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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Damen ans Markby

Wirklichkeit war. Anstatt sogleich selbst Arvid ihre Treulosigkeit zu bekennen -- nun
konnte sie sich ja nicht mehr selbst betrügen und sich einreden, daß es ihre Pflicht
sei, zu schweigen --, lebte sie nun in beständiger Angst, daß er etwas entdecken
und es ihr vorhalten könnte. Vor ihrem Bräutigam hatte sie sich von jeher etwas
gefürchtet, sich immer etwas scheu und gedrückt in seiner Nähe gefühlt, und nun?
Nein, niemals würde sie den Mut fassen, ihm das Entsetzliche, das sie nun auf
ihrem armen Gewissen hatte, zu bekennen! Da war es viel bequemer, einfach den
Kopf an seine Schulter zu pressen, seine ruhige Zärtlichkeit, die sie nicht zurückzu¬
weisen wagte, zu ertragen und sich nachher vor Gewissensqual krcmkzuweinen . . .
bis sie sich, ja bis sie sich in ihrer Überreizung und ihrer Verzweiflung einredete,
daß es gräßlich dumm, ja geradezu blödsinnig sei, sich darüber Vorwürfe zu machen,
daß sie nicht so gegen Erik sei, wie sie sein sollte. Ja, denn das allerverrückteste
war ja gerade, daß sie ein schlechtes Gewissen Erik gegenüber hatte -- ihm, Erik,
der. . . der. . . so "unbeständig" war. Und dann vergaß sie alles andre über
diesem einen, quälte sich selbst mit eifersüchtige" Vermutungen und -- das schlimmste
von allem -- damit, daß sie sich zu überzeugen suchte, sie sei für ihn natürlich
nur ein neues pikantes Abenteuer -- bis sie plötzlich wieder seine Augen vor sich
sah -- so, wie sie sie im Walde gesehen hatte -- so, wie sie sie tausendmal ge¬
sehen hatte! Und da wußte sie, sicher und bestimmt, mit einer geheimen, uner¬
schütterlichen Überzeugung, die auf dem tiefsten Grunde ihres Herzens ruhte,
fühlte es durch alles, was sie sagte, dachte und tat -- daß er sie liebe, daß sie,
wie sie auch sein mochte, doch mehr für ihn war, als irgend eine andre ihm je
werden konnte.

Aber da erst wurde alles miteinander ganz schlimm, denn wenn sie im
Innersten ihres Herzens der Liebe Eriks so sicher war, konnte sie doch unmöglich
aus lauter Feigheit zugeben, daß Arvid sie uoch länger als seine Braut betrachte.
Lieber Gott! wie hatte sie sich doch benommen! Es wunderte sie nur, daß nicht
alle miteinander sahen, wie jämmerlich es um sie stand!

Erik natürlich, der sah es! Und wenn es auch Augenblicke gab, wie zum
Beispiel an diesem Abend, wo er von ihrem Schweigen bitter gekränkt und infolge¬
dessen übertrieben erzürnt über sie war, so . . . Ja, allerdings war es erbärmlich,
so ein kleines, hilfloses, feiges Wesen zu sein, wie sie eins war, aber. . . aber
wäre sie anders gewesen, so wäre sie ja nicht seine Julie! Immerhin, kerzengerade
dasitzen zu müssen und sie, so nervös und unglücklich, wie sie an diesem Abend war,
mitten unter all diesen Menschen sehen zu müssen, ohne Gelegenheit zu bekommen,
ihr auch nur ein einziges Wort sagen zu können, das war jedenfalls mehr, als er
aushalten konnte!

Er trat ins Rauchzimmer, machte ein Fenster ans und zündete sein englisches
Hvlzpfeifchen an. Die frische, etwas kühle Oktoberlnft tat ihm wohl, und hier war
man wenigstens vor dem ewigen Gerede der Pröpstin über Juliens Aussteuer und
vor Bibbis bekümmerten Blicken sicher. Und ebenso vor Ellis ruhigen, gutsitzenden
Sticheleien, bei denen man natürlich tun mußte, als fühle man sie gar nicht. Nein!
lange, das schwur er hoch und teuer hier in der Einsamkeit, lange sollte dieses
Komödiespiel nicht mehr dauern. Nun mußte es biegen oder brechen, aber ein
Ende wollte er der Sache wahrhaftig machen!

Die Portiere zum Boudoir wurde ganz leise zurückgezogen, und Frau Olga
trat langsam ein. Er stand schnell auf, legte seine Pfeife weg und schloß das
Fenster.

Wünschen Sie vielleicht eine Zigarette, gnädige Frau? fragte er steif und
förmlich, denn sie war ihm die langweiligste Person, die er kannte.

