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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Er schien alle Deutschen für Ärzte zu halten und erstaunte ein wenig, als ich ihm
sagte, daß ich das doch nicht wissen könne, das; es ihm aber auch der tüchtigste
Arzt nicht aus freier Hand auf einem Dampfer sagen könne, sondern nur nach
eingehendster körperlicher Spezialuntersuchuug. Seine Augen wurden vor Ver¬
wunderung immer größer. Wie es wohl in einem solchen Türkenkopfe aussehen mag!
Dann fragte er mich, ob er denn wirklich, wie man ihm gesagt habe, um sich
heilen zu 'lassen, nach Berlin reisen müsse. Ich erwiderte ihm. in Wien gebe es
auch hervorragende Ärzte. Das schien ihm aber nicht recht einzuleuchten; Wien
liege seines Wissens doch nicht in Deutschland, und die deutschen Arzte seien die
besten, das sage man allgemein. Sehr ehrend für unsre Medizin!

Berühmter noch und großartiger als die Fahrt auf dem Goldner Horn ist
die auf dem Bosporus. Doch pflegt man für gewöhnlich nicht diesen ganzen
Meeresstrom bis zum Schwarzen Meer zu befahren, sondern begnügt sich mit
einer Fahrt zu den freundlichen, ganz europäisch aussehenden Villenstädtchen Therapia
und Bujukdere. In beiden halten viele reiche Kaufleute ihre Sommervilleggiaturen,
und die Botschafter der Großmächte haben hier ihre Land- und Lusthäuser. Das
des deutschen, eine komfortable und zugleich gemütliche Villa, liegt dicht an der
Bucht inmitten einer Parkanlage, in der seit Z 889 ein weißer Marmorobelisk mit
dem Medaillonbild Moltkes steht. Diese Bosporusfahrt ähnelt landschaftlich be¬
trachtet einer Fahrt auf dem Rhein, zu beiden Seiten Bergland mit anmutigen
Seitentälern, Buchten, Landvorsprüngen, die dem Strom oft den Charakter eines
abgeschlossenen Sees geben, Dörfer, Gärten, Landhäuser und Burgruinen. Nur
ist der Bosporus viel breiter als der deutscheste der Ströme (550 bis 2200 Meter),
statt der Weinpflanzungen und Eichenschälwaldungen spiegeln sich Platanen- und
Zypressenhaine in seinen Fluten, und die Paläste, Moscheen und Kiosks, die
seine Ufer schmücken, geben ihm den ihm zukommenden orientalischen Charakter.
Auch ist der Bosporus, ebenso wie der Rhein, von altersgrauen Sagen umwoben
und durch geschichtliche Ereignisse bedeutsam. Hier fuhren die Argonauten hindurch
in den wilden Osten, hier hausten die Harpyien, hier schlugen die Symplegaden
zusammen -- eine Sage, die daraus entstand, daß die Klippengruppen am Aus¬
fluß des Stromes aus dem Schwarzen Meer den Hinauffahrenden sich je nach
der Richtung der Fahrt bald zu öffnen, bald zu schließen schienen. An der engsten
Stelle führte König Dareios seine 700000 Mann von Asien nach Europa gegen
die Skythen; noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. sah man den in den Fels ge¬
hauenen Thron, von dem aus er dem Übergang dieses Rieseuheeres über die
Brücke zugeschaut hatte. In byzantinischer Zeit lagen hier die Staatsgefängnisse,
die den bezeichnenden Namen "Türme der Lethe" führten, weil die Unglücklichen,
die darin verschwanden, ewiger Vergessenheit anheimgegeben blieben. Hier baute
später Mohammed der Eroberer zunächst auf der asiatischen Seite das Schloß
Anadoli Hissar, von dem jetzt nur noch vier verfallne Türme übrig sind. Dann
ging er trotz dem Proteste des griechischen Kaisers über den Meeresstrom und
legte am europäischen Ufer die Zwingburg Rumili Hissar an. Dessen feingezackte
Mauern und runde Türme ziehn sich noch jetzt vom Meeresufer steil den Berg
hinauf und sind unzähligemal gezeichnet und gemalt worden. Von hier aus sperrte
Mohammed dann mit seinen enorme Steinkugeln schleudernden Kanonen die Meer¬
enge, schnitt ihr gleichsam die Kehle durch, weshalb das Schloß bei den Türken
auch Boghas-lesen, d. i. ..Kehlabschneider" hieß.

