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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Werden die Sozialdemokraten marschieren?

waltung vermöge deren enger Verknüpfung mit der Eisenbahnverwaltnng in
einer Vollkommenheit bedient sein werden, wie sie ihnen von einem Privat¬
untenehmen niemals geboten werden kann.

Noch einige mehr untergeordnete Zutaten der Kommission verdienen Er¬
wähnung, so eine Maßregel zur Verhütung ungesunder Bodenspekulation an
den Ufern des Kanals, so ferner die Einsetzung von sechs Millionen zu Zwecken
der Landeskultur im Zusammenhang mit dem Kanalbau. Daß das Zentrum
diesesmal die ehedem so heiß bestrittne Kanalisierung der ganzen Lippe durch¬
zusetzen vermocht hat, mag, wie wir gern annehmen wollen, der überzeugenden
Kraft seiner Zweckmäßigkeitsgründe zu verdanken sein. Was endlich der in
geheimer Sitzung gefaßte Beschluß über Einführung von Abgaben auf den
kanalisierten Flüssen zu bedeuten hat, bedarf noch der Aufklärung. Alles in
allem aber kann der Kanalfreund zufrieden sein. Es ist hier nicht der Ort,
eine politische Wahrscheinlichkeitsrechnung über das Ende anzustellen. Nur die
Zuversicht soll ausgesprochen werden, daß sich die Sache durch ihre eigne Güte
durchsetzen wird.




Werden die Sozialdemokraten marschieren?
Karl v. Bruch Hausen Line zeitgemäße Untersuchung von
(Schluß)
5. Deutsche und französische Sozialisten über Elsaß-Lothringen

le Stellung unsrer Sozialdemokraten zu Frankreich oder -- ge¬
nauer gesagt -- zur elsaß-lothringischen Frage (darf ein guter
Deutscher das Vorhandensein einer solchen "Frage" überhaupt
zugeben?) bezeichnet besonders ihr undeutsches Fühlen und Denken.
Ja man kann behaupten, daß das hartnäckige Fortleben dieser
"Frage" gerade mit auf Rechnung unsrer Sozialdemokratie zu setzen ist: die
revanchesüchtigen Franzosen glauben im Falle eines neuen Entscheidungskriegcs
zwischen Deutschland und Frankreich neben Rußland noch einen andern sichern
Verbündeten zu haben, die deutsche Sozialdemokratie. Diese hat denn auch trotz
gelegentlicher gegenteiliger Äußerungen redlich zur Erzeugung dieses Glaubens
beitragen. Ja französische Politiker können gar nicht anders, als auf die
wenigstens passive Hilfe unsrer Sozialdemokratie bauen.

Was ist der Streitapfel? Elsaß-Lothringen. Nun, Bebel und Liebknecht
haben seinerzeit im Parlament gegen die Angliederuug dieser Landesteile an das
Deutsche Reich gestimmt, und sie haben sich später wiederholt mit dieser unglaub¬
lich unpatriotischen und kurzsichtigen Abstimmung geradezu gebrüstet. Am 26.
und am 28. September 1892 hielt Liebknecht auf dem sozialistische" Gewerkschafts¬
kongreß zu Marseille, also auf französischem Boden vor einem hauptsächlich
französischen Publikum, ein paar hochtrabende Reden, die den Vaterlandsfreund
noch heute schamrot macheu. Eine Nationalitätenfrage, erklärte er, existiere für
die Sozialdemokraten nicht. Die deutschen und die französischen Sozialdemokraten


Werden die Sozialdemokraten marschieren?

waltung vermöge deren enger Verknüpfung mit der Eisenbahnverwaltnng in
einer Vollkommenheit bedient sein werden, wie sie ihnen von einem Privat¬
untenehmen niemals geboten werden kann.

Noch einige mehr untergeordnete Zutaten der Kommission verdienen Er¬
wähnung, so eine Maßregel zur Verhütung ungesunder Bodenspekulation an
den Ufern des Kanals, so ferner die Einsetzung von sechs Millionen zu Zwecken
der Landeskultur im Zusammenhang mit dem Kanalbau. Daß das Zentrum
diesesmal die ehedem so heiß bestrittne Kanalisierung der ganzen Lippe durch¬
zusetzen vermocht hat, mag, wie wir gern annehmen wollen, der überzeugenden
Kraft seiner Zweckmäßigkeitsgründe zu verdanken sein. Was endlich der in
geheimer Sitzung gefaßte Beschluß über Einführung von Abgaben auf den
kanalisierten Flüssen zu bedeuten hat, bedarf noch der Aufklärung. Alles in
allem aber kann der Kanalfreund zufrieden sein. Es ist hier nicht der Ort,
eine politische Wahrscheinlichkeitsrechnung über das Ende anzustellen. Nur die
Zuversicht soll ausgesprochen werden, daß sich die Sache durch ihre eigne Güte
durchsetzen wird.




