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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Strandvogt zu Nantum auf Hörnum auch der Hirte seiner Gemeinde, nicht
nur der Hüter des einsamen Strandes, und wenn man nach den häufigen
Anklagen wegen Stranddiebstahls schließen darf, die gegen Strandvögte er¬
hoben wurden, lasen nicht alle der kleinen Gemeinde die Predigten und
Gebete so eindringlich und warm vor wie Riß Taten. Und der Schneider,
der nach Feltmcmn am Ende des siebzehnten Jahrhunderts auf Norderney
die Toten begrub, den Kirchendienst versah und predigte, wird sich schwer¬
lich geweigert haben, um Strandgut zu beten, wenn die Gemeinde dieses von
ihm verlangte.

So waren, auch wenn die zuletzt erwähnten Fälle die einzigen waren,
in denen Laien Seelsorge ausübten, die Bedingungen für die Entstehung
einer blasphemischen Sitte gegeben. Daß trotzdem nur die Sage von dem
Gebete um Strandgut zu erzählen weiß und dafür, daß das Gebet an unsrer
Küste wirklich üblich war, kein einziger stichhaltiger Beleg vorhanden ist, gibt
uns die beruhigende Sicherheit, daß in den Kirchen an unsern Küsten ein
solches Gebet nicht als Brauch sondern höchstens vereinzelt vorkam und dann
die Empörung und den Widerspruch weckte, die jetzt noch in der Sage Nach¬
hallen.

Vor dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts habe ich die Sage nicht
erwähnt gefunden. Wahrscheinlich entstand sie nach dem Niedergange der
Hanse, als alles Unkraut am Strande aufschoß, das der Bund gejätet hatte.
Daß sie erst so spät erwähnt, verteidigt und bekämpft wurde, mag mit dem
Auftreten Speners zusammenhängen, der die Gewissen weckte und das Empfinden
verfeinerte.

Leider hat sich nur der Wust der Strandrechtsakten erhalten, während
so manche schöne Rettuugstat an der deutschen Küste nur vom Herrn gesehen
ins Meer geworfen wurde. Es sollte neben den fast zu ausführlichen Akten
des Strandraubes eine dem Heldenbuche unsrer Deutschen Gesellschaft zur
Rettung Schiffbrüchiger vorausgehende Geschichte vom braven Manne geben.
Schade, daß ihre meist nur in Sand und Meer und Menschenherzen geschriebnen
Züge fast alle schon längst verweht, verronnen und vermodert find.




spanisches

n dem Befreiungskampfe gegen Spanien hat sich das winzige
Holland zur Weltmacht emporgeschwungen. Doch gestaltete sich
sein Schicksal dem seines damals gewaltigen Gegners insofern
ähnlich, als es wie dieser seine Weltmachtstellung nur kurze Zeit
behauptete. Die kleine Handelsrepublik Venedig hatte ein halbes
Jahrtausend lang als Weltmacht gelten können; Holland mußte rasch auf
die Stufe der unbedeutenden Kleinstaaten zurücksinken, weil seine Blüte
in die Zeit fiel, wo die durchgreifende Polizierung der großen Völker die


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Strandvogt zu Nantum auf Hörnum auch der Hirte seiner Gemeinde, nicht
nur der Hüter des einsamen Strandes, und wenn man nach den häufigen
Anklagen wegen Stranddiebstahls schließen darf, die gegen Strandvögte er¬
hoben wurden, lasen nicht alle der kleinen Gemeinde die Predigten und
Gebete so eindringlich und warm vor wie Riß Taten. Und der Schneider,
der nach Feltmcmn am Ende des siebzehnten Jahrhunderts auf Norderney
die Toten begrub, den Kirchendienst versah und predigte, wird sich schwer¬
lich geweigert haben, um Strandgut zu beten, wenn die Gemeinde dieses von
ihm verlangte.

So waren, auch wenn die zuletzt erwähnten Fälle die einzigen waren,
in denen Laien Seelsorge ausübten, die Bedingungen für die Entstehung
einer blasphemischen Sitte gegeben. Daß trotzdem nur die Sage von dem
Gebete um Strandgut zu erzählen weiß und dafür, daß das Gebet an unsrer
Küste wirklich üblich war, kein einziger stichhaltiger Beleg vorhanden ist, gibt
uns die beruhigende Sicherheit, daß in den Kirchen an unsern Küsten ein
solches Gebet nicht als Brauch sondern höchstens vereinzelt vorkam und dann
die Empörung und den Widerspruch weckte, die jetzt noch in der Sage Nach¬
hallen.

