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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

handelt, die gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände recht billig erstehn. Ich kaufte hier
für meine Angehörigen für wenig Geld allerhand türkische Kleinigkeiten mit dem
Namenszug des Sultans, die zuHaufe viel Freude erregten und sehr überschätzt wurden.
Vieles, was es in diesem Basar zu kaufen gibt, soll übrigens waäv in KsrinM^ sein.

Vom Basar aus besuchten wir auch noch die größte und schönste der Karawan¬
sereien oder Haue, die es in Stambul gibt, den Validehan. Es ist ein von Häusern
umgebner Hof, an dessen Innenseiten drei Galerien, ähnlich den Kreuzgängen, über¬
einander hinlaufen. Auf diese münden die Kondore und Warenlager der Hunderte
von Kaufleuten, die hier ihre Niederlagen haben. Unendliche Säcke, Kisten, Ballen
lagern auf dem Hof, und zahlreiche Arbeiter und Träger arbeiten hier bis zum
Abendgebet ununterbrochen, aber mit einer Ruhe und Würde, daß mau in einem
Kloster zu sein glaubt.

Von diesem Han gingen wir dann noch einmal quer durch den Basar zurück,
um an die Pferdebahn zu gelangen. Dabei statteten wir der am Basar liegenden
Bajesidmoschee einen kurzen Besuch ab, oder vielmehr uur ihrem Vorhof. Dieser
ist mit seinen schwarz-weißen Bogenarkaden, seinen Stalaktitsäulen, seinen Kuppel¬
hallen schon an sich ein Meisterstück orientalischer Baukunst, wird aber noch an¬
ziehender durch den permanenten Markt, der in ihm abgehalten wird, und das
bunte Volkstreiben, das sich dabei entwickelt. Außerdem werden durch ein Ver¬
mächtnis des Erbauers, des Sultans Bajesid des Zweiten, Sohnes des Eroberers,
hier Truhen in großer Zahl gehalten. Man kann den hübschen schwarzblauen
Tieren Futter streuen lassen, dann stürzen sie eilends vom Dache der Moschee, aus
den Kuppeln der Arkaden, von allen Säulen und aus den Zweigen der im Hofe
wachsenden Platanen herbei und umschwirren einen in dichten Massen, sodaß man
förmlich schwindlig wird. Der Markusplatz in Venedig mit seinen vielgeschilderten
Tauben kann nicht entfernt gegen diese "Tcmbenmvschee" aufkommen, schon des¬
wegen nicht, weil sich auf ihm die fliegenden Geschwader viel weiter verteilen.
Auch hier ist die Ähnlichkeit mit Jerusalem sehr frappant: Wechsler, Händler und
Tnubenkrämer im Vorhofe des Gotteshauses! Der Orient ist eben in jeder, be¬
sonders aber in religiöser Beziehung konservativ.

Dies war eine Vormittagswanderung gewesen. Nun ein Nnchmittagsspnzier-
gang. Wir landeten, von Ejub kommend, am Gemüsemarkt, dem Jenischbasnr.
Diesesmal hatten wir unsern Führer Dellio bei uns und hätten es ohne ihn wohl
auch schwer gehabt, durchzukommen. Denn hier am Wasser herrschte sehr im Gegen¬
satz zu den Stadtteilen auf der Höhe ein schauderhaftes Gedränge und Gefeilsche.
Händler, Buden, Körbe, Säcke, Volksmassen. Lastträger, Gassenjungen, Vieh
wimmelte in gewundnen engen Gassen herum, daß einem Hören und Sehen ver¬
ging. Es stank nach Fischen, Lämmern, Blut. Drogen und Abfällen aller Art.
Unser Albauese wußte trotz dem Gedränge so gewandt vorwärts zu kommen, daß
wir öfter, durch die Menschenmenge von ihm getrennt, hinter ihm zurückblieben.
Auch sahen wir keine einzige europäische Kopfbedeckung, und mancher herausfordernde
Blick streifte unsre Hüte. Ein Bengel stellte sich sogar vor mich hin und zeigte
hohnlachend auf meinen hübschen Filzdeckel. Hier war nicht gut allein sein.

Gleich darauf schloß sich ein anständig gekleideter Mensch wie eine Klette an
mich an, begann in leidlichem Deutsch eine Unterhaltung und ruhte nicht eher, als
bis er unser Woher, Wohin und Wozu heraus hatte. Dellio, der sich nach uns
umschaute, sagte nachher, es sei ein Geheimpolizist gewesen, von denen es in Kon¬
stantinopel geradezu wimmle. Überhaupt war erstaunlich, wie unser Dellio in diesem
Völkergemisch jedem gleich an der Nase ansah, was für ein Mensch er war, ob
Grieche, Jude, Armenier, Kreter, Negromontiner oder gar ein Bucharer aus Inner-
asien, der von Mekka kam.