Werden die Sozialdemokraten marschieren?
Karl v. Bruch Hausen Line zeitgemäße Untersuchung von
(Schluß)
5. Deutsche und französische Sozialisten über Elsaß-Lothringen

le Stellung unsrer Sozialdemokraten zu Frankreich oder — ge¬
nauer gesagt — zur elsaß-lothringischen Frage (darf ein guter
Deutscher das Vorhandensein einer solchen „Frage" überhaupt
zugeben?) bezeichnet besonders ihr undeutsches Fühlen und Denken.
Ja man kann behaupten, daß das hartnäckige Fortleben dieser
„Frage" gerade mit auf Rechnung unsrer Sozialdemokratie zu setzen ist: die
revanchesüchtigen Franzosen glauben im Falle eines neuen Entscheidungskriegcs
zwischen Deutschland und Frankreich neben Rußland noch einen andern sichern
Verbündeten zu haben, die deutsche Sozialdemokratie. Diese hat denn auch trotz
gelegentlicher gegenteiliger Äußerungen redlich zur Erzeugung dieses Glaubens
beitragen. Ja französische Politiker können gar nicht anders, als auf die
wenigstens passive Hilfe unsrer Sozialdemokratie bauen.

Was ist der Streitapfel? Elsaß-Lothringen. Nun, Bebel und Liebknecht
haben seinerzeit im Parlament gegen die Angliederuug dieser Landesteile an das
Deutsche Reich gestimmt, und sie haben sich später wiederholt mit dieser unglaub¬
lich unpatriotischen und kurzsichtigen Abstimmung geradezu gebrüstet. Am 26.
und am 28. September 1892 hielt Liebknecht auf dem sozialistische» Gewerkschafts¬
kongreß zu Marseille, also auf französischem Boden vor einem hauptsächlich
französischen Publikum, ein paar hochtrabende Reden, die den Vaterlandsfreund
noch heute schamrot macheu. Eine Nationalitätenfrage, erklärte er, existiere für
die Sozialdemokraten nicht. Die deutschen und die französischen Sozialdemokraten


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[0427] Werden die Sozialdemokraten marschieren? waltung vermöge deren enger Verknüpfung mit der Eisenbahnverwaltnng in einer Vollkommenheit bedient sein werden, wie sie ihnen von einem Privat¬ untenehmen niemals geboten werden kann. Noch einige mehr untergeordnete Zutaten der Kommission verdienen Er¬ wähnung, so eine Maßregel zur Verhütung ungesunder Bodenspekulation an den Ufern des Kanals, so ferner die Einsetzung von sechs Millionen zu Zwecken der Landeskultur im Zusammenhang mit dem Kanalbau. Daß das Zentrum diesesmal die ehedem so heiß bestrittne Kanalisierung der ganzen Lippe durch¬ zusetzen vermocht hat, mag, wie wir gern annehmen wollen, der überzeugenden Kraft seiner Zweckmäßigkeitsgründe zu verdanken sein. Was endlich der in geheimer Sitzung gefaßte Beschluß über Einführung von Abgaben auf den kanalisierten Flüssen zu bedeuten hat, bedarf noch der Aufklärung. Alles in allem aber kann der Kanalfreund zufrieden sein. Es ist hier nicht der Ort, eine politische Wahrscheinlichkeitsrechnung über das Ende anzustellen. Nur die Zuversicht soll ausgesprochen werden, daß sich die Sache durch ihre eigne Güte durchsetzen wird. Werden die Sozialdemokraten marschieren? Karl v. Bruch Hausen Line zeitgemäße Untersuchung von (Schluß) 5. Deutsche und französische Sozialisten über Elsaß-Lothringen le Stellung unsrer Sozialdemokraten zu Frankreich oder — ge¬ nauer gesagt — zur elsaß-lothringischen Frage (darf ein guter Deutscher das Vorhandensein einer solchen „Frage" überhaupt zugeben?) bezeichnet besonders ihr undeutsches Fühlen und Denken. Ja man kann behaupten, daß das hartnäckige Fortleben dieser „Frage" gerade mit auf Rechnung unsrer Sozialdemokratie zu setzen ist: die revanchesüchtigen Franzosen glauben im Falle eines neuen Entscheidungskriegcs zwischen Deutschland und Frankreich neben Rußland noch einen andern sichern Verbündeten zu haben, die deutsche Sozialdemokratie. Diese hat denn auch trotz gelegentlicher gegenteiliger Äußerungen redlich zur Erzeugung dieses Glaubens beitragen. Ja französische Politiker können gar nicht anders, als auf die wenigstens passive Hilfe unsrer Sozialdemokratie bauen. Was ist der Streitapfel? Elsaß-Lothringen. Nun, Bebel und Liebknecht haben seinerzeit im Parlament gegen die Angliederuug dieser Landesteile an das Deutsche Reich gestimmt, und sie haben sich später wiederholt mit dieser unglaub¬ lich unpatriotischen und kurzsichtigen Abstimmung geradezu gebrüstet. Am 26. und am 28. September 1892 hielt Liebknecht auf dem sozialistische» Gewerkschafts¬ kongreß zu Marseille, also auf französischem Boden vor einem hauptsächlich französischen Publikum, ein paar hochtrabende Reden, die den Vaterlandsfreund noch heute schamrot macheu. Eine Nationalitätenfrage, erklärte er, existiere für die Sozialdemokraten nicht. Die deutschen und die französischen Sozialdemokraten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/427>, abgerufen am 23.07.2024.