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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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sie Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Rüste

zurück. Auf dem dehnbaren Fundamente der neun Artikel Christians des
Dritten, des Helgoländer Privilegs und besonders der vorstehenden verun¬
glückten Bestimmung des Begriffs der DereliMou konnte die Willkür der
Berger fest gegründet ins Weite wachsen. Und sie wuchs. Vorhanden war
sie schon vor der Verleihung des Helgoländer Sonderrechts, das nur eine
vonürmMon einer "Gerechtigkeit" ist, die sich die Insulaner "vor Alters her"
anmaßten.

Seinen Höhepunkt erreichte der offizielle Strandraub auf Helgoland nach
dem Jahre 1729, seit dem die an den Küsten der Herzogtümer gestrandeten
Schiffe nicht mehr wirklich äsreliotao sein mußten, sondern nur gleichsam pro
äörsliotis gehalten zu werden brauchten, um dem Straudrechte zu verfallen.

Das Schlimmste war, daß infolge der unglücklichen, die Habsucht ent¬
fesselnden dänischen und Schleswig-holsteinischen Strandrechtsbestimmungen ein
Gewerbe erkrankte, zu dessen Ausübung die Bewohner der einsamen Insel an
dem gefährlichen Wege zur Elbemünduug und zum größten Hafen des Fest¬
landes berufen waren. Das falsche Tief und die Norderelbe, die beide ins
Watt führen, zu meiden und zwischen den Sünden und Nissen der Elbe¬
mündung an Scharhörn und Nauwerk vorbei den schmalen Pfad nach Kux-
haven oder durch das Wirrsal der Sünde und Platten der Wesermündung zu
siudeu und nicht zu verlieren, verstanden nur die Helgoländer. Vom höchsten
Punkte ihres Eilandes sahen sie nach Schiffen aus, die ihrer Führung be¬
durften, oder sie kreuzten mit ihren Schniggen, kleinen bedeckten Fischerfahr¬
zeugen, "wol 15 Meilen nach Westen zu" vor deu Sünden der beiden Flu߬
mündungen, um Weser- oder elbcwärts fahrenden Schiffen ihre Hilfe anzubieten.
Dabei scheinen sich Mißbräuche eingeschlichen zu haben, denn 1682 setzten die
Helgoländer im Einvernehmen mit dem Landvögte fest, daß niemand "ausser
der behelmten Zeit als von (?r<zssori biß ^aeovi bey nahmhafter ?von auf
Lootsen kreutzen" solle, noch früher -- 1671 -- ein Verbot erfolgt war, "das;
abseiten der ?i1otev bey strenger Ahndung keine unbillige Forderung und
Übersetzung geschweige grobe Begegnung gegen Fremde Schiffers vorzunehmen."
Dieses Verbot läßt mehr als Auswüchse des Geschäftsneides vermuten. Noch
schlimmere Vorgänge muß man nach einem Dekret Herzog Friedrichs vom
Jahre 1649 befürchten, worin bestimmt wird, "daß .... wenn durch eines
?lIot6v. Nachläßigkeit ein Schis auf gebracht worden, der?not seines Amtes
zu entsezen > die aufgebrachte Güter keines wegen für Strand-Güter anzu¬
sehen j sondern solche gegen ein billiges Berge-Lohn abzuliefern."

Die schlimmen Schäden, womit nach diesen Verfügungen das Helgoländer
Lotsenlvesen im siebzehnten Jahrhundert behaftet gewesen zu sein scheint, stellte
Büsch an ihm in der zweiten Hälfte des achtzehnte" Jahrhunderts tnt¬

sächlich fest.

(Schluß folgt)




Grenzlioten IV 1904^;
sie Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Rüste

zurück. Auf dem dehnbaren Fundamente der neun Artikel Christians des
Dritten, des Helgoländer Privilegs und besonders der vorstehenden verun¬
glückten Bestimmung des Begriffs der DereliMou konnte die Willkür der
Berger fest gegründet ins Weite wachsen. Und sie wuchs. Vorhanden war
sie schon vor der Verleihung des Helgoländer Sonderrechts, das nur eine
vonürmMon einer „Gerechtigkeit" ist, die sich die Insulaner „vor Alters her"
anmaßten.

Seinen Höhepunkt erreichte der offizielle Strandraub auf Helgoland nach
dem Jahre 1729, seit dem die an den Küsten der Herzogtümer gestrandeten
Schiffe nicht mehr wirklich äsreliotao sein mußten, sondern nur gleichsam pro
äörsliotis gehalten zu werden brauchten, um dem Straudrechte zu verfallen.

