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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Atlant und Landeskultur im Herzogtum Oldenburg

dauerte das oft ziemlich lange --, sodann erst mal ein kleines leichtes Häuschen
oben auf das Hochmoor, vergrößern es, hier wie auf der Heide, allmählich
nach Bedürfnis und nach wirtschaftlichem Vermögen, und erst die zweite oder
dritte Generation gelangt in der Regel zu leidlich freundlichen und hygienisch
einigermaßen befriedigenden Wohnungsverhältnissen. Bemerkenswerte Unter¬
schiede machen sich dann noch nach Gegend wie Betriebsweise im Hausbau geltend.
Der vorzugsweise auf landwirtschaftlichen Erwerb angewiesene Moorkolonist und
der nur darauf angewiesene Heidekolonist haben mehr Raum nötig als der
namentlich zu Anfang besonders auf den Verdienst aus Torfhandel ausgehende
Fehntjer, und in den Heidekolonien ist die sogenannte niedersüchsische Bauart
mit dem großen Einfahrtstor, der breiten Diele und den in gleicher Linie und
Höhe für die Wohn- und die Wirtschaftsränme fortlaufenden Seitenwänden die
übliche, während in den Moorkolonien weitaus die sogenannte friesische Bauart
überwiegt, wobei Wohn- und Wirtschaftsräume schärfer geschieden und sich die
Wände der letzten zu beiden Seiten über die Breite des vordem Wohnungs¬
teils weit vorschieben.

Auch die oldenburgische Staatsverwaltung hat die Erfahrung machen müssen,
daß nahezu die vornehmste Bedingung für das Gelingen einer Kolonisation die
vorsichtige Auswahl des dazu heranzuziehenden Menschenmaterials ist.

Niemals freilich hat man im Herzogtum so merkwürdigen Anschauungen
gehuldigt wie die hannoversche Kammer in den siebziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts, die es als eine Hauptaufgabe ansah, durch geeignete Mittel, Bau-
Prämien usw., "Kolonisten in die abgelegnen Wildnisse zu locken" und sich denn
auch im Ostfriesischen eine nette Sammlung von Sträflingen, Bettlern, Militär-
invaliden usw. als Kolonisten zulegte. (Vgl. Hugeuberg, a. a. O., S 86 und 87.)
Vielmehr hat man hier seit wenigstens fünfzig Jahren eingesehen, daß die
Pioniere für diese Art der Bodenkultur und Ansiedlung aus den tüchtigsten,
sparsamsten ländlichen Arbeiterfamilien (Heuerleuteu) hervorgehn, während irgend
bemittelte Bauernsöhne sich sehr schwer zum Anbau auf unkultivierten Gründen
entschließen, -- über das Warum braucht man nicht lange nachzudenken.

Gleichwohl ist eine zutreffende Auswahl auch bei uns offenbar nicht überall
geglückt, und die Folgen sind denn auch leider verschiedentlich zu spüren und
sehr schwer wieder gut zu machen.

In neuster Zeit ist der Versuch gemacht worden, einige holländische Fehntjer-
familien hercinzuziehn und gewissermaßen als Musterwirtschafter zwischen die
hiesigen Kolonisten, denen vielfach die praktischen Kniffe und Griffe ungenügend
bekannt sind, einzustellen. Der Erfolg kann natürlich nur allmählich sein.

Unter den dargestellten Verhältnissen wird es kaum jemand wundernehmen,
^cum es auch im Herzogtum Oldenburg noch geraume Weile dauern wird, bis
sich seine Ödländereien in grüne Wälder und Felder mit mehr oder minder
dichten menschlichen Ansiedlungen verwandelt haben werden.




Grenzboten NI 190428
Atlant und Landeskultur im Herzogtum Oldenburg

dauerte das oft ziemlich lange —, sodann erst mal ein kleines leichtes Häuschen
oben auf das Hochmoor, vergrößern es, hier wie auf der Heide, allmählich
nach Bedürfnis und nach wirtschaftlichem Vermögen, und erst die zweite oder
dritte Generation gelangt in der Regel zu leidlich freundlichen und hygienisch
einigermaßen befriedigenden Wohnungsverhältnissen. Bemerkenswerte Unter¬
schiede machen sich dann noch nach Gegend wie Betriebsweise im Hausbau geltend.
Der vorzugsweise auf landwirtschaftlichen Erwerb angewiesene Moorkolonist und
der nur darauf angewiesene Heidekolonist haben mehr Raum nötig als der
namentlich zu Anfang besonders auf den Verdienst aus Torfhandel ausgehende
Fehntjer, und in den Heidekolonien ist die sogenannte niedersüchsische Bauart
mit dem großen Einfahrtstor, der breiten Diele und den in gleicher Linie und
Höhe für die Wohn- und die Wirtschaftsränme fortlaufenden Seitenwänden die
übliche, während in den Moorkolonien weitaus die sogenannte friesische Bauart
überwiegt, wobei Wohn- und Wirtschaftsräume schärfer geschieden und sich die
Wände der letzten zu beiden Seiten über die Breite des vordem Wohnungs¬
teils weit vorschieben.

Auch die oldenburgische Staatsverwaltung hat die Erfahrung machen müssen,
daß nahezu die vornehmste Bedingung für das Gelingen einer Kolonisation die
vorsichtige Auswahl des dazu heranzuziehenden Menschenmaterials ist.

