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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

In unsrer Gegend gibt es keine gemalten Bauernhäuser, denn nirgends hatten hier
die Bauern je soviel im Überfluß, daß sie es dafür aufgewandt hätten. Übrigens ist
auch die Sitte des Bemalens der Httnser bei uns in den Städten niemals heimisch
geworden. An einem einzigen Hof eines Nachbardorfes hat man unter verschleimen
Lagen von Kalktünchen einen heiligen Florian, den bekannten Heiligen der Bauern¬
häuser, entdeckt und herausgekratzt; es ist auch nur ein kleines unscheinbares Bild.

Ein Bauernhof ist darin ganz Natur, daß er niemals fertig ist, denn ans
dieser Seite ist er neu, auf jener alt; hier verfällt ein Teil, und dort wird vielleicht
ein andrer eben erneuert. Er ist wie einer der Berge, die darauf niederschauen,
oder wie einer der Bäume, die er beschattet, immer im Werden. Menschen, die
nur das Äußere sehen, finden das häßlich. Allerdings fehlt dem Bauernhof, was
man die letzte Feile nennt; aber die fehlt notwendig allem Lebendigen, denn Leben
heißt sich verändern, entwickeln, verfallen. Und wenn nun gerade das Verfallen
nicht einmal immer ein einfaches Vergeh" der Dinge ist, sondern ein Aufrecht¬
erhalten des Alten aus Anhänglichkeit und lieber Gewohnheit, so wollen wir es
von vornherein nicht mit kaltem Auge anschauen. In einem der kleinern Häuser
unsers Dorfes steht ein dreibeiniger Stuhl, in dessen kreisrunden Ahvrnsitz die
Jahreszahl 1731 mit schönen großen Ziffern tief hineingeschnitten ist, von dem
sagte der Schusterbauer, dem er gehörte: Das ist das einzige Stück im ganzen
Hose, das vom Urahn stammt, das und die tiefsten Fundamente, die beim Brande
im Jahre 1801 allein stehn geblieben sind; alles andre ist im Laufe der Jahre
neu gebaut und umgebaut, den Stuhl haben wir bewahrt, und er wird hoffentlich
noch spätern Nachkommen von dem ersten Schusterbauern erzählen, der wirklich ein
Schuster war, der auf diesem Stuhle sein Handwerk ausübte. Da ihm Acker und
Wald durch Erbschaft zufielen, wurden seine Kinder Bauern, und ihre Kindeskinder
sind es bis heute auf demselben Grunde geblieben. -- Einmal sprach ich mit dem
Besitzer des Nußlocher Hoff, der der größte in unsrer Gemeinde ist, über die alte
Stube, die von neuen umgeben gleichsam den Kern seines Unwesens bildete, und
der sagte: Sie ist noch nicht das Älteste, hier ist ein Stein, und dort ist ein
Balken, die älter sind; was alt und gut ist, das wächst eben immer wieder in das
Neue hinein; es ist wie ein Erlenklotz, in den alte Knuppen und junge Triebe in¬
einander gewachsen sind, es ist eigentlich nichts schönes, und doch: wenn man den
Klotz anscinandersägt und poliert die Fläche, da kommt der schönste Maser heraus,
für den die Kunstschreiner ein gut Stück Geld zahlen. -- Vor fünfzig Jahren,
als ich das Dorf betrat, dn kamen eben die großen Pntzmühlen für das Getreide
und verbesserte Pflüge auf, danach folgten die ersten Dreschmaschinen, für alle diese
wurden geschützte Plätze geschaffen, indem man das Scheunendach auf der einen
Seite bis fast auf den Boden fortführte, wodurch ein dreieckiger Raum entstand,
worin diese Dinge untergebracht wurden. Später kam die viel tiefer einschneidende
Maßregel der Feuerversicherung, die Mauerwerk ohne Holzbalken in der Nähe
aller Feuerstätten verlangte. Möge dieser Erneuerungsprvzeß nicht zu rasch vor
sich gehn! Wer alt wird, hat viel gesehen, sagt mau. Das ists, was dem Alter
seine Überlegenheit und Würde gibt. Was macht diesen Dreibeinstuhl des alten
Schusters wertvoll, als der Gedanke, daß sieben Generationen ihn besessen, auf ihm
gearbeitet haben, daß eine ganze Kette von Menschen auf ihm alt geworden ist?
Wäre er in dieser Zeit von einer Hand in die andre gegangen, so wäre er uns
nicht so wert. Aber während die Geschlechter kamen und gingen, blieb er erhalten,
und wenn es auch nur ein Dreibein ist, er kommt mir vor wie der Baum, an dem
sich Jahr für Jahr eine neue Rebe jung emporrankt und welkend niedersinkt. Aber
ist es uicht ebenso mit allem Geräte alten Gebrauchs? Die schönste Farbe am Metall
ist die des Alters, und so ist am Holzgerät der Glanz des Gebrauchs der edelste.

