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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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von alten Büchern

Ich will diese Muthmassung zwar niemanden aufdringen; das glaube ich
über gantz gewiß, daß der Philipp! der ietzo zu Göttingen zu sehen seyn soll,
nicht der rechte Philippi sondern sein Gespenst und also weit geschickter ist, meine
Nachricht von dem Tode des Herrn Prof. Philippi zu bestcircken als verdächtig zu
machen.

Hat jemand hieran noch einigen Zweifel, der warte nur noch eine kleine
Zeit, so wird sichs weisen, ob dieses, in der Gestalt des Herrn Prof. Philippi zu
Göttingen umhergehende Gespenst nicht Plötzlich verschwinden und einen Gestank
hinter sich lassen wird.'


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M aus Is <üivl PM' bouts
Ooinbls as jszw se alö Sö.mes'
Volks Äötunw Lsignsuris!

(Nolisrs.)


Man hat Liscow mit Lessing verglichen. An freiem, unbefangnen Humor
stellt ihn Julian Schmidt weit über Lessing.

Als Stilist kann Liscow den Vergleich wohl aushalten. Sein Stil ist
von schöner Einfachheit, lebhaft und ungezwungen, frei von der ärmlichen
Pedanterie und mühsamen Gespreiztheit seiner Zeit. Lessings Schreibart,
diese Vereinigung von durchsichtiger Klarheit und edelm Feuer, diese lebendige,
unmittelbare Zwiesprache mit dem Leser gehört ihm und ihm allein. Aber
auch bei Liscow hat man oft den Eindruck gcsprochner Rede, und seine
Schriften enthalten viele Parallelstellen zu Lessingschen Aussprüchen.

Von besonderm Interesse für Freunde Lessings ist Liscows "Unpartheyische
Untersuchung." In dieser Schrift hat Liscow seine Grundsätze über die
Rechte und die Schranken der Kritik niedergelegt, er hat Regeln gegeben,
"nach welchen sich ein Gelehrter in seinem Straf-Amt zu richten," und diese
Regeln stimmen überein mit den Stufen der "Tonleiter," die Lessing für den
Kunstrichter aufgestellt hat: Gelinde und schmeichelnd gegen den Anfänger,
abschreckend und positiv gegen den Stümper, höhnisch gegen den Prahler und
so bitter als möglich gegen den Kabalenmacher. (Antiqu. Brfe.) Den schönsten
Ton in dieser Skala -- "mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel bewundernd
gegen den Meister" -- hat Liscow freilich kaum einmal angeschlagen. Der
Satiriker hat in ihm die Oberhand über den Kritiker. Seine Kritik ist immer
polemisch, Lessings Polemik ist immer kritisch.

Lessing stellt seine ganze Persönlichkeit, sein Wissen, die kühne Kraft seiner
Rede in den Dienst der Kritik. Ihm gilt es immer und allein um die
Wahrheit. Auch wenn sein Stil "die ungewöhnlichsten Cascaden macht" und
"mutwillig mit der Materie spielt," so dient doch jedes Wort, jeder Vergleich
nur der Sache, und all das leichte Federspiel, die "ägyptischen Grillen und
chinesischen Fratzenhäuserchen," fügen sich zum schönen klaren Bild, an dem
kein Strich fehlen dürfte. Die Kritik ist für ihn "eine Kunst und eine
Wissenschaft." Seine polemischen Briefe, die sich so ungezwungen lesen, geben
in ihrem vollendeten Aufbau seinen Dramen nichts nach. Alles strebt auf
das Eine hin, worauf es ankommt, organisch und unfehlbar drängt alles von


von alten Büchern

Ich will diese Muthmassung zwar niemanden aufdringen; das glaube ich
über gantz gewiß, daß der Philipp! der ietzo zu Göttingen zu sehen seyn soll,
nicht der rechte Philippi sondern sein Gespenst und also weit geschickter ist, meine
Nachricht von dem Tode des Herrn Prof. Philippi zu bestcircken als verdächtig zu
machen.

Hat jemand hieran noch einigen Zweifel, der warte nur noch eine kleine
Zeit, so wird sichs weisen, ob dieses, in der Gestalt des Herrn Prof. Philippi zu
Göttingen umhergehende Gespenst nicht Plötzlich verschwinden und einen Gestank
hinter sich lassen wird.'


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Volks Äötunw Lsignsuris!

(Nolisrs.)


Man hat Liscow mit Lessing verglichen. An freiem, unbefangnen Humor
stellt ihn Julian Schmidt weit über Lessing.

Als Stilist kann Liscow den Vergleich wohl aushalten. Sein Stil ist
von schöner Einfachheit, lebhaft und ungezwungen, frei von der ärmlichen
Pedanterie und mühsamen Gespreiztheit seiner Zeit. Lessings Schreibart,
diese Vereinigung von durchsichtiger Klarheit und edelm Feuer, diese lebendige,
unmittelbare Zwiesprache mit dem Leser gehört ihm und ihm allein. Aber
auch bei Liscow hat man oft den Eindruck gcsprochner Rede, und seine
Schriften enthalten viele Parallelstellen zu Lessingschen Aussprüchen.