Durch das Gewirr der engen Gassen aufwärts steigend gelangten wir zu der
großen Suleimanmoschee. Ans dem mit Zypressen und Platanen bewachsnen Vor¬
platze exerzierten gut aussehende Soldaten, etwas langsam und schwerfällig und


Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

handelt, die gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände recht billig erstehn. Ich kaufte hier
für meine Angehörigen für wenig Geld allerhand türkische Kleinigkeiten mit dem
Namenszug des Sultans, die zuHaufe viel Freude erregten und sehr überschätzt wurden.
Vieles, was es in diesem Basar zu kaufen gibt, soll übrigens waäv in KsrinM^ sein.

Vom Basar aus besuchten wir auch noch die größte und schönste der Karawan¬
sereien oder Haue, die es in Stambul gibt, den Validehan. Es ist ein von Häusern
umgebner Hof, an dessen Innenseiten drei Galerien, ähnlich den Kreuzgängen, über¬
einander hinlaufen. Auf diese münden die Kondore und Warenlager der Hunderte
von Kaufleuten, die hier ihre Niederlagen haben. Unendliche Säcke, Kisten, Ballen
lagern auf dem Hof, und zahlreiche Arbeiter und Träger arbeiten hier bis zum
Abendgebet ununterbrochen, aber mit einer Ruhe und Würde, daß mau in einem
Kloster zu sein glaubt.

Von diesem Han gingen wir dann noch einmal quer durch den Basar zurück,
um an die Pferdebahn zu gelangen. Dabei statteten wir der am Basar liegenden
Bajesidmoschee einen kurzen Besuch ab, oder vielmehr uur ihrem Vorhof. Dieser
ist mit seinen schwarz-weißen Bogenarkaden, seinen Stalaktitsäulen, seinen Kuppel¬
hallen schon an sich ein Meisterstück orientalischer Baukunst, wird aber noch an¬
ziehender durch den permanenten Markt, der in ihm abgehalten wird, und das
bunte Volkstreiben, das sich dabei entwickelt. Außerdem werden durch ein Ver¬
mächtnis des Erbauers, des Sultans Bajesid des Zweiten, Sohnes des Eroberers,
hier Truhen in großer Zahl gehalten. Man kann den hübschen schwarzblauen
Tieren Futter streuen lassen, dann stürzen sie eilends vom Dache der Moschee, aus
den Kuppeln der Arkaden, von allen Säulen und aus den Zweigen der im Hofe
wachsenden Platanen herbei und umschwirren einen in dichten Massen, sodaß man
förmlich schwindlig wird. Der Markusplatz in Venedig mit seinen vielgeschilderten
Tauben kann nicht entfernt gegen diese „Tcmbenmvschee" aufkommen, schon des¬
wegen nicht, weil sich auf ihm die fliegenden Geschwader viel weiter verteilen.
Auch hier ist die Ähnlichkeit mit Jerusalem sehr frappant: Wechsler, Händler und
Tnubenkrämer im Vorhofe des Gotteshauses! Der Orient ist eben in jeder, be¬
sonders aber in religiöser Beziehung konservativ.

Dies war eine Vormittagswanderung gewesen. Nun ein Nnchmittagsspnzier-
gang. Wir landeten, von Ejub kommend, am Gemüsemarkt, dem Jenischbasnr.
Diesesmal hatten wir unsern Führer Dellio bei uns und hätten es ohne ihn wohl
auch schwer gehabt, durchzukommen. Denn hier am Wasser herrschte sehr im Gegen¬
satz zu den Stadtteilen auf der Höhe ein schauderhaftes Gedränge und Gefeilsche.
Händler, Buden, Körbe, Säcke, Volksmassen. Lastträger, Gassenjungen, Vieh
wimmelte in gewundnen engen Gassen herum, daß einem Hören und Sehen ver¬
ging. Es stank nach Fischen, Lämmern, Blut. Drogen und Abfällen aller Art.
Unser Albauese wußte trotz dem Gedränge so gewandt vorwärts zu kommen, daß
wir öfter, durch die Menschenmenge von ihm getrennt, hinter ihm zurückblieben.
Auch sahen wir keine einzige europäische Kopfbedeckung, und mancher herausfordernde
Blick streifte unsre Hüte. Ein Bengel stellte sich sogar vor mich hin und zeigte
hohnlachend auf meinen hübschen Filzdeckel. Hier war nicht gut allein sein.

Gleich darauf schloß sich ein anständig gekleideter Mensch wie eine Klette an
mich an, begann in leidlichem Deutsch eine Unterhaltung und ruhte nicht eher, als
bis er unser Woher, Wohin und Wozu heraus hatte. Dellio, der sich nach uns
umschaute, sagte nachher, es sei ein Geheimpolizist gewesen, von denen es in Kon¬
stantinopel geradezu wimmle. Überhaupt war erstaunlich, wie unser Dellio in diesem
Völkergemisch jedem gleich an der Nase ansah, was für ein Mensch er war, ob
Grieche, Jude, Armenier, Kreter, Negromontiner oder gar ein Bucharer aus Inner-
asien, der von Mekka kam.

