Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Uunstliteratur gezogen werden, hört das Vergnügen auf, harmlos zu sein, Andrea del Sarw, Den Gipfel ersteigt die Wortknnst bei der Besprechung von Lionnrdos Uunstliteratur gezogen werden, hört das Vergnügen auf, harmlos zu sein, Andrea del Sarw, Den Gipfel ersteigt die Wortknnst bei der Besprechung von Lionnrdos <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295608"/> <fw type="header" place="top"> Uunstliteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1869" prev="#ID_1868"> gezogen werden, hört das Vergnügen auf, harmlos zu sein, Andrea del Sarw,<lb/> in den Schaeffer alles Mögliche hineinsieht, war in Wirklichkeit gerade wegen<lb/> der typischen Weichmütigkeit seiner Gesichter ein sehr schwacher Porträtist, und<lb/> diese ganze Auffassung der Porträtmaler seiner Richtung überhaupt ist nicht<lb/> Charakterwiedergabe. sondern eine künstlerische Mode, Sie beweist nur, was<lb/> die Künstler beabsichtigten, und wie die Dargestellten zu erscheine» wünschten,<lb/> und ebensoviele Bildnisse dieser Zeit zeigen uns ganz andre Menschen und<lb/> einen völlig andern Ausdruck. Die blasierten, kühlen Florentiner des sech¬<lb/> zehnten Jahrhunderts waren nächst den Venezianern die besten Diplomaten,<lb/> beobachtende Geschichtschreiber, scharfe Sprachtheoretiker und sogar Naturforscher.<lb/> Das lehrt uns ihre Literatur. Und diese Menschen, d. h. das ganze Zeitalter<lb/> „am Ende der Republik," sollen wir uns nun wie die Traumfiguren einer<lb/> Maeterlinckschen Marionettenkomödie vorstellen, bloß wegen der schwermütigen<lb/> Pose auf einem Teil ihrer Bildnisse? Was würde man sagen, wenn jemand<lb/> das Charakterbild der verstandesscharfen und rauflustigen Athener im Zeitalter<lb/> ihrer großen Kriege nach den sanften Jünglingsköpfen des Parthenonfrieses<lb/> umzuzeichnen unternähme? — Die Beschäftigung mit einem Zweige der floren-<lb/> tinischen Malerei verpflichtet ja noch nicht zur Abgabe von Generalurteilen über<lb/> ein ganzes historisches Zeitalter. Wer diese aber unternimmt, muß Historiker<lb/> sein, d. h. die Zeit aus allen ihren Quellen kennen, und das läßt sich nicht<lb/> so nebenher gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1870"> Den Gipfel ersteigt die Wortknnst bei der Besprechung von Lionnrdos<lb/> Monalisa. „Von dem Versuch, zu beschreiben, sei abgesehen. Wer immer<lb/> bisher gewagt, Unfaßbares in Worte zu zwingen, glich jenem Knaben der<lb/> Legende, der mit einem Löffel den Ozean ausschöpfen wollte. Nur das Neue<lb/> in diesen: Gemälde soll gesagt werden." Dieses Neue erinnert uns an ein<lb/> bekanntes Wort Lessings, indem es mit dem Satze beginnt: „Der rechte Arm<lb/> liegt, gleichsam aus der Tiefe hervorlaugend, auf dem linken," während in<lb/> Wirklichkeit der Arm auf einer Armlehne des Sessels ruhend sich ganz natür¬<lb/> lich von oben herabneigt. Des weitern kann es nun kaum etwas klareres und<lb/> einfacheres geben als dieses Frauenbild (wie ja alles wahrhaft Große und<lb/> Schöne immer einfach ist), und jeder darf seiner Bewunderung für die<lb/> künstlerischen Mittel, die ein solches Naturbild hervorgebracht haben, freien<lb/> Lauf lassen. Aber Schaeffer verdunkelt sich die klare Erscheinung durch einen<lb/> unverständlichen Hymnus auf das Weib als Gattung, das hier geschildert sein<lb/> soll, auf das „Antlitz mit seinem Lächeln, dem ewig unergründlichen. Darum<lb/> lasen die Menschen nach ihrer Sehnsucht und ihren Erlebnissen, gemäß ihren<lb/> begrenzten Vorstellungen vom Weibe, sündiges und Heiliges aus diesem An¬<lb/> gesicht, und sie hatten Recht und Unrecht zugleich. Viele Möglichkeiten birgt die<lb/> Seele des Weibes; wäre auch nur eine einzige hier Wirklichkeit geworden, so<lb/> hätte Lionardo der Monalisa ihren wunderbarsten Zauber geraubt, die meertiefe<lb/> Unergründlichkeit." Und so geht es weiter bis zu „der glorreichsten Inkarnation<lb/> jenes Urrätsels, das wir Weib nennen," wobei ein natürlich empfindender Leser<lb/> vielleicht denken mag: Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel usw. Jeden¬<lb/> falls fördert man durch Solcherlei Reden kein Kunstverständnis.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