Von besonderm Interesse für Freunde Lessings ist Liscows „Unpartheyische
Untersuchung." In dieser Schrift hat Liscow seine Grundsätze über die
Rechte und die Schranken der Kritik niedergelegt, er hat Regeln gegeben,
„nach welchen sich ein Gelehrter in seinem Straf-Amt zu richten," und diese
Regeln stimmen überein mit den Stufen der „Tonleiter," die Lessing für den
Kunstrichter aufgestellt hat: Gelinde und schmeichelnd gegen den Anfänger,
abschreckend und positiv gegen den Stümper, höhnisch gegen den Prahler und
so bitter als möglich gegen den Kabalenmacher. (Antiqu. Brfe.) Den schönsten
Ton in dieser Skala — „mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel bewundernd
gegen den Meister" — hat Liscow freilich kaum einmal angeschlagen. Der
Satiriker hat in ihm die Oberhand über den Kritiker. Seine Kritik ist immer
polemisch, Lessings Polemik ist immer kritisch.

Lessing stellt seine ganze Persönlichkeit, sein Wissen, die kühne Kraft seiner
Rede in den Dienst der Kritik. Ihm gilt es immer und allein um die
Wahrheit. Auch wenn sein Stil „die ungewöhnlichsten Cascaden macht" und
„mutwillig mit der Materie spielt," so dient doch jedes Wort, jeder Vergleich
nur der Sache, und all das leichte Federspiel, die „ägyptischen Grillen und
chinesischen Fratzenhäuserchen," fügen sich zum schönen klaren Bild, an dem
kein Strich fehlen dürfte. Die Kritik ist für ihn „eine Kunst und eine
Wissenschaft." Seine polemischen Briefe, die sich so ungezwungen lesen, geben
in ihrem vollendeten Aufbau seinen Dramen nichts nach. Alles strebt auf
das Eine hin, worauf es ankommt, organisch und unfehlbar drängt alles von


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[0510] von alten Büchern Ich will diese Muthmassung zwar niemanden aufdringen; das glaube ich über gantz gewiß, daß der Philipp! der ietzo zu Göttingen zu sehen seyn soll, nicht der rechte Philippi sondern sein Gespenst und also weit geschickter ist, meine Nachricht von dem Tode des Herrn Prof. Philippi zu bestcircken als verdächtig zu machen. Hat jemand hieran noch einigen Zweifel, der warte nur noch eine kleine Zeit, so wird sichs weisen, ob dieses, in der Gestalt des Herrn Prof. Philippi zu Göttingen umhergehende Gespenst nicht Plötzlich verschwinden und einen Gestank hinter sich lassen wird.' l)>!Pi>,iÄiWc!ii <1vno, ,js VUUL 1>ris, M aus Is <üivl PM' bouts Ooinbls as jszw se alö Sö.mes' Volks Äötunw Lsignsuris! (Nolisrs.) Man hat Liscow mit Lessing verglichen. An freiem, unbefangnen Humor stellt ihn Julian Schmidt weit über Lessing. Als Stilist kann Liscow den Vergleich wohl aushalten. Sein Stil ist von schöner Einfachheit, lebhaft und ungezwungen, frei von der ärmlichen Pedanterie und mühsamen Gespreiztheit seiner Zeit. Lessings Schreibart, diese Vereinigung von durchsichtiger Klarheit und edelm Feuer, diese lebendige, unmittelbare Zwiesprache mit dem Leser gehört ihm und ihm allein. Aber auch bei Liscow hat man oft den Eindruck gcsprochner Rede, und seine Schriften enthalten viele Parallelstellen zu Lessingschen Aussprüchen. Von besonderm Interesse für Freunde Lessings ist Liscows „Unpartheyische Untersuchung." In dieser Schrift hat Liscow seine Grundsätze über die Rechte und die Schranken der Kritik niedergelegt, er hat Regeln gegeben, „nach welchen sich ein Gelehrter in seinem Straf-Amt zu richten," und diese Regeln stimmen überein mit den Stufen der „Tonleiter," die Lessing für den Kunstrichter aufgestellt hat: Gelinde und schmeichelnd gegen den Anfänger, abschreckend und positiv gegen den Stümper, höhnisch gegen den Prahler und so bitter als möglich gegen den Kabalenmacher. (Antiqu. Brfe.) Den schönsten Ton in dieser Skala — „mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel bewundernd gegen den Meister" — hat Liscow freilich kaum einmal angeschlagen. Der Satiriker hat in ihm die Oberhand über den Kritiker. Seine Kritik ist immer polemisch, Lessings Polemik ist immer kritisch. Lessing stellt seine ganze Persönlichkeit, sein Wissen, die kühne Kraft seiner Rede in den Dienst der Kritik. Ihm gilt es immer und allein um die Wahrheit. Auch wenn sein Stil „die ungewöhnlichsten Cascaden macht" und „mutwillig mit der Materie spielt," so dient doch jedes Wort, jeder Vergleich nur der Sache, und all das leichte Federspiel, die „ägyptischen Grillen und chinesischen Fratzenhäuserchen," fügen sich zum schönen klaren Bild, an dem kein Strich fehlen dürfte. Die Kritik ist für ihn „eine Kunst und eine Wissenschaft." Seine polemischen Briefe, die sich so ungezwungen lesen, geben in ihrem vollendeten Aufbau seinen Dramen nichts nach. Alles strebt auf das Eine hin, worauf es ankommt, organisch und unfehlbar drängt alles von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/510>, abgerufen am 23.07.2024.