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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Einigungskämpfen nehmen konnte, aber der Anteil des Heeres wird deshalb schwerlich
ein geringerer werden. Ideen, die Flotte auf Kosten des Heeres oder das Heer
auf Kosten der Flotte auszubauen, gehören also zu den verwerflichsten, die für
Deutschland ersonnen werden können, weil die Frage für uns nicht in alle Zukunft
lauten wird: Heer oder Flotte, sondern Heer und Flotte. Auch wenn dereinst
die deutsche Flagge gebietend auf allen Meeren wehen sollte, würde ein künftiges
Geschlecht nie vergessen dürfen, daß auf den Fundamenten seiner Größe die Namen
Fehrbellin, Leuthen, Belle-Alliance, Königgrcitz und sedem stehn. Nur in diesem
Zeichen werden wir siegen. --

Ein auffälliges Armutszeugnis, das sich die Berliner Stadtverwaltung aus¬
stellt, ist leider sehr dazu angetan, über das Weichbild der Reichshauptstadt hinaus
Aufsehen zu erregen. Der Berliner Magistrat hatte sozialdemokratischen, polnischen
und tschechischen Turnvereinen die Turnsäle von Berliner Gemeindeschulen über¬
wiesen, ebenso der freireligiösen Gemeinde Schullokalitäten zur Abhaltung ihrer
Versammlungen. Das Kultusministerium als oberste Schulbehörde ist mit einem
Verbot eingeschritten, aber der Berliner Magistrat erklärt durch den Mund des
Oberbürgermeisters, daß die Stadt hier auf dem Gebiet ihrer Selbstverwaltung
handle, und daß die Mitglieder der betreffenden Vereine als Steuerzahler ein An¬
recht auf eine solche Benutzung der Schullokalitäten hätten. Nach dieser Logik
wären auch den Anarchisten vom Berliner Magistrat Schullokale für ihre Ver¬
sammlungen einzuräumen, denn Steuerzahler sind sie, vorläufig wenigstens auch,
wenngleich vielleicht recht minimale. Die polnischen Turnvereine (Sokol) dienen
bekanntlich nur einer ausgesprochen revolutionären, deutschfeindlichen Richtung des
Polentums. Die Verwaltung der Hauptstadt des Deutschen Reichs hätte also die
Pflicht, in dieser Beziehung mit den allgemeinen Staatsinteressen und der allgemeinen
Staatspolitik in Übereinstimmung zu handeln. Sie könnte sich höchstens auf den
Standpunkt stellen, daß so lange die staatlichen Behörden die Sokolvereine duldeten,
was freilich auffällig genug ist, die städtische Verwaltung Berlins keinen Grund
habe, diesen Vereinen die Schulturnhallen zu versagen. Damit wäre man vielleicht
etwas weiter gekommen als mit dem Pochen auf die Selbstverwaltung. Den
tschechischen Turnvereinen gegenüber besteht bei dem Verhalten der Tschechen gegen
die Deutschen in Böhmen und der notorischen Feindseligkeit des Tschechentums gegen
Deutschland ganz und gar kein Anlaß zu einer solchen auffallenden Gastfreundschaft.
Ebensowenig gehören sozialdemokratische und freireligiöse Versammlungen in die
Schulhäuser. Aber freilich, wenn die Berliner Polizei duldet, daß ein polnischer
Gasthof sich als "deutschenrein" ankündigen und empfehlen darf, dann kommen wir
zu einer solchen Verschiebung der Begriffe. Es fehlt da leider an einer eisernen Hand,
die nicht mit sich spaßen ließe und den polnischen Frechheiten ein Ende machte.

Moritz Busch erzählt in seinen Aufzeichnungen über die Versailler Tisch¬
gespräche, daß Btsmarck einmal geklagt habe, sogar nicht nur einmal, die Armee
habe das Kriegführen verlernt. Unwillkürlich wird man daran erinnert,
wenn man in einer Hamburger Meldung liest, der Dampfer "Hans Woermann"
habe aus Swakopmund den italienischen Arbeiter Simon als Gefangnen mit¬
gebracht, der im Mai dieses Jahres während einer Eisenbahnfahrt bei Karibik
den Marineoberleutnant Hermann, den Seesoldaten Kießling und einen schwarzen
Bremser grundlos anschoß. Simon solle in einer Irrenanstalt auf seinen Gesund¬
heitszustand untersucht werden! Wir glauben nicht, daß es auf der ganzen Welt
noch eine Armee oder Militärjustiz gibt, bei der das möglich wäre. In Südwest¬
afrika besteht der Kriegszustand, ein Mensch verwundet ohne jeden Anlaß einen
Offizier, einen Soldaten und einen Staatsangestellten der Eisenbahn -- wenn wir
nicht irren, ist der Soldat Kießling sogar dieser Wunde erlegen. Anstatt ein
solches Subjekt einfach vor ein Standgericht zu stellen und binnen kürzester Frist
der verdienten Strafe durch das Standrecht zuzuführen, wird der Verbrecher erst
noch vier Monate lang in dortigen Gefängnissen gefüttert, dann für teures Geld