Olga schüttelte nur freundlich ablehnend, müde und melancholisch den Kopf.
Ihr langes schwarzes Gewand fiel weich über ihre schlanken Hüften, der Krepp¬
kragen saß wie ein Schraubstock um ihren Hals, das schwarze Haar lag glatt wie
ein Nähme" aus Ebenholz um das schmale, gelbblassc Gesicht. Schön war sie wahr-


Die Damen ans Markby

Wirklichkeit war. Anstatt sogleich selbst Arvid ihre Treulosigkeit zu bekennen — nun
konnte sie sich ja nicht mehr selbst betrügen und sich einreden, daß es ihre Pflicht
sei, zu schweigen —, lebte sie nun in beständiger Angst, daß er etwas entdecken
und es ihr vorhalten könnte. Vor ihrem Bräutigam hatte sie sich von jeher etwas
gefürchtet, sich immer etwas scheu und gedrückt in seiner Nähe gefühlt, und nun?
Nein, niemals würde sie den Mut fassen, ihm das Entsetzliche, das sie nun auf
ihrem armen Gewissen hatte, zu bekennen! Da war es viel bequemer, einfach den
Kopf an seine Schulter zu pressen, seine ruhige Zärtlichkeit, die sie nicht zurückzu¬
weisen wagte, zu ertragen und sich nachher vor Gewissensqual krcmkzuweinen . . .
bis sie sich, ja bis sie sich in ihrer Überreizung und ihrer Verzweiflung einredete,
daß es gräßlich dumm, ja geradezu blödsinnig sei, sich darüber Vorwürfe zu machen,
daß sie nicht so gegen Erik sei, wie sie sein sollte. Ja, denn das allerverrückteste
war ja gerade, daß sie ein schlechtes Gewissen Erik gegenüber hatte — ihm, Erik,
der. . . der. . . so „unbeständig" war. Und dann vergaß sie alles andre über
diesem einen, quälte sich selbst mit eifersüchtige» Vermutungen und — das schlimmste
von allem — damit, daß sie sich zu überzeugen suchte, sie sei für ihn natürlich
nur ein neues pikantes Abenteuer — bis sie plötzlich wieder seine Augen vor sich
sah — so, wie sie sie im Walde gesehen hatte — so, wie sie sie tausendmal ge¬
sehen hatte! Und da wußte sie, sicher und bestimmt, mit einer geheimen, uner¬
schütterlichen Überzeugung, die auf dem tiefsten Grunde ihres Herzens ruhte,
fühlte es durch alles, was sie sagte, dachte und tat — daß er sie liebe, daß sie,
wie sie auch sein mochte, doch mehr für ihn war, als irgend eine andre ihm je
werden konnte.

Aber da erst wurde alles miteinander ganz schlimm, denn wenn sie im
Innersten ihres Herzens der Liebe Eriks so sicher war, konnte sie doch unmöglich
aus lauter Feigheit zugeben, daß Arvid sie uoch länger als seine Braut betrachte.
Lieber Gott! wie hatte sie sich doch benommen! Es wunderte sie nur, daß nicht
alle miteinander sahen, wie jämmerlich es um sie stand!

Erik natürlich, der sah es! Und wenn es auch Augenblicke gab, wie zum
Beispiel an diesem Abend, wo er von ihrem Schweigen bitter gekränkt und infolge¬
dessen übertrieben erzürnt über sie war, so . . . Ja, allerdings war es erbärmlich,
so ein kleines, hilfloses, feiges Wesen zu sein, wie sie eins war, aber. . . aber
wäre sie anders gewesen, so wäre sie ja nicht seine Julie! Immerhin, kerzengerade
dasitzen zu müssen und sie, so nervös und unglücklich, wie sie an diesem Abend war,
mitten unter all diesen Menschen sehen zu müssen, ohne Gelegenheit zu bekommen,
ihr auch nur ein einziges Wort sagen zu können, das war jedenfalls mehr, als er
aushalten konnte!

Er trat ins Rauchzimmer, machte ein Fenster ans und zündete sein englisches
Hvlzpfeifchen an. Die frische, etwas kühle Oktoberlnft tat ihm wohl, und hier war
man wenigstens vor dem ewigen Gerede der Pröpstin über Juliens Aussteuer und
vor Bibbis bekümmerten Blicken sicher. Und ebenso vor Ellis ruhigen, gutsitzenden
Sticheleien, bei denen man natürlich tun mußte, als fühle man sie gar nicht. Nein!
lange, das schwur er hoch und teuer hier in der Einsamkeit, lange sollte dieses
Komödiespiel nicht mehr dauern. Nun mußte es biegen oder brechen, aber ein
Ende wollte er der Sache wahrhaftig machen!

Die Portiere zum Boudoir wurde ganz leise zurückgezogen, und Frau Olga
trat langsam ein. Er stand schnell auf, legte seine Pfeife weg und schloß das
Fenster.

Wünschen Sie vielleicht eine Zigarette, gnädige Frau? fragte er steif und
förmlich, denn sie war ihm die langweiligste Person, die er kannte.

