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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Zur Präsidentenwahl in den vereinigten Staaten

ständigen Urteil erklärt werden kann. Aber auch hier tritt langsam der Um¬
schwung ein. Immer mehr bilden die Mediziner, hauptsächlich durch die fort¬
währenden Anstrengungen der medizinischen Fakultät der Baltimorer Johns
Hopkins University, einen besondern, abgeschlossenen Stand. Wir haben jetzt
auch so etwas wie einen Landschaftsarchitekten, den man bei Städteplänen zu
Rate zieht. Der kommende Försterstand wird ebenso einen abgesonderten Beruf
bilden. Und die geprüften Beamten im Zivildienst sind vom schwanket: der
öffentlichen Meinung völlig unabhängig.

Präsident Noosevelt ist ein Vorkämpfer der Zivildienstreform gewesen, als
deren Führer zurzeit unser Landsmann Karl Schurz und der Baltimorer Rechts¬
anwalt Charles Bonaparte zu gelten haben.

Die Lage vor der diesjährigen Wahl ist nun im Vergleich zu der vor
vier Jahren viel weniger durchsichtig. Damals durfte ich in den Grenzboten
nach den Erfahrungen der Vergangenheit den unbedingten Sieg des Imperia¬
lismus, das ist der Weltmachtpolitik, voraussagen. Er kam auch. Theodore
Noosevelt war im Jahre 1900 der Kampagnercdner Mac Kinleys. Seine
Partei hatte ihn kaltstellen wollen und gab ihm darum das Amt des Vize¬
präsidenten. Man muß ihn gehört und gesehen haben, den Mann, der für
einen andern seine ganze kraftvolle Persönlichkeit in die Wagschale warf, um¬
weht von der Romantik des Jägers des fernen Westens, der den Grizzlybär
bestanden hatte, geschmückt war mit dem Lorbeer des Siegers von Se. Juan
Hill vor Santiago, Stimme und Wesen erfüllt von der Erregung, in die die
Nation durch den Vorstoß nach Manila und Portoriko versetzt worden war.
Da spürte man, daß man Zeuge war, wie Geschichte gemacht wurde. Kraft¬
volle Persönlichkeit! Er hat selber dafür ein Wort geprägt: strsnuaus
ins, Beschäftigung, die nie ermattet, ist sein Lebensideal und auch das Leid-
wort seiner Politik.

Und diese auf den Angriff angelegte Natur ist nun zum Schweigen ver¬
urteilt. Das scheint der Preis zu sein, um den die Partei seine Anwartschaft
auf den Präsidentenstuhl angenommen hat. Beide, Republikaner sowohl wie
Demokraten, wissen, daß die gegenwärtig Regierenden nur durch die Fehler,
die sie machen, gestürzt werden können. Aber: die Regierenden sind nicht
Noosevelt! Das ist gerade der Umschwung oder besser die folgerichtig erreichte
Stufe der Entwicklung. Es ist dem Namen nach eine Republik, in der Tat
aber die Herrschaft des stärksten Mannes. Theodore Noosevelt ist die Partei.
Die ihn stürzen wollen, sind gegen die autokratische Zuspitzung des Regierungs¬
betriebs, sind gegen den Mann- Und der ihn stürzen könnte, er müßte ein
Mann sein zum mindesten wie er.

Was wir von Perikles im Thukydides gelesen haben, ist hier vor unsern
Augen eingetreten, wie sehr auch sonst die Züge des perikleischen Zeitalters
fehlen, und der Vergleich mit dem großen Athener dein halbromantischen, halb¬
modernen amerikanischen Staatsmanne zu schaden geeignet ist.

Reichsdeutsche Zeitungen pflegen mit den Worten Demokraten und Repu¬
blikaner umzugehn, als seien ihre Leser von Kind auf damit vertraut. Die
Reisenden jedoch, die sich studienhalber hier aufhalten, stellen meist zu allererst


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ständigen Urteil erklärt werden kann. Aber auch hier tritt langsam der Um¬
schwung ein. Immer mehr bilden die Mediziner, hauptsächlich durch die fort¬
währenden Anstrengungen der medizinischen Fakultät der Baltimorer Johns
Hopkins University, einen besondern, abgeschlossenen Stand. Wir haben jetzt
auch so etwas wie einen Landschaftsarchitekten, den man bei Städteplänen zu
Rate zieht. Der kommende Försterstand wird ebenso einen abgesonderten Beruf
bilden. Und die geprüften Beamten im Zivildienst sind vom schwanket: der
öffentlichen Meinung völlig unabhängig.

Präsident Noosevelt ist ein Vorkämpfer der Zivildienstreform gewesen, als
deren Führer zurzeit unser Landsmann Karl Schurz und der Baltimorer Rechts¬
anwalt Charles Bonaparte zu gelten haben.

Die Lage vor der diesjährigen Wahl ist nun im Vergleich zu der vor
vier Jahren viel weniger durchsichtig. Damals durfte ich in den Grenzboten
nach den Erfahrungen der Vergangenheit den unbedingten Sieg des Imperia¬
lismus, das ist der Weltmachtpolitik, voraussagen. Er kam auch. Theodore
Noosevelt war im Jahre 1900 der Kampagnercdner Mac Kinleys. Seine
Partei hatte ihn kaltstellen wollen und gab ihm darum das Amt des Vize¬
präsidenten. Man muß ihn gehört und gesehen haben, den Mann, der für
einen andern seine ganze kraftvolle Persönlichkeit in die Wagschale warf, um¬
weht von der Romantik des Jägers des fernen Westens, der den Grizzlybär
bestanden hatte, geschmückt war mit dem Lorbeer des Siegers von Se. Juan
Hill vor Santiago, Stimme und Wesen erfüllt von der Erregung, in die die
Nation durch den Vorstoß nach Manila und Portoriko versetzt worden war.
Da spürte man, daß man Zeuge war, wie Geschichte gemacht wurde. Kraft¬
volle Persönlichkeit! Er hat selber dafür ein Wort geprägt: strsnuaus
ins, Beschäftigung, die nie ermattet, ist sein Lebensideal und auch das Leid-
wort seiner Politik.

