Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Brunnen mohammedanische Frauen, in Seide gekleidet und den Kopf mit seidnem
Überschlag bedeckt, andre begegneten uns auf der Straße, wo sie ruhigen Schrittes
dahin wandelten, meist unverschleiert. Auch schauten sie hier, wo es der Eheherr
nicht sah, dreist und ungeniert auf die fremden Eselreiter und lachten vergnügt
über meine krampfhafte Beinhaltung. Eine auderthalbstündige Fahrt trug uns
dann durch das unter starker Brise weiß aufschäumende Meer zurück nach Kon-
stantinopel, viel zu früh für unsern Geschmack. Es war aber leider das letzte
Schiff, das fuhr, und deshalb übervoll. Wunderbar waren jetzt die Prinzeninseln
hinter uns beleuchtet. Rosig hoben sich ihre Berge vom bläulichen Abendhimmel
ab, und es war, als ob der Wind uns noch die Blumendüfte der Gärten nach¬
trüge. O könnte ich doch als byzantinischer Prinz auf einem dieser lieblichen
Eilande mein Leben verträumen und vom waldigen Gipfel herunter weit hinaus
schauen auf das schäumende Meer. Eitler und Wohl auch nicht einmal ganz ernst
gemeinter Wunsch! Wir Abendländer sind doch nun einmal bis in die Wurzeln
der Seele hinein Arbeits-, Pflicht- und Gemütsmenschen! Auch Kadiköi, Haidar-
Pascha, Skutari strahlten jetzt im schönsten Abendsonnenglcmze, sodaß sogar die gelbe
Kaserne einen poetischen Anstrich erhielt, Stambul dagegen glich wieder einem fein¬
umränderten Schattenbild. Am Quai von Galata feierte man den Sonntag; sämt¬
liche Cafes waren zum Überlaufen voll, allenthalben Musik, Geklimper, lustwan¬
delnde Menschen aller Nationen; auch die Türken feierten mit.

Wie wertvoll und angenehm es ist, einen Ortskundigen zum Führer zu haben,
hatte mir die kurze Bekanntschaft mit Herrn Joaillier deutlich gezeigt. Darum be¬
schloß ich, einen Empfehlungsbrief, den ich an einen in türkischen Diensten stehenden
deutschen Offizier, den Oberstleutnant Hauschild, bei mir führte, nunmehr bald¬
möglichst abzugeben. Ich machte mich also am nächsten Tage auf den Weg, ihn
zu suchen. In der Buchhandlung von Otto Keil sollen Fremde nach Meyer
"bereitwilligst jede gewünschte Auskunft" erhalten. Darauf bauend ging ich in
den Laden, erhielt aber nur sehr kurz und geschäftsmäßig die Antwort, den Herrn
kenne man nicht, wenn er, wie ich angebe, Jnstruktor an der Levis miliwiis sei,
so möge ich mich nur dorthin begeben, sie liege sehr weit draußen in dem nörd¬
lichen Vorort Pankaldi. Ich setzte mich also in die Pferdebahn und fuhr die end¬
lose Perastraße bis zu Ende und dann weiter hinaus in die unbekannte Welt.
Exerzierplätze, Kasernen, Hospitäler, Friedhöfe, ein Kaffeegarten, eine aus neuen
Häusern bestehende, offenbar erst kürzlich entstandne Straße, dann ein riesiges
militärisches Etablissement mit einem kolossalen hochummcmerteu Hofe, worin Reit¬
übungen abgehalten wurden. Das war, wie man mir sagte, die Kriegsschule.

Ich stieg also aus und ging die Fahrrampe zum Hauptportal hinauf, wo mich
der Posten anhielt. Ich holte meinen Brief heraus, zeigte auf den Namen und
sprach zugleich das Wort "Hauschild" möglichst scharf artikuliert aus. Der Asiate
-- die türkische Armee rekrutiert sich hauptsächlich aus Asien -- stierte mich mit
völliger Verständnislosigkeit an. Da ich ihm aber einen anständigen Eindruck
machte -- ich trug meinen schwarzen Bratenrock und meinen Zylinder -->, so rief
er in das Portal hinein, worauf der wachthabende Unteroffizier erschien, dem ich
uun dasselbe vormachte wie dem Soldaten. Der Mann nahm den Brief in die
Hand, besichtigte ihn von allen Seiten, nickte, als ich ihm den Namen "Hanschild"
langsam und deutlich vorsprach, und führte mich schließlich in das Gebäude hinein.
