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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Napoleon der Erste in Dresden ^307

auf die Heide gelagert. Eine immer noch stattliche Menge füllte die Steige
hinter dem absperrenden Militär.

Da, endlich, gegen fünf Uhr Nachmittags stiegen die Raketen auf. Von den
Rastadter Wällen antwortete der Donner der Kanonen, und das feierliche Geläut
der Glocken setzte ein. Nach einer Viertelstunde hielten die bestaubten Wagen der
hohen Reisenden vor dem Schwarzen Tor und fuhren dann, da die Monarchen
auf die Staatswagen verzichteten, langsam im Schritt durch die große Allee
zum Schlosse, begleitet vom Spiel der Regimentskapellen und umjubelt von
den endlosen Vivatrufen der Menge. Eine Abteilung königlich sächsischer Dra¬
goner eröffnete den Zug. Dann folgte das Oberjäger- und das Postpersonal, dem
sich die Abteilung Ag,reif co LZorxs angeschlossen hatte. Unmittelbar dahinter
fuhr der achtspännige Reisewagen Napoleons mit dem Kaiser und dem König
im Fond und Napoleons treuem Mamelucken Nustan mit Dolch und Pistolen
im Gürtel auf dem Bock. Napoleon war über den begeisterten Empfang sicht¬
bar erfreut. Als der Jubel nicht enden wollte, zeigte er sich mehrmals am
geöffneten Wagenfenster und drückte seinen Dank durch wiederholte Verbeugungen
aus. In den folgenden Wagen saßen die ersten Würdenträger seines Hoff, der
Großherzog von Berg, der Kriegsminister Berthier, Fürst von Neufchatel, und
der Minister des Äußern Tallehrand, Fürst von Benevent. Dann kam das
weitere höfische und militärische Gefolge der beiden Monarchen.

Napoleon nahm Wohnung im Königlichen Schlosse, und zwar in den
Paradezimmern der zweiten Etage, während der Großherzog von Berg im
Coselschen Palais abstieg. Nachdem der Kaiser die königliche Familie begrüßt
hatte, zog er sich, da er ermüdet war, in seine Gemächer zurück. Er hatte seit
nahezu hundert Stunden den Reisewagen kaum verlassen.^)

Draußen in den Straßen pulsierte das Leben allgemach langsamer und
langsamer. Die Regimenter marschierten in ihre Kasernen zurück. Die Zugewan¬
derten aus der Nachbarschaft verließen die Stadt, da die geplante Illumination
noch am Nachmittage wegen ungenügender Vorbereitung abgesagt und auf den
nächsten Abend verschoben worden war. Auch die Dresdner suchten müde ihre
Wohnungen auf, aber alle waren in freudig erregter Stimmung, vom Minister
bis herunter zum Nachtwächter. Einer von diesen, der vor dem Wilsdruffer
Tor seinen Dienst tat, kleidete das allgemeine Gefühl in folgende selbstverfertigte
Verse, die er nach Abrufung der zehnten Stunde statt des herkömmlichen Ge¬

sangbuchverses sang:


2

Die beiden Herrscher sahen in diesen Tagen einander zum erstenmal. Im
November 1806 hatte Friedrich August vergeblich versucht, eine Zusammenkunft



*) vori'Wp. Äo Ng,poIücM 1, XV, S30 Ur. 12912.
Napoleon der Erste in Dresden ^307

auf die Heide gelagert. Eine immer noch stattliche Menge füllte die Steige
hinter dem absperrenden Militär.

Da, endlich, gegen fünf Uhr Nachmittags stiegen die Raketen auf. Von den
Rastadter Wällen antwortete der Donner der Kanonen, und das feierliche Geläut
der Glocken setzte ein. Nach einer Viertelstunde hielten die bestaubten Wagen der
hohen Reisenden vor dem Schwarzen Tor und fuhren dann, da die Monarchen
auf die Staatswagen verzichteten, langsam im Schritt durch die große Allee
zum Schlosse, begleitet vom Spiel der Regimentskapellen und umjubelt von
den endlosen Vivatrufen der Menge. Eine Abteilung königlich sächsischer Dra¬
goner eröffnete den Zug. Dann folgte das Oberjäger- und das Postpersonal, dem
sich die Abteilung Ag,reif co LZorxs angeschlossen hatte. Unmittelbar dahinter
fuhr der achtspännige Reisewagen Napoleons mit dem Kaiser und dem König
im Fond und Napoleons treuem Mamelucken Nustan mit Dolch und Pistolen
im Gürtel auf dem Bock. Napoleon war über den begeisterten Empfang sicht¬
bar erfreut. Als der Jubel nicht enden wollte, zeigte er sich mehrmals am
geöffneten Wagenfenster und drückte seinen Dank durch wiederholte Verbeugungen
aus. In den folgenden Wagen saßen die ersten Würdenträger seines Hoff, der
Großherzog von Berg, der Kriegsminister Berthier, Fürst von Neufchatel, und
der Minister des Äußern Tallehrand, Fürst von Benevent. Dann kam das
weitere höfische und militärische Gefolge der beiden Monarchen.

Napoleon nahm Wohnung im Königlichen Schlosse, und zwar in den
Paradezimmern der zweiten Etage, während der Großherzog von Berg im
Coselschen Palais abstieg. Nachdem der Kaiser die königliche Familie begrüßt
hatte, zog er sich, da er ermüdet war, in seine Gemächer zurück. Er hatte seit
nahezu hundert Stunden den Reisewagen kaum verlassen.^)

Draußen in den Straßen pulsierte das Leben allgemach langsamer und
langsamer. Die Regimenter marschierten in ihre Kasernen zurück. Die Zugewan¬
derten aus der Nachbarschaft verließen die Stadt, da die geplante Illumination
noch am Nachmittage wegen ungenügender Vorbereitung abgesagt und auf den
nächsten Abend verschoben worden war. Auch die Dresdner suchten müde ihre
Wohnungen auf, aber alle waren in freudig erregter Stimmung, vom Minister
bis herunter zum Nachtwächter. Einer von diesen, der vor dem Wilsdruffer
Tor seinen Dienst tat, kleidete das allgemeine Gefühl in folgende selbstverfertigte
Verse, die er nach Abrufung der zehnten Stunde statt des herkömmlichen Ge¬

sangbuchverses sang:


2

Die beiden Herrscher sahen in diesen Tagen einander zum erstenmal. Im
November 1806 hatte Friedrich August vergeblich versucht, eine Zusammenkunft



*) vori'Wp. Äo Ng,poIücM 1, XV, S30 Ur. 12912.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/376>, abgerufen am 23.07.2024.