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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Dramen Gabriele D'Annunzios

umzuformen und mit romanischem Geiste zu durchtränken. Was wird in D'An¬
nunzios Händen aus Nietzsches Philosophie, dessen getreuer Schüler er doch
sein soll? Er übernimmt allein die Lehre vom Übermenschen, doch schon in der
Auffassung über dessen Entstehung findet man bei ihm einen großen Unterschied.
Wir wissen, daß Nietzsche jeden Rassenadel verwirft, daß er sich den Über¬
menschen als Resultat einer langen Reihe von Generationen vorstellt, die nach
seiner Lehre gelebt haben, während D'Annunzios Helden samt und sonders
Aristokraten sind, und zwar aus altem romanischem Geschlecht. Einer unter
ihnen soll die erlösende Tat für die Menschheit vollbringen durch die innige
Verschmelzung von Leben und Kunst. Keine Spur ferner von der Lehre des
deutschen Philosophen, daß seine Jünger im unerbittlichen Kampfe des Lebens
hart werden sollen, daß sie zum Wesen des Übermenschen emporsteigen könnten.
D'Annunzios Helden sind schönheitsfreudige Genußmenschen, keiner unter
ihnen weiß energisch zu handeln -- ihre Willenskraft äußert sich allein in
wundervoll stilisierten Reden über irgendwelche zukünftige Großtaten. Daß
sie dadurch unserm Herbern Denken und Fühlen nicht näher gerückt werden,
liegt auf der Hand -- vollends nun, wenn wir ihre Bekanntschaft durch eine
Übersetzung machen müssen. Denn unsre Sprache ist in ihrem Grundcharakter
von den nuancenreichen Lauten der sonnigen Apenninhalbinsel zu verschieden,
als daß sie die schillernde Pracht eines Stils wie der D'Annunzios anders
als wie ein unvollkommnes Abbild des farbenreichen Originals wiedergeben
könnte. Diese Tatsache ist zur gerechten Würdigung des Jtalieners von so ent¬
scheidender Wichtigkeit, daß man sie nicht scharf genug betonen kann.

Die Passivität der Helden D'Annunzios, die man durch den ganzen Noman-
cyklus der "Rose" verfolgen kann, und die in seinen Bühnenwerken dem Fort¬
schreiten der dramatischen Entwicklung so oft Hemmnisse in den Weg legt,
dürfte zum Teil in dem lässigen, dem weichen Klima des bsl Msss ange¬
messenen Temperament des modernen Jtalieners ihre Erklärung finden. Andrer¬
seits dürfen wir nicht vergessen, daß D'Annunzio zu den Vertretern des Sym¬
bolismus gezählt wird, und daß besonders in den frühern Dramen fast alle
seine Gestalten Verkörperungen bestimmter Ideen sind; darum haben sie neben
ihrer Zugehörigkeit zum Gange der Handlung noch andre, dem Dichter augen¬
scheinlich wichtigere Funktionen zu erfüllen, denn sie sind die Verkünder der
Botschaften, durch die der Romane fein Volk einem neuen Aufblühen entgegen¬
führen will. Hieraus kann man auch die lang ausgesponnenen Betrachtungen
über die verschiedensten Themata auf künstlerischem oder auf philosophischem
Gebiet erklären, die D'Annunzio seinen handelnden Personen bei jeder passenden
oder auch unpassenden -- Gelegenheit in den Mund legt. Freilich ist er
über den Ausbau und die Endziele seiner Lehren wohl selbst noch im un¬
klaren, jedoch ist es ihm vielleicht beschieden, im spätern Alter das Fazit seines
Lebens zu ziehn und es seiner Nation in festgefügten Formen zu über¬
liefern.