Lange Gänge, ein Hof, herumstehende Soldaten, hölzerne Treppen, Gewehre in
Gestellen zogen an meinem Blick vorüber; endlich öffnete er ein ziemlich geräumiges
Zimmer, hieß mich auf einen Stuhl niedersitzen und verschwand dann wieder. Da
befand ich mich also mit einemmal in einer türkischen Unteroffizierstube. An den
Wänden hingen Seitengewehre, Koppel und dergleichen. Auf einem schrägen
saßen zwei Kriegsmänner, ein dritter schrieb an einem Tische. Beständig gingen
Soldaten ein und aus, Meldungen wurden gemacht, Befehle erteilt. Von mir
nahm niemand Notiz. Ich klappte einstweilen zum sichtlichen Amüsement der


Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Brunnen mohammedanische Frauen, in Seide gekleidet und den Kopf mit seidnem
Überschlag bedeckt, andre begegneten uns auf der Straße, wo sie ruhigen Schrittes
dahin wandelten, meist unverschleiert. Auch schauten sie hier, wo es der Eheherr
nicht sah, dreist und ungeniert auf die fremden Eselreiter und lachten vergnügt
über meine krampfhafte Beinhaltung. Eine auderthalbstündige Fahrt trug uns
dann durch das unter starker Brise weiß aufschäumende Meer zurück nach Kon-
stantinopel, viel zu früh für unsern Geschmack. Es war aber leider das letzte
Schiff, das fuhr, und deshalb übervoll. Wunderbar waren jetzt die Prinzeninseln
hinter uns beleuchtet. Rosig hoben sich ihre Berge vom bläulichen Abendhimmel
ab, und es war, als ob der Wind uns noch die Blumendüfte der Gärten nach¬
trüge. O könnte ich doch als byzantinischer Prinz auf einem dieser lieblichen
Eilande mein Leben verträumen und vom waldigen Gipfel herunter weit hinaus
schauen auf das schäumende Meer. Eitler und Wohl auch nicht einmal ganz ernst
gemeinter Wunsch! Wir Abendländer sind doch nun einmal bis in die Wurzeln
der Seele hinein Arbeits-, Pflicht- und Gemütsmenschen! Auch Kadiköi, Haidar-
Pascha, Skutari strahlten jetzt im schönsten Abendsonnenglcmze, sodaß sogar die gelbe
Kaserne einen poetischen Anstrich erhielt, Stambul dagegen glich wieder einem fein¬
umränderten Schattenbild. Am Quai von Galata feierte man den Sonntag; sämt¬
liche Cafes waren zum Überlaufen voll, allenthalben Musik, Geklimper, lustwan¬
delnde Menschen aller Nationen; auch die Türken feierten mit.

Wie wertvoll und angenehm es ist, einen Ortskundigen zum Führer zu haben,
hatte mir die kurze Bekanntschaft mit Herrn Joaillier deutlich gezeigt. Darum be¬
schloß ich, einen Empfehlungsbrief, den ich an einen in türkischen Diensten stehenden
deutschen Offizier, den Oberstleutnant Hauschild, bei mir führte, nunmehr bald¬
möglichst abzugeben. Ich machte mich also am nächsten Tage auf den Weg, ihn
zu suchen. In der Buchhandlung von Otto Keil sollen Fremde nach Meyer
„bereitwilligst jede gewünschte Auskunft" erhalten. Darauf bauend ging ich in
den Laden, erhielt aber nur sehr kurz und geschäftsmäßig die Antwort, den Herrn
kenne man nicht, wenn er, wie ich angebe, Jnstruktor an der Levis miliwiis sei,
so möge ich mich nur dorthin begeben, sie liege sehr weit draußen in dem nörd¬
lichen Vorort Pankaldi. Ich setzte mich also in die Pferdebahn und fuhr die end¬
lose Perastraße bis zu Ende und dann weiter hinaus in die unbekannte Welt.
Exerzierplätze, Kasernen, Hospitäler, Friedhöfe, ein Kaffeegarten, eine aus neuen
Häusern bestehende, offenbar erst kürzlich entstandne Straße, dann ein riesiges
militärisches Etablissement mit einem kolossalen hochummcmerteu Hofe, worin Reit¬
übungen abgehalten wurden. Das war, wie man mir sagte, die Kriegsschule.

