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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

spruchslosen, unpoetischen Gewächse sind es, die den größten Raum einnehmen.
Wir leben eben im Zeitalter der Nützlichkeit.

Das ist die Aussicht, die den Bauer freut: der Blick auf sein Dorf, wo
seine Heimat im engsten Sinne ist, deren Dach, deren darüber hervorragenden
dunkeln Birn- oder hellen Nußbaum er erkennt. Ist es nicht natürlich, daß man
den Blick aufs Liebste, das man hat, jedem andern vorzieht? Man wendet sich
auch einmal auf einer solchen Höhe um, wundert sich über die Nebelbank im Rhein-
tnl oder die ganz fernen linksrheinischen Berge, die nach Sturm oder in den hellen
Pausen eines Regentags blau am Abendhimmel stehn. Aber das sind nur Kuriosi¬
täten. Herzensfäden spinnen sich da hinüber nicht, die wachsen nur dem Eigensten
und Nächsten zu. Man kann wohl einen alten Bauer, der nicht mehr gerade die
schwerste Arbeit tut, auf dem höchsten Punkte seines Ackers stillstehn und lange,
wie in Gedanken versunken, ins Tal hinabschauu sehen. Der Fremdling möchte
ihn wohl für einen schwärmerischen Naturbewundrer halten; wenn er zu ihm hin¬
tritt, .möge er nicht enttäuscht sein, wenn das Sinnen des alten Mannes dem offnen
Scheunentor in seinem Gehöft galt, oder wenn er wohlgefällig dem Rhythmus des
Dreschens lauschte, das von seiner Tenne herauftönt.

Die Alleen von Obstbnumeu, die vom Dorf in die Felder hinausziehn, setzen
die Dorfstraßen und Dorfwege fort. Ihre dunkeln Linien führen in die sonnigen
Felder und verdichten sich, wo an Kreuzwegen die Baumreihen zusammentreffen.
Sie sind erst im achtzehnten Jahrhundert entstanden; da aber alle Obstbäume, der
Wnlnußbanm ausgenommen, schon in ihren ersten Lebensjahren charaktervolle
Physiognomien annehmen, so haben wir sehr viel Apfel- und Birnbäume, auch
Kirschbäume, die ein uraltes Ausehen haben, und deren jeder sozusagen eine Per¬
sönlichkeit ist. Man hat bei ihnen immer den Eindruck, als ob sie sich plagen
müßten, ihre Lasten süßer Früchte heranzupflegen und durch Sonne und Wetter
dem Herbst entgegenzutragen; aber wenn sie es nicht gern täten, würden sie sie
in solcher Fülle tragen, daß sich die Äste biegen? Dieser Eifer und diese Güte
rühren uns, und wir schließen Bekanntschaften mit ihnen, und manche merkwürdige
Gestalt darunter bleibt uns unvergeßlich. Sie leben in unsrer Erinnerung, diese
alten Bäume, wie die alten Bauern, ohne die wir uns das Dorf nicht vorstellen
können. Und leben sie nicht in der Tat? Wenden sie sich nicht der Sonne zu,
sodaß sie zuletzt der Straße den Rücken kehren? Halten sie ihr nicht ihre Früchte
entgegen, daß sie sich rascher röter? Und jubeln sie nicht in die helle Frühlings¬
luft hinaus mit ihren weißen und roten Blütensträußeu?

