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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

1. Oktober 1879 empfing Kaiser Wilhelm der Erste in Baden-Baden den neu-
ernannten Statthalter der Reichslande, Feldmarschall von Manteuffel, und das neu-
gebildete Ministerium zur Meldung des Amtsantritts. Der Kaiser ermahnte sie
bei dieser Gelegenheit zur Geduld und Nachsicht, sie möchten nicht vergessen, daß
die Rheinlande fünfzig Jahre gebraucht hätten, preußisch zu werden. Der Monarch
hätte hinzufügen können, daß auch die fünfzig Jahre für diesen Prozeß noch nicht
ausgereicht haben würden, wenn ihn nicht die Schlacht von Königgrätz und das dort
gemeinsam vergossene Blut beschleunigt und beendet hätte. Der Verfasser dieser
Zeilen erwiderte am Morgen nach der Schlacht, am 4. Juli 1866, einem Kölner
Waffengefährten auf dessen Erstannen beim Anblick der ersten Toten des achten
Armeekorps: "Von heute ab haben wir die Rheinlande." Und so war es. Ein
Jahr zuvor hatten die rheinischen Notabeln bei Überreichung der "Dreißig-Millionen-
Adresse," so genannt, weil die Unterschriften dreißig Millionen Taler repräsentierten,
es noch wagen können, dem Ministerpräsidenten mit dem "Abfall" der unzufriednen
Rheinlande zu drohen. "Wohin wollen Sie denn fallen?" hatte Bismcirck ihnen
gleichmütig erwidert. Vergegenwärtigt man sich, daß z. B. in Aachen noch in den
sechziger Jahren beim Ausziehn der Wache der Ruf erklang: "Die Preiße komme,"
während im Elsaß eine unverkennbare Sympathie und Befreundung mit unserm
Heerwesen im Wachsen ist, so springt der Unterschied, der im Werdeprozeß gegenüber
der rheinischen Entwicklung von 1815 bis 1866 besteht, in die Augen. In welchem
Verhältnis standen die Rheinlande im Jahre 1848 zur preußischen Monarchie, und
in welchem Verhältnis stehn Elsaß und Lothringen heute zu Deutschland! Lasse
man sich nicht dadurch täuschen, daß die obern Schichten in den elsässischen Städten
in den Gasthöfen, aus den Eisenbahnen und auch in der Familie noch mit Vorliebe
"französisch parlieren," oder daß ihre ältesten Mitglieder noch an Rock und Über¬
zieher das Bändchen der Ehrenlegion tragen -- das alles sind Symptome einer
absterbenden Zeit.

Jüngst wurden zwei Vogesenfahrer "aus dem Deutschland" (die Wendung:
"er reist ins Deutschland" kann man noch oft hören) einer solchen französisch
parlierenden Tischgesellschaft in Hohwald beigesellt. Am Abend waren diese Elsttsser
hochbegeisterte Zuhörer Wagnerscher Musik mit deutschen Texten, am andern Morgen
betraten Männlein und Weiblein der Reihe nach mit dem höflichsten dialektfreien
"Guten Morgen" den Frühstückssaal, und man verkehrte mit den beiden Zugewan¬
derten aufs freundlichste in gutem Deutsch. Andre kleine Züge: ein siebzehnjähriger
Bauerbursch, Sohn wohlhabender Eltern aus der Schirmecker Gegend, diente uns
als Führer. Er erzählte mit großer Freude, daß er einen Bernhardiner "vom
Regiment in Mutzig" habe, ferner mit Stolz, daß sein älterer Bruder Koch auf
dem Kreuzer "Ariadne" sei, und daß er dieselbe Laufbahn einschlagen wolle.
Überhaupt ist der Dienst auf der Marine im Elsaß populär, es sind über
240 Elsässer auf der Flotte, zumeist freiwillig eingetreten. Im Walde am Donon
klagte ein junger Holzhauer, der durch die Volksschule des französischen Sprach¬
gebiets gegangen war, daß man auf der Schule zu wenig Deutsch lerne (!), und
daß die jungen Leute es infolgedessen anfangs schwer hätten, "wenn sie zum
Regiment kämen." Für die Volksschule ist das freilich nach dreiunddreißigjähriger
Wirksamkeit nicht sehr schmeichelhaft, dieses schlichte Wort enthält doch einen deutlichen
Fingerzeig, wo und wie die bessernde Hand anzulegen ist; man könnte sich fast
wundern, daß die Militärverwaltung so ruhig zusieht. Es ist klar, daß das System
falsch ist, und daß die Volksschule im französischen Sprachgebiet nicht auf der Höhe
ihrer Aufgabe steht. Daß die jungen Leute in den Grenzdistrikten beider Sprachen
mächtig seien, soll durchaus uicht getadelt werden, aber es müssen eben beide
Sprachen sein. Dann können wir französisch sprechende Soldaten im Westen so gut
brauchen wie russisch und polnisch sprechende im Osten. Hatten doch die polnisch
sprechenden im Feldzuge von 1866 den großen Vorzug der schnellen Verständigung
mit den Tschechen und mehr noch mit ihren Frauen und Töchtern. Das ist auch