Ich stieg also aus und ging die Fahrrampe zum Hauptportal hinauf, wo mich
der Posten anhielt. Ich holte meinen Brief heraus, zeigte auf den Namen und
sprach zugleich das Wort „Hauschild" möglichst scharf artikuliert aus. Der Asiate
— die türkische Armee rekrutiert sich hauptsächlich aus Asien — stierte mich mit
völliger Verständnislosigkeit an. Da ich ihm aber einen anständigen Eindruck
machte — ich trug meinen schwarzen Bratenrock und meinen Zylinder —>, so rief
er in das Portal hinein, worauf der wachthabende Unteroffizier erschien, dem ich
uun dasselbe vormachte wie dem Soldaten. Der Mann nahm den Brief in die
Hand, besichtigte ihn von allen Seiten, nickte, als ich ihm den Namen „Hanschild"
langsam und deutlich vorsprach, und führte mich schließlich in das Gebäude hinein.
Lange Gänge, ein Hof, herumstehende Soldaten, hölzerne Treppen, Gewehre in
Gestellen zogen an meinem Blick vorüber; endlich öffnete er ein ziemlich geräumiges
Zimmer, hieß mich auf einen Stuhl niedersitzen und verschwand dann wieder. Da
befand ich mich also mit einemmal in einer türkischen Unteroffizierstube. An den
Wänden hingen Seitengewehre, Koppel und dergleichen. Auf einem schrägen
saßen zwei Kriegsmänner, ein dritter schrieb an einem Tische. Beständig gingen
Soldaten ein und aus, Meldungen wurden gemacht, Befehle erteilt. Von mir
nahm niemand Notiz. Ich klappte einstweilen zum sichtlichen Amüsement der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0702" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295921"/>
          <fw type="header" place="top"> Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3495" prev="#ID_3494"> Brunnen mohammedanische Frauen, in Seide gekleidet und den Kopf mit seidnem<lb/>
Überschlag bedeckt, andre begegneten uns auf der Straße, wo sie ruhigen Schrittes<lb/>
dahin wandelten, meist unverschleiert. Auch schauten sie hier, wo es der Eheherr<lb/>
nicht sah, dreist und ungeniert auf die fremden Eselreiter und lachten vergnügt<lb/>
über meine krampfhafte Beinhaltung. Eine auderthalbstündige Fahrt trug uns<lb/>
dann durch das unter starker Brise weiß aufschäumende Meer zurück nach Kon-<lb/>
stantinopel, viel zu früh für unsern Geschmack. Es war aber leider das letzte<lb/>
Schiff, das fuhr, und deshalb übervoll. Wunderbar waren jetzt die Prinzeninseln<lb/>
hinter uns beleuchtet. Rosig hoben sich ihre Berge vom bläulichen Abendhimmel<lb/>
ab, und es war, als ob der Wind uns noch die Blumendüfte der Gärten nach¬<lb/>
trüge. O könnte ich doch als byzantinischer Prinz auf einem dieser lieblichen<lb/>
Eilande mein Leben verträumen und vom waldigen Gipfel herunter weit hinaus<lb/>
schauen auf das schäumende Meer. Eitler und Wohl auch nicht einmal ganz ernst<lb/>
gemeinter Wunsch! Wir Abendländer sind doch nun einmal bis in die Wurzeln<lb/>
der Seele hinein Arbeits-, Pflicht- und Gemütsmenschen! Auch Kadiköi, Haidar-<lb/>
Pascha, Skutari strahlten jetzt im schönsten Abendsonnenglcmze, sodaß sogar die gelbe<lb/>
Kaserne einen poetischen Anstrich erhielt, Stambul dagegen glich wieder einem fein¬<lb/>
umränderten Schattenbild. Am Quai von Galata feierte man den Sonntag; sämt¬<lb/>
liche Cafes waren zum Überlaufen voll, allenthalben Musik, Geklimper, lustwan¬<lb/>
delnde Menschen aller Nationen; auch die Türken feierten mit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3496"> Wie wertvoll und angenehm es ist, einen Ortskundigen zum Führer zu haben,<lb/>
hatte mir die kurze Bekanntschaft mit Herrn Joaillier deutlich gezeigt. Darum be¬<lb/>
schloß ich, einen Empfehlungsbrief, den ich an einen in türkischen Diensten stehenden<lb/>