Und diese auf den Angriff angelegte Natur ist nun zum Schweigen ver¬
urteilt. Das scheint der Preis zu sein, um den die Partei seine Anwartschaft
auf den Präsidentenstuhl angenommen hat. Beide, Republikaner sowohl wie
Demokraten, wissen, daß die gegenwärtig Regierenden nur durch die Fehler,
die sie machen, gestürzt werden können. Aber: die Regierenden sind nicht
Noosevelt! Das ist gerade der Umschwung oder besser die folgerichtig erreichte
Stufe der Entwicklung. Es ist dem Namen nach eine Republik, in der Tat
aber die Herrschaft des stärksten Mannes. Theodore Noosevelt ist die Partei.
Die ihn stürzen wollen, sind gegen die autokratische Zuspitzung des Regierungs¬
betriebs, sind gegen den Mann- Und der ihn stürzen könnte, er müßte ein
Mann sein zum mindesten wie er.

Was wir von Perikles im Thukydides gelesen haben, ist hier vor unsern
Augen eingetreten, wie sehr auch sonst die Züge des perikleischen Zeitalters
fehlen, und der Vergleich mit dem großen Athener dein halbromantischen, halb¬
modernen amerikanischen Staatsmanne zu schaden geeignet ist.

Reichsdeutsche Zeitungen pflegen mit den Worten Demokraten und Repu¬
blikaner umzugehn, als seien ihre Leser von Kind auf damit vertraut. Die
Reisenden jedoch, die sich studienhalber hier aufhalten, stellen meist zu allererst


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[0069] Zur Präsidentenwahl in den vereinigten Staaten ständigen Urteil erklärt werden kann. Aber auch hier tritt langsam der Um¬ schwung ein. Immer mehr bilden die Mediziner, hauptsächlich durch die fort¬ währenden Anstrengungen der medizinischen Fakultät der Baltimorer Johns Hopkins University, einen besondern, abgeschlossenen Stand. Wir haben jetzt auch so etwas wie einen Landschaftsarchitekten, den man bei Städteplänen zu Rate zieht. Der kommende Försterstand wird ebenso einen abgesonderten Beruf bilden. Und die geprüften Beamten im Zivildienst sind vom schwanket: der öffentlichen Meinung völlig unabhängig. Präsident Noosevelt ist ein Vorkämpfer der Zivildienstreform gewesen, als deren Führer zurzeit unser Landsmann Karl Schurz und der Baltimorer Rechts¬ anwalt Charles Bonaparte zu gelten haben. Die Lage vor der diesjährigen Wahl ist nun im Vergleich zu der vor vier Jahren viel weniger durchsichtig. Damals durfte ich in den Grenzboten nach den Erfahrungen der Vergangenheit den unbedingten Sieg des Imperia¬ lismus, das ist der Weltmachtpolitik, voraussagen. Er kam auch. Theodore Noosevelt war im Jahre 1900 der Kampagnercdner Mac Kinleys. Seine Partei hatte ihn kaltstellen wollen und gab ihm darum das Amt des Vize¬ präsidenten. Man muß ihn gehört und gesehen haben, den Mann, der für einen andern seine ganze kraftvolle Persönlichkeit in die Wagschale warf, um¬ weht von der Romantik des Jägers des fernen Westens, der den Grizzlybär bestanden hatte, geschmückt war mit dem Lorbeer des Siegers von Se. Juan Hill vor Santiago, Stimme und Wesen erfüllt von der Erregung, in die die Nation durch den Vorstoß nach Manila und Portoriko versetzt worden war. Da spürte man, daß man Zeuge war, wie Geschichte gemacht wurde. Kraft¬ volle Persönlichkeit! Er hat selber dafür ein Wort geprägt: strsnuaus ins, Beschäftigung, die nie ermattet, ist sein Lebensideal und auch das Leid- wort seiner Politik. Und diese auf den Angriff angelegte Natur ist nun zum Schweigen ver¬ urteilt. Das scheint der Preis zu sein, um den die Partei seine Anwartschaft auf den Präsidentenstuhl angenommen hat. Beide, Republikaner sowohl wie Demokraten, wissen, daß die gegenwärtig Regierenden nur durch die Fehler, die sie machen, gestürzt werden können. Aber: die Regierenden sind nicht Noosevelt! Das ist gerade der Umschwung oder besser die folgerichtig erreichte Stufe der Entwicklung. Es ist dem Namen nach eine Republik, in der Tat aber die Herrschaft des stärksten Mannes. Theodore Noosevelt ist die Partei. Die ihn stürzen wollen, sind gegen die autokratische Zuspitzung des Regierungs¬ betriebs, sind gegen den Mann- Und der ihn stürzen könnte, er müßte ein Mann sein zum mindesten wie er. Was wir von Perikles im Thukydides gelesen haben, ist hier vor unsern Augen eingetreten, wie sehr auch sonst die Züge des perikleischen Zeitalters fehlen, und der Vergleich mit dem großen Athener dein halbromantischen, halb¬ modernen amerikanischen Staatsmanne zu schaden geeignet ist. Reichsdeutsche Zeitungen pflegen mit den Worten Demokraten und Repu¬ blikaner umzugehn, als seien ihre Leser von Kind auf damit vertraut. Die Reisenden jedoch, die sich studienhalber hier aufhalten, stellen meist zu allererst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/69>, abgerufen am 23.07.2024.