Uunstliteratur
gezogen werden, hört das Vergnügen auf, harmlos zu sein, Andrea del Sarw,
in den Schaeffer alles Mögliche hineinsieht, war in Wirklichkeit gerade wegen
der typischen Weichmütigkeit seiner Gesichter ein sehr schwacher Porträtist, und
diese ganze Auffassung der Porträtmaler seiner Richtung überhaupt ist nicht
Charakterwiedergabe. sondern eine künstlerische Mode, Sie beweist nur, was
die Künstler beabsichtigten, und wie die Dargestellten zu erscheine» wünschten,
und ebensoviele Bildnisse dieser Zeit zeigen uns ganz andre Menschen und
einen völlig andern Ausdruck. Die blasierten, kühlen Florentiner des sech¬
zehnten Jahrhunderts waren nächst den Venezianern die besten Diplomaten,
beobachtende Geschichtschreiber, scharfe Sprachtheoretiker und sogar Naturforscher.
Das lehrt uns ihre Literatur. Und diese Menschen, d. h. das ganze Zeitalter
„am Ende der Republik," sollen wir uns nun wie die Traumfiguren einer
Maeterlinckschen Marionettenkomödie vorstellen, bloß wegen der schwermütigen
Pose auf einem Teil ihrer Bildnisse? Was würde man sagen, wenn jemand
das Charakterbild der verstandesscharfen und rauflustigen Athener im Zeitalter
ihrer großen Kriege nach den sanften Jünglingsköpfen des Parthenonfrieses
umzuzeichnen unternähme? — Die Beschäftigung mit einem Zweige der floren-
tinischen Malerei verpflichtet ja noch nicht zur Abgabe von Generalurteilen über
ein ganzes historisches Zeitalter. Wer diese aber unternimmt, muß Historiker
sein, d. h. die Zeit aus allen ihren Quellen kennen, und das läßt sich nicht
so nebenher gewinnen.
Den Gipfel ersteigt die Wortknnst bei der Besprechung von Lionnrdos
Monalisa. „Von dem Versuch, zu beschreiben, sei abgesehen. Wer immer
bisher gewagt, Unfaßbares in Worte zu zwingen, glich jenem Knaben der
Legende, der mit einem Löffel den Ozean ausschöpfen wollte. Nur das Neue
in diesen: Gemälde soll gesagt werden." Dieses Neue erinnert uns an ein
bekanntes Wort Lessings, indem es mit dem Satze beginnt: „Der rechte Arm
liegt, gleichsam aus der Tiefe hervorlaugend, auf dem linken," während in
Wirklichkeit der Arm auf einer Armlehne des Sessels ruhend sich ganz natür¬
lich von oben herabneigt. Des weitern kann es nun kaum etwas klareres und
einfacheres geben als dieses Frauenbild (wie ja alles wahrhaft Große und
Schöne immer einfach ist), und jeder darf seiner Bewunderung für die
künstlerischen Mittel, die ein solches Naturbild hervorgebracht haben, freien
Lauf lassen. Aber Schaeffer verdunkelt sich die klare Erscheinung durch einen
unverständlichen Hymnus auf das Weib als Gattung, das hier geschildert sein
soll, auf das „Antlitz mit seinem Lächeln, dem ewig unergründlichen. Darum
lasen die Menschen nach ihrer Sehnsucht und ihren Erlebnissen, gemäß ihren
begrenzten Vorstellungen vom Weibe, sündiges und Heiliges aus diesem An¬
gesicht, und sie hatten Recht und Unrecht zugleich. Viele Möglichkeiten birgt die
Seele des Weibes; wäre auch nur eine einzige hier Wirklichkeit geworden, so
hätte Lionardo der Monalisa ihren wunderbarsten Zauber geraubt, die meertiefe
Unergründlichkeit." Und so geht es weiter bis zu „der glorreichsten Inkarnation
jenes Urrätsels, das wir Weib nennen," wobei ein natürlich empfindender Leser
vielleicht denken mag: Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel usw. Jeden¬
falls fördert man durch Solcherlei Reden kein Kunstverständnis.
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