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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Freie und außerdem uoch einen für die Tassen. Da sitzen wir nun und schauen
hinunter aas das Goldne Horn, das von hier aus wie ein langgezogner, blau¬
glänzender Binnensee aussieht; denn der Hintergrund wird durch deu niedrigen
Höhenzug deS großen Serails abgeschlossen. Dessen Turm und der Feuerturm vou
Galata stehn am Horizont einander gegenüber wie zwei riesige Wachtposten. Nach
links zu krümmt sich das Ende des Goldner Horns wie der Schwanz eines Skorpions
zu den süßen Wassern von Europa hinüber. Unmittelbar unter uns schwimmen
auf dem Wasser einige grüne Inseln, und gerade gegenüber haben wir einen
grauen Höhenzug mit grauen Leichensteinen; es ist der jüdische Friedhof. Unter
dem Häusermeer der linken Seite tritt besonders hervor das große Marineeta¬
blissement, ein unschönes und zugleich unnützes Gebäude. Denn die Türkei hat nur
auf dem Papier eine Marine.

Nachdem wir diese reiche und mannigfaltige Aussicht, eine der schönsten in
und bei Konstantinopel, bewundert haben, steigen wir den Berg längs des Friedhofs
wieder hinunter. An seinem Fuße dicht an der Hauptstraße liegt die Ejubmoschee,
das heiligste Gotteshaus der Mohammedaner in Europa. Bei der ersten Be¬
lagerung Konstantinopels durch die Araber im Jahre 672 fiel nämlich der Fahnen¬
träger und Freund des Propheten, namens Ejub, d. i. Hiob. Sein Grab wurde
während der Belagerung von 1453 durch die Vision eines Mokka aufgefunden,
eine Entdeckung, die den schon gesunkuen Mut des Belagerungsheers mächtig hob.
Gleich nach der Eroberung ließ dann Mohammed der Zweite neben diesem Grabe
die Moschee und zwar aus weißem Marmor erbauen. Das Grab Ejubs soll in
einem mit drei schönen Bäumen gezierten Hofe liegen und mit Ampeln und
Leuchtern ans edelm Metall geschmückt sein. Gewisses läßt sich darüber nicht fest¬
stellen. Denn das Betreten der Moschee ist jedem Ungläubigen aufs strengste ver¬
boten. In ihr werden die Sultane mit dem Schwerte Osmans umgürtet, was der
Krönung bei uus gleichkommt; auch gibt es in ihr eine in Silber gefaßte Fußtapfe
Mohammeds, die der Prophet beim Bau der Kaaba einem Stein eingedrückt haben
soll. Kein Christ hat diesen heiligen Fußtritt je gesehen. Mich reizte es, als ich
an der Pforte der Moschee vorbeikam, den Eintritt zu versuchen, denn: "sollte dem
Backschisch ein Ding unmöglich sein?" Aber der Versuch mißlang kläglich. Denn
kaum trat ich auf die Schwelle des Tores und warf nur einen Blick in den Vor¬
hof, so machte mir einer der Andächtigen von drinnen mit Blick, Wort und Ge¬
bärde auf gar nicht mißzuverstehende Weise klar, daß es hier das Geratenste war,
sich schleunigst rückwärts zu konzentrieren. Das emporgehaltne größere Geldstück
ließ er völlig unbeachtet. Der Fanatismus ist doch noch mächtiger als die Hab¬
gier! Was diese Türken übrigens für Gesichter machen können, wenn sie für ihren
Glauben eintreten zu müssen glauben! Ich bin doch froh, daß ich 1453 nicht
dabei gewesen bin.

Unten am Wasser stiegen wir in einen der kleinen Dampfer, die das Goldne
Horn befahren, und nun glitten die am Ufer liegenden Stadtquartiere der Reihe nach
an unsern Blicken vorüber. Das interessanteste von ihnen ist der Phanar, wo sich
nach der Eroberung die vornehmen Byzantiner, soweit sie dem allgemeinen
Blutbade entronnen waren, ansiedelten. Dieses Quartier ist also die Heimat der
vielgenannten fcmariotischen Familien, denen auch die Hospodare der Moldau und
der Walachei entstammten, und ist noch jetzt das eigentliche Griechenviertel, obwohl
viele wohlhabende Familien nach Pera und nach Athen übergesiedelt sind. Man sieht
vom Schiffe ans die rote griechische Kirche oben auf der Höhe, wo auch "Se. Aller¬
heiligkeit, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel" residiert; unten am Wasser
dagegen liegt die erst 1897 aus Eisen gefügte schwärzliche Kirche der Bulgaren.

Ein türkischer Offizier, der uns gegenüber saß, redete uns, als er uns deutsch
sprechen hörte, sofort in den heimischen Lauten an. Er erzählte uns, daß er das Deutsche
gelernt habe, um sich in Berlin von seinem Leiden kurieren zu lassen, und fragte mich
dann ohne Umstände, ob seine Krankheit aus der Leber oder aus dem Magen stamme.


Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Freie und außerdem uoch einen für die Tassen. Da sitzen wir nun und schauen
hinunter aas das Goldne Horn, das von hier aus wie ein langgezogner, blau¬
glänzender Binnensee aussieht; denn der Hintergrund wird durch deu niedrigen
Höhenzug deS großen Serails abgeschlossen. Dessen Turm und der Feuerturm vou
Galata stehn am Horizont einander gegenüber wie zwei riesige Wachtposten. Nach
links zu krümmt sich das Ende des Goldner Horns wie der Schwanz eines Skorpions
zu den süßen Wassern von Europa hinüber. Unmittelbar unter uns schwimmen
auf dem Wasser einige grüne Inseln, und gerade gegenüber haben wir einen
grauen Höhenzug mit grauen Leichensteinen; es ist der jüdische Friedhof. Unter
dem Häusermeer der linken Seite tritt besonders hervor das große Marineeta¬
blissement, ein unschönes und zugleich unnützes Gebäude. Denn die Türkei hat nur
auf dem Papier eine Marine.

Nachdem wir diese reiche und mannigfaltige Aussicht, eine der schönsten in
und bei Konstantinopel, bewundert haben, steigen wir den Berg längs des Friedhofs
wieder hinunter. An seinem Fuße dicht an der Hauptstraße liegt die Ejubmoschee,
das heiligste Gotteshaus der Mohammedaner in Europa. Bei der ersten Be¬
lagerung Konstantinopels durch die Araber im Jahre 672 fiel nämlich der Fahnen¬
träger und Freund des Propheten, namens Ejub, d. i. Hiob. Sein Grab wurde
während der Belagerung von 1453 durch die Vision eines Mokka aufgefunden,
eine Entdeckung, die den schon gesunkuen Mut des Belagerungsheers mächtig hob.
Gleich nach der Eroberung ließ dann Mohammed der Zweite neben diesem Grabe
die Moschee und zwar aus weißem Marmor erbauen. Das Grab Ejubs soll in
einem mit drei schönen Bäumen gezierten Hofe liegen und mit Ampeln und
Leuchtern ans edelm Metall geschmückt sein. Gewisses läßt sich darüber nicht fest¬
stellen. Denn das Betreten der Moschee ist jedem Ungläubigen aufs strengste ver¬
boten. In ihr werden die Sultane mit dem Schwerte Osmans umgürtet, was der
Krönung bei uus gleichkommt; auch gibt es in ihr eine in Silber gefaßte Fußtapfe
Mohammeds, die der Prophet beim Bau der Kaaba einem Stein eingedrückt haben
soll. Kein Christ hat diesen heiligen Fußtritt je gesehen. Mich reizte es, als ich
an der Pforte der Moschee vorbeikam, den Eintritt zu versuchen, denn: „sollte dem
Backschisch ein Ding unmöglich sein?" Aber der Versuch mißlang kläglich. Denn
kaum trat ich auf die Schwelle des Tores und warf nur einen Blick in den Vor¬
hof, so machte mir einer der Andächtigen von drinnen mit Blick, Wort und Ge¬
bärde auf gar nicht mißzuverstehende Weise klar, daß es hier das Geratenste war,
sich schleunigst rückwärts zu konzentrieren. Das emporgehaltne größere Geldstück
ließ er völlig unbeachtet. Der Fanatismus ist doch noch mächtiger als die Hab¬
gier! Was diese Türken übrigens für Gesichter machen können, wenn sie für ihren
Glauben eintreten zu müssen glauben! Ich bin doch froh, daß ich 1453 nicht
dabei gewesen bin.

Unten am Wasser stiegen wir in einen der kleinen Dampfer, die das Goldne
Horn befahren, und nun glitten die am Ufer liegenden Stadtquartiere der Reihe nach
an unsern Blicken vorüber. Das interessanteste von ihnen ist der Phanar, wo sich
nach der Eroberung die vornehmen Byzantiner, soweit sie dem allgemeinen
Blutbade entronnen waren, ansiedelten. Dieses Quartier ist also die Heimat der
vielgenannten fcmariotischen Familien, denen auch die Hospodare der Moldau und
der Walachei entstammten, und ist noch jetzt das eigentliche Griechenviertel, obwohl
viele wohlhabende Familien nach Pera und nach Athen übergesiedelt sind. Man sieht
vom Schiffe ans die rote griechische Kirche oben auf der Höhe, wo auch „Se. Aller¬
heiligkeit, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel" residiert; unten am Wasser
dagegen liegt die erst 1897 aus Eisen gefügte schwärzliche Kirche der Bulgaren.

Ein türkischer Offizier, der uns gegenüber saß, redete uns, als er uns deutsch
sprechen hörte, sofort in den heimischen Lauten an. Er erzählte uns, daß er das Deutsche
gelernt habe, um sich in Berlin von seinem Leiden kurieren zu lassen, und fragte mich
dann ohne Umstände, ob seine Krankheit aus der Leber oder aus dem Magen stamme.


