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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Naturgeschichte des menschlichen Verkehrslebens.*) Daß ein
pommerscher Rittergutsbesitzer die orientalischen Sprachen studiert, um aus der
richtigen Übersetzung und Deutung der ersten neun Kapitel der Genesis die Grund¬
lagen für eine exakte Verkehrs- und Wirtschaftslehre zu gewinnen, ist eine Merk¬
würdigkeit ersten Ranges. Aber eine solche wird auch das vorliegende Buch, die
Frucht dieser mühsamen Studien, trotz dem darauf verwandten opfermuttgen Fleiß
wohl bleiben. Auf des Verfassers Frage: Warum haben wir keine mathematische
Verkehrslehre? lautet die Antwort: Aus demselben Grunde, der zuverlässige Wetter¬
prognosen unmöglich macht. Wir zweifeln nicht im mindesten daran, daß sich
alles Menschentum in der Diagonale eines Parallelogramms bewegt, dessen Seiten
die egoistische und die altruistische Tendenz des Menschenherzens darstellen, aber
für die Vorausbestimmung des "Phänomens" im einzelnen Fall, zum Beispiel ob
Mayer den Müller nur mild oder grausam übers Ohr hauen, wieviel Buren
die Engländer der Goldfelder wegen totschießen, oder ob sich die sächsischen Minister
und Volksvertreter zu einer Eisenbahngemeinschaft mit Preußen entschließen werden,
hilft uns das schöne Kräfteparallelogramm auf Seite 57 gar nichts, weil der Kompo¬
nenten zu viele, und weil sie uns in vielen Fällen nur sehr unvollständig bekannt sind.
Die Bibelerklärung des Herrn von Graß ist originell, unterhaltend und sehr geist¬
reich. In manchen Stücken stimmen wir ihm zu, zum Beispiel in der Verwerfung
des Erbsünddogmas, wobei wir jedoch nicht so weit gehn, "pfäffische Grausamkeit"
für dieses Stück Kirchenlehre verantwortlich zu machen. Am lebhaftesten hat uns
die Ansicht interessiert, Kains Brudermord bedeute, daß die wildlebenden Menschen
-- Abel ist als Viehzüchter Nomade -- von den Kulturvölkern verdrängt, unter
Umständen vernichtet werden müßten. Die Verfasser der ersten Kapitel der Bibel
sind nämlich nach Graß mit hoher Weisheit begabte Männer gewesen, die den
Weltplan Gottes durchschaut und in symbolischen Erzählungen dargestellt haben.

Die heiligen Instruktionen des Kaisers Hong-Wu. Nach chinesischen
Grundsätzen ist die Autorität des Kaisers von identischen Gehalt mit der väterlichen
Autorität; die chinesische Regierung hat dieselben Pflichten gegen ihr Volk wie der
Vater gegen seine Kinder: der Kaiser ist für Körper und Seele seiner Untertanen
verantwortlich, er soll sie geistig und materiell ernähren, sodaß sie zu dem voll-
kommnen Zustand gelangen können, worin die Menschen glücklich und tugendhaft sind.
