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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ein Förderer deutscher Macht und Einheit sein sollte, ist wenig übrig geblieben.
Statt in eine wirkliche politische Freiheit wachsen wir mehr und mehr in die
Fesseln und die Sklavenketten der Sozialdemokratie hinein; die steigende Flut der
Sozialdemokratie findet nicht wie bei einem gut geführten Schiff "die Schotten
dicht," sondern bequem geöffnet. Die dem Reiche abgewandten Parteien lahmen
durch den konsequenten Mißbrauch der Verfassung den sonst so kräftig vorwärts
treibenden Gang der Reichsmaschine, eine Unsumme bester Kraft wird ergebnislos
verbraucht für Dinge, die sich eigentlich von selbst verstehn sollten, das Unkraut
überwuchert den Weizen. Einst galt der Reichstag als ein Palladium gegen
engherzige partikulartstische Fürstenmacht, heute haben die deutschen Fürsten sich dem
Reichstage in freudiger Hingebung an den Gesnmtbegriff unsrer Nationalinteressen,
in der Förderung und der Pflege des Reichsgedankens und der Reichsmacht, längst
weit überlegen erwiesen. Das hat Bismarck schon vor zehn Jahren öffentlich
anerkannt, seitdem sind wir auf diesem Wege immer weiter geschritten. Die Voraus¬
setzungen, auf denen einst der Reichstag, seine Machtbefugnis und seine Zusammen¬
setzung begründet wurden, daß er die schaffende, treibende und zugleich schützende
Kraft unsrer Einheit, des nationalen Ausbaues sein sollte, sind seit langem ent¬
täuscht worden und nicht mehr zutreffend. Um so weniger kann es dem natio¬
nalen Interesse entsprechen, einer Institution, die in der Erfüllung der ihr bei der
Errichtung des Reiches zugewiesnen Aufgabe immer unzuverlässiger wird, eine
weitere materielle Stärkung zuzuführen, die weit überwiegend den dem Reiche ab¬
gewandten oder feindlichen Parteien zugute kommen und von diesen mißbraucht
werden würde. Man muß sich nur die Summe von Arbeit vergegenwärtigen, die
alljährlich in den Reichsressorts sowie in den Ministerien der Einzelstaaten für die
Vorbereitung der parlamentarischen Arbeit des Reichstags geleistet werden muß, und
Wie gering meist die Frucht ist, die von dieser Aussaat dem dürren parlamen¬
tarischen Boden entsprießt.

Die Hoffnung, daß es in der neuen Arbeitsperiode besser werde, ist gering;
es wäre denn, daß ein kräftiger Anstoß von außen käme, der die Nation und ihre
Vertreter zwänge, sich auf sich selbst zu besinnen. Eine fremde Macht, die uns
den Krieg erklärte, würde vielleicht Wider Willen und Erwarten unsre größte
Wohltäterin. Der deutsche Michel braucht eben von Zeit zu Zeit einen kräftigen
Puff in die Rippen, wenn er sich den Schlaf aus den Angen reiben und sich seines
Daseinszwecks wieder bewußt werden soll.

Nach der Sprache einiger englischer Blätter zu urteilen, wäre England nicht
abgeneigt, uns eine solche Wohltat zu erweisen, und eine neuere Kundgebung des
Pariser Gemeinderath läßt erkennen, daß und welche Leute in Europa bereit
wären, den Engländern dabei zu helfen. Aber die "drohende Gestaltung der
Druckerschwärze" in der ^rw^ g,un Uav^ ^/veto sowie in einigen andern englischen
Zeitungen entspricht durchaus nicht den Auffassungen und Absichten der britischen
Regierung. Diese ist sich darüber klar, daß auch mit einer Vernichtung der deutschen
Schlachtflotte -- eine auch für den Sieger immerhin etwas kostspielige Unter¬
nehmung -- sowie mit der Unterbindung des deutschen Seehandels und der
deutschen Schiffahrt wohl die militärische Aktionsfähigkeit Großbritanniens, aber
nicht der Krieg zu Ende wäre. Eine englische Armee, die außerhalb der Trag¬
weite der Geschütze ihrer Flotte den deutschen Boden betreten wollte, dürfte einen
recht schwierigen Stand haben und wegen ihrer Wiedereinschiffnng leicht in Ver¬
legenheit kommen. Hierfür haben unser Generalstab und Admiralstab sicherlich gesorgt.
Nun darf mau aber in England nicht glauben, daß die Verdrängung der Deutschen
vom Meere allein den Engländern zugute kommen werde. Wie weit die Ameri¬
kaner sich die Störung ihrer Handelsbeziehungen gefallen lassen würden, kann hier
unerörtert bleiben, jedenfalls würden sie dafür sorgen, daß nicht der englische Handel,
sondern der amerikanische an die Stelle des deutschen träte. In Ostasien würde es
vielleicht der japanische sein, der sich mit Amerika in das Vakuum teilte, das durch
das Ausbleiben des deutschen Imports entstehn würde. England dürfte mithin nach


