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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinsoln und Träume

dessen es freundliche Blicke mit dem Zinnteller vor ihm tauschte, als wollte es
sagen: Dn hast mir vorhin aus der Küche zugewinkt, ich werde mir es nun gut
von dir schmecken lassen. Und es drehte ihn um und klapperte mit der Gabel auf
seiner Unterseite, bis die dampfende Suppe zu zweckvollerer Tätigkeit einlud. War
es aber gesättigt, dann riefen ihm Sonne, Gras, Blumen und Würmer von der
andern Seite her, und bald erschien es wieder auf seiner runden Schwelle, be¬
grüßte sie alle und war überzeugt, daß sie sich alle miteinander freuten, wieder
mit ihm beisammen zu sein.

Da freute sich offenbar auch noch ein großes rundes Ding mit, ein wesent¬
licher Bestandteil dieser Welt eines Kindes, von dem ich noch Kunde geben muß.
Seitwärts vor der Tür stand nämlich in demselben Hofe auf untergelegten Stein¬
platten ein grüner Zuber, in den sich in einer hölzernen Rinne das Regenwasser
vom Dach ergoß. Für gewöhnlich lag sein Spiegel still wie aus Metall gegossen
in dem Rahmen der hölzernen Umfassung; aber bei Regen stürzt das Regen¬
bächlein in eiligem Strahle von oben, reißt Luftblasen mit die dann silbern vom
Grunde des aufgewühlten Beckens aufsteigen. Tausendmal habe ich auf das Wasser
hingeschaut, wenn die Regentropfen darauf fielen, lustig aufsprangen und kleine
Wellenkreise beschrieben, die sich einander in allen denkbaren Zusammendrängungen
schnitten, sodaß die Wasserfläche wie ein höchst kunstvolles Werk der Silberschmiede-
knnst erschien. Und noch öfter stand ich über das Wasser geneigt, wenn seine
Oberfläche ganz still war, und wartete, bis Luftbläschen in schlanken Wellenlinien
an die Oberfläche stiegen: die schönsten Perlen, mit keinen zu vergleichen, die in
der tiefsten Muschel auf dem Meeresgrunde herangereift find. Als ich in spätern
Jahren als Student in der Ferne allein vor meinem kleinen Teekessel saß und der
allmählichen Erhitzung des Wassers bis zum Sieden zuschaute, sah ich die Luftperlen
sich am Boden meines Teekessels sammeln, ihn dicht bedecken, dann ineinander¬
fließen und als größere aufsteigen, deren Aufeinanderfolge endlich das Wasser zum
Wallen brachte; und wie arm ich damals oft war, so reich fühlte ich mich, da ich
glänzende Perlen ohne Zahl entstehn und vergeh" lassen konnte, die in wenig
Minuten den einförmigen Boden meines alten Kesselcheus in ein getriebnes Kunst¬
werk verwandelten. Wie gut ist es, früh scheu zu lernen!

Als ich eines Tages wieder ganz versunken in die Tiefen meines Wasferfasfes
starrte, die ich noch immer nicht ergründet hatte, fiel ein verirrter Lichtstrahl, der
von einem spiegelnden Fensterglas zurückgeworfen sein mochte, in das Wasser, irrte
auf ihm herum, tauchte unter und wanderte bis auf den Boden. Wenn es auch
nur ein Flimmern war, so vermochte ich ihm doch zu folgen; der Strahl ver¬
schwand, ich sah ihn noch über den Rand des dunkeln Fasses sinken, aber in
meinem Auge blieben wunderbar rotleuchtende Punkte, die er in der Wassertiefe
erleuchtet, sichtbar gemacht hatte. Punkte wie von Edelsteinen. Ich war sehr be¬
troffen, ohne erstaunt zu sein; denn wo silberne Perlen aufstiegen, konnten auch
Rubinsteine liegen. Als nun eines Tages das Gefäß ausgeschöpft und sein Boden
trockengelegt wurde, da waren diese rotglühenden Punkte sehr kleine Würmchen,
die schnellende, funkelnde Bewegungen machten, und außer ihnen lag noch ein
zusammengerollter dünner Wurm von wunderschöner Rosafarbe auf dem Grunde,
dessen geheimnisvolles Dasein mir nicht weniger rätselhaft vorkam, als der Stall¬
knecht Gustav, der dieser Reinigung beiwohnte, erklärte, dieser Wurm komme
manchmal in den tiefsten Brünne", aber immer nur als ein Einsiedler vor. Bei
mir bestand kein Zweifel, diese wundervollen roten Tiere gehörten derselben Welt
an wie die blassen Regenwürmer, einer Welt der Tiefe und der Schätze, und ich
dachte darüber nach, wie das Wasser des grünen Zubers gleichsam eine Verbindung
mit dieser andern Welt herstellte, neben der die Welten der Stube und der
Küche mir kaum mehr beachtenswert erschienen.

