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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was prägt unsern Verhältnissen einen "hippokrcitischen Zug" auf? Die Vossische
weiß es. Erstens hat der Landwirtschaftsminister ein Gesetz durchgebracht, wodurch
den Städten die nochmalige Prüfung des von auswärts gekommnen Fleisches untersagt
wird. Ein neues modernes Blättchen aus der Geschichte des sechs- bis siebenhundert¬
jährigen Feldzuges zwischen Städter und Junker. Aber wenn der Minister, der
im Dolman und Pelz der Zietenhusaren wirklich wie der lebenslustigste Typus der
roten Nachkommen des alten Zieten aussieht, ein solches Gesetz "durchgebracht"
hat, so muß er doch die Mehrheit der beiden Häuser des Landtags dafür gehabt
haben. Wenn aber ein Minister über eine solche Mehrheit verfügt -- wo steckt
da die "Krisis"? Nach dem sonstigen Glaubensbekenntnis der Vossischen sollte
eine Krisis doch nur bei mangelnder, nicht trotz vorhandner Majorität zu¬
lässig sein. Aber mit der politischen Rechtgläubigkeit ist es allemal eine eigne
Sache, sobald der Gegner in Betracht kommt. Sodann soll der Minister des
Innern in der Mirbachaffäre, der Justizminister wegen verschiedner Vorkommnisse
auf dem Gebiet der Justizverwaltung für den Schnitter reif sein. Ein Teil der
Presse kann jahrein jahraus den politischen Herbst nicht anders einleiten, als da¬
durch, daß sie den Schnitter die Sense für einige Minister dengeln läßt. Nun
ist aber doch die Justizverwaltung kein politisches Ressort. Sind Unzuträglich¬
keiten abzustellen, so kommt dabei nicht notgedrungen die Person des Ministers in
Frage, und wäre es der Fall, so hätte das eine rein ressortmäßige und keine
politische Bedeutung, am allerwenigsten könnte man daraus einen "hippokratischen
Zug der Regierung" konstruieren. Nicht viel anders steht es mit der Ankündigung,
wonach dem Minister des Innern mit Hilfe einer freisinnigen Jnterpellation wegen
der Mirbachaffäre die Axt an die Wurzeln gelegt werden soll. Was auf diesem
Gebiete zu tuu war, ist -- wenn man von der Aufgabe des Gerichts absieht --
geschehen. Der Freiherr von Mirbach ist jetzt nur noch oberster Hofbeamter der
Kaiserin, die hohe Frau ist durchaus nicht geneigt, ihn preiszugeben. In Berlin
verlautet sogar, daß die bisher eingetretne Remedur dem Kaiser recht große Mühe
gemacht habe, und daß ihre Erreichung ein tüchtiges Stück Arbeit für die daran
beteiligten Persönlichkeiten gewesen sei. Was dem Kaiser nicht gelungen ist, wird
eine freisinnige Lnndtngsinterpellation wohl noch weniger zustande bringen. End¬
lich soll auch gar der Reichskanzler wegen der lippischen Sache in Verlegenheit
sein oder doch durch den Reichstag in Verlegenheit gebracht werden. Ein Zeugnis
für die politische Einsicht des Reichstags würde das gerade nicht sein, verständige
Leute würden in dieser Frage die Arbeit des Reichskanzlers erleichtern und uicht
erschweren. Mehr tun als sich dafür verbürgen, daß die Angelegenheit ihre recht¬
mäßige und rechtliche Erledigung finden soll, kann doch auch der Reichskanzler nicht.
Die ohnehin verworrenen Fäden sind durch das Telegramm des Grafrcgenten an
den Kaiser und durch das nicht wohl überlegte Verfahren der lippischen Regierung
nur noch mehr verschlungen worden, und der Reichstag ist doch nicht das Forum,
vor dem die Sache zum Austrag gelangen kann. Deshalb sollten doch alle Parteien,
denen es nicht nur um Krakeel zu tun ist, mit einiger Vorsicht und vieler Weisheit
Stellung nehmen.

Gerade in der kommenden Arbeitsperiode unsrer Volksvertretung sind so ernste
und dringende Aufgaben zu erledigen, daß wirklich aller Grund vorliegt, das
Trennende in den Hintergrund zu schieben. Das tönende Erz und die klingende
Schelle wohlgesetzter Redeergüsse haben in dieser Zeit der Vielrederei ohnehin
sehr an Kredit eingebüßt. Fraktionen, die etwa des Glaubens sind, durch rednerische
Aktionen ihren politischen Kredit auffrischen zu können, dürften sich doch stark ver¬
rechnet haben. Die Nation ist gerade der Reden, bei denen schließlich nichts
herauskommt, außerordentlich müde und will Taten sehen, o-M Sopor, wie der
Amerikaner zu sagen pflegt.

