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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksmseln und Träume

das Gefühl des ursachlosen Beschenktsems ausdrücken, das jeden in einem Obstjahr
überkommt, wenn sich die Bäume, für die er nichts getan hat, als höchstens die
Erde um den Stamm gelockert, unter der Last ihrer Früchte biegen, und wenn er
in wachen Nächten die Birnen und Äpfel ticktack ins Gras fallen hört, wo sie am
nächsten Morgen oft dichter als die Herbstblätter liegen. In der Tat, wer dafür
nicht mindestens das Gefühl der Zufriedenheit als Gegengabe beut, der hat es
überhaupt nicht. Man muß aber zugestehn, in guten Erntejahren und besonders
in guten Weinjahren gibt es schwerlich irgendwo ans der Welt eine größere Masse
von Zufriedenheit als bei uns. Was die Natur bestes gibt, hat da der letzte
Knecht in Fülle: süße Früchte. Der Mensch kann sie nicht alle aufessen, man läßt
zuletzt die Schweine in den Grasgarten, die machen reinen Tisch. Und wenn dann
die letzten Birnen gefallen sind, reifen einige der glänzend grünen Blätter zu
Scharlach- und Purpurröte und erfreuen damit noch die Angen, die dafür offen
sind. Über die Blumenbeete, die noch vor vierzehn Tagen in Farben strahlten, ist
nun braunes Laub gehäuft, der Bienenstand ist in Stroh gehüllt, der Brunnen
wird ihm bald folgen. Äste und Zweige sind kahl, wo noch ein Blatt sitzt, flattert
es im Winde, als wollte es sich nächstens loslösen, nur der Kohlmeise schriller
Laut tönt von den Bäumen. Stare eilen geschäftig, aber stumm auf der Wiese
hin und her, um sie von verspäteten Raupen zu säubern; ebenso stumm, nur träger
und mächtig groß wandelt der Nebel im Tal und zwischen den Bäumen ihrer
Hänge. Drüber hin ruft es: Fort, fort! aus den grauen Dreiecken der am grauen
Himmel südwärts wandernden Gänse.

So hart wie die Arbeit der Woche, so schön ist der Sonntag mit seiner
Ruhe. Nichts schöneres als ein Sommersonntag unter blauem Himmel, in dessen
Tiefe die Glocken ganz fern Verhalten. Gestern Abend hat man bis in die Nacht
hinein Heu hereingetan, noch hängen einzelne Strähnen davon am Scheunentor,
aber Hof und Einfahrt sind dennoch scaber gekehrt. Das ist gestern noch bei der
Laterne mit todmüden Armen geschehen, soviel hält der Bauer darauf, daß es sonn¬
täglich bei ihm ausschaue. Jetzt bewegt sich alles mit Ruhe und Behagen, man
weiß, man muß Kräfte sammeln für die saure Woche, die kommt. Die Sonntags¬
heiligung ergibt sich da von selbst, vorausgesetzt, daß nicht in der Zeit der Heu¬
ernte ein drohendes Gewitter zwingt, die trockne Ernte auch an einem Sonntag
in Sicherheit zu bringen. Das Getreide kommt bei uns in der Regel trocken
herein, aber der Juni sendet in manchen Jahren alltäglich sein Gewitter, und
dann heißt es, jede helle, heiße Stunde ausnützen. Deu "Stündlern," die an
Wochenabenden ihre Betstunden hielten, wurde bei uns, nicht ohne Berechtigung,
der Vorwurf gemacht, daß sie den von Gott gesetzten und außerdem natürlichen
Unterschied zwischen Wochentagen und Sonntag verwischten.

Ein echter Bauer, aus dem der Bnreaukratismus noch nicht den Beamten
herausgeschält hat, der angeblich in jedem Deutschen steckt, wollte gar nicht Bürger¬
meister sein. Im Grunde hätte er es auch nicht gut gekonnt, denn sein Hof und
Feld gaben ihm alle Hände voll zu tun und boten jedem Grad von Herrschbegier
Genüge. Beim Militär galt damals noch die Stellvertretung, wodurch den Bauern-
söhnen die Last des Dienstes abgenommen war; so konnte auch durch diesen Kanal
keine Lust einfließen, sich an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Der ganzen Auf¬
fassung eines echten Bauern von seiner Stellung in der Welt entsprach es viel¬
mehr, einen andern die Arbeit tun zu lassen und ihn dann zu kritisieren oder gar mit
ihm zu prozessieren. Die Bürgermeister fanden es in den meisten Fällen rätlich, sich
zu biegen; denn sie waren von ihrem Verkehr mit den Behörden her gewöhnt,
Grobheiten einzustecken. Unbedingte Anerkennung fanden sie nur bet den Weibern,
dem Schullehrer und dem Gemeindediener, aber schon die Knaben, die Jünglinge
werden wollten und ihre erste Pfeife im Munde hatten, besiegelten ihren Eintritt
in die Klasse der wirtshausfähigen Burschen, indem sie dem Bürgermeister irgend
eine Ungezogenheit erwiesen. Unserm Bürgermeister, der aus der kleinen Gruppe