deutschen Offizier, den Oberstleutnant Hauschild, bei mir führte, nunmehr bald¬<lb/>
möglichst abzugeben. Ich machte mich also am nächsten Tage auf den Weg, ihn<lb/>
zu suchen. In der Buchhandlung von Otto Keil sollen Fremde nach Meyer<lb/>
&#x201E;bereitwilligst jede gewünschte Auskunft" erhalten. Darauf bauend ging ich in<lb/>
den Laden, erhielt aber nur sehr kurz und geschäftsmäßig die Antwort, den Herrn<lb/>
kenne man nicht, wenn er, wie ich angebe, Jnstruktor an der Levis miliwiis sei,<lb/>
so möge ich mich nur dorthin begeben, sie liege sehr weit draußen in dem nörd¬<lb/>
lichen Vorort Pankaldi. Ich setzte mich also in die Pferdebahn und fuhr die end¬<lb/>
lose Perastraße bis zu Ende und dann weiter hinaus in die unbekannte Welt.<lb/>
Exerzierplätze, Kasernen, Hospitäler, Friedhöfe, ein Kaffeegarten, eine aus neuen<lb/>
Häusern bestehende, offenbar erst kürzlich entstandne Straße, dann ein riesiges<lb/>
militärisches Etablissement mit einem kolossalen hochummcmerteu Hofe, worin Reit¬<lb/>
übungen abgehalten wurden. Das war, wie man mir sagte, die Kriegsschule.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3497" next="#ID_3498"> Ich stieg also aus und ging die Fahrrampe zum Hauptportal hinauf, wo mich<lb/>
der Posten anhielt. Ich holte meinen Brief heraus, zeigte auf den Namen und<lb/>
sprach zugleich das Wort &#x201E;Hauschild" möglichst scharf artikuliert aus. Der Asiate<lb/>
&#x2014; die türkische Armee rekrutiert sich hauptsächlich aus Asien &#x2014; stierte mich mit<lb/>
völliger Verständnislosigkeit an. Da ich ihm aber einen anständigen Eindruck<lb/>
machte &#x2014; ich trug meinen schwarzen Bratenrock und meinen Zylinder &#x2014;&gt;, so rief<lb/>
er in das Portal hinein, worauf der wachthabende Unteroffizier erschien, dem ich<lb/>
uun dasselbe vormachte wie dem Soldaten. Der Mann nahm den Brief in die<lb/>
Hand, besichtigte ihn von allen Seiten, nickte, als ich ihm den Namen &#x201E;Hanschild"<lb/>
langsam und deutlich vorsprach, und führte mich schließlich in das Gebäude hinein.<lb/>
Lange Gänge, ein Hof, herumstehende Soldaten, hölzerne Treppen, Gewehre in<lb/>
Gestellen zogen an meinem Blick vorüber; endlich öffnete er ein ziemlich geräumiges<lb/>
Zimmer, hieß mich auf einen Stuhl niedersitzen und verschwand dann wieder. Da<lb/>
befand ich mich also mit einemmal in einer türkischen Unteroffizierstube. An den<lb/>
Wänden hingen Seitengewehre, Koppel und dergleichen. Auf einem schrägen<lb/>
saßen zwei Kriegsmänner, ein dritter schrieb an einem Tische. Beständig gingen<lb/>
Soldaten ein und aus, Meldungen wurden gemacht, Befehle erteilt. Von mir<lb/>
nahm niemand Notiz.  Ich klappte einstweilen zum sichtlichen Amüsement der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0702] Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse Brunnen mohammedanische Frauen, in Seide gekleidet und den Kopf mit seidnem Überschlag bedeckt, andre begegneten uns auf der Straße, wo sie ruhigen Schrittes dahin wandelten, meist unverschleiert. Auch schauten sie hier, wo es der Eheherr nicht sah, dreist und ungeniert auf die fremden Eselreiter und lachten vergnügt über meine krampfhafte Beinhaltung. Eine auderthalbstündige Fahrt trug uns dann durch das unter starker Brise weiß aufschäumende Meer zurück nach Kon- stantinopel, viel zu früh für unsern Geschmack. Es war aber leider das letzte Schiff, das fuhr, und deshalb übervoll. Wunderbar waren jetzt die Prinzeninseln hinter uns beleuchtet. Rosig hoben sich ihre Berge vom bläulichen Abendhimmel ab, und es war, als ob der Wind uns noch die Blumendüfte der