In alten Häusern gibt es noch grüne glänzende Öfen, die mit ebenso vielen
Augen in die Stube leuchten, als sie Kacheln haben. Da aber das Holz immer
teurer geworden ist, sind die kleinern Leute zu kleinern Öfen übergegangen, und


Glücksinseln und Träume

In unsrer Gegend gibt es keine gemalten Bauernhäuser, denn nirgends hatten hier
die Bauern je soviel im Überfluß, daß sie es dafür aufgewandt hätten. Übrigens ist
auch die Sitte des Bemalens der Httnser bei uns in den Städten niemals heimisch
geworden. An einem einzigen Hof eines Nachbardorfes hat man unter verschleimen
Lagen von Kalktünchen einen heiligen Florian, den bekannten Heiligen der Bauern¬
häuser, entdeckt und herausgekratzt; es ist auch nur ein kleines unscheinbares Bild.

Ein Bauernhof ist darin ganz Natur, daß er niemals fertig ist, denn ans
dieser Seite ist er neu, auf jener alt; hier verfällt ein Teil, und dort wird vielleicht
ein andrer eben erneuert. Er ist wie einer der Berge, die darauf niederschauen,
oder wie einer der Bäume, die er beschattet, immer im Werden. Menschen, die
nur das Äußere sehen, finden das häßlich. Allerdings fehlt dem Bauernhof, was
man die letzte Feile nennt; aber die fehlt notwendig allem Lebendigen, denn Leben
heißt sich verändern, entwickeln, verfallen. Und wenn nun gerade das Verfallen
nicht einmal immer ein einfaches Vergeh» der Dinge ist, sondern ein Aufrecht¬
erhalten des Alten aus Anhänglichkeit und lieber Gewohnheit, so wollen wir es
von vornherein nicht mit kaltem Auge anschauen. In einem der kleinern Häuser
unsers Dorfes steht ein dreibeiniger Stuhl, in dessen kreisrunden Ahvrnsitz die
Jahreszahl 1731 mit schönen großen Ziffern tief hineingeschnitten ist, von dem
sagte der Schusterbauer, dem er gehörte: Das ist das einzige Stück im ganzen
Hose, das vom Urahn stammt, das und die tiefsten Fundamente, die beim Brande
im Jahre 1801 allein stehn geblieben sind; alles andre ist im Laufe der Jahre
neu gebaut und umgebaut, den Stuhl haben wir bewahrt, und er wird hoffentlich
noch spätern Nachkommen von dem ersten Schusterbauern erzählen, der wirklich ein
Schuster war, der auf diesem Stuhle sein Handwerk ausübte. Da ihm Acker und
Wald durch Erbschaft zufielen, wurden seine Kinder Bauern, und ihre Kindeskinder