Zu den frühesten dramatischen Werken D'Annunzios gehören die "Träume
der Jahreszeiten," symbolische Darstellungen des weiblichen Gemütslebens in
den verschiednen Lebensaltern. Seine phantastische Sprache ist hier mit einer


Die Dramen Gabriele D'Annunzios

umzuformen und mit romanischem Geiste zu durchtränken. Was wird in D'An¬
nunzios Händen aus Nietzsches Philosophie, dessen getreuer Schüler er doch
sein soll? Er übernimmt allein die Lehre vom Übermenschen, doch schon in der
Auffassung über dessen Entstehung findet man bei ihm einen großen Unterschied.
Wir wissen, daß Nietzsche jeden Rassenadel verwirft, daß er sich den Über¬
menschen als Resultat einer langen Reihe von Generationen vorstellt, die nach
seiner Lehre gelebt haben, während D'Annunzios Helden samt und sonders
Aristokraten sind, und zwar aus altem romanischem Geschlecht. Einer unter
ihnen soll die erlösende Tat für die Menschheit vollbringen durch die innige
Verschmelzung von Leben und Kunst. Keine Spur ferner von der Lehre des
deutschen Philosophen, daß seine Jünger im unerbittlichen Kampfe des Lebens
hart werden sollen, daß sie zum Wesen des Übermenschen emporsteigen könnten.
D'Annunzios Helden sind schönheitsfreudige Genußmenschen, keiner unter
ihnen weiß energisch zu handeln — ihre Willenskraft äußert sich allein in
wundervoll stilisierten Reden über irgendwelche zukünftige Großtaten. Daß
sie dadurch unserm Herbern Denken und Fühlen nicht näher gerückt werden,
liegt auf der Hand — vollends nun, wenn wir ihre Bekanntschaft durch eine
Übersetzung machen müssen. Denn unsre Sprache ist in ihrem Grundcharakter
von den nuancenreichen Lauten der sonnigen Apenninhalbinsel zu verschieden,
als daß sie die schillernde Pracht eines Stils wie der D'Annunzios anders
als wie ein unvollkommnes Abbild des farbenreichen Originals wiedergeben
könnte. Diese Tatsache ist zur gerechten Würdigung des Jtalieners von so ent¬
scheidender Wichtigkeit, daß man sie nicht scharf genug betonen kann.

Die Passivität der Helden D'Annunzios, die man durch den ganzen Noman-
cyklus der „Rose" verfolgen kann, und die in seinen Bühnenwerken dem Fort¬
schreiten der dramatischen Entwicklung so oft Hemmnisse in den Weg legt,
dürfte zum Teil in dem lässigen, dem weichen Klima des bsl Msss ange¬
messenen Temperament des modernen Jtalieners ihre Erklärung finden. Andrer¬
seits dürfen wir nicht vergessen, daß D'Annunzio zu den Vertretern des Sym¬
bolismus gezählt wird, und daß besonders in den frühern Dramen fast alle
seine Gestalten Verkörperungen bestimmter Ideen sind; darum haben sie neben
ihrer Zugehörigkeit zum Gange der Handlung noch andre, dem Dichter augen¬
scheinlich wichtigere Funktionen zu erfüllen, denn sie sind die Verkünder der
Botschaften, durch die der Romane fein Volk einem neuen Aufblühen entgegen¬
führen will. Hieraus kann man auch die lang ausgesponnenen Betrachtungen
über die verschiedensten Themata auf künstlerischem oder auf philosophischem
Gebiet erklären, die D'Annunzio seinen handelnden Personen bei jeder passenden
oder auch unpassenden — Gelegenheit in den Mund legt. Freilich ist er
über den Ausbau und die Endziele seiner Lehren wohl selbst noch im un¬
klaren, jedoch ist es ihm vielleicht beschieden, im spätern Alter das Fazit seines
Lebens zu ziehn und es seiner Nation in festgefügten Formen zu über¬
liefern.

