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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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einen solchen Kameraden zu gewinnen, der mich zu ihr hiickrieb, und später der
Stolz, sie zum Freunde zu haben. Darum durfte auch neben dieser Kameradschaft
noch so manches andre in meiner Seele Raum haben; wäre es Liebe gewesen, die
hätte jede andre Regung ausgetrieben. Für so junge Gemüter, wie das meine,
liegt in früher Liebe die Gefahr, daß sie den Menschen allein haben will, ihn im
wahren Sinne des Worts beherrscht, deshalb ein Stehenbleiben der ganzen innern
Entwicklung, soweit sie eben nicht Liebe ist, ein in die Blätter verfrühtes Schießen
ohne Blüten und Frucht, was der Gärtner Vergelien nennt. Dem Gefährten, den
mau bewundert, es nachzutun, die Frende darüber, daß er unsre Freuden teilt,
vereint zu deuten und zu wollen, was man vorher einsam und freudlos gedacht
und gewollt, das ist die Blüte der Freundschaft. In einem werdenden Menschen
ist der Trieb zur Unterordnung, er will folgen, will geführt werden, und diesem
Trieb nachzuleben, macht sein Glück aus. Mein Blick zu dem Mädchen war immer
nur aufwärts gerichtet, und wenn sie etwas billigte, was ich tat, oder einen Ge¬
danken teilte, war ich eben so glücklich, wie wenn ich etwas besser machen konnte,
was sie rügte. Ich erinnere mich, daß ich einen ganzen Tag glücklich war, als
Luise mit einer Nelke von wunderbarer Weiße im Mund mir früh aus dem Garten
entgegenkam. Es war eine Antwort auf die Rede von gestern Abend, wo ich von
den Nelken erzählt hatte, die eben aufgingen, und gemeint hatte, sie seien weißer
als weiß, weißer als Schnee, und man müsse in ihrem Anschauen glücklich sein,
ein solches Wunder sehen zu dürfen. Nelkenkenner wissen Wohl, welches Weiß ich
meine; es gibt nämlich weiße Nelken, denen durch eine ganze entfernte Beimischung
von Purpur eine Glut ihres Weiß verliehe" wird, für die ich in der Natur nur
blendende, leuchtendweiße Sommerwvlken zum Vergleich nennen könnte. Von diesen
Wunderblumen trugen wir nun beide, solange sie blühten, recht volle Exemplare
im Munde. Und als Luise sich eine nach Baueruart hinters Ohr steckte, tat ich
es natürlich nach, ließ es jedoch auf ein vernehmliches "Narr!", das brummend aus
dem Munde der Schraube kam.

So wie zwei unsichtbare Linien von unsern Angen ausgingen, die sich in jenen
Humnelslichtern schweigend trafen und begrüßten, so strahlten von unsern Herzen
Linien in die ganze Welt, die uns umgab. Es wurden ihrer immer mehr, und
sie flochten sich immer dichter zusammen. Wie konnte es anders sein?

So natürlich, wie Knospen junger Pflanzen die Erdschollen heben und zur
Seite drängen, um in Licht und Sonnenwärme zu gelangen, schlössen wir zwei
jungen Menschenkinder uns gegen den Druck des alt und kalt gewordnen Hauswesens
bei Schauinslands zusammen, und indem wir uns gegenseitig znstrahlten, wurde
es lichter und wärmer um uns her.

Schöne Tage, wo alle Wünsche schweigen. Keins von uns wollte, daß es
anders kommen, niemand dachte daran, ob solche Freundschaft nicht einmal die Blüte
der Liebe treiben werde.

Es kam die Zeit, wo anch in den Gärten die Erde umgegraben wird, nach¬
dem auf den Ackern draußen die Sommerfrucht längst eingeeggt ist. Es ist nicht
gerade eine leichte Arbeit, die schweren Erdschollen zu durchschneiden, umzuwenden
und zu zerkleinern, aber es ist eine hoffnungsvolle, und trotz den Schweißtropfen,
die sie kostet, hat sie etwas von der Vorbereitung einer Frühlingsfeier: das häßliche,
vom Frost entfärbte und vom Schnee zur Erde gedrückte Herbstgestrüpp wird nun
entfernt, der Boden wird gereinigt, das Umgraben bringt frische Erde an die Ober¬
fläche, die braun glänzt. Hacke und Rechen säubern sie, und alles ist zum Säen
und Pflanzen bereit. Ist es nicht, als ob alle die Schätze, die die Sonne aus
dieser Erde hervorlocken wird, nur warteten, bis die Strahlen sie wecken? Wenn
die Erde im Herbst verarmte, im Frühling wird sie wieder reich, und ich zer¬
bröckelte jede Erdkrume mit dem Gefühl: Wieviel Keime mag sie bergen! Jetzt
ist sie in Wahrheit die Muttererde! Glücklich, wer säet und erntet! Er lebt etwas
vom Leben der Natur mit, das sein eignes Lebensgefühl erhöht.