sind es bis heute auf demselben Grunde geblieben. — Einmal sprach ich mit dem
Besitzer des Nußlocher Hoff, der der größte in unsrer Gemeinde ist, über die alte
Stube, die von neuen umgeben gleichsam den Kern seines Unwesens bildete, und
der sagte: Sie ist noch nicht das Älteste, hier ist ein Stein, und dort ist ein
Balken, die älter sind; was alt und gut ist, das wächst eben immer wieder in das
Neue hinein; es ist wie ein Erlenklotz, in den alte Knuppen und junge Triebe in¬
einander gewachsen sind, es ist eigentlich nichts schönes, und doch: wenn man den
Klotz anscinandersägt und poliert die Fläche, da kommt der schönste Maser heraus,
für den die Kunstschreiner ein gut Stück Geld zahlen. — Vor fünfzig Jahren,
als ich das Dorf betrat, dn kamen eben die großen Pntzmühlen für das Getreide
und verbesserte Pflüge auf, danach folgten die ersten Dreschmaschinen, für alle diese
wurden geschützte Plätze geschaffen, indem man das Scheunendach auf der einen
Seite bis fast auf den Boden fortführte, wodurch ein dreieckiger Raum entstand,
worin diese Dinge untergebracht wurden. Später kam die viel tiefer einschneidende
Maßregel der Feuerversicherung, die Mauerwerk ohne Holzbalken in der Nähe
aller Feuerstätten verlangte. Möge dieser Erneuerungsprvzeß nicht zu rasch vor
sich gehn! Wer alt wird, hat viel gesehen, sagt mau. Das ists, was dem Alter
seine Überlegenheit und Würde gibt. Was macht diesen Dreibeinstuhl des alten
Schusters wertvoll, als der Gedanke, daß sieben Generationen ihn besessen, auf ihm
gearbeitet haben, daß eine ganze Kette von Menschen auf ihm alt geworden ist?
Wäre er in dieser Zeit von einer Hand in die andre gegangen, so wäre er uns
nicht so wert. Aber während die Geschlechter kamen und gingen, blieb er erhalten,
und wenn es auch nur ein Dreibein ist, er kommt mir vor wie der Baum, an dem
sich Jahr für Jahr eine neue Rebe jung emporrankt und welkend niedersinkt. Aber
ist es uicht ebenso mit allem Geräte alten Gebrauchs? Die schönste Farbe am Metall
ist die des Alters, und so ist am Holzgerät der Glanz des Gebrauchs der edelste.

In alten Häusern gibt es noch grüne glänzende Öfen, die mit ebenso vielen
Augen in die Stube leuchten, als sie Kacheln haben. Da aber das Holz immer
teurer geworden ist, sind die kleinern Leute zu kleinern Öfen übergegangen, und