Zu den frühesten dramatischen Werken D'Annunzios gehören die „Träume
der Jahreszeiten," symbolische Darstellungen des weiblichen Gemütslebens in
den verschiednen Lebensaltern. Seine phantastische Sprache ist hier mit einer


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[0035] Die Dramen Gabriele D'Annunzios umzuformen und mit romanischem Geiste zu durchtränken. Was wird in D'An¬ nunzios Händen aus Nietzsches Philosophie, dessen getreuer Schüler er doch sein soll? Er übernimmt allein die Lehre vom Übermenschen, doch schon in der Auffassung über dessen Entstehung findet man bei ihm einen großen Unterschied. Wir wissen, daß Nietzsche jeden Rassenadel verwirft, daß er sich den Über¬ menschen als Resultat einer langen Reihe von Generationen vorstellt, die nach seiner Lehre gelebt haben, während D'Annunzios Helden samt und sonders Aristokraten sind, und zwar aus altem romanischem Geschlecht. Einer unter ihnen soll die erlösende Tat für die Menschheit vollbringen durch die innige Verschmelzung von Leben und Kunst. Keine Spur ferner von der Lehre des deutschen Philosophen, daß seine Jünger im unerbittlichen Kampfe des Lebens hart werden sollen, daß sie zum Wesen des Übermenschen emporsteigen könnten. D'Annunzios Helden sind schönheitsfreudige Genußmenschen, keiner unter ihnen weiß energisch zu handeln — ihre Willenskraft äußert sich allein in wundervoll stilisierten Reden über irgendwelche zukünftige Großtaten. Daß sie dadurch unserm Herbern Denken und Fühlen nicht näher gerückt werden, liegt auf der Hand — vollends nun, wenn wir ihre Bekanntschaft durch eine Übersetzung machen müssen. Denn unsre Sprache ist in ihrem Grundcharakter von den nuancenreichen Lauten der sonnigen Apenninhalbinsel zu verschieden, als daß sie die schillernde Pracht eines Stils wie der D'Annunzios anders als wie ein unvollkommnes Abbild des farbenreichen Originals wiedergeben könnte. Diese Tatsache ist zur gerechten Würdigung des Jtalieners von so ent¬ scheidender Wichtigkeit, daß man sie nicht scharf genug betonen kann. Die Passivität der Helden D'Annunzios, die man durch den ganzen Noman- cyklus der „Rose" verfolgen kann, und die in seinen Bühnenwerken dem Fort¬ schreiten der dramatischen Entwicklung so oft Hemmnisse in den Weg legt, dürfte zum Teil in dem lässigen, dem weichen Klima des bsl Msss ange¬ messenen Temperament des modernen Jtalieners ihre Erklärung finden. Andrer¬ seits dürfen wir nicht vergessen, daß D'Annunzio zu den Vertretern des Sym¬ bolismus gezählt wird, und daß besonders in den frühern Dramen fast alle seine Gestalten Verkörperungen bestimmter Ideen sind; darum haben sie neben ihrer Zugehörigkeit zum Gange der Handlung noch andre, dem Dichter augen¬ scheinlich wichtigere Funktionen zu erfüllen, denn sie sind die Verkünder der Botschaften, durch die der Romane fein Volk einem neuen Aufblühen entgegen¬ führen will. Hieraus kann man auch die lang ausgesponnenen Betrachtungen über die verschiedensten Themata auf künstlerischem oder auf philosophischem Gebiet erklären, die D'Annunzio seinen handelnden Personen bei jeder passenden oder auch unpassenden — Gelegenheit in den Mund legt. Freilich ist er über den Ausbau und die Endziele seiner Lehren wohl selbst noch im un¬ klaren, jedoch ist es ihm vielleicht beschieden, im spätern Alter das Fazit seines Lebens zu ziehn und es seiner Nation in festgefügten Formen zu über¬ liefern. Zu den frühesten dramatischen Werken D'Annunzios gehören die „Träume der Jahreszeiten," symbolische Darstellungen des weiblichen Gemütslebens in den verschiednen Lebensaltern. Seine phantastische Sprache ist hier mit einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/35>, abgerufen am 23.07.2024.