Niemals freilich hat man im Herzogtum so merkwürdigen Anschauungen
gehuldigt wie die hannoversche Kammer in den siebziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts, die es als eine Hauptaufgabe ansah, durch geeignete Mittel, Bau-
Prämien usw., „Kolonisten in die abgelegnen Wildnisse zu locken" und sich denn
auch im Ostfriesischen eine nette Sammlung von Sträflingen, Bettlern, Militär-
invaliden usw. als Kolonisten zulegte. (Vgl. Hugeuberg, a. a. O., S 86 und 87.)
Vielmehr hat man hier seit wenigstens fünfzig Jahren eingesehen, daß die
Pioniere für diese Art der Bodenkultur und Ansiedlung aus den tüchtigsten,
sparsamsten ländlichen Arbeiterfamilien (Heuerleuteu) hervorgehn, während irgend
bemittelte Bauernsöhne sich sehr schwer zum Anbau auf unkultivierten Gründen
entschließen, — über das Warum braucht man nicht lange nachzudenken.

Gleichwohl ist eine zutreffende Auswahl auch bei uns offenbar nicht überall
geglückt, und die Folgen sind denn auch leider verschiedentlich zu spüren und
sehr schwer wieder gut zu machen.

In neuster Zeit ist der Versuch gemacht worden, einige holländische Fehntjer-
familien hercinzuziehn und gewissermaßen als Musterwirtschafter zwischen die
hiesigen Kolonisten, denen vielfach die praktischen Kniffe und Griffe ungenügend
bekannt sind, einzustellen. Der Erfolg kann natürlich nur allmählich sein.

Unter den dargestellten Verhältnissen wird es kaum jemand wundernehmen,
^cum es auch im Herzogtum Oldenburg noch geraume Weile dauern wird, bis
sich seine Ödländereien in grüne Wälder und Felder mit mehr oder minder
dichten menschlichen Ansiedlungen verwandelt haben werden.




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[0211] Atlant und Landeskultur im Herzogtum Oldenburg dauerte das oft ziemlich lange —, sodann erst mal ein kleines leichtes Häuschen oben auf das Hochmoor, vergrößern es, hier wie auf der Heide, allmählich nach Bedürfnis und nach wirtschaftlichem Vermögen, und erst die zweite oder dritte Generation gelangt in der Regel zu leidlich freundlichen und hygienisch einigermaßen befriedigenden Wohnungsverhältnissen. Bemerkenswerte Unter¬ schiede machen sich dann noch nach Gegend wie Betriebsweise im Hausbau geltend. Der vorzugsweise auf landwirtschaftlichen Erwerb angewiesene Moorkolonist und der nur darauf angewiesene Heidekolonist haben mehr Raum nötig als der namentlich zu Anfang besonders auf den Verdienst aus Torfhandel ausgehende Fehntjer, und in den Heidekolonien ist die sogenannte niedersüchsische Bauart mit dem großen Einfahrtstor, der breiten Diele und den in gleicher Linie und Höhe für die Wohn- und die Wirtschaftsränme fortlaufenden Seitenwänden die übliche, während in den Moorkolonien weitaus die sogenannte friesische Bauart überwiegt, wobei Wohn- und Wirtschaftsräume schärfer geschieden und sich die Wände der letzten zu beiden Seiten über die Breite des vordem Wohnungs¬ teils weit vorschieben. Auch die oldenburgische Staatsverwaltung hat die Erfahrung machen müssen, daß nahezu die vornehmste Bedingung für das Gelingen einer Kolonisation die vorsichtige Auswahl des dazu heranzuziehenden Menschenmaterials ist. Niemals freilich hat man im Herzogtum so merkwürdigen Anschauungen gehuldigt wie die hannoversche Kammer in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts, die es als eine Hauptaufgabe ansah, durch geeignete Mittel, Bau- Prämien usw., „Kolonisten in die abgelegnen Wildnisse zu locken" und sich denn auch im Ostfriesischen eine nette Sammlung von Sträflingen, Bettlern, Militär- invaliden usw. als Kolonisten zulegte. (Vgl. Hugeuberg, a. a. O., S 86 und 87.) Vielmehr hat man hier seit wenigstens fünfzig Jahren eingesehen, daß die Pioniere für diese Art der Bodenkultur und Ansiedlung aus den tüchtigsten, sparsamsten ländlichen Arbeiterfamilien (Heuerleuteu) hervorgehn, während irgend bemittelte Bauernsöhne sich sehr schwer zum Anbau auf unkultivierten Gründen entschließen, — über das Warum braucht man nicht lange nachzudenken. Gleichwohl ist eine zutreffende Auswahl auch bei uns offenbar nicht überall geglückt, und die Folgen sind denn auch leider verschiedentlich zu spüren und sehr schwer wieder gut zu machen. In neuster Zeit ist der Versuch gemacht worden, einige holländische Fehntjer- familien hercinzuziehn und gewissermaßen als Musterwirtschafter zwischen die hiesigen Kolonisten, denen vielfach die praktischen Kniffe und Griffe ungenügend bekannt sind, einzustellen. Der Erfolg kann natürlich nur allmählich sein. Unter den dargestellten Verhältnissen wird es kaum jemand wundernehmen, ^cum es auch im Herzogtum Oldenburg noch geraume Weile dauern wird, bis sich seine Ödländereien in grüne Wälder und Felder mit mehr oder minder dichten menschlichen Ansiedlungen verwandelt haben werden. Grenzboten NI 190428

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/211>, abgerufen am 23.07.2024.