Grenzboten IV 1904 M
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einen solchen Kameraden zu gewinnen, der mich zu ihr hiickrieb, und später der
Stolz, sie zum Freunde zu haben. Darum durfte auch neben dieser Kameradschaft
noch so manches andre in meiner Seele Raum haben; wäre es Liebe gewesen, die
hätte jede andre Regung ausgetrieben. Für so junge Gemüter, wie das meine,
liegt in früher Liebe die Gefahr, daß sie den Menschen allein haben will, ihn im
wahren Sinne des Worts beherrscht, deshalb ein Stehenbleiben der ganzen innern
Entwicklung, soweit sie eben nicht Liebe ist, ein in die Blätter verfrühtes Schießen
ohne Blüten und Frucht, was der Gärtner Vergelien nennt. Dem Gefährten, den
mau bewundert, es nachzutun, die Frende darüber, daß er unsre Freuden teilt,
vereint zu deuten und zu wollen, was man vorher einsam und freudlos gedacht
und gewollt, das ist die Blüte der Freundschaft. In einem werdenden Menschen
ist der Trieb zur Unterordnung, er will folgen, will geführt werden, und diesem
Trieb nachzuleben, macht sein Glück aus. Mein Blick zu dem Mädchen war immer
nur aufwärts gerichtet, und wenn sie etwas billigte, was ich tat, oder einen Ge¬
danken teilte, war ich eben so glücklich, wie wenn ich etwas besser machen konnte,
was sie rügte. Ich erinnere mich, daß ich einen ganzen Tag glücklich war, als
Luise mit einer Nelke von wunderbarer Weiße im Mund mir früh aus dem Garten
entgegenkam. Es war eine Antwort auf die Rede von gestern Abend, wo ich von
den Nelken erzählt hatte, die eben aufgingen, und gemeint hatte, sie seien weißer
als weiß, weißer als Schnee, und man müsse in ihrem Anschauen glücklich sein,
ein solches Wunder sehen zu dürfen. Nelkenkenner wissen Wohl, welches Weiß ich
meine; es gibt nämlich weiße Nelken, denen durch eine ganze entfernte Beimischung
von Purpur eine Glut ihres Weiß verliehe» wird, für die ich in der Natur nur
blendende, leuchtendweiße Sommerwvlken zum Vergleich nennen könnte. Von diesen
Wunderblumen trugen wir nun beide, solange sie blühten, recht volle Exemplare
im Munde. Und als Luise sich eine nach Baueruart hinters Ohr steckte, tat ich
es natürlich nach, ließ es jedoch auf ein vernehmliches „Narr!", das brummend aus
dem Munde der Schraube kam.

So wie zwei unsichtbare Linien von unsern Angen ausgingen, die sich in jenen
Humnelslichtern schweigend trafen und begrüßten, so strahlten von unsern Herzen
Linien in die ganze Welt, die uns umgab. Es wurden ihrer immer mehr, und
sie flochten sich immer dichter zusammen. Wie konnte es anders sein?

So natürlich, wie Knospen junger Pflanzen die Erdschollen heben und zur
Seite drängen, um in Licht und Sonnenwärme zu gelangen, schlössen wir zwei
jungen Menschenkinder uns gegen den Druck des alt und kalt gewordnen Hauswesens
bei Schauinslands zusammen, und indem wir uns gegenseitig znstrahlten, wurde
es lichter und wärmer um uns her.

Schöne Tage, wo alle Wünsche schweigen. Keins von uns wollte, daß es
anders kommen, niemand dachte daran, ob solche Freundschaft nicht einmal die Blüte
der Liebe treiben werde.

Es kam die Zeit, wo anch in den Gärten die Erde umgegraben wird, nach¬
dem auf den Ackern draußen die Sommerfrucht längst eingeeggt ist. Es ist nicht
gerade eine leichte Arbeit, die schweren Erdschollen zu durchschneiden, umzuwenden
und zu zerkleinern, aber es ist eine hoffnungsvolle, und trotz den Schweißtropfen,
die sie kostet, hat sie etwas von der Vorbereitung einer Frühlingsfeier: das häßliche,
vom Frost entfärbte und vom Schnee zur Erde gedrückte Herbstgestrüpp wird nun
entfernt, der Boden wird gereinigt, das Umgraben bringt frische Erde an die Ober¬
fläche, die braun glänzt. Hacke und Rechen säubern sie, und alles ist zum Säen
und Pflanzen bereit. Ist es nicht, als ob alle die Schätze, die die Sonne aus
dieser Erde hervorlocken wird, nur warteten, bis die Strahlen sie wecken? Wenn
die Erde im Herbst verarmte, im Frühling wird sie wieder reich, und ich zer¬
bröckelte jede Erdkrume mit dem Gefühl: Wieviel Keime mag sie bergen! Jetzt
ist sie in Wahrheit die Muttererde! Glücklich, wer säet und erntet! Er lebt etwas
vom Leben der Natur mit, das sein eignes Lebensgefühl erhöht.