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Einigungskämpfen nehmen konnte, aber der Anteil des Heeres wird deshalb schwerlich
ein geringerer werden. Ideen, die Flotte auf Kosten des Heeres oder das Heer
auf Kosten der Flotte auszubauen, gehören also zu den verwerflichsten, die für
Deutschland ersonnen werden können, weil die Frage für uns nicht in alle Zukunft
lauten wird: Heer oder Flotte, sondern Heer und Flotte. Auch wenn dereinst
die deutsche Flagge gebietend auf allen Meeren wehen sollte, würde ein künftiges
Geschlecht nie vergessen dürfen, daß auf den Fundamenten seiner Größe die Namen
Fehrbellin, Leuthen, Belle-Alliance, Königgrcitz und sedem stehn. Nur in diesem
Zeichen werden wir siegen. —

Ein auffälliges Armutszeugnis, das sich die Berliner Stadtverwaltung aus¬
stellt, ist leider sehr dazu angetan, über das Weichbild der Reichshauptstadt hinaus
Aufsehen zu erregen. Der Berliner Magistrat hatte sozialdemokratischen, polnischen
und tschechischen Turnvereinen die Turnsäle von Berliner Gemeindeschulen über¬
wiesen, ebenso der freireligiösen Gemeinde Schullokalitäten zur Abhaltung ihrer
Versammlungen. Das Kultusministerium als oberste Schulbehörde ist mit einem
Verbot eingeschritten, aber der Berliner Magistrat erklärt durch den Mund des
Oberbürgermeisters, daß die Stadt hier auf dem Gebiet ihrer Selbstverwaltung
handle, und daß die Mitglieder der betreffenden Vereine als Steuerzahler ein An¬
recht auf eine solche Benutzung der Schullokalitäten hätten. Nach dieser Logik
wären auch den Anarchisten vom Berliner Magistrat Schullokale für ihre Ver¬
sammlungen einzuräumen, denn Steuerzahler sind sie, vorläufig wenigstens auch,
wenngleich vielleicht recht minimale. Die polnischen Turnvereine (Sokol) dienen
bekanntlich nur einer ausgesprochen revolutionären, deutschfeindlichen Richtung des
Polentums. Die Verwaltung der Hauptstadt des Deutschen Reichs hätte also die
Pflicht, in dieser Beziehung mit den allgemeinen Staatsinteressen und der allgemeinen
Staatspolitik in Übereinstimmung zu handeln. Sie könnte sich höchstens auf den
Standpunkt stellen, daß so lange die staatlichen Behörden die Sokolvereine duldeten,
was freilich auffällig genug ist, die städtische Verwaltung Berlins keinen Grund
habe, diesen Vereinen die Schulturnhallen zu versagen. Damit wäre man vielleicht
etwas weiter gekommen als mit dem Pochen auf die Selbstverwaltung. Den
tschechischen Turnvereinen gegenüber besteht bei dem Verhalten der Tschechen gegen
die Deutschen in Böhmen und der notorischen Feindseligkeit des Tschechentums gegen
Deutschland ganz und gar kein Anlaß zu einer solchen auffallenden Gastfreundschaft.
Ebensowenig gehören sozialdemokratische und freireligiöse Versammlungen in die
Schulhäuser. Aber freilich, wenn die Berliner Polizei duldet, daß ein polnischer
Gasthof sich als „deutschenrein" ankündigen und empfehlen darf, dann kommen wir
zu einer solchen Verschiebung der Begriffe. Es fehlt da leider an einer eisernen Hand,
die nicht mit sich spaßen ließe und den polnischen Frechheiten ein Ende machte.

Moritz Busch erzählt in seinen Aufzeichnungen über die Versailler Tisch¬
gespräche, daß Btsmarck einmal geklagt habe, sogar nicht nur einmal, die Armee
habe das Kriegführen verlernt. Unwillkürlich wird man daran erinnert,
wenn man in einer Hamburger Meldung liest, der Dampfer „Hans Woermann"
habe aus Swakopmund den italienischen Arbeiter Simon als Gefangnen mit¬
gebracht, der im Mai dieses Jahres während einer Eisenbahnfahrt bei Karibik
den Marineoberleutnant Hermann, den Seesoldaten Kießling und einen schwarzen
Bremser grundlos anschoß. Simon solle in einer Irrenanstalt auf seinen Gesund¬
heitszustand untersucht werden! Wir glauben nicht, daß es auf der ganzen Welt
noch eine Armee oder Militärjustiz gibt, bei der das möglich wäre. In Südwest¬
afrika besteht der Kriegszustand, ein Mensch verwundet ohne jeden Anlaß einen
Offizier, einen Soldaten und einen Staatsangestellten der Eisenbahn — wenn wir
nicht irren, ist der Soldat Kießling sogar dieser Wunde erlegen. Anstatt ein
solches Subjekt einfach vor ein Standgericht zu stellen und binnen kürzester Frist
der verdienten Strafe durch das Standrecht zuzuführen, wird der Verbrecher erst
noch vier Monate lang in dortigen Gefängnissen gefüttert, dann für teures Geld