Vor dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts habe ich die Sage nicht
erwähnt gefunden. Wahrscheinlich entstand sie nach dem Niedergange der
Hanse, als alles Unkraut am Strande aufschoß, das der Bund gejätet hatte.
Daß sie erst so spät erwähnt, verteidigt und bekämpft wurde, mag mit dem
Auftreten Speners zusammenhängen, der die Gewissen weckte und das Empfinden
verfeinerte.

Leider hat sich nur der Wust der Strandrechtsakten erhalten, während
so manche schöne Rettuugstat an der deutschen Küste nur vom Herrn gesehen
ins Meer geworfen wurde. Es sollte neben den fast zu ausführlichen Akten
des Strandraubes eine dem Heldenbuche unsrer Deutschen Gesellschaft zur
Rettung Schiffbrüchiger vorausgehende Geschichte vom braven Manne geben.
Schade, daß ihre meist nur in Sand und Meer und Menschenherzen geschriebnen
Züge fast alle schon längst verweht, verronnen und vermodert find.




spanisches

n dem Befreiungskampfe gegen Spanien hat sich das winzige
Holland zur Weltmacht emporgeschwungen. Doch gestaltete sich
sein Schicksal dem seines damals gewaltigen Gegners insofern
ähnlich, als es wie dieser seine Weltmachtstellung nur kurze Zeit
behauptete. Die kleine Handelsrepublik Venedig hatte ein halbes
Jahrtausend lang als Weltmacht gelten können; Holland mußte rasch auf
die Stufe der unbedeutenden Kleinstaaten zurücksinken, weil seine Blüte
in die Zeit fiel, wo die durchgreifende Polizierung der großen Völker die


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[0498] spanisches Strandvogt zu Nantum auf Hörnum auch der Hirte seiner Gemeinde, nicht nur der Hüter des einsamen Strandes, und wenn man nach den häufigen Anklagen wegen Stranddiebstahls schließen darf, die gegen Strandvögte er¬ hoben wurden, lasen nicht alle der kleinen Gemeinde die Predigten und Gebete so eindringlich und warm vor wie Riß Taten. Und der Schneider, der nach Feltmcmn am Ende des siebzehnten Jahrhunderts auf Norderney die Toten begrub, den Kirchendienst versah und predigte, wird sich schwer¬ lich geweigert haben, um Strandgut zu beten, wenn die Gemeinde dieses von ihm verlangte. So waren, auch wenn die zuletzt erwähnten Fälle die einzigen waren, in denen Laien Seelsorge ausübten, die Bedingungen für die Entstehung einer blasphemischen Sitte gegeben. Daß trotzdem nur die Sage von dem Gebete um Strandgut zu erzählen weiß und dafür, daß das Gebet an unsrer Küste wirklich üblich war, kein einziger stichhaltiger Beleg vorhanden ist, gibt uns die beruhigende Sicherheit, daß in den Kirchen an unsern Küsten ein solches Gebet nicht als Brauch sondern höchstens vereinzelt vorkam und dann die Empörung und den Widerspruch weckte, die jetzt noch in der Sage Nach¬ hallen. Vor dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts habe ich die Sage nicht erwähnt gefunden. Wahrscheinlich entstand sie nach dem Niedergange der Hanse, als alles Unkraut am Strande aufschoß, das der Bund gejätet hatte. Daß sie erst so spät erwähnt, verteidigt und bekämpft wurde, mag mit dem Auftreten Speners zusammenhängen, der die Gewissen weckte und das Empfinden verfeinerte. Leider hat sich nur der Wust der Strandrechtsakten erhalten, während so manche schöne Rettuugstat an der deutschen Küste nur vom Herrn gesehen ins Meer geworfen wurde. Es sollte neben den fast zu ausführlichen Akten des Strandraubes eine dem Heldenbuche unsrer Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger vorausgehende Geschichte vom braven Manne geben. Schade, daß ihre meist nur in Sand und Meer und Menschenherzen geschriebnen Züge fast alle schon längst verweht, verronnen und vermodert find. spanisches n dem Befreiungskampfe gegen Spanien hat sich das winzige Holland zur Weltmacht emporgeschwungen. Doch gestaltete sich sein Schicksal dem seines damals gewaltigen Gegners insofern ähnlich, als es wie dieser seine Weltmachtstellung nur kurze Zeit behauptete. Die kleine Handelsrepublik Venedig hatte ein halbes Jahrtausend lang als Weltmacht gelten können; Holland mußte rasch auf die Stufe der unbedeutenden Kleinstaaten zurücksinken, weil seine Blüte in die Zeit fiel, wo die durchgreifende Polizierung der großen Völker die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/498>, abgerufen am 23.07.2024.