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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Uonstcmtinopolitanische Reiseerlebnisse

Finsternis 179 sehr hohe Holzstufen hinauf bis zum Feuerwächtergelaß, wo wir
Pritschen, Betten und eine kleine Küche fanden. Hier blieb Dellio bei den Wächtern
zurück. Wir beiden Fremden kletterten, wiederum im Dunkeln, noch zwei Stock¬
werke höher, zuletzt auf einer steilen Hühnerstiege, und traten dann oben auf die
mäßig große Plattform des Turins. Es war da oben so windig und schwindlig,
daß sich mein Genosse nach einem kurzen Blick auf die Stadt sofort wieder zurück¬
zog. Ich selbst wollte den Sonnenuntergang abwarten, und es lohnte sich wohl,
sich hier einen Schnupfen zu holen. Anfangs zwar stand die Sonne noch hinter
Wolken. Dann aber trat sie darunter hervor, und nun erstrahlte plötzlich das
ganze Panorama vor mir in purpurnem Märchenlicht, der blaue Bosporus, Skutari
und die asiatischen Berge, das Goldne Horn, Pera, die weite Fläche des Marmara-
meers und Stambul mit feinen Kuppeln, Minarets und Palästen. Jedes Haus
kehrte mir seine Lichtseite zu, jedes Fenster reflektierte den rötlichen Glanz -- zauber¬
haft! Leider ging diese herrliche Lichterscheinung nur zu rasch vorüber. Beim
Abstieg zählte ich die Stufen, es waren 256, und nun wurde es Zeit, mit einer
Droschke nach Hause zu fahren. Denn nach Sonnenuntergang noch sich in Stambul
herumzutreiben, widerraten alle Kenner der Verhältnisse.

Wohl die meisten Fremden dringen überhaupt nicht über den Seraskerturm nach
Westen vor, sondern begnügen sich mit den Sehenswürdigkeiten des östlichen Stadt¬
teils, wo sich allerdings das Wichtigste und Schönste zusammendrängt, nämlich der
Serail, die Museen und die Sophienkirche.

Der Serail, ehemals die Residenz der Sultane, ist jetzt, seitdem der Dolma-
vagtschepnlnst am Bosporus gebant ist, der Ruhesitz der alten Sultaninnen und
Palastdiener. Wir treten durch das Kaisertor ein, durch das der Sultan zu fahren
pflegt, wenn er den Serail besucht. Es führt den Namen Babihnmajnn und pflegte
in den alten kräftigen Zeiten als besondre Zierde die Köpfe Hingerichteter Paschas
zu tragen. Haben wir dieses Tor durchschritten, so stehn wir auf einem großen gras-
bewachsnen Platze und sehen zu unsrer Linken eine uralte, im Absterben begriffne
Platane. Es ist der Baum, unter dem sich die Janitscharen bei Palastrevolutionen
zusammenrotteten und nicht eher wichen, als bis die Köpfe der mißliebigen Würden¬
träger über den Hof getragen wurden, um den ihnen gebührenden Platz am Tore
zu erhalten.

Ein Baumgang führt uns über den Hof zu dem innern Tore Orta Kapu,
d. i. "mittleres Tor." Es ist ein tiefes, zinnengekröntes, von zwei Weißen Türmen
mit schwarzen Spitzdächern flankiertes Gebäude. Hier gebietet uns der Wachtposten
Halt. Weiter kaun man nur durch diplomatische Vermittlung und eine besondre
Kabinettsorder des Sultans gelangen. Dann gilt man als dessen Gast, wird von
einem Adjutanten begleitet, mit Kaffee und Zigaretten bewirtet und auch uoch per
Boot zu den neuen Palästen am Bosporus gefahren. Leider ist die Einladung
nur sehr schwer zu erlangen, und der Scherz kostet im ganzen etwa 80 bis
100 Franken an Trinkgeldern. Wer wie wir nicht hineindarf, der kann sich
wenigstens den historischen Stein Binet-Taschi vor dem Tore betrachten, an dem
jedermann, auch die fremden Gesandten, absteigen mußten. Er mag ferner durch
die offenstehende Pforte einen Blick in den Torweg werfen, auf den die sogenannte
Henkerstube mündet. Hier ist mancher Wesir und Großwürdenträger von dem
Gipfel der höchsten Macht plötzlich in den Tod gestürzt worden. Ahnungslos
durchschritt er die äußere Pforte, um dem Sultan seinen täglichen Bericht zu er¬
statten, da schloß sich vor seinen Augen die innere. Entsetzt wendet er sich um,
aber schon ist auch die Eingangstür wieder ins Schloß gefallen, und plötzlich tritt
aus der Stube zur Seite die unheimliche, rote Gestalt mit dem blitzenden Säbel
heraus. Ein Ausmalen, und der Mächtige, vor dem vielleicht soeben noch das
weite Reich gezittert hat, ist nicht mehr.

Ist zufällig auch die Jnnenpforte dieser gefährlichen Menschenfalle geöffnet,
so können wir vielleicht einen raschen Blick in den öden zweiten Hof werfen!


