Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Ungar" Wesen mit dem Geschrei "Kauft nur bei Ungarn!" nach bekannten Mustern. Noch sind die Ungarn lange nicht so weit, der innigen kaufmännischen Ungar» Wesen mit dem Geschrei „Kauft nur bei Ungarn!" nach bekannten Mustern. Noch sind die Ungarn lange nicht so weit, der innigen kaufmännischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0670" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295889"/> <fw type="header" place="top"> Ungar»</fw><lb/> <p xml:id="ID_3412" prev="#ID_3411"> Wesen mit dem Geschrei „Kauft nur bei Ungarn!" nach bekannten Mustern.<lb/> Asm 82g,diZ,ä! Es ist nicht erlaubt, daß ungarische Staatsbürger in Wien<lb/> Waren einkaufen; es schickt sich nicht, daß ungarische Kaufhäuser mit österreichischen<lb/> Fabrikanten in Verbindung treten, es ist nicht zulässig, daß deutsche Schau¬<lb/> spieler in Budapest auftreten, ^hin s^dha! Die nationalen Eiferer in Ungarn<lb/> vergessen vor lauter Bemühungen, der Kultur im Lande ein magyarisches<lb/> Mäntelchen umzuhängen, daß es bei ihnen noch sehr viele Gebiete gibt, auf<lb/> die man die Kultur überhaupt erst verpflanzen müßte. Patriotismus und<lb/> Industrie entwickeln sich nicht immer gleichmäßig, und man kann schließlich nur<lb/> dort kaufen, wo etwas zu kaufen ist. Auch der eifrigste Magyare wird trotz<lb/> aller Aufhetzerei seiner journalistischen Berater doch bei Nichtungarn kaufen<lb/> müssen, was er eben bei Ungarn nicht bekommt. Trotz des angeblich kolossalen<lb/> Aufschwungs, den Ungarn in den letzten Jahrzehnten genommen haben soll,<lb/> gibt es in der Welt noch unzählige Dinge, die „hinterwärts von Temesvar"<lb/> nicht hergestellt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3413" next="#ID_3414"> Noch sind die Ungarn lange nicht so weit, der innigen kaufmännischen<lb/> Beziehungen zu Osterreich entbehren zu können. Wie wenig der Schlachtruf<lb/> „Los von Österreich!" wirtschaftlich berechtigt ist, weiß man in verständigen<lb/> ungarischen Kreisen auch ebensogut wie anderswo. Vor drei Jahren äußerte<lb/> sich ein angesehener Parlamentarier im Neuen Pester Journal folgendermaßen<lb/> über die wirtschaftliche Lage: „Wir wollen, wir müssen eine Industrie schaffen.<lb/> Vorläufig haben wir nichts als den guten Willen. Alle übrigen Voraus¬<lb/> setzungen mangeln, vor allem die wirtschaftliche Bildung, die sachlichen Kennt¬<lb/> nisse, die ausdauernde Arbeit, die Respektierung derselben. Wozu uns darüber<lb/> täuschen, daß wir uns in einer Periode des materiellen Abschwungs befinden?<lb/> Wenn die Not wirklich die beste Lehrmeisterin ist, nun. so lernen wir endlich<lb/> an dem eignen Schaden. Große, unternehmende Firmen, an die sich kein<lb/> Zweifel herangewagt, sind ins Schwanken geraten. Andre flüchten sich unter<lb/> das schützende Dach einer Rettungsgesellschaft auf Aktien. Die Hauptstadt<lb/> kann seit zwei Jahre» die Obligationen ihrer Anleihe nicht anbringen. Unsre<lb/> Hochöfen und Mühlen verlöschen ihre Schlote, unsre Erz- und Kohlenlager<lb/> bergen vergeblich ihre unerschöpflichen Reichtümer, während ringsum in der<lb/> übrigen Welt die Not an Kohle und Eisen empfunden wird, fo groß sind die<lb/> Anforderungen an die Industrie. Unsre feinsten Pfandbriefe sind Ladenhüter<lb/> der Emissionsinstitute geworden. Die Weizenlager sind infolge der verkehrten<lb/> wirtschaftlichen Anschauungen unsrer Landwirte überfüllt, und die Getreide¬<lb/> preise sinken. Dazu der hochnotpeinliche Zinsfuß in der ganzen Welt, dieser<lb/> Würgengel jeder Unternehmungslust! Handel und Wandel liegen danieder,<lb/> der Pauperismus wächst an, der Sozialismus pocht dröhnend an die Pforten<lb/> unsrer kaum noch bis zum tior.8 6tat gegliederten Gesellschaft. Unser Parlament<lb/> bleibt stumm und tiftelt am Staatsrecht. Es rührt sich keine Hand, regt sich<lb/> kein leitender Gedanke, keine Initiative. Das ist der Fluch der mangelhaften<lb/> wirtschaftlichen Erziehung." Nehmen auch wir an, daß hierbei in schlechter<lb/> Stimmung um die Hälfte zu schwarz gesehen worden sei, rechnen wir aber<lb/> noch hinzu die starke Korruption, von der hier begreiflicherweise keine Er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0670]
Ungar»
Wesen mit dem Geschrei „Kauft nur bei Ungarn!" nach bekannten Mustern.