Das große Haus dagegen, das mein Höschen von zwei andern Seiten her
einschloß, sah ich kaum; seine Fenster waren fast immer geschlossen, und wenn auch
Menschen darin aus und ein gingen, ich vergaß sie, wenn sie vorübergegangen waren,


Glücksinsoln und Träume

dessen es freundliche Blicke mit dem Zinnteller vor ihm tauschte, als wollte es
sagen: Dn hast mir vorhin aus der Küche zugewinkt, ich werde mir es nun gut
von dir schmecken lassen. Und es drehte ihn um und klapperte mit der Gabel auf
seiner Unterseite, bis die dampfende Suppe zu zweckvollerer Tätigkeit einlud. War
es aber gesättigt, dann riefen ihm Sonne, Gras, Blumen und Würmer von der
andern Seite her, und bald erschien es wieder auf seiner runden Schwelle, be¬
grüßte sie alle und war überzeugt, daß sie sich alle miteinander freuten, wieder
mit ihm beisammen zu sein.

Da freute sich offenbar auch noch ein großes rundes Ding mit, ein wesent¬
licher Bestandteil dieser Welt eines Kindes, von dem ich noch Kunde geben muß.
Seitwärts vor der Tür stand nämlich in demselben Hofe auf untergelegten Stein¬
platten ein grüner Zuber, in den sich in einer hölzernen Rinne das Regenwasser
vom Dach ergoß. Für gewöhnlich lag sein Spiegel still wie aus Metall gegossen
in dem Rahmen der hölzernen Umfassung; aber bei Regen stürzt das Regen¬
bächlein in eiligem Strahle von oben, reißt Luftblasen mit die dann silbern vom
Grunde des aufgewühlten Beckens aufsteigen. Tausendmal habe ich auf das Wasser
hingeschaut, wenn die Regentropfen darauf fielen, lustig aufsprangen und kleine
Wellenkreise beschrieben, die sich einander in allen denkbaren Zusammendrängungen
schnitten, sodaß die Wasserfläche wie ein höchst kunstvolles Werk der Silberschmiede-
knnst erschien. Und noch öfter stand ich über das Wasser geneigt, wenn seine
Oberfläche ganz still war, und wartete, bis Luftbläschen in schlanken Wellenlinien
an die Oberfläche stiegen: die schönsten Perlen, mit keinen zu vergleichen, die in
der tiefsten Muschel auf dem Meeresgrunde herangereift find. Als ich in spätern
Jahren als Student in der Ferne allein vor meinem kleinen Teekessel saß und der
allmählichen Erhitzung des Wassers bis zum Sieden zuschaute, sah ich die Luftperlen
sich am Boden meines Teekessels sammeln, ihn dicht bedecken, dann ineinander¬
fließen und als größere aufsteigen, deren Aufeinanderfolge endlich das Wasser zum
Wallen brachte; und wie arm ich damals oft war, so reich fühlte ich mich, da ich
glänzende Perlen ohne Zahl entstehn und vergeh» lassen konnte, die in wenig
Minuten den einförmigen Boden meines alten Kesselcheus in ein getriebnes Kunst¬
werk verwandelten. Wie gut ist es, früh scheu zu lernen!

Als ich eines Tages wieder ganz versunken in die Tiefen meines Wasferfasfes
starrte, die ich noch immer nicht ergründet hatte, fiel ein verirrter Lichtstrahl, der
von einem spiegelnden Fensterglas zurückgeworfen sein mochte, in das Wasser, irrte
auf ihm herum, tauchte unter und wanderte bis auf den Boden. Wenn es auch
nur ein Flimmern war, so vermochte ich ihm doch zu folgen; der Strahl ver¬
schwand, ich sah ihn noch über den Rand des dunkeln Fasses sinken, aber in
meinem Auge blieben wunderbar rotleuchtende Punkte, die er in der Wassertiefe
erleuchtet, sichtbar gemacht hatte. Punkte wie von Edelsteinen. Ich war sehr be¬
troffen, ohne erstaunt zu sein; denn wo silberne Perlen aufstiegen, konnten auch
Rubinsteine liegen. Als nun eines Tages das Gefäß ausgeschöpft und sein Boden
trockengelegt wurde, da waren diese rotglühenden Punkte sehr kleine Würmchen,
die schnellende, funkelnde Bewegungen machten, und außer ihnen lag noch ein
zusammengerollter dünner Wurm von wunderschöner Rosafarbe auf dem Grunde,
dessen geheimnisvolles Dasein mir nicht weniger rätselhaft vorkam, als der Stall¬
knecht Gustav, der dieser Reinigung beiwohnte, erklärte, dieser Wurm komme
manchmal in den tiefsten Brünne», aber immer nur als ein Einsiedler vor. Bei
mir bestand kein Zweifel, diese wundervollen roten Tiere gehörten derselben Welt
an wie die blassen Regenwürmer, einer Welt der Tiefe und der Schätze, und ich
dachte darüber nach, wie das Wasser des grünen Zubers gleichsam eine Verbindung
mit dieser andern Welt herstellte, neben der die Welten der Stube und der
Küche mir kaum mehr beachtenswert erschienen.

