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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Auf rätischen Alpenstraszen

gerichtet werden, sodaß nur die diese Prüfung abzulegen hätten, die später in
den Dienst der Verwaltung übernommen werden wollen. Ob dagegen die Ver¬
längerung der Studienzeit wirklich notwendig ist, erscheint doch sehr zweifelhaft.
Wer sechs Semester ausnutzt und arbeitet, wird bei normaler Begabung die
nötigen juristischen und staatswissenschaftlicher Kenntnisse erwerben können, wer
aber sechs Semester bummelt, wird sich freuen, noch ein siebentes Bummel¬
semester geschenkt zu erhalten Schluß folgt) .




Auf rätischen Alpenstraßen
Gelo Aaemmel von(Fortsetzung)

>n einem Lande von einer so reichen und wechselvollen Geschichte
wie Graubünden zu reisen, hat ein um so größeres Interesse, je
großartiger die Gebirgswelt ist, die es umschließt, und die allein
weitaus die größte Masse der Reisenden anlockt. Ihr Ziel ist
Ifast immer das Engadin; durch das Vorland eilen sie flüchtig
hindurch, die alten, früher so belebten Paßstraßen sind bis auf einige wenige,
die nach dem Engadin führen, verödet und vermitteln nur noch einen sehr ge¬
ringen Warenverkehr, da dieser selbst auf weiten Hinwegen die Eisenbahnen be¬
vorzugt. Und doch bietet der Weg das Rheintal hinauf überhaupt den schönsten
Eintritt in die Alpenwelt der Schweiz. Denn er führt entweder um den Boden¬
see herum über Bregenz oder von der Jnselstadt Lindau aus in kurzer Fahrt
nach Rorschach über das "Schwäbische Meer," das noch im vierten nachchrist¬
lichen Jahrhundert, nach dreiundeinhalb Jahrhunderten römischer Herrschaft, "un¬
zugänglich war durch den Schrecken starrender Wälder, außer dn, wo die alte
besonnene römische Tüchtigkeit eine breite Straße gebaut hat" (Ammian.
Mare. XV, 4, 2). Wie anders heute, wenn von der "Römerschanze" am Hafen
von Lindau aus gesehen, das noch einen alten "Römerturm" am andern Ende
der Stadt besitzt, sich unter klarem Himmel der bald lichtgrüne, bald tiefblaue, in
fortwährend wechselndem Farbenspiel schimmernde breite Seespiegel entfaltet, der
sich nach Westen uferlos ausdehnt! Da heben sich über der nahen blaugrünen
Bergkette vom Pfänder bis Romanshorn hin und über dem lMschimmerndeu
Bregenz, das in seinem ältesten Stadtteil, dein Hügel von Alt-Bregenz, noch
das regelmüßige Viereck des Römerkastells Brigantium bewahrt, im feinen Blau-
grau zur Linken die zackige Kette der Vorarlberger Alpen mit der schneebe¬
deckten Scesaplana am Ende, zur Rechten die kühnen Spitzen der Säntisgruppe,
und mitten inne öffnet sich hinter niedrigem, grünem Vorlande das breite
Rheintal, die natürliche Straße nach dem rätischen Hochgebirge, dessen zackige
Formen sich bei Hellem Wetter schon am Horizont vom Himmel abzeichnen.


Auf rätischen Alpenstraszen

gerichtet werden, sodaß nur die diese Prüfung abzulegen hätten, die später in
den Dienst der Verwaltung übernommen werden wollen. Ob dagegen die Ver¬
längerung der Studienzeit wirklich notwendig ist, erscheint doch sehr zweifelhaft.
Wer sechs Semester ausnutzt und arbeitet, wird bei normaler Begabung die
nötigen juristischen und staatswissenschaftlicher Kenntnisse erwerben können, wer
aber sechs Semester bummelt, wird sich freuen, noch ein siebentes Bummel¬
semester geschenkt zu erhalten Schluß folgt) .




Auf rätischen Alpenstraßen
Gelo Aaemmel von(Fortsetzung)