Glücksmseln und Träume

das Gefühl des ursachlosen Beschenktsems ausdrücken, das jeden in einem Obstjahr
überkommt, wenn sich die Bäume, für die er nichts getan hat, als höchstens die
Erde um den Stamm gelockert, unter der Last ihrer Früchte biegen, und wenn er
in wachen Nächten die Birnen und Äpfel ticktack ins Gras fallen hört, wo sie am
nächsten Morgen oft dichter als die Herbstblätter liegen. In der Tat, wer dafür
nicht mindestens das Gefühl der Zufriedenheit als Gegengabe beut, der hat es
überhaupt nicht. Man muß aber zugestehn, in guten Erntejahren und besonders
in guten Weinjahren gibt es schwerlich irgendwo ans der Welt eine größere Masse
von Zufriedenheit als bei uns. Was die Natur bestes gibt, hat da der letzte
Knecht in Fülle: süße Früchte. Der Mensch kann sie nicht alle aufessen, man läßt
zuletzt die Schweine in den Grasgarten, die machen reinen Tisch. Und wenn dann
die letzten Birnen gefallen sind, reifen einige der glänzend grünen Blätter zu
Scharlach- und Purpurröte und erfreuen damit noch die Angen, die dafür offen
sind. Über die Blumenbeete, die noch vor vierzehn Tagen in Farben strahlten, ist
nun braunes Laub gehäuft, der Bienenstand ist in Stroh gehüllt, der Brunnen
wird ihm bald folgen. Äste und Zweige sind kahl, wo noch ein Blatt sitzt, flattert
es im Winde, als wollte es sich nächstens loslösen, nur der Kohlmeise schriller
Laut tönt von den Bäumen. Stare eilen geschäftig, aber stumm auf der Wiese
hin und her, um sie von verspäteten Raupen zu säubern; ebenso stumm, nur träger
und mächtig groß wandelt der Nebel im Tal und zwischen den Bäumen ihrer
Hänge. Drüber hin ruft es: Fort, fort! aus den grauen Dreiecken der am grauen
Himmel südwärts wandernden Gänse.

So hart wie die Arbeit der Woche, so schön ist der Sonntag mit seiner
Ruhe. Nichts schöneres als ein Sommersonntag unter blauem Himmel, in dessen
Tiefe die Glocken ganz fern Verhalten. Gestern Abend hat man bis in die Nacht
hinein Heu hereingetan, noch hängen einzelne Strähnen davon am Scheunentor,
aber Hof und Einfahrt sind dennoch scaber gekehrt. Das ist gestern noch bei der
Laterne mit todmüden Armen geschehen, soviel hält der Bauer darauf, daß es sonn¬
täglich bei ihm ausschaue. Jetzt bewegt sich alles mit Ruhe und Behagen, man
weiß, man muß Kräfte sammeln für die saure Woche, die kommt. Die Sonntags¬
heiligung ergibt sich da von selbst, vorausgesetzt, daß nicht in der Zeit der Heu¬
ernte ein drohendes Gewitter zwingt, die trockne Ernte auch an einem Sonntag
in Sicherheit zu bringen. Das Getreide kommt bei uns in der Regel trocken
herein, aber der Juni sendet in manchen Jahren alltäglich sein Gewitter, und
dann heißt es, jede helle, heiße Stunde ausnützen. Deu „Stündlern," die an
Wochenabenden ihre Betstunden hielten, wurde bei uns, nicht ohne Berechtigung,
der Vorwurf gemacht, daß sie den von Gott gesetzten und außerdem natürlichen
Unterschied zwischen Wochentagen und Sonntag verwischten.

Ein echter Bauer, aus dem der Bnreaukratismus noch nicht den Beamten
herausgeschält hat, der angeblich in jedem Deutschen steckt, wollte gar nicht Bürger¬
meister sein. Im Grunde hätte er es auch nicht gut gekonnt, denn sein Hof und
Feld gaben ihm alle Hände voll zu tun und boten jedem Grad von Herrschbegier
Genüge. Beim Militär galt damals noch die Stellvertretung, wodurch den Bauern-
söhnen die Last des Dienstes abgenommen war; so konnte auch durch diesen Kanal
keine Lust einfließen, sich an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Der ganzen Auf¬
fassung eines echten Bauern von seiner Stellung in der Welt entsprach es viel¬
mehr, einen andern die Arbeit tun zu lassen und ihn dann zu kritisieren oder gar mit
ihm zu prozessieren. Die Bürgermeister fanden es in den meisten Fällen rätlich, sich
zu biegen; denn sie waren von ihrem Verkehr mit den Behörden her gewöhnt,
Grobheiten einzustecken. Unbedingte Anerkennung fanden sie nur bet den Weibern,
dem Schullehrer und dem Gemeindediener, aber schon die Knaben, die Jünglinge
werden wollten und ihre erste Pfeife im Munde hatten, besiegelten ihren Eintritt
in die Klasse der wirtshausfähigen Burschen, indem sie dem Bürgermeister irgend
eine Ungezogenheit erwiesen. Unserm Bürgermeister, der aus der kleinen Gruppe


