlich, daß es ganz amüsant sein könnte, dich auch hier zu haben, und ich dachte mir, daß du wohl doch kommen würdest, wenn ich das schreiben ließe. Pardo biß sich auf die Lippe, und Hessel sagte bebend: Das ist ein schlechter Witz, Erik! Der arme Blom sah sehr reumütig aus, aber allmählich legte sich Hessels Zorn doch so weit, daß er sich entschloß, die Nacht in Rörvig zu bleiben, statt, wie er in dem Augenblick seines aufwallenden Zorns beabsichtigt hatte, stehenden Fußes zurückzukehren. Am Abend machten Blom und Hessel einen gemeinsamen Spaziergang — Pardo hatte nicht mit gewollt. Sie kamen bei Rittmeisters vorüber, Blom stellte seinen Freund vor, und alle vier setzten die Wanderung zusammen fort. Am nächsten Morgen sagte Hessel, er bleibe ein paar Tage hier; es sei eine so eigentümliche Natur, fände er, etwas ganz Apartes. Hessel und Fräulein Inge besahen miteinander die Gegend unter des Ritt¬ meisters kundiger Führung, aber Fräulein Inge sah sie eigentlich jetzt zum ersten¬ mal, wie sie meinte, sah sie durch Hessels Worte und mit Hessels Augen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/713>, abgerufen am 23.07.2024.