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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die italienische Auswandrung

von so ehrwürdigen, archäologischen Alter, daß sie kaum die vorgeschriebne
Geschwindigkeit von zehn Knoten einzuhalten vermögen. Die Todesfälle waren
bisher infolge der völlig mangelnden Ventilation, der schlechten Verpflegung
und der oft fehlenden ärztlichen Aufsicht sehr hoch, ohne daß sich bis vor zwei
oder drei Jahren überhaupt jemand darum gekümmert hätte. Da das Aus-
wandrungsgesetz von 1901, das das von 1888 ersetzt hatte, die Reeber und
die Unternehmer nicht fest genug gefaßt hatte, gerade diesen schweren Mängeln
endgiltig abzuhelfen, so wird gegenwärtig ein neues Gesetz beraten. Darin
soll zunächst festgelegt werden, daß nur Dampfer mit zwei Schrauben, die
eine Geschwindigkeit von mindestens zwölf (statt zehn) Knoten für die ganze
Dauer der Fahrt zu leisten vermögen, zum Auswaudrerverkehr zugelassen
werden sollen.

Die Tätigkeit der Regierung zugunsten der Auswandrer, die früher gleich
Null war, hat sich nunmehr dahin gerichtet, daß die Behörden den Auswandrer
von seinem Heimatsort aus begleiten, ihn im Einschiffungshäfen etwas be¬
schützen, ihm beim Landen hilfreich beistehn und sogar, wo sich im fremden
Lande italienische Ansiedlungen bilden, durch Geldhilfe das Fortkommen er¬
leichtern. Die konsularen und diplomatischen Vertretungen sind angewiesen
worden, sich mit einer bisher ganz ungewohnten Energie des Schutzes der
Italiener anzunehmen und ihnen namentlich in Prozessen, bei Arbeitsun¬
fällen usw. kräftig beizustehn. Als besonders bedeutsam muß die Garantie für
die Ersparnisse der Auswandrer bezeichnet werden. Der Lsnoo al MxoU
ist von der Regierung mit dieser schwierigen Verwaltung beauftragt worden.
Im Jahre 1903 kamen im ganzen nach Italien an Ersparnissen nicht weniger
als 23576694,63 Lire. Davon stammten aus den Vereinigten Staaten
18567363,92 Lire, aus Brasilien 3021292,41 Lire, aus Argentinien
1986281,60 Lire und aus Tunis 1756,70 Lire. Bedenkt man, daß vielleicht
noch größere Summen auf anderm Wege aus denselben Ländern nach Italien
gelangt sind, von denen die Regierung keine Kenntnis erhalten hat, so muß
man dem Fleiß, der Arbeitsamkeit und der Sparsamkeit der Ausgewanderten
das höchste Lob spenden. Auch im allgemeinen Volksvermögen spielen solche
Summen keine kleine Rolle.

Sowohl der deutschen Reichsregierung wie den Männern der Gesetzgebung
und der Wissenschaft seien diese und andre hier nicht berührte Punkte der
italienischen Auswandrerfürsorge auf das wärmste zu gründlichem Studium
empfohlen. Man kann vieles aus den italienischen Erfahrungen und Ein¬
richtungen lernen; auch in Deutschland liegen die Verhältnisse noch längst
nicht so, wie sie eigentlich liegen müßten, obschon es an dem guten Willen,
Mißbrüuche abzuschaffen, bisher nicht gefehlt hat. In dem Streite mit alten
Gewohnheiten kann nur Geduld und Energie zum Ziele führen.




Die italienische Auswandrung

von so ehrwürdigen, archäologischen Alter, daß sie kaum die vorgeschriebne
Geschwindigkeit von zehn Knoten einzuhalten vermögen. Die Todesfälle waren
bisher infolge der völlig mangelnden Ventilation, der schlechten Verpflegung
und der oft fehlenden ärztlichen Aufsicht sehr hoch, ohne daß sich bis vor zwei
oder drei Jahren überhaupt jemand darum gekümmert hätte. Da das Aus-
wandrungsgesetz von 1901, das das von 1888 ersetzt hatte, die Reeber und
die Unternehmer nicht fest genug gefaßt hatte, gerade diesen schweren Mängeln
endgiltig abzuhelfen, so wird gegenwärtig ein neues Gesetz beraten. Darin
soll zunächst festgelegt werden, daß nur Dampfer mit zwei Schrauben, die
eine Geschwindigkeit von mindestens zwölf (statt zehn) Knoten für die ganze
Dauer der Fahrt zu leisten vermögen, zum Auswaudrerverkehr zugelassen
werden sollen.

Die Tätigkeit der Regierung zugunsten der Auswandrer, die früher gleich
Null war, hat sich nunmehr dahin gerichtet, daß die Behörden den Auswandrer
von seinem Heimatsort aus begleiten, ihn im Einschiffungshäfen etwas be¬
schützen, ihm beim Landen hilfreich beistehn und sogar, wo sich im fremden
Lande italienische Ansiedlungen bilden, durch Geldhilfe das Fortkommen er¬
leichtern. Die konsularen und diplomatischen Vertretungen sind angewiesen
worden, sich mit einer bisher ganz ungewohnten Energie des Schutzes der
Italiener anzunehmen und ihnen namentlich in Prozessen, bei Arbeitsun¬
fällen usw. kräftig beizustehn. Als besonders bedeutsam muß die Garantie für
die Ersparnisse der Auswandrer bezeichnet werden. Der Lsnoo al MxoU
ist von der Regierung mit dieser schwierigen Verwaltung beauftragt worden.
Im Jahre 1903 kamen im ganzen nach Italien an Ersparnissen nicht weniger
als 23576694,63 Lire. Davon stammten aus den Vereinigten Staaten
18567363,92 Lire, aus Brasilien 3021292,41 Lire, aus Argentinien
1986281,60 Lire und aus Tunis 1756,70 Lire. Bedenkt man, daß vielleicht
noch größere Summen auf anderm Wege aus denselben Ländern nach Italien
gelangt sind, von denen die Regierung keine Kenntnis erhalten hat, so muß
man dem Fleiß, der Arbeitsamkeit und der Sparsamkeit der Ausgewanderten
das höchste Lob spenden. Auch im allgemeinen Volksvermögen spielen solche
Summen keine kleine Rolle.

Sowohl der deutschen Reichsregierung wie den Männern der Gesetzgebung
und der Wissenschaft seien diese und andre hier nicht berührte Punkte der
italienischen Auswandrerfürsorge auf das wärmste zu gründlichem Studium
empfohlen. Man kann vieles aus den italienischen Erfahrungen und Ein¬
richtungen lernen; auch in Deutschland liegen die Verhältnisse noch längst
nicht so, wie sie eigentlich liegen müßten, obschon es an dem guten Willen,
Mißbrüuche abzuschaffen, bisher nicht gefehlt hat. In dem Streite mit alten
Gewohnheiten kann nur Geduld und Energie zum Ziele führen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/202>, abgerufen am 23.07.2024.