Grenzboten IV 1904 M
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[0227] (slücksiiiseln und Trcimne einen solchen Kameraden zu gewinnen, der mich zu ihr hiickrieb, und später der Stolz, sie zum Freunde zu haben. Darum durfte auch neben dieser Kameradschaft noch so manches andre in meiner Seele Raum haben; wäre es Liebe gewesen, die hätte jede andre Regung ausgetrieben. Für so junge Gemüter, wie das meine, liegt in früher Liebe die Gefahr, daß sie den Menschen allein haben will, ihn im wahren Sinne des Worts beherrscht, deshalb ein Stehenbleiben der ganzen innern Entwicklung, soweit sie eben nicht Liebe ist, ein in die Blätter verfrühtes Schießen ohne Blüten und Frucht, was der Gärtner Vergelien nennt. Dem Gefährten, den mau bewundert, es nachzutun, die Frende darüber, daß er unsre Freuden teilt, vereint zu deuten und zu wollen, was man vorher einsam und freudlos gedacht und gewollt, das ist die Blüte der Freundschaft. In einem werdenden Menschen ist der Trieb zur Unterordnung, er will folgen, will geführt werden, und diesem Trieb nachzuleben, macht sein Glück aus. Mein Blick zu dem Mädchen war immer nur aufwärts gerichtet, und wenn sie etwas billigte, was ich tat, oder einen Ge¬ danken teilte, war ich eben so glücklich, wie wenn ich etwas besser machen konnte, was sie rügte. Ich erinnere mich, daß ich einen ganzen Tag glücklich war, als Luise mit einer Nelke von wunderbarer Weiße im Mund mir früh aus dem Garten entgegenkam. Es war eine Antwort auf die Rede von gestern Abend, wo ich von den Nelken erzählt hatte, die eben aufgingen, und gemeint hatte, sie seien weißer als weiß, weißer als Schnee, und man müsse in ihrem Anschauen glücklich sein, ein solches Wunder sehen zu dürfen. Nelkenkenner wissen Wohl, welches Weiß ich meine; es gibt nämlich weiße Nelken, denen durch eine ganze entfernte Beimischung von Purpur eine Glut ihres Weiß verliehe» wird, für die ich in der Natur nur blendende, leuchtendweiße Sommerwvlken zum Vergleich nennen könnte. Von diesen Wunderblumen trugen wir nun beide, solange sie blühten, recht volle Exemplare im Munde. Und als Luise sich eine nach Baueruart hinters Ohr steckte, tat ich es natürlich nach, ließ es jedoch auf ein vernehmliches „Narr!", das brummend aus dem Munde der Schraube kam. So wie zwei unsichtbare Linien von unsern Angen ausgingen, die sich in jenen Humnelslichtern schweigend trafen und begrüßten, so strahlten von unsern Herzen Linien in die ganze Welt, die uns umgab. Es wurden ihrer immer mehr, und sie flochten sich immer dichter zusammen. Wie konnte es anders sein? So natürlich, wie Knospen junger Pflanzen die Erdschollen heben und zur Seite drängen, um in Licht und Sonnenwärme zu gelangen, schlössen wir zwei jungen Menschenkinder uns gegen den Druck des alt und kalt gewordnen Hauswesens bei Schauinslands zusammen, und indem wir uns gegenseitig znstrahlten, wurde es lichter und wärmer um uns her. Schöne Tage, wo alle Wünsche schweigen. Keins von uns wollte, daß es anders kommen, niemand dachte daran, ob solche Freundschaft nicht einmal die Blüte der Liebe treiben werde. Es kam die Zeit, wo anch in den Gärten die Erde umgegraben wird, nach¬ dem auf den Ackern draußen die Sommerfrucht längst eingeeggt ist. Es ist nicht gerade eine leichte Arbeit, die schweren Erdschollen zu durchschneiden, umzuwenden und zu zerkleinern, aber es ist eine hoffnungsvolle, und trotz den Schweißtropfen, die sie kostet, hat sie etwas von der Vorbereitung einer Frühlingsfeier: das häßliche, vom Frost entfärbte und vom Schnee zur Erde gedrückte Herbstgestrüpp wird nun entfernt, der Boden wird gereinigt, das Umgraben bringt frische Erde an die Ober¬ fläche, die braun glänzt. Hacke und Rechen säubern sie, und alles ist zum Säen und Pflanzen bereit. Ist es nicht, als ob alle die Schätze, die die Sonne aus dieser Erde hervorlocken wird, nur warteten, bis die Strahlen sie wecken? Wenn die Erde im Herbst verarmte, im Frühling wird sie wieder reich, und ich zer¬ bröckelte jede Erdkrume mit dem Gefühl: Wieviel Keime mag sie bergen! Jetzt ist sie in Wahrheit die Muttererde! Glücklich, wer säet und erntet! Er lebt etwas vom Leben der Natur mit, das sein eignes Lebensgefühl erhöht. Grenzboten IV 1904 M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/227>, abgerufen am 23.07.2024.