Maßgebliches und Unmaßgebliches

1. Oktober 1879 empfing Kaiser Wilhelm der Erste in Baden-Baden den neu-
ernannten Statthalter der Reichslande, Feldmarschall von Manteuffel, und das neu-
gebildete Ministerium zur Meldung des Amtsantritts. Der Kaiser ermahnte sie
bei dieser Gelegenheit zur Geduld und Nachsicht, sie möchten nicht vergessen, daß
die Rheinlande fünfzig Jahre gebraucht hätten, preußisch zu werden. Der Monarch
hätte hinzufügen können, daß auch die fünfzig Jahre für diesen Prozeß noch nicht
ausgereicht haben würden, wenn ihn nicht die Schlacht von Königgrätz und das dort
gemeinsam vergossene Blut beschleunigt und beendet hätte. Der Verfasser dieser
Zeilen erwiderte am Morgen nach der Schlacht, am 4. Juli 1866, einem Kölner
Waffengefährten auf dessen Erstannen beim Anblick der ersten Toten des achten
Armeekorps: „Von heute ab haben wir die Rheinlande." Und so war es. Ein
Jahr zuvor hatten die rheinischen Notabeln bei Überreichung der „Dreißig-Millionen-
Adresse," so genannt, weil die Unterschriften dreißig Millionen Taler repräsentierten,
es noch wagen können, dem Ministerpräsidenten mit dem „Abfall" der unzufriednen
Rheinlande zu drohen. „Wohin wollen Sie denn fallen?" hatte Bismcirck ihnen
gleichmütig erwidert. Vergegenwärtigt man sich, daß z. B. in Aachen noch in den
sechziger Jahren beim Ausziehn der Wache der Ruf erklang: „Die Preiße komme,"
während im Elsaß eine unverkennbare Sympathie und Befreundung mit unserm
Heerwesen im Wachsen ist, so springt der Unterschied, der im Werdeprozeß gegenüber
der rheinischen Entwicklung von 1815 bis 1866 besteht, in die Augen. In welchem
Verhältnis standen die Rheinlande im Jahre 1848 zur preußischen Monarchie, und
in welchem Verhältnis stehn Elsaß und Lothringen heute zu Deutschland! Lasse
man sich nicht dadurch täuschen, daß die obern Schichten in den elsässischen Städten
in den Gasthöfen, aus den Eisenbahnen und auch in der Familie noch mit Vorliebe
„französisch parlieren," oder daß ihre ältesten Mitglieder noch an Rock und Über¬
zieher das Bändchen der Ehrenlegion tragen — das alles sind Symptome einer
absterbenden Zeit.

Jüngst wurden zwei Vogesenfahrer „aus dem Deutschland" (die Wendung:
„er reist ins Deutschland" kann man noch oft hören) einer solchen französisch
parlierenden Tischgesellschaft in Hohwald beigesellt. Am Abend waren diese Elsttsser
hochbegeisterte Zuhörer Wagnerscher Musik mit deutschen Texten, am andern Morgen
betraten Männlein und Weiblein der Reihe nach mit dem höflichsten dialektfreien
„Guten Morgen" den Frühstückssaal, und man verkehrte mit den beiden Zugewan¬
derten aufs freundlichste in gutem Deutsch. Andre kleine Züge: ein siebzehnjähriger
Bauerbursch, Sohn wohlhabender Eltern aus der Schirmecker Gegend, diente uns
als Führer. Er erzählte mit großer Freude, daß er einen Bernhardiner „vom
Regiment in Mutzig" habe, ferner mit Stolz, daß sein älterer Bruder Koch auf
dem Kreuzer „Ariadne" sei, und daß er dieselbe Laufbahn einschlagen wolle.
Überhaupt ist der Dienst auf der Marine im Elsaß populär, es sind über
240 Elsässer auf der Flotte, zumeist freiwillig eingetreten. Im Walde am Donon
klagte ein junger Holzhauer, der durch die Volksschule des französischen Sprach¬
gebiets gegangen war, daß man auf der Schule zu wenig Deutsch lerne (!), und
daß die jungen Leute es infolgedessen anfangs schwer hätten, „wenn sie zum
Regiment kämen." Für die Volksschule ist das freilich nach dreiunddreißigjähriger
Wirksamkeit nicht sehr schmeichelhaft, dieses schlichte Wort enthält doch einen deutlichen
Fingerzeig, wo und wie die bessernde Hand anzulegen ist; man könnte sich fast
wundern, daß die Militärverwaltung so ruhig zusieht. Es ist klar, daß das System
falsch ist, und daß die Volksschule im französischen Sprachgebiet nicht auf der Höhe
ihrer Aufgabe steht. Daß die jungen Leute in den Grenzdistrikten beider Sprachen
mächtig seien, soll durchaus uicht getadelt werden, aber es müssen eben beide
Sprachen sein. Dann können wir französisch sprechende Soldaten im Westen so gut
brauchen wie russisch und polnisch sprechende im Osten. Hatten doch die polnisch
sprechenden im Feldzuge von 1866 den großen Vorzug der schnellen Verständigung
mit den Tschechen und mehr noch mit ihren Frauen und Töchtern. Das ist auch


