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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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bekam einen andern Diener, als er sich beschwerte, daß ihn der bisherige
schlecht pflege. Das schlimmste waren die bekannten Formen des Jnquisitions-
Prozesses und die lange Verschleppung. Was Luis am schwersten empfand,
War die Entziehung der Sakramente. Als er nach seiner Freisprechung, er¬
zählt eine nicht sicher beglaubigte Anekdote, seine erste Vorlesung hielt, hatte
sich eine große Zuhörerschar eingefunden, in der Erwartung einer ergreifenden
Szene oder in der Hoffnung auf einige pikante Anspielungen. Er aber
begann: dsri al<zsl)g,in,us, und setzte die vor fünf Jahren gewaltsam abge¬
brochn? Vorlesung fort.) Der Kampf gegen die Wissenschaft und gegen die
freie Forschung wurde so gründlich geführt, daß zuletzt fast nichts übrig war
als eine abergläubische und lappische Erbauungsliteratur und eine dieser ent¬
sprechende Theologie.

Ein besondrer Abschnitt wird den iguatianischen Exerzitien gewidmet.
Diese bestehn in methodisch angeordneten Betrachtungen, die, bei gänzlichem
Ausschluß jeder andern körperlichen oder geistigen Beschäftigung, mehrere Tage
oder Wochen ununterbrochen fortgesetzt werden, zu dem Zwecke, in dem
Übenden den heroischen Entschluß zu einem dem Dienste Gottes geweihten
Leben zu erzeugen oder ihn in dem schon früher gefaßten zu befestigen, und
dieser Dienst wird als ein Kriegsdienst dargestellt. Der Exerzierende wird
dabei angeleitet, sich die geistigen Mächte, mit denen er es zu tun hat: auf
der einen Seite seinen erwählten König und Feldherrn Christus mit seinen
Heiligen, auf der andern Lucifer und sein Heer, dann Himmel und Hölle
sowie die Personen und die Ereignisse der heiligen Geschichte so deutlich und
lebendig vorzustellen, daß er sie greifbar zu sehen glaubt. Unser Franzose
sagt ganz richtig, daß die Wirkung einer solchen methodischen Seelengymnastik
je nach der verschiednen Individualität sehr verschieden ausfallen muß. Ein
reines Gemüt, das mit einem verständigen Geist und einem tätigen Sinn
verbunden ist, kann großen Nutzen für seinen moralischen Fortschritt daraus
ziehn. Gerade den Spaniern aber mußte diese Art Exerzitium zum Verderben
gereichen. Sie waren schon von Natur phantastisch genug und ließen sich gern
eine Methode gefallen, das Himmelreich durch Schwelgen in Phantasien zu
erobern. Die Exerzitien waren für sie eine Erziehung zum Müßiggang und
zur "intellektuellen Vagabondcige." Man verlernt dabei leicht das Arbeiten,
gewöhnt sich das Nachdenken und Forschen ab, verliert die Lust und Fähig¬
keit zur Kritik und mag nichts weiter tun als phantasieren und schwärmen-
Das kontemplative, das Mönchsleben wird höchstes und ausschließliches Ideal,
und nachdem Spanien mit seinen auswärtigen Besitzungen seine Reichtümer
verloren hat, verwenden die Vornehmen den Rest ihres Besitzes auf die Er¬
bauung palastühnlicher Klöster. Mönche bevölkern die Straßen und sind die
leitenden Personen in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Es
hat, als im achtzehnten Jahrhundert die Macht der Inquisition abnahm, nicht
an Ansätzen zu einer von der Kirche unabhängigen Literatur gefehlt -- Des-
devises schildert ausführlich die Wirksamkeit der ganz literarischen Familie
Jriarte --, aber zu einem kräftigen Geistesleben konnte es nicht kommen, weil
bei der Interesselosigkeit und Unwissenheit des aus Analphabeten bestehenden