Die chinesischen Kaiser haben deshalb immer "heilige Edikte" mit Moralvorschriften
erlassen, die teils in Stelen eingegraben und aufgestellt wurden, teils wie die be¬
rühmten sechzehn Maximen des Kaisers K'eng-Hi (1671) am Ersten und am Fünf¬
zehnten jedes Monats in allen Städten vorgelesen werden sollten. Auch der jetzt
regierende Kaiser hat einen von seinem Vorfahren, dem Kaiser Chuen-Tese (1644
bis 1661) verfaßten Moralkodex, den er 1891 entdeckt hat, zu solcher halbmonatlichen
öffentlichen Vorlesung bestimmt. -- Nunmehr veröffentlicht der französische Sinologe
Ed. Chavauues in dem letzten Heft des in Hanoi in Tonkin erscheinenden durchaus
wissenschaftlichen LnIIstiii as I'Levis er5in?s,iss ä'Lxtismo-0iiollt den Inhalt eines im
epigraphischen Museum zu Si-ngcm-fu, das den poetischen Namen "der Stelenwald"
führt, vorgefundnen sehr interessanten Steindoknments aus dein Jahre 1587, das die
heiligen Instruktionen des Kaisers Hong-Wu (1368 bis 1398) wiedergibt. Ein
gewisser Tchong Hua-min, von Stand Tee- und Pferdekontrolleur im Chan-si, ließ
diese Stele errichten, die sich durch ihre besondre Einteilung auszeichnet. Zunächst
werden die Texte der sechs Maximen des Kaisers Hong-Wu mitgeteilt, nämlich die
kurze Sentenz und wie sie der Kaiser in Prosa und Poesie entwickelt hat, jedesmal
in einem besondern Abschnitt. An jeden einzelnen Abschnitt hat dann Tchong
Hua-min eine Zeichnung anschließen lassen, die die Maxime illustriert, und eine
Legende dazu geschrieben, die die bildliche Darstellung erklärt.



-) Von L. von Graß-Klamm, Mitglied des Herrenhauses. Berlin, Paul Parey. 1902.
Grenzboten III 1904 72
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Naturgeschichte des menschlichen Verkehrslebens.*) Daß ein
pommerscher Rittergutsbesitzer die orientalischen Sprachen studiert, um aus der
richtigen Übersetzung und Deutung der ersten neun Kapitel der Genesis die Grund¬
lagen für eine exakte Verkehrs- und Wirtschaftslehre zu gewinnen, ist eine Merk¬
würdigkeit ersten Ranges. Aber eine solche wird auch das vorliegende Buch, die
Frucht dieser mühsamen Studien, trotz dem darauf verwandten opfermuttgen Fleiß
wohl bleiben. Auf des Verfassers Frage: Warum haben wir keine mathematische
Verkehrslehre? lautet die Antwort: Aus demselben Grunde, der zuverlässige Wetter¬
prognosen unmöglich macht. Wir zweifeln nicht im mindesten daran, daß sich
alles Menschentum in der Diagonale eines Parallelogramms bewegt, dessen Seiten
die egoistische und die altruistische Tendenz des Menschenherzens darstellen, aber
für die Vorausbestimmung des „Phänomens" im einzelnen Fall, zum Beispiel ob
Mayer den Müller nur mild oder grausam übers Ohr hauen, wieviel Buren
die Engländer der Goldfelder wegen totschießen, oder ob sich die sächsischen Minister
und Volksvertreter zu einer Eisenbahngemeinschaft mit Preußen entschließen werden,
hilft uns das schöne Kräfteparallelogramm auf Seite 57 gar nichts, weil der Kompo¬
nenten zu viele, und weil sie uns in vielen Fällen nur sehr unvollständig bekannt sind.
Die Bibelerklärung des Herrn von Graß ist originell, unterhaltend und sehr geist¬
reich. In manchen Stücken stimmen wir ihm zu, zum Beispiel in der Verwerfung
des Erbsünddogmas, wobei wir jedoch nicht so weit gehn, „pfäffische Grausamkeit"
für dieses Stück Kirchenlehre verantwortlich zu machen. Am lebhaftesten hat uns
die Ansicht interessiert, Kains Brudermord bedeute, daß die wildlebenden Menschen
— Abel ist als Viehzüchter Nomade — von den Kulturvölkern verdrängt, unter
Umständen vernichtet werden müßten. Die Verfasser der ersten Kapitel der Bibel
sind nämlich nach Graß mit hoher Weisheit begabte Männer gewesen, die den
Weltplan Gottes durchschaut und in symbolischen Erzählungen dargestellt haben.