Nichts macht den Gegensatz zwischen dem alten, wilden Heldenzeitalter der
Türken und der jetzigen überfirnißten, schwächlichen, prunkhaften Zeit, wo das osma-
nische Reich gern einen Kulturstaat abgeben möchte und doch nicht abgeben kann,
augenfälliger, als wenn man diese alten, gewaltigen Trutzschlösser mit den modernen
Palästen vergleicht, an denen das Schiff gleich beim Beginn seiner Fahrt vorüber¬
kommt. Da liegt auf der asiatischen Seite der Bejlerbej, der glänzend weiße. 1865
vollendete Prachtbau des Sultans Abdul Asif, worin auch der Kronprinz von


Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Er schien alle Deutschen für Ärzte zu halten und erstaunte ein wenig, als ich ihm
sagte, daß ich das doch nicht wissen könne, das; es ihm aber auch der tüchtigste
Arzt nicht aus freier Hand auf einem Dampfer sagen könne, sondern nur nach
eingehendster körperlicher Spezialuntersuchuug. Seine Augen wurden vor Ver¬
wunderung immer größer. Wie es wohl in einem solchen Türkenkopfe aussehen mag!
Dann fragte er mich, ob er denn wirklich, wie man ihm gesagt habe, um sich
heilen zu 'lassen, nach Berlin reisen müsse. Ich erwiderte ihm. in Wien gebe es
auch hervorragende Ärzte. Das schien ihm aber nicht recht einzuleuchten; Wien
liege seines Wissens doch nicht in Deutschland, und die deutschen Arzte seien die
besten, das sage man allgemein. Sehr ehrend für unsre Medizin!

Berühmter noch und großartiger als die Fahrt auf dem Goldner Horn ist
die auf dem Bosporus. Doch pflegt man für gewöhnlich nicht diesen ganzen
Meeresstrom bis zum Schwarzen Meer zu befahren, sondern begnügt sich mit
einer Fahrt zu den freundlichen, ganz europäisch aussehenden Villenstädtchen Therapia
und Bujukdere. In beiden halten viele reiche Kaufleute ihre Sommervilleggiaturen,
und die Botschafter der Großmächte haben hier ihre Land- und Lusthäuser. Das
des deutschen, eine komfortable und zugleich gemütliche Villa, liegt dicht an der
Bucht inmitten einer Parkanlage, in der seit Z 889 ein weißer Marmorobelisk mit
dem Medaillonbild Moltkes steht. Diese Bosporusfahrt ähnelt landschaftlich be¬
trachtet einer Fahrt auf dem Rhein, zu beiden Seiten Bergland mit anmutigen
Seitentälern, Buchten, Landvorsprüngen, die dem Strom oft den Charakter eines
abgeschlossenen Sees geben, Dörfer, Gärten, Landhäuser und Burgruinen. Nur
ist der Bosporus viel breiter als der deutscheste der Ströme (550 bis 2200 Meter),
statt der Weinpflanzungen und Eichenschälwaldungen spiegeln sich Platanen- und
Zypressenhaine in seinen Fluten, und die Paläste, Moscheen und Kiosks, die
seine Ufer schmücken, geben ihm den ihm zukommenden orientalischen Charakter.
Auch ist der Bosporus, ebenso wie der Rhein, von altersgrauen Sagen umwoben
und durch geschichtliche Ereignisse bedeutsam. Hier fuhren die Argonauten hindurch
in den wilden Osten, hier hausten die Harpyien, hier schlugen die Symplegaden
zusammen — eine Sage, die daraus entstand, daß die Klippengruppen am Aus¬
fluß des Stromes aus dem Schwarzen Meer den Hinauffahrenden sich je nach
der Richtung der Fahrt bald zu öffnen, bald zu schließen schienen. An der engsten
Stelle führte König Dareios seine 700000 Mann von Asien nach Europa gegen
die Skythen; noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. sah man den in den Fels ge¬
hauenen Thron, von dem aus er dem Übergang dieses Rieseuheeres über die
Brücke zugeschaut hatte. In byzantinischer Zeit lagen hier die Staatsgefängnisse,
die den bezeichnenden Namen „Türme der Lethe" führten, weil die Unglücklichen,
die darin verschwanden, ewiger Vergessenheit anheimgegeben blieben. Hier baute
später Mohammed der Eroberer zunächst auf der asiatischen Seite das Schloß
Anadoli Hissar, von dem jetzt nur noch vier verfallne Türme übrig sind. Dann
ging er trotz dem Proteste des griechischen Kaisers über den Meeresstrom und
legte am europäischen Ufer die Zwingburg Rumili Hissar an. Dessen feingezackte
Mauern und runde Türme ziehn sich noch jetzt vom Meeresufer steil den Berg
hinauf und sind unzähligemal gezeichnet und gemalt worden. Von hier aus sperrte
Mohammed dann mit seinen enorme Steinkugeln schleudernden Kanonen die Meer¬
enge, schnitt ihr gleichsam die Kehle durch, weshalb das Schloß bei den Türken
auch Boghas-lesen, d. i. ..Kehlabschneider" hieß.