Maßgebliches und Unmaßgebliches

ein Förderer deutscher Macht und Einheit sein sollte, ist wenig übrig geblieben.
Statt in eine wirkliche politische Freiheit wachsen wir mehr und mehr in die
Fesseln und die Sklavenketten der Sozialdemokratie hinein; die steigende Flut der
Sozialdemokratie findet nicht wie bei einem gut geführten Schiff „die Schotten
dicht," sondern bequem geöffnet. Die dem Reiche abgewandten Parteien lahmen
durch den konsequenten Mißbrauch der Verfassung den sonst so kräftig vorwärts
treibenden Gang der Reichsmaschine, eine Unsumme bester Kraft wird ergebnislos
verbraucht für Dinge, die sich eigentlich von selbst verstehn sollten, das Unkraut
überwuchert den Weizen. Einst galt der Reichstag als ein Palladium gegen
engherzige partikulartstische Fürstenmacht, heute haben die deutschen Fürsten sich dem
Reichstage in freudiger Hingebung an den Gesnmtbegriff unsrer Nationalinteressen,
in der Förderung und der Pflege des Reichsgedankens und der Reichsmacht, längst
weit überlegen erwiesen. Das hat Bismarck schon vor zehn Jahren öffentlich
anerkannt, seitdem sind wir auf diesem Wege immer weiter geschritten. Die Voraus¬
setzungen, auf denen einst der Reichstag, seine Machtbefugnis und seine Zusammen¬
setzung begründet wurden, daß er die schaffende, treibende und zugleich schützende
Kraft unsrer Einheit, des nationalen Ausbaues sein sollte, sind seit langem ent¬
täuscht worden und nicht mehr zutreffend. Um so weniger kann es dem natio¬
nalen Interesse entsprechen, einer Institution, die in der Erfüllung der ihr bei der
Errichtung des Reiches zugewiesnen Aufgabe immer unzuverlässiger wird, eine
weitere materielle Stärkung zuzuführen, die weit überwiegend den dem Reiche ab¬
gewandten oder feindlichen Parteien zugute kommen und von diesen mißbraucht
werden würde. Man muß sich nur die Summe von Arbeit vergegenwärtigen, die
alljährlich in den Reichsressorts sowie in den Ministerien der Einzelstaaten für die
Vorbereitung der parlamentarischen Arbeit des Reichstags geleistet werden muß, und
Wie gering meist die Frucht ist, die von dieser Aussaat dem dürren parlamen¬
tarischen Boden entsprießt.

Die Hoffnung, daß es in der neuen Arbeitsperiode besser werde, ist gering;
es wäre denn, daß ein kräftiger Anstoß von außen käme, der die Nation und ihre
Vertreter zwänge, sich auf sich selbst zu besinnen. Eine fremde Macht, die uns
den Krieg erklärte, würde vielleicht Wider Willen und Erwarten unsre größte
Wohltäterin. Der deutsche Michel braucht eben von Zeit zu Zeit einen kräftigen
Puff in die Rippen, wenn er sich den Schlaf aus den Angen reiben und sich seines
Daseinszwecks wieder bewußt werden soll.

Nach der Sprache einiger englischer Blätter zu urteilen, wäre England nicht
abgeneigt, uns eine solche Wohltat zu erweisen, und eine neuere Kundgebung des
Pariser Gemeinderath läßt erkennen, daß und welche Leute in Europa bereit
wären, den Engländern dabei zu helfen. Aber die „drohende Gestaltung der
Druckerschwärze" in der ^rw^ g,un Uav^ ^/veto sowie in einigen andern englischen
Zeitungen entspricht durchaus nicht den Auffassungen und Absichten der britischen
Regierung. Diese ist sich darüber klar, daß auch mit einer Vernichtung der deutschen
Schlachtflotte — eine auch für den Sieger immerhin etwas kostspielige Unter¬
nehmung — sowie mit der Unterbindung des deutschen Seehandels und der
deutschen Schiffahrt wohl die militärische Aktionsfähigkeit Großbritanniens, aber
nicht der Krieg zu Ende wäre. Eine englische Armee, die außerhalb der Trag¬
weite der Geschütze ihrer Flotte den deutschen Boden betreten wollte, dürfte einen
recht schwierigen Stand haben und wegen ihrer Wiedereinschiffnng leicht in Ver¬
legenheit kommen. Hierfür haben unser Generalstab und Admiralstab sicherlich gesorgt.
Nun darf mau aber in England nicht glauben, daß die Verdrängung der Deutschen
vom Meere allein den Engländern zugute kommen werde. Wie weit die Ameri¬
kaner sich die Störung ihrer Handelsbeziehungen gefallen lassen würden, kann hier
unerörtert bleiben, jedenfalls würden sie dafür sorgen, daß nicht der englische Handel,
sondern der amerikanische an die Stelle des deutschen träte. In Ostasien würde es
vielleicht der japanische sein, der sich mit Amerika in das Vakuum teilte, das durch
das Ausbleiben des deutschen Imports entstehn würde. England dürfte mithin nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/534>, abgerufen am 23.07.2024.