Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.schwäbisches Meltbürgertuin vor hundert Jahren nach dienen. Und keine dieser Regierungen wollte auf die Dienste eines Mannes schwäbisches Meltbürgertuin vor hundert Jahren nach dienen. Und keine dieser Regierungen wollte auf die Dienste eines Mannes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294927"/> <fw type="header" place="top"> schwäbisches Meltbürgertuin vor hundert Jahren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2263" prev="#ID_2262" next="#ID_2264"> nach dienen. Und keine dieser Regierungen wollte auf die Dienste eines Mannes<lb/> verzichten, der „Fleiß und Hingebung, Sachkenntnis auch in den schwierigsten<lb/> Materien, namentlich auch in Handelssachen, Zuverlässigkeit und tadellose per¬<lb/> sönliche Führung, Scharfsinn, Klugheit und vor allem die Gabe der schriftlichen<lb/> Berichterstattung in seltnem Maße in sich vereinigte und mit diesen glänzendem<lb/> Eigenschaften noch die besondre Gabe der Unterordnung verband." Im einzelnen<lb/> war Reinharts diplomatische Laufbahn folgende: Von London kam er 1793<lb/> als Legationssekretär nach Neapel. So lange er in Neapel war, endeten die<lb/> meisten seiner französischen Freunde unter dem Fallbeil. Den Schwaben aber<lb/> berief der Wohlfahrtsausschuß im Winter 1793/94 nach Paris zur Leitung<lb/> des Auswärtigen Amtes, speziell im Verkehr mit den nordischen Mächte», weil<lb/> er, nach dem Ausspruch des Robespierre, bis jetzt so viel „Vaterlandsliebe" und<lb/> Befähigung bewiesen habe. Unmittelbar unter den scharf und mißtrauisch be¬<lb/> obachtenden Augen der Schreckensmänner Danton und Robespierre hat „der<lb/> zärtlich-biedre Vikar von Balingen" seinen Dienst versehen, ja oft mit diesen<lb/> berüchtigten Ungeheuern gemeinsam gespeist. Aber auch ihre Tigerseelen fanden<lb/> an dem schwäbischen Magister nichts auszusetzen. Obgleich nun die nordischen<lb/> Mächte seit der Hinrichtung des Königs ihre diplomatischen Beziehungen zu<lb/> Frankreich abgebrochen hatten, und es infolgedessen für Reinhard nicht viel zu<lb/> tuu gab, so erschien er trotzdem tagtäglich pünktlich in seiner Amtsstube und<lb/> saß die vorgeschriebnen Kanzleistunden ab, und sei es auch nur, um Kielfedern<lb/> zu schneiden. Dieser Kanzleidienst dauerte unter dem Wohlfahrtsausschuß von<lb/> acht bis zwei Uhr und von Abends fünf bis achteinhalb Uhr, also neuneinhalb<lb/> Stunden. Unbemerkt rettete Reinhard sein Dasein durch diese stille Kanzlei¬<lb/> arbeit hinüber in bessere Tage. Nach dem Sturze Robespierres wollte Sieyes<lb/> seinen Schützling als Gesandten nach Wien schicken. Aber dem Wiener Hofe<lb/> war der ehemalige Sohn eines süddeutschen Kleinstaats als der Vertreter Frank¬<lb/> reichs nicht genehm. So kam Reinhard als Gesandter nach Hamburg. Zu¬<lb/> gleich erhielt er den Rang eines Staatsministers. Er stand nunmehr in seinem<lb/> vierunddreißigsten Lebensjahre; 1798/99 war er Gesandter in Florenz, so¬<lb/> dann vorübergehend Minister des Auswärtigen in Paris. Sein Nachfolger<lb/> hier wurde Talleyrand; 1800/01 war er Gesandter in Bern, 1802/05 wiederum<lb/> in Hamburg. Im Jahre 1805 füllt er bei Napoleon in Ungnade, weil er<lb/> einen Befehl des Kaisers, mitzuhelfen an der völkerrechtswidrigen Verhaftung<lb/> des englischen Gesandten in Hamburg, absichtlich nicht richtig aufgefaßt hatte.<lb/> Zur Strafe wird er zum Generalkonsul degradiert und als solcher in die Türkei<lb/> und zwar nach Jassy geschickt. Zwei Jahre war Reinhard in der Moldau, da<lb/> wird er mitten im Winter des Jahres 1806 von einem russischen General auf¬<lb/> gehoben und mit seiner Frau und dem Konsulatspersonal unter starker Kosatcn-<lb/> eskorte in die Ukraine weggeschleppt. Anfangs hieß es sogar, er müsse nach<lb/> Sibirien. Als Kaiser Alexander von Rußland von dem Zwischenfall Kenntnis<lb/> erhielt, wurde wohl die sofortige Freilassung der Gefangnen verfügt, aber<lb/> Reinhard hatte sich eine Krankheit zugezogen, die ihn zwang, in Karlsbad die<lb/> Kur zu gebrauchen. Dorthin reiste er von der Ukraine aus. In Karlsbad<lb/> weilte damals zu derselben Zeit (1807) Goethe, der mit Reinhard ein inniges</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