Die Dörfer find bei uns klein und liegen immer an den Straßen und Bächen,
meist dort, wo die einen zu den andern herabsteigen, recht versteckt in der Tiefe.
So liegt auch mein Dörfchen in einem Kessel oder vielmehr in einer ziemlich flachen
Mulde, und es ist sehr auffallend zu sehen, wenn man von Sensenheim oder von
Breitbruck. den beiden Verkehrs- und Kulturzentren, ansehnlichen Marktflecken, her¬
kommt, wie die graubraune", moosgrünen Dächer da unten zusammengedrängt liegen,
wie ein kleines Gebirge von Firsten und Giebeln, und darüber dunkle Wolken, die
Bäume, die vor den Häusern oder in den Grasgärten stehn, und wie an ihrem
erhöhten Rande aus einer Gruppe von größern, weißwändigen Gebäuden der
blendend weiße Kirchturm mit seinem Kuppeldach aus altersgrauen Schindel" wie
eine Kerze hervvrtancht. Dem frommen Vergleich einer Herde von Hütten, die sich
um die Kirche, ihren Hirten und treuen Beschützer, drängt, setzte der aufgeklärte
Dorfarzt, der übrigens ganz freundlich mit den beiden Geistlichen verkehrt, die
trivial-kritische Ansicht entgegen, die Kirche bemühe sich vergebens, die Eichelberger
aus dem Pfuhl ihrer sündigten herauszuziehn; der Forstgehilfe aber berichtete
schwäbelnd: Mei Bruder, der Herre Nentamtmmm, sagt, Eichelberg komm ihm vor,
als seie seine Bauernhäuser in eine Kesseltreibe zsammekomme. Er leerte nach
dieser Behauptung sein Glas goldgelben Bieres und setzte das leere Glas in einen
Sonnenfleck, der auf dem Tische spielte, daß es hell aufleuchtete; die Herren tranken


Glücksinseln und Träume

spruchslosen, unpoetischen Gewächse sind es, die den größten Raum einnehmen.
Wir leben eben im Zeitalter der Nützlichkeit.

Das ist die Aussicht, die den Bauer freut: der Blick auf sein Dorf, wo
seine Heimat im engsten Sinne ist, deren Dach, deren darüber hervorragenden
dunkeln Birn- oder hellen Nußbaum er erkennt. Ist es nicht natürlich, daß man
den Blick aufs Liebste, das man hat, jedem andern vorzieht? Man wendet sich
auch einmal auf einer solchen Höhe um, wundert sich über die Nebelbank im Rhein-
tnl oder die ganz fernen linksrheinischen Berge, die nach Sturm oder in den hellen
Pausen eines Regentags blau am Abendhimmel stehn. Aber das sind nur Kuriosi¬
täten. Herzensfäden spinnen sich da hinüber nicht, die wachsen nur dem Eigensten
und Nächsten zu. Man kann wohl einen alten Bauer, der nicht mehr gerade die
schwerste Arbeit tut, auf dem höchsten Punkte seines Ackers stillstehn und lange,
wie in Gedanken versunken, ins Tal hinabschauu sehen. Der Fremdling möchte
ihn wohl für einen schwärmerischen Naturbewundrer halten; wenn er zu ihm hin¬
tritt, .möge er nicht enttäuscht sein, wenn das Sinnen des alten Mannes dem offnen
Scheunentor in seinem Gehöft galt, oder wenn er wohlgefällig dem Rhythmus des
Dreschens lauschte, das von seiner Tenne herauftönt.

Die Alleen von Obstbnumeu, die vom Dorf in die Felder hinausziehn, setzen
die Dorfstraßen und Dorfwege fort. Ihre dunkeln Linien führen in die sonnigen
Felder und verdichten sich, wo an Kreuzwegen die Baumreihen zusammentreffen.
Sie sind erst im achtzehnten Jahrhundert entstanden; da aber alle Obstbäume, der
Wnlnußbanm ausgenommen, schon in ihren ersten Lebensjahren charaktervolle
Physiognomien annehmen, so haben wir sehr viel Apfel- und Birnbäume, auch
Kirschbäume, die ein uraltes Ausehen haben, und deren jeder sozusagen eine Per¬
sönlichkeit ist. Man hat bei ihnen immer den Eindruck, als ob sie sich plagen
müßten, ihre Lasten süßer Früchte heranzupflegen und durch Sonne und Wetter
dem Herbst entgegenzutragen; aber wenn sie es nicht gern täten, würden sie sie
in solcher Fülle tragen, daß sich die Äste biegen? Dieser Eifer und diese Güte
rühren uns, und wir schließen Bekanntschaften mit ihnen, und manche merkwürdige
Gestalt darunter bleibt uns unvergeßlich. Sie leben in unsrer Erinnerung, diese
alten Bäume, wie die alten Bauern, ohne die wir uns das Dorf nicht vorstellen
können. Und leben sie nicht in der Tat? Wenden sie sich nicht der Sonne zu,
sodaß sie zuletzt der Straße den Rücken kehren? Halten sie ihr nicht ihre Früchte
entgegen, daß sie sich rascher röter? Und jubeln sie nicht in die helle Frühlings¬
luft hinaus mit ihren weißen und roten Blütensträußeu?