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[0341] Glücksinseln und Träume In unsrer Gegend gibt es keine gemalten Bauernhäuser, denn nirgends hatten hier die Bauern je soviel im Überfluß, daß sie es dafür aufgewandt hätten. Übrigens ist auch die Sitte des Bemalens der Httnser bei uns in den Städten niemals heimisch geworden. An einem einzigen Hof eines Nachbardorfes hat man unter verschleimen Lagen von Kalktünchen einen heiligen Florian, den bekannten Heiligen der Bauern¬ häuser, entdeckt und herausgekratzt; es ist auch nur ein kleines unscheinbares Bild. Ein Bauernhof ist darin ganz Natur, daß er niemals fertig ist, denn ans dieser Seite ist er neu, auf jener alt; hier verfällt ein Teil, und dort wird vielleicht ein andrer eben erneuert. Er ist wie einer der Berge, die darauf niederschauen, oder wie einer der Bäume, die er beschattet, immer im Werden. Menschen, die nur das Äußere sehen, finden das häßlich. Allerdings fehlt dem Bauernhof, was man die letzte Feile nennt; aber die fehlt notwendig allem Lebendigen, denn Leben heißt sich verändern, entwickeln, verfallen. Und wenn nun gerade das Verfallen nicht einmal immer ein einfaches Vergeh» der Dinge ist, sondern ein Aufrecht¬ erhalten des Alten aus Anhänglichkeit und lieber Gewohnheit, so wollen wir es von vornherein nicht mit kaltem Auge anschauen. In einem der kleinern Häuser unsers Dorfes steht ein dreibeiniger Stuhl, in dessen kreisrunden Ahvrnsitz die Jahreszahl 1731 mit schönen großen Ziffern tief hineingeschnitten ist, von dem sagte der Schusterbauer, dem er gehörte: Das ist das einzige Stück im ganzen Hose, das vom Urahn stammt, das und die tiefsten Fundamente, die beim Brande im Jahre 1801 allein stehn geblieben sind; alles andre ist im Laufe der Jahre neu gebaut und umgebaut, den Stuhl haben wir bewahrt, und er wird hoffentlich noch spätern Nachkommen von dem ersten Schusterbauern erzählen, der wirklich ein Schuster war, der auf diesem Stuhle sein Handwerk ausübte. Da ihm Acker und Wald durch Erbschaft zufielen, wurden seine Kinder Bauern, und ihre Kindeskinder sind es bis heute auf demselben Grunde geblieben. — Einmal sprach ich mit dem Besitzer des Nußlocher Hoff, der der größte in unsrer Gemeinde ist, über die alte Stube, die von neuen umgeben gleichsam den Kern seines Unwesens bildete, und der sagte: Sie ist noch nicht das Älteste, hier ist ein Stein, und dort ist ein Balken, die älter sind; was alt und gut ist, das wächst eben immer wieder in das Neue hinein; es ist wie ein Erlenklotz, in den alte Knuppen und junge Triebe in¬ einander gewachsen sind, es ist eigentlich nichts schönes, und doch: wenn man den Klotz anscinandersägt und poliert die Fläche, da kommt der schönste Maser heraus, für den die Kunstschreiner ein gut Stück Geld zahlen. — Vor fünfzig Jahren, als ich das Dorf betrat, dn kamen eben die großen Pntzmühlen für das Getreide und verbesserte Pflüge auf, danach folgten die ersten Dreschmaschinen, für alle diese wurden geschützte Plätze geschaffen, indem man das Scheunendach auf der einen Seite bis fast auf den Boden fortführte, wodurch ein dreieckiger Raum entstand, worin diese Dinge untergebracht wurden. Später kam die viel tiefer einschneidende Maßregel der Feuerversicherung, die Mauerwerk ohne Holzbalken in der Nähe aller Feuerstätten verlangte. Möge dieser Erneuerungsprvzeß nicht zu rasch vor sich gehn! Wer alt wird, hat viel gesehen, sagt mau. Das ists, was dem Alter seine Überlegenheit und Würde gibt. Was macht diesen Dreibeinstuhl des alten Schusters wertvoll, als der Gedanke, daß sieben Generationen ihn besessen, auf ihm gearbeitet haben, daß eine ganze Kette von Menschen auf ihm alt geworden ist? Wäre er in dieser Zeit von einer Hand in die andre gegangen, so wäre er uns nicht so wert. Aber während die Geschlechter kamen und gingen, blieb er erhalten, und wenn es auch nur ein Dreibein ist, er kommt mir vor wie der Baum, an dem sich Jahr für Jahr eine neue Rebe jung emporrankt und welkend niedersinkt. Aber ist es uicht ebenso mit allem Geräte alten Gebrauchs? Die schönste Farbe am Metall ist die des Alters, und so ist am Holzgerät der Glanz des Gebrauchs der edelste. In alten Häusern gibt es noch grüne glänzende Öfen, die mit ebenso vielen Augen in die Stube leuchten, als sie Kacheln haben. Da aber das Holz immer teurer geworden ist, sind die kleinern Leute zu kleinern Öfen übergegangen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/341>, abgerufen am 29.09.2024.