Gärten nach¬ trüge. O könnte ich doch als byzantinischer Prinz auf einem dieser lieblichen Eilande mein Leben verträumen und vom waldigen Gipfel herunter weit hinaus schauen auf das schäumende Meer. Eitler und Wohl auch nicht einmal ganz ernst gemeinter Wunsch! Wir Abendländer sind doch nun einmal bis in die Wurzeln der Seele hinein Arbeits-, Pflicht- und Gemütsmenschen! Auch Kadiköi, Haidar- Pascha, Skutari strahlten jetzt im schönsten Abendsonnenglcmze, sodaß sogar die gelbe Kaserne einen poetischen Anstrich erhielt, Stambul dagegen glich wieder einem fein¬ umränderten Schattenbild. Am Quai von Galata feierte man den Sonntag; sämt¬ liche Cafes waren zum Überlaufen voll, allenthalben Musik, Geklimper, lustwan¬ delnde Menschen aller Nationen; auch die Türken feierten mit. Wie wertvoll und angenehm es ist, einen Ortskundigen zum Führer zu haben, hatte mir die kurze Bekanntschaft mit Herrn Joaillier deutlich gezeigt. Darum be¬ schloß ich, einen Empfehlungsbrief, den ich an einen in türkischen Diensten stehenden deutschen Offizier, den Oberstleutnant Hauschild, bei mir führte, nunmehr bald¬ möglichst abzugeben. Ich machte mich also am nächsten Tage auf den Weg, ihn zu suchen. In der Buchhandlung von Otto Keil sollen Fremde nach Meyer „bereitwilligst jede gewünschte Auskunft" erhalten. Darauf bauend ging ich in den Laden, erhielt aber nur sehr kurz und geschäftsmäßig die Antwort, den Herrn kenne man nicht, wenn er, wie ich angebe, Jnstruktor an der Levis miliwiis sei, so möge ich mich nur dorthin begeben, sie liege sehr weit draußen in dem nörd¬ lichen Vorort Pankaldi. Ich setzte mich also in die Pferdebahn und fuhr die end¬ lose Perastraße bis zu Ende und dann weiter hinaus in die unbekannte Welt. Exerzierplätze, Kasernen, Hospitäler, Friedhöfe, ein Kaffeegarten, eine aus neuen Häusern bestehende, offenbar erst kürzlich entstandne Straße, dann ein riesiges militärisches Etablissement mit einem kolossalen hochummcmerteu Hofe, worin Reit¬ übungen abgehalten wurden. Das war, wie man mir sagte, die Kriegsschule. Ich stieg also aus und ging die Fahrrampe zum Hauptportal hinauf, wo mich der Posten anhielt. Ich holte meinen Brief heraus, zeigte auf den Namen und sprach zugleich das Wort „Hauschild" möglichst scharf artikuliert aus. Der Asiate — die türkische Armee rekrutiert sich hauptsächlich aus Asien — stierte mich mit völliger Verständnislosigkeit an. Da ich ihm aber einen anständigen Eindruck machte — ich trug meinen schwarzen Bratenrock und meinen Zylinder —>, so rief er in das Portal hinein, worauf der wachthabende Unteroffizier erschien, dem ich uun dasselbe vormachte wie dem Soldaten. Der Mann nahm den Brief in die Hand, besichtigte ihn von allen Seiten, nickte, als ich ihm den Namen „Hanschild" langsam und deutlich vorsprach, und führte mich schließlich in das Gebäude hinein. Lange Gänge, ein Hof, herumstehende Soldaten, hölzerne Treppen, Gewehre in Gestellen zogen an meinem Blick vorüber; endlich öffnete er ein ziemlich geräumiges Zimmer, hieß mich auf einen Stuhl niedersitzen und verschwand dann wieder. Da befand ich mich also mit einemmal in einer türkischen Unteroffizierstube. An den Wänden hingen Seitengewehre, Koppel und dergleichen. Auf einem schrägen saßen zwei Kriegsmänner, ein dritter schrieb an einem Tische. Beständig gingen Soldaten ein und aus, Meldungen wurden gemacht, Befehle erteilt. Von mir nahm niemand Notiz. Ich klappte einstweilen zum sichtlichen Amüsement der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/702
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/702>, abgerufen am 23.07.2024.