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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gin komisches Lpos Friedrichs des Großen

Windmühle." So verstreichen einige Tage: die Franzosen schwatzen, die Polen
schütteln die Köpfe oder antworten in ihrer harten Sprache, die niemand ver¬
steht. Erst finden die Franzosen die Sache höchst spaßhaft, dann aber reißt
ihnen die Geduld. Einer macht den Vorschlag, wieder nach Hause zurück¬
zukehren: für solche Kerle brauche man sich nicht Gefahren auszusetzen. "In
diesem verwünschten Lande, ruft ein andrer, gibt es ja weder Mädchen noch
Kredit. Mögen sich diese Bettler hier allein herumschlagen!" Er rät, zu den
Türken zu gehn; diese würden nicht mit Ehren geizen, und jeder werde seinen
eignen Harem haben. Schon wollen sich die Franzosen, "nur leicht beschwert
von ihrem Bettelsack," auf den Weg machen, da eilt zum Glück Viomenil herbei,
und seinen Vorstellungen gelingt es, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen.

Die Schilderung der Schlacht von Landskron, in der Polen und Franzosen
am 22. Juni 1771 der überlegnen Taktik Suworows unterlagen, ist, was die
Einzelheiten anbetrifft, ein reines Phantasiegemälde, wie schon aus der Nennung
Viomenils hervorgeht. Nicht er, sondern der Oberst Dumouriez war es, der
vor Landskron kommandiert hat; Viomenil ist erst später nach Polen gekommen.
"Die französischen Gefangnen, heißt es am Schlüsse, werden Sibirien bevölkern,
wo es bis dahin weder Esprit noch Galanterie gab, und dort Zobeltiere jagen,
um euch, Bojaren der Kaiserin, mit Pelzen zu versorgen."

Schon diese Proben genügen, den Geist zu zeigen, worin Friedrichs Epos
geschrieben ist. Es ist ein Stimmungsbild aus den politisch so bewegten Herbst¬
tagen des Jahres 1771, ein Dokument der engen Verbindung zwischen dem
Berliner und dem Petersburger Kabinett, die damals gemeinsam die polnische
Teilung vorbereiteten, aber auch zugleich ein heftiger Angriff auf die katholische
Welt., die den Widerstand Polens gegen die russische Umschnürung mit leb¬
haftem Interesse begleitete. Es mag auffallend erscheinen, daß dabei Österreichs,
das es doch an Sympathie für die Konföderierten und ihre Verbündeten eben¬
falls nicht hatte fehlen lassen, mit keinem Worte gedacht wird. Aber auch diese
Rücksicht erklärt sich -- wenn ich nicht irre -- aus der allgemeinen politischen
Lage im Herbste 1771. Schon waren die preußisch-russischen Verhandlungen
über die Teilung ihrem Abschluß nahe, und Friedrich zweifelte nicht, daß Öster¬
lich, wie widerwillig auch immer, schließlich seinen Beitritt erklären werde.
"Die Briefe aus Petersburg, schrieb er in der zweiten Oktoberwoche an seinen
Minister Finkenstein, lauten so günstig als möglich; die aus Wien zeigen mehr
schlechte Lanne als den vorbedachten Entschluß zu schaden. Ich glaube, daß sich
die Kaiserin-Königin schließlich so weit besänftigen lassen wird, daß sie aus
^ehe zum Frieden, und um das Gleichgewicht der Mächte zu erhalten, ein
Stück Polen anzunehmen geruhen wird. Diese Teilung wird wahrscheinlich
das Ende aller dieser Wirren sein." Der Tag, an dem er dies schrieb, ist
vielleicht derselbe, an dem er die Abfassung seines komischen Epos begann.




Gin komisches Lpos Friedrichs des Großen

Windmühle." So verstreichen einige Tage: die Franzosen schwatzen, die Polen
schütteln die Köpfe oder antworten in ihrer harten Sprache, die niemand ver¬
steht. Erst finden die Franzosen die Sache höchst spaßhaft, dann aber reißt
ihnen die Geduld. Einer macht den Vorschlag, wieder nach Hause zurück¬
zukehren: für solche Kerle brauche man sich nicht Gefahren auszusetzen. „In
diesem verwünschten Lande, ruft ein andrer, gibt es ja weder Mädchen noch
Kredit. Mögen sich diese Bettler hier allein herumschlagen!" Er rät, zu den
Türken zu gehn; diese würden nicht mit Ehren geizen, und jeder werde seinen
eignen Harem haben. Schon wollen sich die Franzosen, „nur leicht beschwert
von ihrem Bettelsack," auf den Weg machen, da eilt zum Glück Viomenil herbei,
und seinen Vorstellungen gelingt es, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen.

Die Schilderung der Schlacht von Landskron, in der Polen und Franzosen
am 22. Juni 1771 der überlegnen Taktik Suworows unterlagen, ist, was die
Einzelheiten anbetrifft, ein reines Phantasiegemälde, wie schon aus der Nennung
Viomenils hervorgeht. Nicht er, sondern der Oberst Dumouriez war es, der
vor Landskron kommandiert hat; Viomenil ist erst später nach Polen gekommen.
„Die französischen Gefangnen, heißt es am Schlüsse, werden Sibirien bevölkern,
wo es bis dahin weder Esprit noch Galanterie gab, und dort Zobeltiere jagen,
um euch, Bojaren der Kaiserin, mit Pelzen zu versorgen."