Die heiligen Instruktionen des Kaisers Hong-Wu. Nach chinesischen
Grundsätzen ist die Autorität des Kaisers von identischen Gehalt mit der väterlichen
Autorität; die chinesische Regierung hat dieselben Pflichten gegen ihr Volk wie der
Vater gegen seine Kinder: der Kaiser ist für Körper und Seele seiner Untertanen
verantwortlich, er soll sie geistig und materiell ernähren, sodaß sie zu dem voll-
kommnen Zustand gelangen können, worin die Menschen glücklich und tugendhaft sind.
Die chinesischen Kaiser haben deshalb immer „heilige Edikte" mit Moralvorschriften
erlassen, die teils in Stelen eingegraben und aufgestellt wurden, teils wie die be¬
rühmten sechzehn Maximen des Kaisers K'eng-Hi (1671) am Ersten und am Fünf¬
zehnten jedes Monats in allen Städten vorgelesen werden sollten. Auch der jetzt
regierende Kaiser hat einen von seinem Vorfahren, dem Kaiser Chuen-Tese (1644
bis 1661) verfaßten Moralkodex, den er 1891 entdeckt hat, zu solcher halbmonatlichen
öffentlichen Vorlesung bestimmt. — Nunmehr veröffentlicht der französische Sinologe
Ed. Chavauues in dem letzten Heft des in Hanoi in Tonkin erscheinenden durchaus
wissenschaftlichen LnIIstiii as I'Levis er5in?s,iss ä'Lxtismo-0iiollt den Inhalt eines im
epigraphischen Museum zu Si-ngcm-fu, das den poetischen Namen „der Stelenwald"
führt, vorgefundnen sehr interessanten Steindoknments aus dein Jahre 1587, das die
heiligen Instruktionen des Kaisers Hong-Wu (1368 bis 1398) wiedergibt. Ein
gewisser Tchong Hua-min, von Stand Tee- und Pferdekontrolleur im Chan-si, ließ
diese Stele errichten, die sich durch ihre besondre Einteilung auszeichnet. Zunächst
werden die Texte der sechs Maximen des Kaisers Hong-Wu mitgeteilt, nämlich die
kurze Sentenz und wie sie der Kaiser in Prosa und Poesie entwickelt hat, jedesmal
in einem besondern Abschnitt. An jeden einzelnen Abschnitt hat dann Tchong
Hua-min eine Zeichnung anschließen lassen, die die Maxime illustriert, und eine
Legende dazu geschrieben, die die bildliche Darstellung erklärt.



-) Von L. von Graß-Klamm, Mitglied des Herrenhauses. Berlin, Paul Parey. 1902.
Grenzboten III 1904 72
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[0553] Maßgebliches und Unmaßgebliches Naturgeschichte des menschlichen Verkehrslebens.*) Daß ein pommerscher Rittergutsbesitzer die orientalischen Sprachen studiert, um aus der richtigen Übersetzung und Deutung der ersten neun Kapitel der Genesis die Grund¬ lagen für eine exakte Verkehrs- und Wirtschaftslehre zu gewinnen, ist eine Merk¬ würdigkeit ersten Ranges. Aber eine solche wird auch das vorliegende Buch, die Frucht dieser mühsamen Studien, trotz dem darauf verwandten opfermuttgen Fleiß wohl bleiben. Auf des Verfassers Frage: Warum haben wir keine mathematische Verkehrslehre? lautet die Antwort: Aus demselben Grunde, der zuverlässige Wetter¬ prognosen unmöglich macht. Wir zweifeln nicht im mindesten daran, daß sich alles Menschentum in der Diagonale eines Parallelogramms bewegt, dessen Seiten die egoistische und die altruistische Tendenz des Menschenherzens darstellen, aber für die Vorausbestimmung des „Phänomens" im einzelnen Fall, zum Beispiel ob Mayer den Müller nur mild oder grausam übers Ohr hauen, wieviel Buren die Engländer der