Mit Reden ist das Reich weder geschaffen worden, noch wird es mit Reden
erhalten werden, aber wie sehr unser Publikum schon verlernt hat, die ernste Tat
zu würdigen, und wie sehr dagegen der Weihrauch der Fest- und Gelegenheits-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was prägt unsern Verhältnissen einen „hippokrcitischen Zug" auf? Die Vossische
weiß es. Erstens hat der Landwirtschaftsminister ein Gesetz durchgebracht, wodurch
den Städten die nochmalige Prüfung des von auswärts gekommnen Fleisches untersagt
wird. Ein neues modernes Blättchen aus der Geschichte des sechs- bis siebenhundert¬
jährigen Feldzuges zwischen Städter und Junker. Aber wenn der Minister, der
im Dolman und Pelz der Zietenhusaren wirklich wie der lebenslustigste Typus der
roten Nachkommen des alten Zieten aussieht, ein solches Gesetz „durchgebracht"
hat, so muß er doch die Mehrheit der beiden Häuser des Landtags dafür gehabt
haben. Wenn aber ein Minister über eine solche Mehrheit verfügt — wo steckt
da die „Krisis"? Nach dem sonstigen Glaubensbekenntnis der Vossischen sollte
eine Krisis doch nur bei mangelnder, nicht trotz vorhandner Majorität zu¬
lässig sein. Aber mit der politischen Rechtgläubigkeit ist es allemal eine eigne
Sache, sobald der Gegner in Betracht kommt. Sodann soll der Minister des
Innern in der Mirbachaffäre, der Justizminister wegen verschiedner Vorkommnisse
auf dem Gebiet der Justizverwaltung für den Schnitter reif sein. Ein Teil der
Presse kann jahrein jahraus den politischen Herbst nicht anders einleiten, als da¬
durch, daß sie den Schnitter die Sense für einige Minister dengeln läßt. Nun
ist aber doch die Justizverwaltung kein politisches Ressort. Sind Unzuträglich¬
keiten abzustellen, so kommt dabei nicht notgedrungen die Person des Ministers in
Frage, und wäre es der Fall, so hätte das eine rein ressortmäßige und keine
politische Bedeutung, am allerwenigsten könnte man daraus einen „hippokratischen
Zug der Regierung" konstruieren. Nicht viel anders steht es mit der Ankündigung,
wonach dem Minister des Innern mit Hilfe einer freisinnigen Jnterpellation wegen
der Mirbachaffäre die Axt an die Wurzeln gelegt werden soll. Was auf diesem
Gebiete zu tuu war, ist — wenn man von der Aufgabe des Gerichts absieht —
geschehen. Der Freiherr von Mirbach ist jetzt nur noch oberster Hofbeamter der
Kaiserin, die hohe Frau ist durchaus nicht geneigt, ihn preiszugeben. In Berlin
verlautet sogar, daß die bisher eingetretne Remedur dem Kaiser recht große Mühe
gemacht habe, und daß ihre Erreichung ein tüchtiges Stück Arbeit für die daran
beteiligten Persönlichkeiten gewesen sei. Was dem Kaiser nicht gelungen ist, wird
eine freisinnige Lnndtngsinterpellation wohl noch weniger zustande bringen. End¬
lich soll auch gar der Reichskanzler wegen der lippischen Sache in Verlegenheit
sein oder doch durch den Reichstag in Verlegenheit gebracht werden. Ein Zeugnis
für die politische Einsicht des Reichstags würde das gerade nicht sein, verständige
Leute würden in dieser Frage die Arbeit des Reichskanzlers erleichtern und uicht
erschweren. Mehr tun als sich dafür verbürgen, daß die Angelegenheit ihre recht¬
mäßige und rechtliche Erledigung finden soll, kann doch auch der Reichskanzler nicht.
Die ohnehin verworrenen Fäden sind durch das Telegramm des Grafrcgenten an
den Kaiser und durch das nicht wohl überlegte Verfahren der lippischen Regierung
nur noch mehr verschlungen worden, und der Reichstag ist doch nicht das Forum,
vor dem die Sache zum Austrag gelangen kann. Deshalb sollten doch alle Parteien,
denen es nicht nur um Krakeel zu tun ist, mit einiger Vorsicht und vieler Weisheit
Stellung nehmen.

Gerade in der kommenden Arbeitsperiode unsrer Volksvertretung sind so ernste
und dringende Aufgaben zu erledigen, daß wirklich aller Grund vorliegt, das
Trennende in den Hintergrund zu schieben. Das tönende Erz und die klingende
Schelle wohlgesetzter Redeergüsse haben in dieser Zeit der Vielrederei ohnehin
sehr an Kredit eingebüßt. Fraktionen, die etwa des Glaubens sind, durch rednerische
Aktionen ihren politischen Kredit auffrischen zu können, dürften sich doch stark ver¬
rechnet haben. Die Nation ist gerade der Reden, bei denen schließlich nichts
herauskommt, außerordentlich müde und will Taten sehen, o-M Sopor, wie der
Amerikaner zu sagen pflegt.