Schon diese Proben genügen, den Geist zu zeigen, worin Friedrichs Epos
geschrieben ist. Es ist ein Stimmungsbild aus den politisch so bewegten Herbst¬
tagen des Jahres 1771, ein Dokument der engen Verbindung zwischen dem
Berliner und dem Petersburger Kabinett, die damals gemeinsam die polnische
Teilung vorbereiteten, aber auch zugleich ein heftiger Angriff auf die katholische
Welt., die den Widerstand Polens gegen die russische Umschnürung mit leb¬
haftem Interesse begleitete. Es mag auffallend erscheinen, daß dabei Österreichs,
das es doch an Sympathie für die Konföderierten und ihre Verbündeten eben¬
falls nicht hatte fehlen lassen, mit keinem Worte gedacht wird. Aber auch diese
Rücksicht erklärt sich — wenn ich nicht irre — aus der allgemeinen politischen
Lage im Herbste 1771. Schon waren die preußisch-russischen Verhandlungen
über die Teilung ihrem Abschluß nahe, und Friedrich zweifelte nicht, daß Öster¬
lich, wie widerwillig auch immer, schließlich seinen Beitritt erklären werde.
"Die Briefe aus Petersburg, schrieb er in der zweiten Oktoberwoche an seinen
Minister Finkenstein, lauten so günstig als möglich; die aus Wien zeigen mehr
schlechte Lanne als den vorbedachten Entschluß zu schaden. Ich glaube, daß sich
die Kaiserin-Königin schließlich so weit besänftigen lassen wird, daß sie aus
^ehe zum Frieden, und um das Gleichgewicht der Mächte zu erhalten, ein
Stück Polen anzunehmen geruhen wird. Diese Teilung wird wahrscheinlich
das Ende aller dieser Wirren sein." Der Tag, an dem er dies schrieb, ist
vielleicht derselbe, an dem er die Abfassung seines komischen Epos begann.




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[0221] Gin komisches Lpos Friedrichs des Großen Windmühle." So verstreichen einige Tage: die Franzosen schwatzen, die Polen schütteln die Köpfe oder antworten in ihrer harten Sprache, die niemand ver¬ steht. Erst finden die Franzosen die Sache höchst spaßhaft, dann aber reißt ihnen die Geduld. Einer macht den Vorschlag, wieder nach Hause zurück¬ zukehren: für solche Kerle brauche man sich nicht Gefahren auszusetzen. „In diesem verwünschten Lande, ruft ein andrer, gibt es ja weder Mädchen noch Kredit. Mögen sich diese Bettler hier allein herumschlagen!" Er rät, zu den Türken zu gehn; diese würden nicht mit Ehren geizen, und jeder werde seinen eignen Harem haben. Schon wollen sich die Franzosen, „nur leicht beschwert von ihrem Bettelsack," auf den Weg machen, da eilt zum Glück Viomenil herbei, und seinen Vorstellungen gelingt es, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen. Die Schilderung der Schlacht von Landskron, in der Polen und Franzosen am 22. Juni 1771 der überlegnen Taktik Suworows unterlagen, ist, was die Einzelheiten anbetrifft, ein reines Phantasiegemälde, wie schon aus der Nennung Viomenils hervorgeht. Nicht er, sondern der Oberst Dumouriez war es, der vor Landskron kommandiert hat; Viomenil ist erst später nach Polen gekommen. „Die französischen Gefangnen, heißt es am Schlüsse, werden Sibirien bevölkern, wo es bis dahin weder Esprit noch Galanterie gab, und dort Zobeltiere jagen, um euch, Bojaren der Kaiserin, mit Pelzen zu versorgen." Schon diese Proben genügen, den Geist zu zeigen, worin Friedrichs Epos geschrieben ist. Es ist ein Stimmungsbild aus den politisch so bewegten Herbst¬ tagen des Jahres 1771, ein Dokument der engen Verbindung zwischen dem Berliner und dem Petersburger Kabinett, die damals gemeinsam die polnische Teilung vorbereiteten, aber auch zugleich ein heftiger Angriff auf die katholische Welt., die den Widerstand Polens gegen die russische Umschnürung mit leb¬ haftem Interesse begleitete. Es mag auffallend erscheinen, daß dabei Österreichs, das es doch an Sympathie für die Konföderierten und ihre Verbündeten eben¬ falls nicht hatte fehlen lassen, mit keinem Worte gedacht wird. Aber auch diese Rücksicht erklärt sich — wenn ich nicht irre — aus der allgemeinen politischen Lage im Herbste 1771. Schon waren die preußisch-russischen Verhandlungen über die Teilung ihrem Abschluß nahe, und Friedrich zweifelte nicht, daß Öster¬ lich, wie widerwillig auch immer, schließlich seinen Beitritt erklären werde. "Die Briefe aus Petersburg, schrieb er in der zweiten Oktoberwoche an seinen Minister Finkenstein, lauten so günstig als möglich; die aus Wien zeigen mehr schlechte Lanne als den vorbedachten Entschluß zu schaden. Ich glaube, daß sich die Kaiserin-Königin schließlich so weit besänftigen lassen wird, daß sie aus ^ehe zum Frieden, und um das Gleichgewicht der Mächte zu erhalten, ein Stück Polen anzunehmen geruhen wird. Diese Teilung wird wahrscheinlich das Ende aller dieser Wirren sein." Der Tag, an dem er dies schrieb, ist vielleicht derselbe, an dem er die Abfassung seines komischen Epos begann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/221>, abgerufen am 23.07.2024.