Grenzboten IV l904 7g
Uonstcmtinopolitanische Reiseerlebnisse

Finsternis 179 sehr hohe Holzstufen hinauf bis zum Feuerwächtergelaß, wo wir
Pritschen, Betten und eine kleine Küche fanden. Hier blieb Dellio bei den Wächtern
zurück. Wir beiden Fremden kletterten, wiederum im Dunkeln, noch zwei Stock¬
werke höher, zuletzt auf einer steilen Hühnerstiege, und traten dann oben auf die
mäßig große Plattform des Turins. Es war da oben so windig und schwindlig,
daß sich mein Genosse nach einem kurzen Blick auf die Stadt sofort wieder zurück¬
zog. Ich selbst wollte den Sonnenuntergang abwarten, und es lohnte sich wohl,
sich hier einen Schnupfen zu holen. Anfangs zwar stand die Sonne noch hinter
Wolken. Dann aber trat sie darunter hervor, und nun erstrahlte plötzlich das
ganze Panorama vor mir in purpurnem Märchenlicht, der blaue Bosporus, Skutari
und die asiatischen Berge, das Goldne Horn, Pera, die weite Fläche des Marmara-
meers und Stambul mit feinen Kuppeln, Minarets und Palästen. Jedes Haus
kehrte mir seine Lichtseite zu, jedes Fenster reflektierte den rötlichen Glanz — zauber¬
haft! Leider ging diese herrliche Lichterscheinung nur zu rasch vorüber. Beim
Abstieg zählte ich die Stufen, es waren 256, und nun wurde es Zeit, mit einer
Droschke nach Hause zu fahren. Denn nach Sonnenuntergang noch sich in Stambul
herumzutreiben, widerraten alle Kenner der Verhältnisse.

Wohl die meisten Fremden dringen überhaupt nicht über den Seraskerturm nach
Westen vor, sondern begnügen sich mit den Sehenswürdigkeiten des östlichen Stadt¬
teils, wo sich allerdings das Wichtigste und Schönste zusammendrängt, nämlich der
Serail, die Museen und die Sophienkirche.

Der Serail, ehemals die Residenz der Sultane, ist jetzt, seitdem der Dolma-
vagtschepnlnst am Bosporus gebant ist, der Ruhesitz der alten Sultaninnen und
Palastdiener. Wir treten durch das Kaisertor ein, durch das der Sultan zu fahren
pflegt, wenn er den Serail besucht. Es führt den Namen Babihnmajnn und pflegte
in den alten kräftigen Zeiten als besondre Zierde die Köpfe Hingerichteter Paschas
zu tragen. Haben wir dieses Tor durchschritten, so stehn wir auf einem großen gras-
bewachsnen Platze und sehen zu unsrer Linken eine uralte, im Absterben begriffne
Platane. Es ist der Baum, unter dem sich die Janitscharen bei Palastrevolutionen
zusammenrotteten und nicht eher wichen, als bis die Köpfe der mißliebigen Würden¬
träger über den Hof getragen wurden, um den ihnen gebührenden Platz am Tore
zu erhalten.

Ein Baumgang führt uns über den Hof zu dem innern Tore Orta Kapu,
d. i. „mittleres Tor." Es ist ein tiefes, zinnengekröntes, von zwei Weißen Türmen
mit schwarzen Spitzdächern flankiertes Gebäude. Hier gebietet uns der Wachtposten
Halt. Weiter kaun man nur durch diplomatische Vermittlung und eine besondre
Kabinettsorder des Sultans gelangen. Dann gilt man als dessen Gast, wird von
einem Adjutanten begleitet, mit Kaffee und Zigaretten bewirtet und auch uoch per
Boot zu den neuen Palästen am Bosporus gefahren. Leider ist die Einladung
nur sehr schwer zu erlangen, und der Scherz kostet im ganzen etwa 80 bis
100 Franken an Trinkgeldern. Wer wie wir nicht hineindarf, der kann sich
wenigstens den historischen Stein Binet-Taschi vor dem Tore betrachten, an dem
jedermann, auch die fremden Gesandten, absteigen mußten. Er mag ferner durch
die offenstehende Pforte einen Blick in den Torweg werfen, auf den die sogenannte
Henkerstube mündet. Hier ist mancher Wesir und Großwürdenträger von dem
Gipfel der höchsten Macht plötzlich in den Tod gestürzt worden. Ahnungslos
durchschritt er die äußere Pforte, um dem Sultan seinen täglichen Bericht zu er¬
statten, da schloß sich vor seinen Augen die innere. Entsetzt wendet er sich um,
aber schon ist auch die Eingangstür wieder ins Schloß gefallen, und plötzlich tritt
aus der Stube zur Seite die unheimliche, rote Gestalt mit dem blitzenden Säbel
heraus. Ein Ausmalen, und der Mächtige, vor dem vielleicht soeben noch das
weite Reich gezittert hat, ist nicht mehr.

Ist zufällig auch die Jnnenpforte dieser gefährlichen Menschenfalle geöffnet,
so können wir vielleicht einen raschen Blick in den öden zweiten Hof werfen!