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[0060] Maßgebliches und Unmaßgebliches 1. Oktober 1879 empfing Kaiser Wilhelm der Erste in Baden-Baden den neu- ernannten Statthalter der Reichslande, Feldmarschall von Manteuffel, und das neu- gebildete Ministerium zur Meldung des Amtsantritts. Der Kaiser ermahnte sie bei dieser Gelegenheit zur Geduld und Nachsicht, sie möchten nicht vergessen, daß die Rheinlande fünfzig Jahre gebraucht hätten, preußisch zu werden. Der Monarch hätte hinzufügen können, daß auch die fünfzig Jahre für diesen Prozeß noch nicht ausgereicht haben würden, wenn ihn nicht die Schlacht von Königgrätz und das dort gemeinsam vergossene Blut beschleunigt und beendet hätte. Der Verfasser dieser Zeilen erwiderte am Morgen nach der Schlacht, am 4. Juli 1866, einem Kölner Waffengefährten auf dessen Erstannen beim Anblick der ersten Toten des achten Armeekorps: „Von heute ab haben wir die Rheinlande." Und so war es. Ein Jahr zuvor hatten die rheinischen Notabeln bei Überreichung der „Dreißig-Millionen- Adresse," so genannt, weil die Unterschriften dreißig Millionen Taler repräsentierten, es noch wagen können, dem Ministerpräsidenten mit dem „Abfall" der unzufriednen Rheinlande zu drohen. „Wohin wollen Sie denn fallen?" hatte Bismcirck ihnen gleichmütig erwidert. Vergegenwärtigt man sich, daß z. B. in Aachen noch in den sechziger Jahren beim Ausziehn der Wache der Ruf erklang: „Die Preiße komme," während im Elsaß eine unverkennbare Sympathie und Befreundung mit unserm Heerwesen im Wachsen ist, so springt der Unterschied, der im Werdeprozeß gegenüber der rheinischen Entwicklung von 1815 bis 1866 besteht, in die Augen. In welchem Verhältnis standen die Rheinlande im Jahre 1848 zur preußischen Monarchie, und in welchem Verhältnis stehn Elsaß und Lothringen heute zu Deutschland! Lasse man sich nicht dadurch täuschen, daß die obern Schichten in den elsässischen Städten in den Gasthöfen, aus den Eisenbahnen und auch in der Familie noch mit Vorliebe „französisch parlieren," oder daß ihre ältesten Mitglieder noch an Rock und Über¬ zieher das Bändchen der Ehrenlegion tragen — das alles sind Symptome einer absterbenden Zeit. Jüngst wurden zwei Vogesenfahrer „aus dem Deutschland" (die Wendung: „er reist ins Deutschland" kann man noch oft hören) einer solchen französisch parlierenden Tischgesellschaft in Hohwald beigesellt. Am Abend waren diese Elsttsser hochbegeisterte Zuhörer Wagnerscher Musik mit deutschen Texten, am andern Morgen betraten Männlein und Weiblein der Reihe nach mit dem höflichsten dialektfreien „Guten Morgen" den Frühstückssaal, und man verkehrte mit den beiden Zugewan¬ derten aufs freundlichste in gutem Deutsch. Andre kleine Züge: ein siebzehnjähriger Bauerbursch, Sohn wohlhabender Eltern aus der Schirmecker Gegend, diente uns als Führer. Er erzählte mit großer Freude, daß er einen Bernhardiner „vom Regiment in Mutzig" habe, ferner mit Stolz, daß sein älterer Bruder Koch auf dem Kreuzer „Ariadne" sei, und daß er dieselbe Laufbahn einschlagen wolle. Überhaupt ist der Dienst auf der Marine im Elsaß populär, es sind über 240 Elsässer auf der Flotte, zumeist freiwillig eingetreten. Im Walde am Donon klagte ein junger Holzhauer, der durch die Volksschule des französischen Sprach¬ gebiets gegangen war, daß man auf der Schule zu wenig Deutsch lerne (!), und daß die jungen Leute es infolgedessen anfangs schwer hätten, „wenn sie zum Regiment kämen." Für die Volksschule ist das freilich nach dreiunddreißigjähriger Wirksamkeit nicht sehr schmeichelhaft, dieses schlichte Wort enthält doch einen deutlichen Fingerzeig, wo und wie die bessernde Hand anzulegen ist; man könnte sich fast wundern, daß die Militärverwaltung so ruhig zusieht. Es ist klar, daß das System falsch ist, und daß die Volksschule im französischen Sprachgebiet nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe steht. Daß die jungen Leute in den Grenzdistrikten beider Sprachen mächtig seien, soll durchaus uicht getadelt werden, aber es müssen eben beide Sprachen sein. Dann können wir französisch sprechende Soldaten im Westen so gut brauchen wie russisch und polnisch sprechende im Osten. Hatten doch die polnisch sprechenden im Feldzuge von 1866 den großen Vorzug der schnellen Verständigung mit den Tschechen und mehr noch mit ihren Frauen und Töchtern. Das ist auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/60>, abgerufen am 23.07.2024.