schwäbisches Meltbürgertuin vor hundert Jahren
nach dienen. Und keine dieser Regierungen wollte auf die Dienste eines Mannes
verzichten, der „Fleiß und Hingebung, Sachkenntnis auch in den schwierigsten
Materien, namentlich auch in Handelssachen, Zuverlässigkeit und tadellose per¬
sönliche Führung, Scharfsinn, Klugheit und vor allem die Gabe der schriftlichen
Berichterstattung in seltnem Maße in sich vereinigte und mit diesen glänzendem
Eigenschaften noch die besondre Gabe der Unterordnung verband." Im einzelnen
war Reinharts diplomatische Laufbahn folgende: Von London kam er 1793
als Legationssekretär nach Neapel. So lange er in Neapel war, endeten die
meisten seiner französischen Freunde unter dem Fallbeil. Den Schwaben aber
berief der Wohlfahrtsausschuß im Winter 1793/94 nach Paris zur Leitung
des Auswärtigen Amtes, speziell im Verkehr mit den nordischen Mächte», weil
er, nach dem Ausspruch des Robespierre, bis jetzt so viel „Vaterlandsliebe" und
Befähigung bewiesen habe. Unmittelbar unter den scharf und mißtrauisch be¬
obachtenden Augen der Schreckensmänner Danton und Robespierre hat „der
zärtlich-biedre Vikar von Balingen" seinen Dienst versehen, ja oft mit diesen
berüchtigten Ungeheuern gemeinsam gespeist. Aber auch ihre Tigerseelen fanden
an dem schwäbischen Magister nichts auszusetzen. Obgleich nun die nordischen
Mächte seit der Hinrichtung des Königs ihre diplomatischen Beziehungen zu
Frankreich abgebrochen hatten, und es infolgedessen für Reinhard nicht viel zu
tuu gab, so erschien er trotzdem tagtäglich pünktlich in seiner Amtsstube und
saß die vorgeschriebnen Kanzleistunden ab, und sei es auch nur, um Kielfedern
zu schneiden. Dieser Kanzleidienst dauerte unter dem Wohlfahrtsausschuß von
acht bis zwei Uhr und von Abends fünf bis achteinhalb Uhr, also neuneinhalb
Stunden. Unbemerkt rettete Reinhard sein Dasein durch diese stille Kanzlei¬
arbeit hinüber in bessere Tage. Nach dem Sturze Robespierres wollte Sieyes
seinen Schützling als Gesandten nach Wien schicken. Aber dem Wiener Hofe
war der ehemalige Sohn eines süddeutschen Kleinstaats als der Vertreter Frank¬
reichs nicht genehm. So kam Reinhard als Gesandter nach Hamburg. Zu¬
gleich erhielt er den Rang eines Staatsministers. Er stand nunmehr in seinem
vierunddreißigsten Lebensjahre; 1798/99 war er Gesandter in Florenz, so¬
dann vorübergehend Minister des Auswärtigen in Paris. Sein Nachfolger
hier wurde Talleyrand; 1800/01 war er Gesandter in Bern, 1802/05 wiederum
in Hamburg. Im Jahre 1805 füllt er bei Napoleon in Ungnade, weil er
einen Befehl des Kaisers, mitzuhelfen an der völkerrechtswidrigen Verhaftung
des englischen Gesandten in Hamburg, absichtlich nicht richtig aufgefaßt hatte.
Zur Strafe wird er zum Generalkonsul degradiert und als solcher in die Türkei
und zwar nach Jassy geschickt. Zwei Jahre war Reinhard in der Moldau, da
wird er mitten im Winter des Jahres 1806 von einem russischen General auf¬
gehoben und mit seiner Frau und dem Konsulatspersonal unter starker Kosatcn-
eskorte in die Ukraine weggeschleppt. Anfangs hieß es sogar, er müsse nach
Sibirien. Als Kaiser Alexander von Rußland von dem Zwischenfall Kenntnis
erhielt, wurde wohl die sofortige Freilassung der Gefangnen verfügt, aber
Reinhard hatte sich eine Krankheit zugezogen, die ihn zwang, in Karlsbad die
Kur zu gebrauchen. Dorthin reiste er von der Ukraine aus. In Karlsbad
weilte damals zu derselben Zeit (1807) Goethe, der mit Reinhard ein inniges
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