Die Dörfer find bei uns klein und liegen immer an den Straßen und Bächen,
meist dort, wo die einen zu den andern herabsteigen, recht versteckt in der Tiefe.
So liegt auch mein Dörfchen in einem Kessel oder vielmehr in einer ziemlich flachen
Mulde, und es ist sehr auffallend zu sehen, wenn man von Sensenheim oder von
Breitbruck. den beiden Verkehrs- und Kulturzentren, ansehnlichen Marktflecken, her¬
kommt, wie die graubraune», moosgrünen Dächer da unten zusammengedrängt liegen,
wie ein kleines Gebirge von Firsten und Giebeln, und darüber dunkle Wolken, die
Bäume, die vor den Häusern oder in den Grasgärten stehn, und wie an ihrem
erhöhten Rande aus einer Gruppe von größern, weißwändigen Gebäuden der
blendend weiße Kirchturm mit seinem Kuppeldach aus altersgrauen Schindel» wie
eine Kerze hervvrtancht. Dem frommen Vergleich einer Herde von Hütten, die sich
um die Kirche, ihren Hirten und treuen Beschützer, drängt, setzte der aufgeklärte
Dorfarzt, der übrigens ganz freundlich mit den beiden Geistlichen verkehrt, die
trivial-kritische Ansicht entgegen, die Kirche bemühe sich vergebens, die Eichelberger
aus dem Pfuhl ihrer sündigten herauszuziehn; der Forstgehilfe aber berichtete
schwäbelnd: Mei Bruder, der Herre Nentamtmmm, sagt, Eichelberg komm ihm vor,
als seie seine Bauernhäuser in eine Kesseltreibe zsammekomme. Er leerte nach
dieser Behauptung sein Glas goldgelben Bieres und setzte das leere Glas in einen
Sonnenfleck, der auf dem Tische spielte, daß es hell aufleuchtete; die Herren tranken