Olga schüttelte nur freundlich ablehnend, müde und melancholisch den Kopf.
Ihr langes schwarzes Gewand fiel weich über ihre schlanken Hüften, der Krepp¬
kragen saß wie ein Schraubstock um ihren Hals, das schwarze Haar lag glatt wie
ein Nähme» aus Ebenholz um das schmale, gelbblassc Gesicht. Schön war sie wahr-


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[0296] Die Damen ans Markby Wirklichkeit war. Anstatt sogleich selbst Arvid ihre Treulosigkeit zu bekennen — nun konnte sie sich ja nicht mehr selbst betrügen und sich einreden, daß es ihre Pflicht sei, zu schweigen —, lebte sie nun in beständiger Angst, daß er etwas entdecken und es ihr vorhalten könnte. Vor ihrem Bräutigam hatte sie sich von jeher etwas gefürchtet, sich immer etwas scheu und gedrückt in seiner Nähe gefühlt, und nun? Nein, niemals würde sie den Mut fassen, ihm das Entsetzliche, das sie nun auf ihrem armen Gewissen hatte, zu bekennen! Da war es viel bequemer, einfach den Kopf an seine Schulter zu pressen, seine ruhige Zärtlichkeit, die sie nicht zurückzu¬ weisen wagte, zu ertragen und sich nachher vor Gewissensqual krcmkzuweinen . . . bis sie sich, ja bis sie sich in ihrer Überreizung und ihrer Verzweiflung einredete, daß es gräßlich dumm, ja geradezu blödsinnig sei, sich darüber Vorwürfe zu machen, daß sie nicht so gegen Erik sei, wie sie sein sollte. Ja, denn das allerverrückteste war ja gerade, daß sie ein schlechtes Gewissen Erik gegenüber hatte — ihm, Erik, der. . . der. . . so „unbeständig" war. Und dann vergaß sie alles andre über diesem einen, quälte sich selbst mit eifersüchtige» Vermutungen und — das schlimmste von allem — damit, daß sie sich zu überzeugen suchte, sie sei für ihn natürlich nur ein neues pikantes Abenteuer — bis sie plötzlich wieder seine Augen vor sich sah — so, wie sie sie im Walde gesehen hatte — so, wie sie sie tausendmal ge¬ sehen hatte! Und da wußte sie, sicher und bestimmt, mit einer geheimen, uner¬ schütterlichen Überzeugung, die auf dem tiefsten Grunde ihres Herzens ruhte, fühlte es durch alles, was sie sagte, dachte und tat — daß er sie liebe, daß sie, wie sie auch sein mochte, doch mehr für ihn war, als irgend eine andre ihm je werden konnte. Aber da erst wurde alles miteinander ganz schlimm, denn wenn sie im Innersten ihres Herzens der Liebe Eriks so sicher war, konnte sie doch unmöglich aus lauter Feigheit zugeben, daß Arvid sie uoch länger als seine Braut betrachte. Lieber Gott! wie hatte sie sich doch benommen! Es wunderte sie nur, daß nicht alle miteinander sahen, wie jämmerlich es um sie stand! Erik natürlich, der sah es! Und wenn es auch Augenblicke gab, wie zum Beispiel an diesem Abend, wo er von ihrem Schweigen bitter gekränkt und infolge¬ dessen übertrieben erzürnt über sie war, so . . . Ja, allerdings war es erbärmlich, so ein kleines, hilfloses, feiges Wesen zu sein, wie sie eins war, aber. . . aber wäre sie anders gewesen, so wäre sie ja nicht seine Julie! Immerhin, kerzengerade dasitzen zu müssen und sie, so nervös und unglücklich, wie sie an diesem Abend war, mitten unter all diesen Menschen sehen zu müssen, ohne Gelegenheit zu bekommen, ihr auch nur ein einziges Wort sagen zu können, das war jedenfalls mehr, als er aushalten konnte! Er trat ins Rauchzimmer, machte ein Fenster ans und zündete sein englisches Hvlzpfeifchen an. Die frische, etwas kühle Oktoberlnft tat ihm wohl, und hier war man wenigstens vor dem ewigen Gerede der Pröpstin über Juliens Aussteuer und vor Bibbis bekümmerten Blicken sicher. Und ebenso vor Ellis ruhigen, gutsitzenden Sticheleien, bei denen man natürlich tun mußte, als fühle man sie gar nicht. Nein! lange, das schwur er hoch und teuer hier in der Einsamkeit, lange sollte dieses Komödiespiel nicht mehr dauern. Nun mußte es biegen oder brechen, aber ein Ende wollte er der Sache wahrhaftig machen! Die Portiere zum Boudoir wurde ganz leise zurückgezogen, und Frau Olga trat langsam ein. Er stand schnell auf, legte seine Pfeife weg und schloß das Fenster. Wünschen Sie vielleicht eine Zigarette, gnädige Frau? fragte er steif und förmlich, denn sie war ihm die langweiligste Person, die er kannte. Olga schüttelte nur freundlich ablehnend, müde und melancholisch den Kopf. Ihr langes schwarzes Gewand fiel weich über ihre schlanken Hüften, der Krepp¬ kragen saß wie ein Schraubstock um ihren Hals, das schwarze Haar lag glatt wie ein Nähme» aus Ebenholz um das schmale, gelbblassc Gesicht. Schön war sie wahr-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/296>, abgerufen am 23.07.2024.