Mit Reden ist das Reich weder geschaffen worden, noch wird es mit Reden
erhalten werden, aber wie sehr unser Publikum schon verlernt hat, die ernste Tat
zu würdigen, und wie sehr dagegen der Weihrauch der Fest- und Gelegenheits-


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[0241] Maßgebliches und Unmaßgebliches Was prägt unsern Verhältnissen einen „hippokrcitischen Zug" auf? Die Vossische weiß es. Erstens hat der Landwirtschaftsminister ein Gesetz durchgebracht, wodurch den Städten die nochmalige Prüfung des von auswärts gekommnen Fleisches untersagt wird. Ein neues modernes Blättchen aus der Geschichte des sechs- bis siebenhundert¬ jährigen Feldzuges zwischen Städter und Junker. Aber wenn der Minister, der im Dolman und Pelz der Zietenhusaren wirklich wie der lebenslustigste Typus der roten Nachkommen des alten Zieten aussieht, ein solches Gesetz „durchgebracht" hat, so muß er doch die Mehrheit der beiden Häuser des Landtags dafür gehabt haben. Wenn aber ein Minister über eine solche Mehrheit verfügt — wo steckt da die „Krisis"? Nach dem sonstigen Glaubensbekenntnis der Vossischen sollte eine Krisis doch nur bei mangelnder, nicht trotz vorhandner Majorität zu¬ lässig sein. Aber mit der politischen Rechtgläubigkeit ist es allemal eine eigne Sache, sobald der Gegner in Betracht kommt. Sodann soll der Minister des Innern in der Mirbachaffäre, der Justizminister wegen verschiedner Vorkommnisse auf dem Gebiet der Justizverwaltung für den Schnitter reif sein. Ein Teil der Presse kann jahrein jahraus den politischen Herbst nicht anders einleiten, als da¬ durch, daß sie den Schnitter die Sense für einige Minister dengeln läßt. Nun ist aber doch die Justizverwaltung kein politisches Ressort. Sind Unzuträglich¬ keiten abzustellen, so kommt dabei nicht notgedrungen die Person des Ministers in Frage, und wäre es der Fall, so hätte das eine rein ressortmäßige und keine politische Bedeutung, am allerwenigsten könnte man daraus einen „hippokratischen Zug der Regierung" konstruieren. Nicht viel anders steht es mit der Ankündigung, wonach dem Minister des Innern mit Hilfe einer freisinnigen Jnterpellation wegen der Mirbachaffäre die Axt an die Wurzeln gelegt werden soll. Was auf diesem Gebiete zu tuu war, ist — wenn man von der Aufgabe des Gerichts absieht — geschehen. Der Freiherr von Mirbach ist jetzt nur noch oberster Hofbeamter der Kaiserin, die hohe Frau ist durchaus nicht geneigt, ihn preiszugeben. In Berlin verlautet sogar, daß die bisher eingetretne Remedur dem Kaiser recht große Mühe gemacht habe, und daß ihre Erreichung ein tüchtiges Stück Arbeit für die daran beteiligten Persönlichkeiten gewesen sei. Was dem Kaiser nicht gelungen ist, wird eine freisinnige Lnndtngsinterpellation wohl noch weniger zustande bringen. End¬ lich soll auch gar der Reichskanzler wegen der lippischen Sache in Verlegenheit sein oder doch durch den Reichstag in Verlegenheit gebracht werden. Ein Zeugnis für die politische Einsicht des Reichstags würde das gerade nicht sein, verständige Leute würden in dieser Frage die Arbeit des Reichskanzlers erleichtern und uicht erschweren. Mehr tun als sich dafür verbürgen, daß die Angelegenheit ihre recht¬ mäßige und rechtliche Erledigung finden soll, kann doch auch der Reichskanzler nicht. Die ohnehin verworrenen Fäden sind durch das Telegramm des Grafrcgenten an den Kaiser und durch das nicht wohl überlegte Verfahren der lippischen Regierung nur noch mehr verschlungen worden, und der Reichstag ist doch nicht das Forum, vor dem die Sache zum Austrag gelangen kann. Deshalb sollten doch alle Parteien, denen es nicht nur um Krakeel zu tun ist, mit einiger Vorsicht und vieler Weisheit Stellung nehmen. Gerade in der kommenden Arbeitsperiode unsrer Volksvertretung sind so ernste und dringende Aufgaben zu erledigen, daß wirklich aller Grund vorliegt, das Trennende in den Hintergrund zu schieben. Das tönende Erz und die klingende Schelle wohlgesetzter Redeergüsse haben in dieser Zeit der Vielrederei ohnehin sehr an Kredit eingebüßt. Fraktionen, die etwa des Glaubens sind, durch rednerische Aktionen ihren politischen Kredit auffrischen zu können, dürften sich doch stark ver¬ rechnet haben. Die Nation ist gerade der Reden, bei denen schließlich nichts herauskommt, außerordentlich müde und will Taten sehen, o-M Sopor, wie der Amerikaner zu sagen pflegt. Mit Reden ist das Reich weder geschaffen worden, noch wird es mit Reden erhalten werden, aber wie sehr unser Publikum schon verlernt hat, die ernste Tat zu würdigen, und wie sehr dagegen der Weihrauch der Fest- und Gelegenheits-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/241>, abgerufen am 23.07.2024.