Asm 82g,diZ,ä! Es ist nicht erlaubt, daß ungarische Staatsbürger in Wien
Waren einkaufen; es schickt sich nicht, daß ungarische Kaufhäuser mit österreichischen
Fabrikanten in Verbindung treten, es ist nicht zulässig, daß deutsche Schau¬
spieler in Budapest auftreten, ^hin s^dha! Die nationalen Eiferer in Ungarn
vergessen vor lauter Bemühungen, der Kultur im Lande ein magyarisches
Mäntelchen umzuhängen, daß es bei ihnen noch sehr viele Gebiete gibt, auf
die man die Kultur überhaupt erst verpflanzen müßte. Patriotismus und
Industrie entwickeln sich nicht immer gleichmäßig, und man kann schließlich nur
dort kaufen, wo etwas zu kaufen ist. Auch der eifrigste Magyare wird trotz
aller Aufhetzerei seiner journalistischen Berater doch bei Nichtungarn kaufen
müssen, was er eben bei Ungarn nicht bekommt. Trotz des angeblich kolossalen
Aufschwungs, den Ungarn in den letzten Jahrzehnten genommen haben soll,
gibt es in der Welt noch unzählige Dinge, die „hinterwärts von Temesvar"
nicht hergestellt werden.
Noch sind die Ungarn lange nicht so weit, der innigen kaufmännischen
Beziehungen zu Osterreich entbehren zu können. Wie wenig der Schlachtruf
„Los von Österreich!" wirtschaftlich berechtigt ist, weiß man in verständigen
ungarischen Kreisen auch ebensogut wie anderswo. Vor drei Jahren äußerte
sich ein angesehener Parlamentarier im Neuen Pester Journal folgendermaßen
über die wirtschaftliche Lage: „Wir wollen, wir müssen eine Industrie schaffen.
Vorläufig haben wir nichts als den guten Willen. Alle übrigen Voraus¬
setzungen mangeln, vor allem die wirtschaftliche Bildung, die sachlichen Kennt¬
nisse, die ausdauernde Arbeit, die Respektierung derselben. Wozu uns darüber
täuschen, daß wir uns in einer Periode des materiellen Abschwungs befinden?
Wenn die Not wirklich die beste Lehrmeisterin ist, nun. so lernen wir endlich
an dem eignen Schaden. Große, unternehmende Firmen, an die sich kein
Zweifel herangewagt, sind ins Schwanken geraten. Andre flüchten sich unter
das schützende Dach einer Rettungsgesellschaft auf Aktien. Die Hauptstadt
kann seit zwei Jahre» die Obligationen ihrer Anleihe nicht anbringen. Unsre
Hochöfen und Mühlen verlöschen ihre Schlote, unsre Erz- und Kohlenlager
bergen vergeblich ihre unerschöpflichen Reichtümer, während ringsum in der
übrigen Welt die Not an Kohle und Eisen empfunden wird, fo groß sind die
Anforderungen an die Industrie. Unsre feinsten Pfandbriefe sind Ladenhüter
der Emissionsinstitute geworden. Die Weizenlager sind infolge der verkehrten
wirtschaftlichen Anschauungen unsrer Landwirte überfüllt, und die Getreide¬
preise sinken. Dazu der hochnotpeinliche Zinsfuß in der ganzen Welt, dieser
Würgengel jeder Unternehmungslust! Handel und Wandel liegen danieder,
der Pauperismus wächst an, der Sozialismus pocht dröhnend an die Pforten
unsrer kaum noch bis zum tior.8 6tat gegliederten Gesellschaft. Unser Parlament
bleibt stumm und tiftelt am Staatsrecht. Es rührt sich keine Hand, regt sich
kein leitender Gedanke, keine Initiative. Das ist der Fluch der mangelhaften
wirtschaftlichen Erziehung." Nehmen auch wir an, daß hierbei in schlechter
Stimmung um die Hälfte zu schwarz gesehen worden sei, rechnen wir aber
noch hinzu die starke Korruption, von der hier begreiflicherweise keine Er-
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