Nichts macht den Gegensatz zwischen dem alten, wilden Heldenzeitalter der
Türken und der jetzigen überfirnißten, schwächlichen, prunkhaften Zeit, wo das osma-
nische Reich gern einen Kulturstaat abgeben möchte und doch nicht abgeben kann,
augenfälliger, als wenn man diese alten, gewaltigen Trutzschlösser mit den modernen
Palästen vergleicht, an denen das Schiff gleich beim Beginn seiner Fahrt vorüber¬
kommt. Da liegt auf der asiatischen Seite der Bejlerbej, der glänzend weiße. 1865
vollendete Prachtbau des Sultans Abdul Asif, worin auch der Kronprinz von


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[0644] Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse Er schien alle Deutschen für Ärzte zu halten und erstaunte ein wenig, als ich ihm sagte, daß ich das doch nicht wissen könne, das; es ihm aber auch der tüchtigste Arzt nicht aus freier Hand auf einem Dampfer sagen könne, sondern nur nach eingehendster körperlicher Spezialuntersuchuug. Seine Augen wurden vor Ver¬ wunderung immer größer. Wie es wohl in einem solchen Türkenkopfe aussehen mag! Dann fragte er mich, ob er denn wirklich, wie man ihm gesagt habe, um sich heilen zu 'lassen, nach Berlin reisen müsse. Ich erwiderte ihm. in Wien gebe es auch hervorragende Ärzte. Das schien ihm aber nicht recht einzuleuchten; Wien liege seines Wissens doch nicht in Deutschland, und die deutschen Arzte seien die besten, das sage man allgemein. Sehr ehrend für unsre Medizin! Berühmter noch und großartiger als die Fahrt auf dem Goldner Horn ist die auf dem Bosporus. Doch pflegt man für gewöhnlich nicht diesen ganzen Meeresstrom bis zum Schwarzen Meer zu befahren, sondern begnügt sich mit einer Fahrt zu den freundlichen, ganz europäisch aussehenden Villenstädtchen Therapia und Bujukdere. In beiden halten viele reiche Kaufleute ihre Sommervilleggiaturen, und die Botschafter der Großmächte haben hier ihre Land- und Lusthäuser. Das des deutschen, eine komfortable und zugleich gemütliche Villa, liegt dicht an der Bucht inmitten einer Parkanlage, in der seit Z 889 ein weißer Marmorobelisk mit dem Medaillonbild Moltkes steht. Diese Bosporusfahrt ähnelt landschaftlich be¬ trachtet einer Fahrt auf dem Rhein, zu beiden Seiten Bergland mit anmutigen Seitentälern, Buchten, Landvorsprüngen, die dem Strom oft den Charakter eines abgeschlossenen Sees geben, Dörfer, Gärten, Landhäuser und Burgruinen. Nur ist der Bosporus viel breiter als der deutscheste der Ströme (550 bis 2200 Meter), statt der Weinpflanzungen und Eichenschälwaldungen spiegeln sich Platanen- und Zypressenhaine in seinen Fluten, und die Paläste, Moscheen und Kiosks, die seine Ufer schmücken, geben ihm den ihm zukommenden orientalischen Charakter. Auch ist der Bosporus, ebenso wie der Rhein, von altersgrauen Sagen umwoben und durch geschichtliche Ereignisse bedeutsam. Hier fuhren die Argonauten hindurch in den wilden Osten, hier hausten die Harpyien, hier schlugen die Symplegaden zusammen — eine Sage, die daraus entstand, daß die Klippengruppen am Aus¬ fluß des Stromes aus dem Schwarzen Meer den Hinauffahrenden sich je nach der Richtung der Fahrt bald zu öffnen, bald zu schließen schienen. An der engsten Stelle führte König Dareios seine 700000 Mann von Asien nach Europa gegen die Skythen; noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. sah man den in den Fels ge¬ hauenen Thron, von dem aus er dem Übergang dieses Rieseuheeres über die Brücke zugeschaut hatte. In byzantinischer Zeit lagen hier die Staatsgefängnisse, die den bezeichnenden Namen „Türme der Lethe" führten, weil die Unglücklichen, die darin verschwanden, ewiger Vergessenheit anheimgegeben blieben. Hier baute später Mohammed der Eroberer zunächst auf der asiatischen Seite das Schloß Anadoli Hissar, von dem jetzt nur noch vier verfallne Türme übrig sind. Dann ging er trotz dem Proteste des griechischen Kaisers über den Meeresstrom und legte am europäischen Ufer die Zwingburg Rumili Hissar an. Dessen feingezackte Mauern und runde Türme ziehn sich noch jetzt vom Meeresufer steil den Berg hinauf und sind unzähligemal gezeichnet und gemalt worden. Von hier aus sperrte Mohammed dann mit seinen enorme Steinkugeln schleudernden Kanonen die Meer¬ enge, schnitt ihr gleichsam die Kehle durch, weshalb das Schloß bei den Türken auch Boghas-lesen, d. i. ..Kehlabschneider" hieß. Nichts macht den Gegensatz zwischen dem alten, wilden Heldenzeitalter der Türken und der jetzigen überfirnißten, schwächlichen, prunkhaften Zeit, wo das osma- nische Reich gern einen Kulturstaat abgeben möchte und doch nicht abgeben kann, augenfälliger, als wenn man diese alten, gewaltigen Trutzschlösser mit den modernen Palästen vergleicht, an denen das Schiff gleich beim Beginn seiner Fahrt vorüber¬ kommt. Da liegt auf der asiatischen Seite der Bejlerbej, der glänzend weiße. 1865 vollendete Prachtbau des Sultans Abdul Asif, worin auch der Kronprinz von

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/644>, abgerufen am 23.07.2024.