Goldfelder wegen totschießen, oder ob sich die sächsischen Minister und Volksvertreter zu einer Eisenbahngemeinschaft mit Preußen entschließen werden, hilft uns das schöne Kräfteparallelogramm auf Seite 57 gar nichts, weil der Kompo¬ nenten zu viele, und weil sie uns in vielen Fällen nur sehr unvollständig bekannt sind. Die Bibelerklärung des Herrn von Graß ist originell, unterhaltend und sehr geist¬ reich. In manchen Stücken stimmen wir ihm zu, zum Beispiel in der Verwerfung des Erbsünddogmas, wobei wir jedoch nicht so weit gehn, „pfäffische Grausamkeit" für dieses Stück Kirchenlehre verantwortlich zu machen. Am lebhaftesten hat uns die Ansicht interessiert, Kains Brudermord bedeute, daß die wildlebenden Menschen — Abel ist als Viehzüchter Nomade — von den Kulturvölkern verdrängt, unter Umständen vernichtet werden müßten. Die Verfasser der ersten Kapitel der Bibel sind nämlich nach Graß mit hoher Weisheit begabte Männer gewesen, die den Weltplan Gottes durchschaut und in symbolischen Erzählungen dargestellt haben. Die heiligen Instruktionen des Kaisers Hong-Wu. Nach chinesischen Grundsätzen ist die Autorität des Kaisers von identischen Gehalt mit der väterlichen Autorität; die chinesische Regierung hat dieselben Pflichten gegen ihr Volk wie der Vater gegen seine Kinder: der Kaiser ist für Körper und Seele seiner Untertanen verantwortlich, er soll sie geistig und materiell ernähren, sodaß sie zu dem voll- kommnen Zustand gelangen können, worin die Menschen glücklich und tugendhaft sind. Die chinesischen Kaiser haben deshalb immer „heilige Edikte" mit Moralvorschriften erlassen, die teils in Stelen eingegraben und aufgestellt wurden, teils wie die be¬ rühmten sechzehn Maximen des Kaisers K'eng-Hi (1671) am Ersten und am Fünf¬ zehnten jedes Monats in allen Städten vorgelesen werden sollten. Auch der jetzt regierende Kaiser hat einen von seinem Vorfahren, dem Kaiser Chuen-Tese (1644 bis 1661) verfaßten Moralkodex, den er 1891 entdeckt hat, zu solcher halbmonatlichen öffentlichen Vorlesung bestimmt. — Nunmehr veröffentlicht der französische Sinologe Ed. Chavauues in dem letzten Heft des in Hanoi in Tonkin erscheinenden durchaus wissenschaftlichen LnIIstiii as I'Levis er5in?s,iss ä'Lxtismo-0iiollt den Inhalt eines im epigraphischen Museum zu Si-ngcm-fu, das den poetischen Namen „der Stelenwald" führt, vorgefundnen sehr interessanten Steindoknments aus dein Jahre 1587, das die heiligen Instruktionen des Kaisers Hong-Wu (1368 bis 1398) wiedergibt. Ein gewisser Tchong Hua-min, von Stand Tee- und Pferdekontrolleur im Chan-si, ließ diese Stele errichten, die sich durch ihre besondre Einteilung auszeichnet. Zunächst werden die Texte der sechs Maximen des Kaisers Hong-Wu mitgeteilt, nämlich die kurze Sentenz und wie sie der Kaiser in Prosa und Poesie entwickelt hat, jedesmal in einem besondern Abschnitt. An jeden einzelnen Abschnitt hat dann Tchong Hua-min eine Zeichnung anschließen lassen, die die Maxime illustriert, und eine Legende dazu geschrieben, die die bildliche Darstellung erklärt. -) Von L. von Graß-Klamm, Mitglied des Herrenhauses. Berlin, Paul Parey. 1902. Grenzboten III 1904 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/553>, abgerufen am 23.07.2024.