Durch das Gewirr der engen Gassen aufwärts steigend gelangten wir zu der
großen Suleimanmoschee. Ans dem mit Zypressen und Platanen bewachsnen Vor¬
platze exerzierten gut aussehende Soldaten, etwas langsam und schwerfällig und


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[0577] Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse handelt, die gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände recht billig erstehn. Ich kaufte hier für meine Angehörigen für wenig Geld allerhand türkische Kleinigkeiten mit dem Namenszug des Sultans, die zuHaufe viel Freude erregten und sehr überschätzt wurden. Vieles, was es in diesem Basar zu kaufen gibt, soll übrigens waäv in KsrinM^ sein. Vom Basar aus besuchten wir auch noch die größte und schönste der Karawan¬ sereien oder Haue, die es in Stambul gibt, den Validehan. Es ist ein von Häusern umgebner Hof, an dessen Innenseiten drei Galerien, ähnlich den Kreuzgängen, über¬ einander hinlaufen. Auf diese münden die Kondore und Warenlager der Hunderte von Kaufleuten, die hier ihre Niederlagen haben. Unendliche Säcke, Kisten, Ballen lagern auf dem Hof, und zahlreiche Arbeiter und Träger arbeiten hier bis zum Abendgebet ununterbrochen, aber mit einer Ruhe und Würde, daß mau in einem Kloster zu sein glaubt. Von diesem Han gingen wir dann noch einmal quer durch den Basar zurück, um an die Pferdebahn zu gelangen. Dabei statteten wir der am Basar liegenden Bajesidmoschee einen kurzen Besuch ab, oder vielmehr uur ihrem Vorhof. Dieser ist mit seinen schwarz-weißen Bogenarkaden, seinen Stalaktitsäulen, seinen Kuppel¬ hallen schon an sich ein Meisterstück orientalischer Baukunst, wird aber noch an¬ ziehender durch den permanenten Markt, der in ihm abgehalten wird, und das bunte Volkstreiben, das sich dabei entwickelt. Außerdem werden durch ein Ver¬ mächtnis des Erbauers, des Sultans Bajesid des Zweiten, Sohnes des Eroberers, hier Truhen in großer Zahl gehalten. Man kann den hübschen schwarzblauen Tieren Futter streuen lassen, dann stürzen sie eilends vom Dache der Moschee, aus den Kuppeln der Arkaden, von allen Säulen und aus den Zweigen der im Hofe wachsenden Platanen herbei und umschwirren einen in dichten Massen, sodaß man förmlich schwindlig wird. Der Markusplatz in Venedig mit seinen vielgeschilderten Tauben kann nicht entfernt gegen diese „Tcmbenmvschee" aufkommen, schon des¬ wegen nicht, weil sich auf ihm die fliegenden Geschwader viel weiter verteilen. Auch hier ist die Ähnlichkeit mit Jerusalem sehr frappant: Wechsler, Händler und Tnubenkrämer im Vorhofe des Gotteshauses! Der Orient ist eben in jeder, be¬ sonders aber in religiöser Beziehung konservativ. Dies war eine Vormittagswanderung gewesen. Nun ein Nnchmittagsspnzier- gang. Wir landeten, von Ejub kommend, am Gemüsemarkt, dem Jenischbasnr. Diesesmal hatten wir unsern Führer Dellio bei uns und hätten es ohne ihn wohl auch schwer gehabt, durchzukommen. Denn hier am Wasser herrschte sehr im Gegen¬ satz zu den Stadtteilen auf der Höhe ein schauderhaftes Gedränge und Gefeilsche. Händler, Buden, Körbe, Säcke, Volksmassen. Lastträger, Gassenjungen, Vieh wimmelte in gewundnen engen Gassen herum, daß einem Hören und Sehen ver¬ ging. Es stank nach Fischen, Lämmern, Blut. Drogen und Abfällen aller Art. Unser Albauese wußte trotz dem Gedränge so gewandt vorwärts zu kommen, daß wir öfter, durch die Menschenmenge von ihm getrennt, hinter ihm zurückblieben. Auch sahen wir keine einzige europäische Kopfbedeckung, und mancher herausfordernde Blick streifte unsre Hüte. Ein Bengel stellte sich sogar vor mich hin und zeigte hohnlachend auf meinen hübschen Filzdeckel. Hier war nicht gut allein sein. Gleich darauf schloß sich ein anständig gekleideter Mensch wie eine Klette an mich an, begann in leidlichem Deutsch eine Unterhaltung und ruhte nicht eher, als bis er unser Woher, Wohin und Wozu heraus hatte. Dellio, der sich nach uns umschaute, sagte nachher, es sei ein Geheimpolizist gewesen, von denen es in Kon¬ stantinopel geradezu wimmle. Überhaupt war erstaunlich, wie unser Dellio in diesem Völkergemisch jedem gleich an der Nase ansah, was für ein Mensch er war, ob Grieche, Jude, Armenier, Kreter, Negromontiner oder gar ein Bucharer aus Inner- asien, der von Mekka kam. Durch das Gewirr der engen Gassen aufwärts steigend gelangten wir zu der großen Suleimanmoschee. Ans dem mit Zypressen und Platanen bewachsnen Vor¬ platze exerzierten gut aussehende Soldaten, etwas langsam und schwerfällig und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/577>, abgerufen am 23.07.2024.