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[0337] Glücksinseln und Träume spruchslosen, unpoetischen Gewächse sind es, die den größten Raum einnehmen. Wir leben eben im Zeitalter der Nützlichkeit. Das ist die Aussicht, die den Bauer freut: der Blick auf sein Dorf, wo seine Heimat im engsten Sinne ist, deren Dach, deren darüber hervorragenden dunkeln Birn- oder hellen Nußbaum er erkennt. Ist es nicht natürlich, daß man den Blick aufs Liebste, das man hat, jedem andern vorzieht? Man wendet sich auch einmal auf einer solchen Höhe um, wundert sich über die Nebelbank im Rhein- tnl oder die ganz fernen linksrheinischen Berge, die nach Sturm oder in den hellen Pausen eines Regentags blau am Abendhimmel stehn. Aber das sind nur Kuriosi¬ täten. Herzensfäden spinnen sich da hinüber nicht, die wachsen nur dem Eigensten und Nächsten zu. Man kann wohl einen alten Bauer, der nicht mehr gerade die schwerste Arbeit tut, auf dem höchsten Punkte seines Ackers stillstehn und lange, wie in Gedanken versunken, ins Tal hinabschauu sehen. Der Fremdling möchte ihn wohl für einen schwärmerischen Naturbewundrer halten; wenn er zu ihm hin¬ tritt, .möge er nicht enttäuscht sein, wenn das Sinnen des alten Mannes dem offnen Scheunentor in seinem Gehöft galt, oder wenn er wohlgefällig dem Rhythmus des Dreschens lauschte, das von seiner Tenne herauftönt. Die Alleen von Obstbnumeu, die vom Dorf in die Felder hinausziehn, setzen die Dorfstraßen und Dorfwege fort. Ihre dunkeln Linien führen in die sonnigen Felder und verdichten sich, wo an Kreuzwegen die Baumreihen zusammentreffen. Sie sind erst im achtzehnten Jahrhundert entstanden; da aber alle Obstbäume, der Wnlnußbanm ausgenommen, schon in ihren ersten Lebensjahren charaktervolle Physiognomien annehmen, so haben wir sehr viel Apfel- und Birnbäume, auch Kirschbäume, die ein uraltes Ausehen haben, und deren jeder sozusagen eine Per¬ sönlichkeit ist. Man hat bei ihnen immer den Eindruck, als ob sie sich plagen müßten, ihre Lasten süßer Früchte heranzupflegen und durch Sonne und Wetter dem Herbst entgegenzutragen; aber wenn sie es nicht gern täten, würden sie sie in solcher Fülle tragen, daß sich die Äste biegen? Dieser Eifer und diese Güte rühren uns, und wir schließen Bekanntschaften mit ihnen, und manche merkwürdige Gestalt darunter bleibt uns unvergeßlich. Sie leben in unsrer Erinnerung, diese alten Bäume, wie die alten Bauern, ohne die wir uns das Dorf nicht vorstellen können. Und leben sie nicht in der Tat? Wenden sie sich nicht der Sonne zu, sodaß sie zuletzt der Straße den Rücken kehren? Halten sie ihr nicht ihre Früchte entgegen, daß sie sich rascher röter? Und jubeln sie nicht in die helle Frühlings¬ luft hinaus mit ihren weißen und roten Blütensträußeu? Die Dörfer find bei uns klein und liegen immer an den Straßen und Bächen, meist dort, wo die einen zu den andern herabsteigen, recht versteckt in der Tiefe. So liegt auch mein Dörfchen in einem Kessel oder vielmehr in einer ziemlich flachen Mulde, und es ist sehr auffallend zu sehen, wenn man von Sensenheim oder von Breitbruck. den beiden Verkehrs- und Kulturzentren, ansehnlichen Marktflecken, her¬ kommt, wie die graubraune», moosgrünen Dächer da unten zusammengedrängt liegen, wie ein kleines Gebirge von Firsten und Giebeln, und darüber dunkle Wolken, die Bäume, die vor den Häusern oder in den Grasgärten stehn, und wie an ihrem erhöhten Rande aus einer Gruppe von größern, weißwändigen Gebäuden der blendend weiße Kirchturm mit seinem Kuppeldach aus altersgrauen Schindel» wie eine Kerze hervvrtancht. Dem frommen Vergleich einer Herde von Hütten, die sich um die Kirche, ihren Hirten und treuen Beschützer, drängt, setzte der aufgeklärte Dorfarzt, der übrigens ganz freundlich mit den beiden Geistlichen verkehrt, die trivial-kritische Ansicht entgegen, die Kirche bemühe sich vergebens, die Eichelberger aus dem Pfuhl ihrer sündigten herauszuziehn; der Forstgehilfe aber berichtete schwäbelnd: Mei Bruder, der Herre Nentamtmmm, sagt, Eichelberg komm ihm vor, als seie seine Bauernhäuser in eine Kesseltreibe zsammekomme. Er leerte nach dieser Behauptung sein Glas goldgelben Bieres und setzte das leere Glas in einen Sonnenfleck, der auf dem Tische spielte, daß es hell aufleuchtete; die Herren tranken

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/337>, abgerufen am 23.07.2024.