Grenzboten IV l904 7g
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[0579] Uonstcmtinopolitanische Reiseerlebnisse Finsternis 179 sehr hohe Holzstufen hinauf bis zum Feuerwächtergelaß, wo wir Pritschen, Betten und eine kleine Küche fanden. Hier blieb Dellio bei den Wächtern zurück. Wir beiden Fremden kletterten, wiederum im Dunkeln, noch zwei Stock¬ werke höher, zuletzt auf einer steilen Hühnerstiege, und traten dann oben auf die mäßig große Plattform des Turins. Es war da oben so windig und schwindlig, daß sich mein Genosse nach einem kurzen Blick auf die Stadt sofort wieder zurück¬ zog. Ich selbst wollte den Sonnenuntergang abwarten, und es lohnte sich wohl, sich hier einen Schnupfen zu holen. Anfangs zwar stand die Sonne noch hinter Wolken. Dann aber trat sie darunter hervor, und nun erstrahlte plötzlich das ganze Panorama vor mir in purpurnem Märchenlicht, der blaue Bosporus, Skutari und die asiatischen Berge, das Goldne Horn, Pera, die weite Fläche des Marmara- meers und Stambul mit feinen Kuppeln, Minarets und Palästen. Jedes Haus kehrte mir seine Lichtseite zu, jedes Fenster reflektierte den rötlichen Glanz — zauber¬ haft! Leider ging diese herrliche Lichterscheinung nur zu rasch vorüber. Beim Abstieg zählte ich die Stufen, es waren 256, und nun wurde es Zeit, mit einer Droschke nach Hause zu fahren. Denn nach Sonnenuntergang noch sich in Stambul herumzutreiben, widerraten alle Kenner der Verhältnisse. Wohl die meisten Fremden dringen überhaupt nicht über den Seraskerturm nach Westen vor, sondern begnügen sich mit den Sehenswürdigkeiten des östlichen Stadt¬ teils, wo sich allerdings das Wichtigste und Schönste zusammendrängt, nämlich der Serail, die Museen und die Sophienkirche. Der Serail, ehemals die Residenz der Sultane, ist jetzt, seitdem der Dolma- vagtschepnlnst am Bosporus gebant ist, der Ruhesitz der alten Sultaninnen und Palastdiener. Wir treten durch das Kaisertor ein, durch das der Sultan zu fahren pflegt, wenn er den Serail besucht. Es führt den Namen Babihnmajnn und pflegte in den alten kräftigen Zeiten als besondre Zierde die Köpfe Hingerichteter Paschas zu tragen. Haben wir dieses Tor durchschritten, so stehn wir auf einem großen gras- bewachsnen Platze und sehen zu unsrer Linken eine uralte, im Absterben begriffne Platane. Es ist der Baum, unter dem sich die Janitscharen bei Palastrevolutionen zusammenrotteten und nicht eher wichen, als bis die Köpfe der mißliebigen Würden¬ träger über den Hof getragen wurden, um den ihnen gebührenden Platz am Tore zu erhalten. Ein Baumgang führt uns über den Hof zu dem innern Tore Orta Kapu, d. i. „mittleres Tor." Es ist ein tiefes, zinnengekröntes, von zwei Weißen Türmen mit schwarzen Spitzdächern flankiertes Gebäude. Hier gebietet uns der Wachtposten Halt. Weiter kaun man nur durch diplomatische Vermittlung und eine besondre Kabinettsorder des Sultans gelangen. Dann gilt man als dessen Gast, wird von einem Adjutanten begleitet, mit Kaffee und Zigaretten bewirtet und auch uoch per Boot zu den neuen Palästen am Bosporus gefahren. Leider ist die Einladung nur sehr schwer zu erlangen, und der Scherz kostet im ganzen etwa 80 bis 100 Franken an Trinkgeldern. Wer wie wir nicht hineindarf, der kann sich wenigstens den historischen Stein Binet-Taschi vor dem Tore betrachten, an dem jedermann, auch die fremden Gesandten, absteigen mußten. Er mag ferner durch die offenstehende Pforte einen Blick in den Torweg werfen, auf den die sogenannte Henkerstube mündet. Hier ist mancher Wesir und Großwürdenträger von dem Gipfel der höchsten Macht plötzlich in den Tod gestürzt worden. Ahnungslos durchschritt er die äußere Pforte, um dem Sultan seinen täglichen Bericht zu er¬ statten, da schloß sich vor seinen Augen die innere. Entsetzt wendet er sich um, aber schon ist auch die Eingangstür wieder ins Schloß gefallen, und plötzlich tritt aus der Stube zur Seite die unheimliche, rote Gestalt mit dem blitzenden Säbel heraus. Ein Ausmalen, und der Mächtige, vor dem vielleicht soeben noch das weite Reich gezittert hat, ist nicht mehr. Ist zufällig auch die Jnnenpforte dieser gefährlichen Menschenfalle geöffnet, so können wir vielleicht einen raschen Blick in den öden zweiten Hof werfen! Grenzboten IV l904 7g

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/579>, abgerufen am 23.07.2024.