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bekam einen andern Diener, als er sich beschwerte, daß ihn der bisherige
schlecht pflege. Das schlimmste waren die bekannten Formen des Jnquisitions-
Prozesses und die lange Verschleppung. Was Luis am schwersten empfand,
War die Entziehung der Sakramente. Als er nach seiner Freisprechung, er¬
zählt eine nicht sicher beglaubigte Anekdote, seine erste Vorlesung hielt, hatte
sich eine große Zuhörerschar eingefunden, in der Erwartung einer ergreifenden
Szene oder in der Hoffnung auf einige pikante Anspielungen. Er aber
begann: dsri al<zsl)g,in,us, und setzte die vor fünf Jahren gewaltsam abge¬
brochn? Vorlesung fort.) Der Kampf gegen die Wissenschaft und gegen die
freie Forschung wurde so gründlich geführt, daß zuletzt fast nichts übrig war
als eine abergläubische und lappische Erbauungsliteratur und eine dieser ent¬
sprechende Theologie.

Ein besondrer Abschnitt wird den iguatianischen Exerzitien gewidmet.
Diese bestehn in methodisch angeordneten Betrachtungen, die, bei gänzlichem
Ausschluß jeder andern körperlichen oder geistigen Beschäftigung, mehrere Tage
oder Wochen ununterbrochen fortgesetzt werden, zu dem Zwecke, in dem
Übenden den heroischen Entschluß zu einem dem Dienste Gottes geweihten
Leben zu erzeugen oder ihn in dem schon früher gefaßten zu befestigen, und
dieser Dienst wird als ein Kriegsdienst dargestellt. Der Exerzierende wird
dabei angeleitet, sich die geistigen Mächte, mit denen er es zu tun hat: auf
der einen Seite seinen erwählten König und Feldherrn Christus mit seinen
Heiligen, auf der andern Lucifer und sein Heer, dann Himmel und Hölle
sowie die Personen und die Ereignisse der heiligen Geschichte so deutlich und
lebendig vorzustellen, daß er sie greifbar zu sehen glaubt. Unser Franzose
sagt ganz richtig, daß die Wirkung einer solchen methodischen Seelengymnastik
je nach der verschiednen Individualität sehr verschieden ausfallen muß. Ein
reines Gemüt, das mit einem verständigen Geist und einem tätigen Sinn
verbunden ist, kann großen Nutzen für seinen moralischen Fortschritt daraus
ziehn. Gerade den Spaniern aber mußte diese Art Exerzitium zum Verderben
gereichen. Sie waren schon von Natur phantastisch genug und ließen sich gern
eine Methode gefallen, das Himmelreich durch Schwelgen in Phantasien zu
erobern. Die Exerzitien waren für sie eine Erziehung zum Müßiggang und
zur „intellektuellen Vagabondcige." Man verlernt dabei leicht das Arbeiten,
gewöhnt sich das Nachdenken und Forschen ab, verliert die Lust und Fähig¬
keit zur Kritik und mag nichts weiter tun als phantasieren und schwärmen-
Das kontemplative, das Mönchsleben wird höchstes und ausschließliches Ideal,
und nachdem Spanien mit seinen auswärtigen Besitzungen seine Reichtümer
verloren hat, verwenden die Vornehmen den Rest ihres Besitzes auf die Er¬
bauung palastühnlicher Klöster. Mönche bevölkern die Straßen und sind die
leitenden Personen in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Es
hat, als im achtzehnten Jahrhundert die Macht der Inquisition abnahm, nicht
an Ansätzen zu einer von der Kirche unabhängigen Literatur gefehlt — Des-
devises schildert ausführlich die Wirksamkeit der ganz literarischen Familie
Jriarte —, aber zu einem kräftigen Geistesleben konnte es nicht kommen, weil
bei der Interesselosigkeit und Unwissenheit des aus Analphabeten bestehenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/504>, abgerufen am 23.07.2024.