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[0125] Maßgebliches und Unmaßgebliches Einigungskämpfen nehmen konnte, aber der Anteil des Heeres wird deshalb schwerlich ein geringerer werden. Ideen, die Flotte auf Kosten des Heeres oder das Heer auf Kosten der Flotte auszubauen, gehören also zu den verwerflichsten, die für Deutschland ersonnen werden können, weil die Frage für uns nicht in alle Zukunft lauten wird: Heer oder Flotte, sondern Heer und Flotte. Auch wenn dereinst die deutsche Flagge gebietend auf allen Meeren wehen sollte, würde ein künftiges Geschlecht nie vergessen dürfen, daß auf den Fundamenten seiner Größe die Namen Fehrbellin, Leuthen, Belle-Alliance, Königgrcitz und sedem stehn. Nur in diesem Zeichen werden wir siegen. — Ein auffälliges Armutszeugnis, das sich die Berliner Stadtverwaltung aus¬ stellt, ist leider sehr dazu angetan, über das Weichbild der Reichshauptstadt hinaus Aufsehen zu erregen. Der Berliner Magistrat hatte sozialdemokratischen, polnischen und tschechischen Turnvereinen die Turnsäle von Berliner Gemeindeschulen über¬ wiesen, ebenso der freireligiösen Gemeinde Schullokalitäten zur Abhaltung ihrer Versammlungen. Das Kultusministerium als oberste Schulbehörde ist mit einem Verbot eingeschritten, aber der Berliner Magistrat erklärt durch den Mund des Oberbürgermeisters, daß die Stadt hier auf dem Gebiet ihrer Selbstverwaltung handle, und daß die Mitglieder der betreffenden Vereine als Steuerzahler ein An¬ recht auf eine solche Benutzung der Schullokalitäten hätten. Nach dieser Logik wären auch den Anarchisten vom Berliner Magistrat Schullokale für ihre Ver¬ sammlungen einzuräumen, denn Steuerzahler sind sie, vorläufig wenigstens auch, wenngleich vielleicht recht minimale. Die polnischen Turnvereine (Sokol) dienen bekanntlich nur einer ausgesprochen revolutionären, deutschfeindlichen Richtung des Polentums. Die Verwaltung der Hauptstadt des Deutschen Reichs hätte also die Pflicht, in dieser Beziehung mit den allgemeinen Staatsinteressen und der allgemeinen Staatspolitik in Übereinstimmung zu handeln. Sie könnte sich höchstens auf den Standpunkt stellen, daß so lange die staatlichen Behörden die Sokolvereine duldeten, was freilich auffällig genug ist, die städtische Verwaltung Berlins keinen Grund habe, diesen Vereinen die Schulturnhallen zu versagen. Damit wäre man vielleicht etwas weiter gekommen als mit dem Pochen auf die Selbstverwaltung. Den tschechischen Turnvereinen gegenüber besteht bei dem Verhalten der Tschechen gegen die Deutschen in Böhmen und der notorischen Feindseligkeit des Tschechentums gegen Deutschland ganz und gar kein Anlaß zu einer solchen auffallenden Gastfreundschaft. Ebensowenig gehören sozialdemokratische und freireligiöse Versammlungen in die Schulhäuser. Aber freilich, wenn die Berliner Polizei duldet, daß ein polnischer Gasthof sich als „deutschenrein" ankündigen und empfehlen darf, dann kommen wir zu einer solchen Verschiebung der Begriffe. Es fehlt da leider an einer eisernen Hand, die nicht mit sich spaßen ließe und den polnischen Frechheiten ein Ende machte. Moritz Busch erzählt in seinen Aufzeichnungen über die Versailler Tisch¬ gespräche, daß Btsmarck einmal geklagt habe, sogar nicht nur einmal, die Armee habe das Kriegführen verlernt. Unwillkürlich wird man daran erinnert, wenn man in einer Hamburger Meldung liest, der Dampfer „Hans Woermann" habe aus Swakopmund den italienischen Arbeiter Simon als Gefangnen mit¬ gebracht, der im Mai dieses Jahres während einer Eisenbahnfahrt bei Karibik den Marineoberleutnant Hermann, den Seesoldaten Kießling und einen schwarzen Bremser grundlos anschoß. Simon solle in einer Irrenanstalt auf seinen Gesund¬ heitszustand untersucht werden! Wir glauben nicht, daß es auf der ganzen Welt noch eine Armee oder Militärjustiz gibt, bei der das möglich wäre. In Südwest¬ afrika besteht der Kriegszustand, ein Mensch verwundet ohne jeden Anlaß einen Offizier, einen Soldaten und einen Staatsangestellten der Eisenbahn — wenn wir nicht irren, ist der Soldat Kießling sogar dieser Wunde erlegen. Anstatt ein solches Subjekt einfach vor ein Standgericht zu stellen und binnen kürzester Frist der verdienten Strafe durch das Standrecht zuzuführen, wird der Verbrecher erst noch vier Monate lang in dortigen Gefängnissen gefüttert, dann für teures Geld

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/125>, abgerufen am 23.07.2024.