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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Volkes die Resonanz und der Erfolg fehlten: in Madrid machten einander
fünfzig Autoren ein winziges Publikum streitig, selbstverständlich nicht immer
mit schönen Mitteln.

Die Mönche haben also Spanien in der Unwissenheit erhalten. Muß
man daraus schließen, daß sie es wehrlos gemacht hätten? fragt Desdevises
und antwortet: durchaus nicht! Wir haben eine dahin gehende Äußerung
Napoleons mitgeteilt. Ähnlich äußerte er sich im Gespräch mit Escoiquiz,
dem Erzieher des Infanten Ferdinand. "Der Widerstand der Spanier kann
mir nicht furchtbar werden. Die Großen und die Reichen, die durch Auf¬
lehnung ihr Vermögen aufs Spiel setzen würden, werden das Volk beruhigen.
Den Klerus und die Mönche werde ich für jede Unordnung verantwortlich
machen. Sie werden demnach ihren ganzen Einfluß aufbieten, die Ordnung
aufrecht zu erhalten. Der Pöbel mag es hie und da mit Revolten versuchen,
aber strenge Züchtigung wird ihn zur Pflicht zurückführen." Wo Napoleons
Rechenfehler steckte, zeigt Desdevises mit folgenden Worten: "Wenn die
Mönche elende Lehrer der Humanität und der Theologie und geschworne
Feinde der Profauwissenschciften waren, so verstanden sie sich dafür desto
besser darauf, in diese einfältigen Seelen einen unerschütterlichen Glauben zu
Pflanzen und sie stahlhart zu hämmern. Aus dem schlichten Bauern machten
sie einen Mann, der überzeugt war, von allem, was es auf Erden wissens¬
wertes gibt, das wesentliche zu wissen, einen Mann, der jeden Menschen
andern Glaubens verachtete, und gegen dessen Überzeugung kein Zwang etwas
vermochte. So unfähig die Mönche waren, die Wissenschaften zu lehren, so
Wunderbar geschickte Charakterbildner und Erzieher zur Energie waren sie.
Sie bewiesen diese Energie durch ihre bestündige Kampfbereitschaft, durch ihre
Herrschaft über das Volk und über sich selbst. Sie haben in den tropischen
Ländern Reiche erobert und die Furcht vor dem spanischen Namen in Gegenden
getragen, in die der spanische Soldat nicht einzudringen vermochte. Napoleon
gedachte den Mönchen Furcht einzuflößen, aber sie fürchteten sich nicht und
wiegelten die Nation gegen ihn auf."

Nur zu gern ließ diese sich ciufwiegelu, deun sie haßte die Franzosen
und hatte schon jedem Neformversuch der vier Bourbvnenkönige als einem
Angriff auf ihren Nationalgeist und ihre Nationalheiligtümer Widerstand ge¬
leistet. Der Franzose findet das sehr unverständig; die spanischen Bourbonen
seien gewiß keine Genies, aber mit den drei letzten Habsburger" verglichen
Sterne erster Größe gewesen, hätten auch manches Gute geschaffen. Und er
bedauert diese "unverständige" Feindschaft. Das Ideal der französischen Staats¬
männer des achtzehnten Jahrhunderts sei ein enges Bündnis der drei roma¬
nischen Nationen, zunächst gegen die englische Seemacht gewesen, und in einem
solchen liege heute die einzige Möglichkeit, ihnen eine ehrenvolle Zukunft zu
sichern.

Die Ereignisse des 2. Mai 1808 findet jeder in seinem Handbuch der
Weltgeschichte. Nachdem schon mancherlei Kundgebungen die Stimmung der
Madrilenen verraten hatten, brach der Aufruhr aus, als sich die letzten noch
auf spanischem Boden weilenden Glieder der Königsfamilie zur Abreise au-


Grenzbotcn IV 1904 6g
spanisches

Volkes die Resonanz und der Erfolg fehlten: in Madrid machten einander
fünfzig Autoren ein winziges Publikum streitig, selbstverständlich nicht immer
mit schönen Mitteln.

Die Mönche haben also Spanien in der Unwissenheit erhalten. Muß
man daraus schließen, daß sie es wehrlos gemacht hätten? fragt Desdevises
und antwortet: durchaus nicht! Wir haben eine dahin gehende Äußerung
Napoleons mitgeteilt. Ähnlich äußerte er sich im Gespräch mit Escoiquiz,
dem Erzieher des Infanten Ferdinand. „Der Widerstand der Spanier kann
mir nicht furchtbar werden. Die Großen und die Reichen, die durch Auf¬
lehnung ihr Vermögen aufs Spiel setzen würden, werden das Volk beruhigen.
Den Klerus und die Mönche werde ich für jede Unordnung verantwortlich
machen. Sie werden demnach ihren ganzen Einfluß aufbieten, die Ordnung
aufrecht zu erhalten. Der Pöbel mag es hie und da mit Revolten versuchen,
aber strenge Züchtigung wird ihn zur Pflicht zurückführen." Wo Napoleons
Rechenfehler steckte, zeigt Desdevises mit folgenden Worten: „Wenn die
Mönche elende Lehrer der Humanität und der Theologie und geschworne
Feinde der Profauwissenschciften waren, so verstanden sie sich dafür desto
besser darauf, in diese einfältigen Seelen einen unerschütterlichen Glauben zu
Pflanzen und sie stahlhart zu hämmern. Aus dem schlichten Bauern machten
sie einen Mann, der überzeugt war, von allem, was es auf Erden wissens¬
wertes gibt, das wesentliche zu wissen, einen Mann, der jeden Menschen
andern Glaubens verachtete, und gegen dessen Überzeugung kein Zwang etwas
vermochte. So unfähig die Mönche waren, die Wissenschaften zu lehren, so
Wunderbar geschickte Charakterbildner und Erzieher zur Energie waren sie.
Sie bewiesen diese Energie durch ihre bestündige Kampfbereitschaft, durch ihre
Herrschaft über das Volk und über sich selbst. Sie haben in den tropischen
Ländern Reiche erobert und die Furcht vor dem spanischen Namen in Gegenden
getragen, in die der spanische Soldat nicht einzudringen vermochte. Napoleon
gedachte den Mönchen Furcht einzuflößen, aber sie fürchteten sich nicht und
wiegelten die Nation gegen ihn auf."

