Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste Vielleicht an vielen, vielleicht sogar an den meisten Orten, wo um Segen für Ich bestreite nur, daß eine Bitte um Strandgut in den letzten dreihundert Was Brehm über die Technik des Seefischfanges berichtet, widerspricht Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste Vielleicht an vielen, vielleicht sogar an den meisten Orten, wo um Segen für Ich bestreite nur, daß eine Bitte um Strandgut in den letzten dreihundert Was Brehm über die Technik des Seefischfanges berichtet, widerspricht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294808"/> <fw type="header" place="top"> Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste</fw><lb/> <p xml:id="ID_1677" prev="#ID_1676"> Vielleicht an vielen, vielleicht sogar an den meisten Orten, wo um Segen für<lb/> Land und Strand gebetet wurde, die Fischer und die Bauern, die ihre ärm¬<lb/> lichen Kater mit Treibholz flickten und ihre Luftschlösser mit Strandgut bauten,<lb/> dieses Gebet nur als Bitte um Strandgut auffaßten. Auch daß da und dort<lb/> auf einer Insel oder in einem armen Stranddorfe ein Geistlicher, der die Holz¬<lb/> not selber kannte und den Schimmer von Wohlstand zu schätzen wußte, den<lb/> brauchbares Treibholz und Strandgut in seiner Gemeinde erzeugten, das Gebet<lb/> so gedeutet oder die blasphemische Deutung, die es bei seiner Gemeinde erfuhr,<lb/> nicht bekämpft hat, ist nicht ganz ausgeschlossen. Enger als sonst ein Führer<lb/> verwächst der Geistliche mit seiner Gemeinde. Die engste Interessengemeinschaft<lb/> verbindet ihn mit ihr, er wird Landmann oder Seemann, je nachdem seine<lb/> Pfarrkinder Land- oder Seeleute sind. Daher kommt zum Teil sein auch auf<lb/> politischem Gebiete nicht versagender Einfluß auf die Gemeinde, aber auch die<lb/> Gefahr, daß die Gemeinde mit ihrer stummen oder lauten Forderung, daß er<lb/> ihre Interessen in ihrem Geiste bei Gott vertrete, eine Macht über ihn sich<lb/> anmaßt und wohl auch gewinnt. Und entschuldigende Deutungen der Bitte<lb/> um Strandgut lagen nahe, sodaß auch ein in Sturmflut und Mangel nicht<lb/> ganz rauh gewordnes Gemüt seine Bedenken damit zum Schweigen bringen<lb/> konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1678"> Ich bestreite nur, daß eine Bitte um Strandgut in den letzten dreihundert<lb/> Jahren an der deutschen Ostseeküste von der kirchlichen und staatlichen Obrigkeit<lb/> geduldet und bis in unser Jahrhundert üblich war, und behaupte, daß die<lb/> Bitte, „Gott möge das liebe Land und nicht minder den Strand segnen,"<lb/> nichts andres ist als eine Zusammenziehung der für die Früchte der Erde und<lb/> die Fische im Wasser Gedeihen erflehenden alten Bitten der Litanei. Fisch¬<lb/> gründe und Ackerland spenden dem Küsten- und Jnselbewohner seine Nahrung<lb/> und sind seine Welt. Nur sie können in einem die Bitte um das tägliche<lb/> Brot variierenden Gebet als gleichbedeutende Nährboden nebeneinander gestellt<lb/> werden, nur Fische und Feldfrüchte ergänzen sich zur Nahrung des Küsten¬<lb/> bewohners, nicht eine seltne Gabe des Zufalles, wie das Strandgut, und die,<lb/> wenn auch in wechselnder Fülle, so doch regelmäßig gedeihende Brotfrucht.<lb/> Daß dem als Nährboden aufgefaßten Lande nicht die See in demselben Sinne<lb/> gegenübergestellt wurde, sondern der Strand, erklärt sich zunächst durch die<lb/> räumliche Verschiedenheit dessen, was der Betende unter dem Lande verstand,<lb/> und dessen, was der Begriff See bezeichnet. Das Land wird in dieser Bitte<lb/> sofort als das engbegrenzte Nährland des Beters aufgefaßt, dem Begriffe See<lb/> fehlt diese Beschränkung und Prägnanz. Der Betende denkt nicht an das ganze<lb/> Land, von dem er eine Scholle bewohnt, nicht einmal an seine Heimatprovinz,<lb/> sondern nur an die Äcker, die derselbe Sonnenstrahl wärmt, dieselbe Regen¬<lb/> wolke netzt und dieselbe Hagelwolke gefährdet, an seine Äcker und an die der<lb/> Nachbarn. Die weite See ist einer solchen Begrenzung nicht fähig, wohl aber<lb/> das Gebiet, wo Meer und Land für die menschlichen Sinne noch nicht ganz<lb/> geschieden sind, das seichte Meer über dem an unsrer Ostseeküste meist langsam<lb/> abfallenden und weit hinausreichenden Vorlands.</p><lb/> <p xml:id="ID_1679" next="#ID_1680"> Was Brehm über die Technik des Seefischfanges berichtet, widerspricht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste
Vielleicht an vielen, vielleicht sogar an den meisten Orten, wo um Segen für
Land und Strand gebetet wurde, die Fischer und die Bauern, die ihre ärm¬
lichen Kater mit Treibholz flickten und ihre Luftschlösser mit Strandgut bauten,
dieses Gebet nur als Bitte um Strandgut auffaßten. Auch daß da und dort
auf einer Insel oder in einem armen Stranddorfe ein Geistlicher, der die Holz¬
not selber kannte und den Schimmer von Wohlstand zu schätzen wußte, den
brauchbares Treibholz und Strandgut in seiner Gemeinde erzeugten, das Gebet
so gedeutet oder die blasphemische Deutung, die es bei seiner Gemeinde erfuhr,
nicht bekämpft hat, ist nicht ganz ausgeschlossen. Enger als sonst ein Führer
verwächst der Geistliche mit seiner Gemeinde. Die engste Interessengemeinschaft
verbindet ihn mit ihr, er wird Landmann oder Seemann, je nachdem seine
Pfarrkinder Land- oder Seeleute sind. Daher kommt zum Teil sein auch auf
politischem Gebiete nicht versagender Einfluß auf die Gemeinde, aber auch die
Gefahr, daß die Gemeinde mit ihrer stummen oder lauten Forderung, daß er
ihre Interessen in ihrem Geiste bei Gott vertrete, eine Macht über ihn sich
anmaßt und wohl auch gewinnt. Und entschuldigende Deutungen der Bitte
um Strandgut lagen nahe, sodaß auch ein in Sturmflut und Mangel nicht
ganz rauh gewordnes Gemüt seine Bedenken damit zum Schweigen bringen
konnte.
Ich bestreite nur, daß eine Bitte um Strandgut in den letzten dreihundert
Jahren an der deutschen Ostseeküste von der kirchlichen und staatlichen Obrigkeit
geduldet und bis in unser Jahrhundert üblich war, und behaupte, daß die
Bitte, „Gott möge das liebe Land und nicht minder den Strand segnen,"
nichts andres ist als eine Zusammenziehung der für die Früchte der Erde und
die Fische im Wasser Gedeihen erflehenden alten Bitten der Litanei. Fisch¬
gründe und Ackerland spenden dem Küsten- und Jnselbewohner seine Nahrung
und sind seine Welt. Nur sie können in einem die Bitte um das tägliche
Brot variierenden Gebet als gleichbedeutende Nährboden nebeneinander gestellt
werden, nur Fische und Feldfrüchte ergänzen sich zur Nahrung des Küsten¬
bewohners, nicht eine seltne Gabe des Zufalles, wie das Strandgut, und die,
wenn auch in wechselnder Fülle, so doch regelmäßig gedeihende Brotfrucht.
Daß dem als Nährboden aufgefaßten Lande nicht die See in demselben Sinne
gegenübergestellt wurde, sondern der Strand, erklärt sich zunächst durch die
räumliche Verschiedenheit dessen, was der Betende unter dem Lande verstand,
und dessen, was der Begriff See bezeichnet. Das Land wird in dieser Bitte
sofort als das engbegrenzte Nährland des Beters aufgefaßt, dem Begriffe See
fehlt diese Beschränkung und Prägnanz. Der Betende denkt nicht an das ganze
Land, von dem er eine Scholle bewohnt, nicht einmal an seine Heimatprovinz,
sondern nur an die Äcker, die derselbe Sonnenstrahl wärmt, dieselbe Regen¬
wolke netzt und dieselbe Hagelwolke gefährdet, an seine Äcker und an die der
Nachbarn. Die weite See ist einer solchen Begrenzung nicht fähig, wohl aber
das Gebiet, wo Meer und Land für die menschlichen Sinne noch nicht ganz
geschieden sind, das seichte Meer über dem an unsrer Ostseeküste meist langsam
abfallenden und weit hinausreichenden Vorlands.
Was Brehm über die Technik des Seefischfanges berichtet, widerspricht
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