Das große Haus dagegen, das mein Höschen von zwei andern Seiten her
einschloß, sah ich kaum; seine Fenster waren fast immer geschlossen, und wenn auch
Menschen darin aus und ein gingen, ich vergaß sie, wenn sie vorübergegangen waren,


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[0045] Glücksinsoln und Träume dessen es freundliche Blicke mit dem Zinnteller vor ihm tauschte, als wollte es sagen: Dn hast mir vorhin aus der Küche zugewinkt, ich werde mir es nun gut von dir schmecken lassen. Und es drehte ihn um und klapperte mit der Gabel auf seiner Unterseite, bis die dampfende Suppe zu zweckvollerer Tätigkeit einlud. War es aber gesättigt, dann riefen ihm Sonne, Gras, Blumen und Würmer von der andern Seite her, und bald erschien es wieder auf seiner runden Schwelle, be¬ grüßte sie alle und war überzeugt, daß sie sich alle miteinander freuten, wieder mit ihm beisammen zu sein. Da freute sich offenbar auch noch ein großes rundes Ding mit, ein wesent¬ licher Bestandteil dieser Welt eines Kindes, von dem ich noch Kunde geben muß. Seitwärts vor der Tür stand nämlich in demselben Hofe auf untergelegten Stein¬ platten ein grüner Zuber, in den sich in einer hölzernen Rinne das Regenwasser vom Dach ergoß. Für gewöhnlich lag sein Spiegel still wie aus Metall gegossen in dem Rahmen der hölzernen Umfassung; aber bei Regen stürzt das Regen¬ bächlein in eiligem Strahle von oben, reißt Luftblasen mit die dann silbern vom Grunde des aufgewühlten Beckens aufsteigen. Tausendmal habe ich auf das Wasser hingeschaut, wenn die Regentropfen darauf fielen, lustig aufsprangen und kleine Wellenkreise beschrieben, die sich einander in allen denkbaren Zusammendrängungen schnitten, sodaß die Wasserfläche wie ein höchst kunstvolles Werk der Silberschmiede- knnst erschien. Und noch öfter stand ich über das Wasser geneigt, wenn seine Oberfläche ganz still war, und wartete, bis Luftbläschen in schlanken Wellenlinien an die Oberfläche stiegen: die schönsten Perlen, mit keinen zu vergleichen, die in der tiefsten Muschel auf dem Meeresgrunde herangereift find. Als ich in spätern Jahren als Student in der Ferne allein vor meinem kleinen Teekessel saß und der allmählichen Erhitzung des Wassers bis zum Sieden zuschaute, sah ich die Luftperlen sich am Boden meines Teekessels sammeln, ihn dicht bedecken, dann ineinander¬ fließen und als größere aufsteigen, deren Aufeinanderfolge endlich das Wasser zum Wallen brachte; und wie arm ich damals oft war, so reich fühlte ich mich, da ich glänzende Perlen ohne Zahl entstehn und vergeh» lassen konnte, die in wenig Minuten den einförmigen Boden meines alten Kesselcheus in ein getriebnes Kunst¬ werk verwandelten. Wie gut ist es, früh scheu zu lernen! Als ich eines Tages wieder ganz versunken in die Tiefen meines Wasferfasfes starrte, die ich noch immer nicht ergründet hatte, fiel ein verirrter Lichtstrahl, der von einem spiegelnden Fensterglas zurückgeworfen sein mochte, in das Wasser, irrte auf ihm herum, tauchte unter und wanderte bis auf den Boden. Wenn es auch nur ein Flimmern war, so vermochte ich ihm doch zu folgen; der Strahl ver¬ schwand, ich sah ihn noch über den Rand des dunkeln Fasses sinken, aber in meinem Auge blieben wunderbar rotleuchtende Punkte, die er in der Wassertiefe erleuchtet, sichtbar gemacht hatte. Punkte wie von Edelsteinen. Ich war sehr be¬ troffen, ohne erstaunt zu sein; denn wo silberne Perlen aufstiegen, konnten auch Rubinsteine liegen. Als nun eines Tages das Gefäß ausgeschöpft und sein Boden trockengelegt wurde, da waren diese rotglühenden Punkte sehr kleine Würmchen, die schnellende, funkelnde Bewegungen machten, und außer ihnen lag noch ein zusammengerollter dünner Wurm von wunderschöner Rosafarbe auf dem Grunde, dessen geheimnisvolles Dasein mir nicht weniger rätselhaft vorkam, als der Stall¬ knecht Gustav, der dieser Reinigung beiwohnte, erklärte, dieser Wurm komme manchmal in den tiefsten Brünne», aber immer nur als ein Einsiedler vor. Bei mir bestand kein Zweifel, diese wundervollen roten Tiere gehörten derselben Welt an wie die blassen Regenwürmer, einer Welt der Tiefe und der Schätze, und ich dachte darüber nach, wie das Wasser des grünen Zubers gleichsam eine Verbindung mit dieser andern Welt herstellte, neben der die Welten der Stube und der Küche mir kaum mehr beachtenswert erschienen. Das große Haus dagegen, das mein Höschen von zwei andern Seiten her einschloß, sah ich kaum; seine Fenster waren fast immer geschlossen, und wenn auch Menschen darin aus und ein gingen, ich vergaß sie, wenn sie vorübergegangen waren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/45>, abgerufen am 23.07.2024.