>n einem Lande von einer so reichen und wechselvollen Geschichte
wie Graubünden zu reisen, hat ein um so größeres Interesse, je
großartiger die Gebirgswelt ist, die es umschließt, und die allein
weitaus die größte Masse der Reisenden anlockt. Ihr Ziel ist
Ifast immer das Engadin; durch das Vorland eilen sie flüchtig
hindurch, die alten, früher so belebten Paßstraßen sind bis auf einige wenige,
die nach dem Engadin führen, verödet und vermitteln nur noch einen sehr ge¬
ringen Warenverkehr, da dieser selbst auf weiten Hinwegen die Eisenbahnen be¬
vorzugt. Und doch bietet der Weg das Rheintal hinauf überhaupt den schönsten
Eintritt in die Alpenwelt der Schweiz. Denn er führt entweder um den Boden¬
see herum über Bregenz oder von der Jnselstadt Lindau aus in kurzer Fahrt
nach Rorschach über das „Schwäbische Meer," das noch im vierten nachchrist¬
lichen Jahrhundert, nach dreiundeinhalb Jahrhunderten römischer Herrschaft, „un¬
zugänglich war durch den Schrecken starrender Wälder, außer dn, wo die alte
besonnene römische Tüchtigkeit eine breite Straße gebaut hat" (Ammian.
Mare. XV, 4, 2). Wie anders heute, wenn von der „Römerschanze" am Hafen
von Lindau aus gesehen, das noch einen alten „Römerturm" am andern Ende
der Stadt besitzt, sich unter klarem Himmel der bald lichtgrüne, bald tiefblaue, in
fortwährend wechselndem Farbenspiel schimmernde breite Seespiegel entfaltet, der
sich nach Westen uferlos ausdehnt! Da heben sich über der nahen blaugrünen
Bergkette vom Pfänder bis Romanshorn hin und über dem lMschimmerndeu
Bregenz, das in seinem ältesten Stadtteil, dein Hügel von Alt-Bregenz, noch
das regelmüßige Viereck des Römerkastells Brigantium bewahrt, im feinen Blau-
grau zur Linken die zackige Kette der Vorarlberger Alpen mit der schneebe¬
deckten Scesaplana am Ende, zur Rechten die kühnen Spitzen der Säntisgruppe,
und mitten inne öffnet sich hinter niedrigem, grünem Vorlande das breite
Rheintal, die natürliche Straße nach dem rätischen Hochgebirge, dessen zackige
Formen sich bei Hellem Wetter schon am Horizont vom Himmel abzeichnen.


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[0622] Auf rätischen Alpenstraszen gerichtet werden, sodaß nur die diese Prüfung abzulegen hätten, die später in den Dienst der Verwaltung übernommen werden wollen. Ob dagegen die Ver¬ längerung der Studienzeit wirklich notwendig ist, erscheint doch sehr zweifelhaft. Wer sechs Semester ausnutzt und arbeitet, wird bei normaler Begabung die nötigen juristischen und staatswissenschaftlicher Kenntnisse erwerben können, wer aber sechs Semester bummelt, wird sich freuen, noch ein siebentes Bummel¬ semester geschenkt zu erhalten Schluß folgt) . Auf rätischen Alpenstraßen Gelo Aaemmel von(Fortsetzung) >n einem Lande von einer so reichen und wechselvollen Geschichte wie Graubünden zu reisen, hat ein um so größeres Interesse, je großartiger die Gebirgswelt ist, die es umschließt, und die allein weitaus die größte Masse der Reisenden anlockt. Ihr Ziel ist Ifast immer das Engadin; durch das Vorland eilen sie flüchtig hindurch, die alten, früher so belebten Paßstraßen sind bis auf einige wenige, die nach dem Engadin führen, verödet und vermitteln nur noch einen sehr ge¬ ringen Warenverkehr, da dieser selbst auf weiten Hinwegen die Eisenbahnen be¬ vorzugt. Und doch bietet der Weg das Rheintal hinauf überhaupt den schönsten Eintritt in die Alpenwelt der Schweiz. Denn er führt entweder um den Boden¬ see herum über Bregenz oder von der Jnselstadt Lindau aus in kurzer Fahrt nach Rorschach über das „Schwäbische Meer," das noch im vierten nachchrist¬ lichen Jahrhundert, nach dreiundeinhalb Jahrhunderten römischer Herrschaft, „un¬ zugänglich war durch den Schrecken starrender Wälder, außer dn, wo die alte besonnene römische Tüchtigkeit eine breite Straße gebaut hat" (Ammian. Mare. XV, 4, 2). Wie anders heute, wenn von der „Römerschanze" am Hafen von Lindau aus gesehen, das noch einen alten „Römerturm" am andern Ende der Stadt besitzt, sich unter klarem Himmel der bald lichtgrüne, bald tiefblaue, in fortwährend wechselndem Farbenspiel schimmernde breite Seespiegel entfaltet, der sich nach Westen uferlos ausdehnt! Da heben sich über der nahen blaugrünen Bergkette vom Pfänder bis Romanshorn hin und über dem lMschimmerndeu Bregenz, das in seinem ältesten Stadtteil, dein Hügel von Alt-Bregenz, noch das regelmüßige Viereck des Römerkastells Brigantium bewahrt, im feinen Blau- grau zur Linken die zackige Kette der Vorarlberger Alpen mit der schneebe¬ deckten Scesaplana am Ende, zur Rechten die kühnen Spitzen der Säntisgruppe, und mitten inne öffnet sich hinter niedrigem, grünem Vorlande das breite Rheintal, die natürliche Straße nach dem rätischen Hochgebirge, dessen zackige Formen sich bei Hellem Wetter schon am Horizont vom Himmel abzeichnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/622>, abgerufen am 23.07.2024.