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[0399] Glücksmseln und Träume das Gefühl des ursachlosen Beschenktsems ausdrücken, das jeden in einem Obstjahr überkommt, wenn sich die Bäume, für die er nichts getan hat, als höchstens die Erde um den Stamm gelockert, unter der Last ihrer Früchte biegen, und wenn er in wachen Nächten die Birnen und Äpfel ticktack ins Gras fallen hört, wo sie am nächsten Morgen oft dichter als die Herbstblätter liegen. In der Tat, wer dafür nicht mindestens das Gefühl der Zufriedenheit als Gegengabe beut, der hat es überhaupt nicht. Man muß aber zugestehn, in guten Erntejahren und besonders in guten Weinjahren gibt es schwerlich irgendwo ans der Welt eine größere Masse von Zufriedenheit als bei uns. Was die Natur bestes gibt, hat da der letzte Knecht in Fülle: süße Früchte. Der Mensch kann sie nicht alle aufessen, man läßt zuletzt die Schweine in den Grasgarten, die machen reinen Tisch. Und wenn dann die letzten Birnen gefallen sind, reifen einige der glänzend grünen Blätter zu Scharlach- und Purpurröte und erfreuen damit noch die Angen, die dafür offen sind. Über die Blumenbeete, die noch vor vierzehn Tagen in Farben strahlten, ist nun braunes Laub gehäuft, der Bienenstand ist in Stroh gehüllt, der Brunnen wird ihm bald folgen. Äste und Zweige sind kahl, wo noch ein Blatt sitzt, flattert es im Winde, als wollte es sich nächstens loslösen, nur der Kohlmeise schriller Laut tönt von den Bäumen. Stare eilen geschäftig, aber stumm auf der Wiese hin und her, um sie von verspäteten Raupen zu säubern; ebenso stumm, nur träger und mächtig groß wandelt der Nebel im Tal und zwischen den Bäumen ihrer Hänge. Drüber hin ruft es: Fort, fort! aus den grauen Dreiecken der am grauen Himmel südwärts wandernden Gänse. So hart wie die Arbeit der Woche, so schön ist der Sonntag mit seiner Ruhe. Nichts schöneres als ein Sommersonntag unter blauem Himmel, in dessen Tiefe die Glocken ganz fern Verhalten. Gestern Abend hat man bis in die Nacht hinein Heu hereingetan, noch hängen einzelne Strähnen davon am Scheunentor, aber Hof und Einfahrt sind dennoch scaber gekehrt. Das ist gestern noch bei der Laterne mit todmüden Armen geschehen, soviel hält der Bauer darauf, daß es sonn¬ täglich bei ihm ausschaue. Jetzt bewegt sich alles mit Ruhe und Behagen, man weiß, man muß Kräfte sammeln für die saure Woche, die kommt. Die Sonntags¬ heiligung ergibt sich da von selbst, vorausgesetzt, daß nicht in der Zeit der Heu¬ ernte ein drohendes Gewitter zwingt, die trockne Ernte auch an einem Sonntag in Sicherheit zu bringen. Das Getreide kommt bei uns in der Regel trocken herein, aber der Juni sendet in manchen Jahren alltäglich sein Gewitter, und dann heißt es, jede helle, heiße Stunde ausnützen. Deu „Stündlern," die an Wochenabenden ihre Betstunden hielten, wurde bei uns, nicht ohne Berechtigung, der Vorwurf gemacht, daß sie den von Gott gesetzten und außerdem natürlichen Unterschied zwischen Wochentagen und Sonntag verwischten. Ein echter Bauer, aus dem der Bnreaukratismus noch nicht den Beamten herausgeschält hat, der angeblich in jedem Deutschen steckt, wollte gar nicht Bürger¬ meister sein. Im Grunde hätte er es auch nicht gut gekonnt, denn sein Hof und Feld gaben ihm alle Hände voll zu tun und boten jedem Grad von Herrschbegier Genüge. Beim Militär galt damals noch die Stellvertretung, wodurch den Bauern- söhnen die Last des Dienstes abgenommen war; so konnte auch durch diesen Kanal keine Lust einfließen, sich an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Der ganzen Auf¬ fassung eines echten Bauern von seiner Stellung in der Welt entsprach es viel¬ mehr, einen andern die Arbeit tun zu lassen und ihn dann zu kritisieren oder gar mit ihm zu prozessieren. Die Bürgermeister fanden es in den meisten Fällen rätlich, sich zu biegen; denn sie waren von ihrem Verkehr mit den Behörden her gewöhnt, Grobheiten einzustecken. Unbedingte Anerkennung fanden sie nur bet den Weibern, dem Schullehrer und dem Gemeindediener, aber schon die Knaben, die Jünglinge werden wollten und ihre erste Pfeife im Munde hatten, besiegelten ihren Eintritt in die Klasse der wirtshausfähigen Burschen, indem sie dem Bürgermeister irgend eine Ungezogenheit erwiesen. Unserm Bürgermeister, der aus der kleinen Gruppe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/399>, abgerufen am 04.07.2024.