Das Schlimmste war, daß infolge der unglücklichen, die Habsucht ent¬
fesselnden dänischen und Schleswig-holsteinischen Strandrechtsbestimmungen ein
Gewerbe erkrankte, zu dessen Ausübung die Bewohner der einsamen Insel an
dem gefährlichen Wege zur Elbemünduug und zum größten Hafen des Fest¬
landes berufen waren. Das falsche Tief und die Norderelbe, die beide ins
Watt führen, zu meiden und zwischen den Sünden und Nissen der Elbe¬
mündung an Scharhörn und Nauwerk vorbei den schmalen Pfad nach Kux-
haven oder durch das Wirrsal der Sünde und Platten der Wesermündung zu
siudeu und nicht zu verlieren, verstanden nur die Helgoländer. Vom höchsten
Punkte ihres Eilandes sahen sie nach Schiffen aus, die ihrer Führung be¬
durften, oder sie kreuzten mit ihren Schniggen, kleinen bedeckten Fischerfahr¬
zeugen, „wol 15 Meilen nach Westen zu" vor deu Sünden der beiden Flu߬
mündungen, um Weser- oder elbcwärts fahrenden Schiffen ihre Hilfe anzubieten.
Dabei scheinen sich Mißbräuche eingeschlichen zu haben, denn 1682 setzten die
Helgoländer im Einvernehmen mit dem Landvögte fest, daß niemand „ausser
der behelmten Zeit als von (?r<zssori biß ^aeovi bey nahmhafter ?von auf
Lootsen kreutzen" solle, noch früher — 1671 — ein Verbot erfolgt war, „das;
abseiten der ?i1otev bey strenger Ahndung keine unbillige Forderung und
Übersetzung geschweige grobe Begegnung gegen Fremde Schiffers vorzunehmen."
Dieses Verbot läßt mehr als Auswüchse des Geschäftsneides vermuten. Noch
schlimmere Vorgänge muß man nach einem Dekret Herzog Friedrichs vom
Jahre 1649 befürchten, worin bestimmt wird, „daß .... wenn durch eines
?lIot6v. Nachläßigkeit ein Schis auf gebracht worden, der?not seines Amtes
zu entsezen > die aufgebrachte Güter keines wegen für Strand-Güter anzu¬
sehen j sondern solche gegen ein billiges Berge-Lohn abzuliefern."

Die schlimmen Schäden, womit nach diesen Verfügungen das Helgoländer
Lotsenlvesen im siebzehnten Jahrhundert behaftet gewesen zu sein scheint, stellte
Büsch an ihm in der zweiten Hälfte des achtzehnte» Jahrhunderts tnt¬

sächlich fest.

(Schluß folgt)




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[0319] sie Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Rüste zurück. Auf dem dehnbaren Fundamente der neun Artikel Christians des Dritten, des Helgoländer Privilegs und besonders der vorstehenden verun¬ glückten Bestimmung des Begriffs der DereliMou konnte die Willkür der Berger fest gegründet ins Weite wachsen. Und sie wuchs. Vorhanden war sie schon vor der Verleihung des Helgoländer Sonderrechts, das nur eine vonürmMon einer „Gerechtigkeit" ist, die sich die Insulaner „vor Alters her" anmaßten. Seinen Höhepunkt erreichte der offizielle Strandraub auf Helgoland nach dem Jahre 1729, seit dem die an den Küsten der Herzogtümer gestrandeten Schiffe nicht mehr wirklich äsreliotao sein mußten, sondern nur gleichsam pro äörsliotis gehalten zu werden brauchten, um dem Straudrechte zu verfallen. Das Schlimmste war, daß infolge der unglücklichen, die Habsucht ent¬ fesselnden dänischen und Schleswig-holsteinischen Strandrechtsbestimmungen ein Gewerbe erkrankte, zu dessen Ausübung die Bewohner der einsamen Insel an dem gefährlichen Wege zur Elbemünduug und zum größten Hafen des Fest¬ landes berufen waren. Das falsche Tief und die Norderelbe, die beide ins Watt führen, zu meiden und zwischen den Sünden und Nissen der Elbe¬ mündung an Scharhörn und Nauwerk vorbei den schmalen Pfad nach Kux- haven oder durch das Wirrsal der Sünde und Platten der Wesermündung zu siudeu und nicht zu verlieren, verstanden nur die Helgoländer. Vom höchsten Punkte ihres Eilandes sahen sie nach Schiffen aus, die ihrer Führung be¬ durften, oder sie kreuzten mit ihren Schniggen, kleinen bedeckten Fischerfahr¬ zeugen, „wol 15 Meilen nach Westen zu" vor deu Sünden der beiden Flu߬ mündungen, um Weser- oder elbcwärts fahrenden Schiffen ihre Hilfe anzubieten. Dabei scheinen sich Mißbräuche eingeschlichen zu haben, denn 1682 setzten die Helgoländer im Einvernehmen mit dem Landvögte fest, daß niemand „ausser der behelmten Zeit als von (?r<zssori biß ^aeovi bey nahmhafter ?von auf Lootsen kreutzen" solle, noch früher — 1671 — ein Verbot erfolgt war, „das; abseiten der ?i1otev bey strenger Ahndung keine unbillige Forderung und Übersetzung geschweige grobe Begegnung gegen Fremde Schiffers vorzunehmen." Dieses Verbot läßt mehr als Auswüchse des Geschäftsneides vermuten. Noch schlimmere Vorgänge muß man nach einem Dekret Herzog Friedrichs vom Jahre 1649 befürchten, worin bestimmt wird, „daß .... wenn durch eines ?lIot6v. Nachläßigkeit ein Schis auf gebracht worden, der?not seines Amtes zu entsezen > die aufgebrachte Güter keines wegen für Strand-Güter anzu¬ sehen j sondern solche gegen ein billiges Berge-Lohn abzuliefern." Die schlimmen Schäden, womit nach diesen Verfügungen das Helgoländer Lotsenlvesen im siebzehnten Jahrhundert behaftet gewesen zu sein scheint, stellte Büsch an ihm in der zweiten Hälfte des achtzehnte» Jahrhunderts tnt¬ sächlich fest. (Schluß folgt) Grenzlioten IV 1904^;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/319>, abgerufen am 29.09.2024.