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[0643] Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse Freie und außerdem uoch einen für die Tassen. Da sitzen wir nun und schauen hinunter aas das Goldne Horn, das von hier aus wie ein langgezogner, blau¬ glänzender Binnensee aussieht; denn der Hintergrund wird durch deu niedrigen Höhenzug deS großen Serails abgeschlossen. Dessen Turm und der Feuerturm vou Galata stehn am Horizont einander gegenüber wie zwei riesige Wachtposten. Nach links zu krümmt sich das Ende des Goldner Horns wie der Schwanz eines Skorpions zu den süßen Wassern von Europa hinüber. Unmittelbar unter uns schwimmen auf dem Wasser einige grüne Inseln, und gerade gegenüber haben wir einen grauen Höhenzug mit grauen Leichensteinen; es ist der jüdische Friedhof. Unter dem Häusermeer der linken Seite tritt besonders hervor das große Marineeta¬ blissement, ein unschönes und zugleich unnützes Gebäude. Denn die Türkei hat nur auf dem Papier eine Marine. Nachdem wir diese reiche und mannigfaltige Aussicht, eine der schönsten in und bei Konstantinopel, bewundert haben, steigen wir den Berg längs des Friedhofs wieder hinunter. An seinem Fuße dicht an der Hauptstraße liegt die Ejubmoschee, das heiligste Gotteshaus der Mohammedaner in Europa. Bei der ersten Be¬ lagerung Konstantinopels durch die Araber im Jahre 672 fiel nämlich der Fahnen¬ träger und Freund des Propheten, namens Ejub, d. i. Hiob. Sein Grab wurde während der Belagerung von 1453 durch die Vision eines Mokka aufgefunden, eine Entdeckung, die den schon gesunkuen Mut des Belagerungsheers mächtig hob. Gleich nach der Eroberung ließ dann Mohammed der Zweite neben diesem Grabe die Moschee und zwar aus weißem Marmor erbauen. Das Grab Ejubs soll in einem mit drei schönen Bäumen gezierten Hofe liegen und mit Ampeln und Leuchtern ans edelm Metall geschmückt sein. Gewisses läßt sich darüber nicht fest¬ stellen. Denn das Betreten der Moschee ist jedem Ungläubigen aufs strengste ver¬ boten. In ihr werden die Sultane mit dem Schwerte Osmans umgürtet, was der Krönung bei uus gleichkommt; auch gibt es in ihr eine in Silber gefaßte Fußtapfe Mohammeds, die der Prophet beim Bau der Kaaba einem Stein eingedrückt haben soll. Kein Christ hat diesen heiligen Fußtritt je gesehen. Mich reizte es, als ich an der Pforte der Moschee vorbeikam, den Eintritt zu versuchen, denn: „sollte dem Backschisch ein Ding unmöglich sein?" Aber der Versuch mißlang kläglich. Denn kaum trat ich auf die Schwelle des Tores und warf nur einen Blick in den Vor¬ hof, so machte mir einer der Andächtigen von drinnen mit Blick, Wort und Ge¬ bärde auf gar nicht mißzuverstehende Weise klar, daß es hier das Geratenste war, sich schleunigst rückwärts zu konzentrieren. Das emporgehaltne größere Geldstück ließ er völlig unbeachtet. Der Fanatismus ist doch noch mächtiger als die Hab¬ gier! Was diese Türken übrigens für Gesichter machen können, wenn sie für ihren Glauben eintreten zu müssen glauben! Ich bin doch froh, daß ich 1453 nicht dabei gewesen bin. Unten am Wasser stiegen wir in einen der kleinen Dampfer, die das Goldne Horn befahren, und nun glitten die am Ufer liegenden Stadtquartiere der Reihe nach an unsern Blicken vorüber. Das interessanteste von ihnen ist der Phanar, wo sich nach der Eroberung die vornehmen Byzantiner, soweit sie dem allgemeinen Blutbade entronnen waren, ansiedelten. Dieses Quartier ist also die Heimat der vielgenannten fcmariotischen Familien, denen auch die Hospodare der Moldau und der Walachei entstammten, und ist noch jetzt das eigentliche Griechenviertel, obwohl viele wohlhabende Familien nach Pera und nach Athen übergesiedelt sind. Man sieht vom Schiffe ans die rote griechische Kirche oben auf der Höhe, wo auch „Se. Aller¬ heiligkeit, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel" residiert; unten am Wasser dagegen liegt die erst 1897 aus Eisen gefügte schwärzliche Kirche der Bulgaren. Ein türkischer Offizier, der uns gegenüber saß, redete uns, als er uns deutsch sprechen hörte, sofort in den heimischen Lauten an. Er erzählte uns, daß er das Deutsche gelernt habe, um sich in Berlin von seinem Leiden kurieren zu lassen, und fragte mich dann ohne Umstände, ob seine Krankheit aus der Leber oder aus dem Magen stamme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/643>, abgerufen am 23.07.2024.