Nur zu gern ließ diese sich ciufwiegelu, deun sie haßte die Franzosen
und hatte schon jedem Neformversuch der vier Bourbvnenkönige als einem
Angriff auf ihren Nationalgeist und ihre Nationalheiligtümer Widerstand ge¬
leistet. Der Franzose findet das sehr unverständig; die spanischen Bourbonen
seien gewiß keine Genies, aber mit den drei letzten Habsburger» verglichen
Sterne erster Größe gewesen, hätten auch manches Gute geschaffen. Und er
bedauert diese „unverständige" Feindschaft. Das Ideal der französischen Staats¬
männer des achtzehnten Jahrhunderts sei ein enges Bündnis der drei roma¬
nischen Nationen, zunächst gegen die englische Seemacht gewesen, und in einem
solchen liege heute die einzige Möglichkeit, ihnen eine ehrenvolle Zukunft zu
sichern.

Die Ereignisse des 2. Mai 1808 findet jeder in seinem Handbuch der
Weltgeschichte. Nachdem schon mancherlei Kundgebungen die Stimmung der
Madrilenen verraten hatten, brach der Aufruhr aus, als sich die letzten noch
auf spanischem Boden weilenden Glieder der Königsfamilie zur Abreise au-


Grenzbotcn IV 1904 6g
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[0505] spanisches Volkes die Resonanz und der Erfolg fehlten: in Madrid machten einander fünfzig Autoren ein winziges Publikum streitig, selbstverständlich nicht immer mit schönen Mitteln. Die Mönche haben also Spanien in der Unwissenheit erhalten. Muß man daraus schließen, daß sie es wehrlos gemacht hätten? fragt Desdevises und antwortet: durchaus nicht! Wir haben eine dahin gehende Äußerung Napoleons mitgeteilt. Ähnlich äußerte er sich im Gespräch mit Escoiquiz, dem Erzieher des Infanten Ferdinand. „Der Widerstand der Spanier kann mir nicht furchtbar werden. Die Großen und die Reichen, die durch Auf¬ lehnung ihr Vermögen aufs Spiel setzen würden, werden das Volk beruhigen. Den Klerus und die Mönche werde ich für jede Unordnung verantwortlich machen. Sie werden demnach ihren ganzen Einfluß aufbieten, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Der Pöbel mag es hie und da mit Revolten versuchen, aber strenge Züchtigung wird ihn zur Pflicht zurückführen." Wo Napoleons Rechenfehler steckte, zeigt Desdevises mit folgenden Worten: „Wenn die Mönche elende Lehrer der Humanität und der Theologie und geschworne Feinde der Profauwissenschciften waren, so verstanden sie sich dafür desto besser darauf, in diese einfältigen Seelen einen unerschütterlichen Glauben zu Pflanzen und sie stahlhart zu hämmern. Aus dem schlichten Bauern machten sie einen Mann, der überzeugt war, von allem, was es auf Erden wissens¬ wertes gibt, das wesentliche zu wissen, einen Mann, der jeden Menschen andern Glaubens verachtete, und gegen dessen Überzeugung kein Zwang etwas vermochte. So unfähig die Mönche waren, die Wissenschaften zu lehren, so Wunderbar geschickte Charakterbildner und Erzieher zur Energie waren sie. Sie bewiesen diese Energie durch ihre bestündige Kampfbereitschaft, durch ihre Herrschaft über das Volk und über sich selbst. Sie haben in den tropischen Ländern Reiche erobert und die Furcht vor dem spanischen Namen in Gegenden getragen, in die der spanische Soldat nicht einzudringen vermochte. Napoleon gedachte den Mönchen Furcht einzuflößen, aber sie fürchteten sich nicht und wiegelten die Nation gegen ihn auf." Nur zu gern ließ diese sich ciufwiegelu, deun sie haßte die Franzosen und hatte schon jedem Neformversuch der vier Bourbvnenkönige als einem Angriff auf ihren Nationalgeist und ihre Nationalheiligtümer Widerstand ge¬ leistet. Der Franzose findet das sehr unverständig; die spanischen Bourbonen seien gewiß keine Genies, aber mit den drei letzten Habsburger» verglichen Sterne erster Größe gewesen, hätten auch manches Gute geschaffen. Und er bedauert diese „unverständige" Feindschaft. Das Ideal der französischen Staats¬ männer des achtzehnten Jahrhunderts sei ein enges Bündnis der drei roma¬ nischen Nationen, zunächst gegen die englische Seemacht gewesen, und in einem solchen liege heute die einzige Möglichkeit, ihnen eine ehrenvolle Zukunft zu sichern. Die Ereignisse des 2. Mai 1808 findet jeder in seinem Handbuch der Weltgeschichte. Nachdem schon mancherlei Kundgebungen die Stimmung der Madrilenen verraten hatten, brach der Aufruhr aus, als sich die letzten noch auf spanischem Boden weilenden Glieder der Königsfamilie zur Abreise au- Grenzbotcn IV 1904 6g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/505>, abgerufen am 23.07.2024.