Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.von Manchester bis Birmingham darum will Chamberlcnn wenigstens den Markt der englischen Kolonien dem Chamberlcnn versteht es wohl besser als irgend einer seiner Kollegen, den von Manchester bis Birmingham darum will Chamberlcnn wenigstens den Markt der englischen Kolonien dem Chamberlcnn versteht es wohl besser als irgend einer seiner Kollegen, den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294614"/> <fw type="header" place="top"> von Manchester bis Birmingham</fw><lb/> <p xml:id="ID_788" prev="#ID_787"> darum will Chamberlcnn wenigstens den Markt der englischen Kolonien dem<lb/> Mutterlande sichern, ganz wie es Bismarck vorausgesagt hat. Zu diesem Zweck<lb/> strebt er die Vorzugsbehandlung der Kolonien an, die wieder das Mutter¬<lb/> land bevorzugen sollen. Die Regungen alter Anhänglichkeit in den Kolonien<lb/> während des Burenkriegs will er benutzen, zu Stützen des Mutterlandes heran¬<lb/> bilden und alle durch das Band wirtschaftlicher Vorteile und der Interessen¬<lb/> gemeinschaft zu einem möglichst einheitlichen und fest gefügten britischen Welt¬<lb/> reiche fest verknüpfen. Damit fiele allerdings der Widersinn weg, daß England<lb/> den Schutz seiner Kolonien auf sich hat, dafür aber kein Entgelt erhält. Die<lb/> geringe militärische Hilfe, die die Kolonien freiwillig im Burenkriege gewährten,<lb/> kam den Engländern sehr willkommen, und Chamberlcnn dürfte darin eine Stütze<lb/> für seine Weltmachtpläne gesehen haben, er scheint zu glauben, daß sich daraus<lb/> etwas machen ließe.</p><lb/> <p xml:id="ID_789" next="#ID_790"> Chamberlcnn versteht es wohl besser als irgend einer seiner Kollegen, den<lb/> Vorurteilen der Menge zu schmeicheln, und wenn er durch die in Aussicht ge¬<lb/> stellten Schutzzölle und die Vorzugsbehandlung der Kolonien gewissermaßen<lb/> verspricht, Deutschland und Amerika sowie die andern bösen le>r«iAQer8 aus<lb/> dem Felde zu schlagen, so tut er das nicht ohne Absicht, denn er kennt die<lb/> Schwächen seiner Landsleute. Freilich hat er zunächst großen Widerstand im<lb/> eignen Lande zu überwinden. Die noch immer sehr zahlreichen Anhänger des<lb/> Freihandels wollen durchaus nicht zugeben, daß er irgendwie schuld an dem<lb/> Einschrumpfen des englischen Geschüftsumsatzes sei. Ohne Zölle auf Lebens¬<lb/> mittel ist aber Chamberlcnns Idee überhaupt nicht durchführbar, und für Lebens¬<lb/> mittelzölle ist die öffentliche Meinung des Landes schwerlich zu gewinnen, im<lb/> Gegenteil würden diese ein wirksames Oppositionsmittel sein. Man braucht sich<lb/> ja nur zu erinnern, wie in Deutschland bei allen Wahlen mit dem „Brotwucher"<lb/> gearbeitet wird. Was nun die Kolonien betrifft, so sind dort die Sympathien<lb/> für das Mutterland rascher wieder geschwunden, als sie gekommen waren. Man<lb/> steht dort den Plänen Chamberlcnns nicht günstig, ja nicht einmal unparteiisch<lb/> gegenüber, denn man fürchtet, der Einfluß des Mutterlandes könnte wieder<lb/> zunehmen, und man will so unabhängig wie möglich sein. Der Schutz ihrer<lb/> Gebiete macht ihnen wenig Kummer. Es ist ja kein Feind zu sehen, und vor¬<lb/> läufig schützt die englische Flotte gratis. Mit dem Zollverein wären sie vielleicht<lb/> noch einverstanden, aber gegen gemeinsame Opfer für die Verteidigung haben<lb/> sie denselben Widerwillen wie die deutschen Mittel- und Kleinstaaten vor 1866<lb/> gegen die allgemeine Wehrpflicht. Ein einheitliches ^rkstsr Lritain im Sinne<lb/> Chamberlcnns wäre bloß möglich, wenn England die Macht hätte, seine Kolonien<lb/> nötigenfalls militärisch dazu zu zwingen, und die hat es eben nicht. Wie<lb/> sich nun auch die Parteiverhültnisse in England gegenüber dem großen Plane<lb/> Chamberlcnns entwickeln, wie auch die Wahlen verlaufen werden, jedenfalls hat<lb/> der Vertreter Birminghams dem Schutzzollgedanken eine ganz neue Seite ab¬<lb/> gewonnen, die nicht unwirksam bleiben kann. Den Schutzzoll wird England<lb/> früher oder später haben, vielleicht erst in einem Zeitpunkte, wo sein Nieder¬<lb/> gang größer sein kann, als der Deutschlands Ende der siebziger Jahre war,<lb/> und dann wäre ein Wiederaufkommen schwierig. Für ein englisches Weltreich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0197]
von Manchester bis Birmingham
darum will Chamberlcnn wenigstens den Markt der englischen Kolonien dem
Mutterlande sichern, ganz wie es Bismarck vorausgesagt hat. Zu diesem Zweck
strebt er die Vorzugsbehandlung der Kolonien an, die wieder das Mutter¬
land bevorzugen sollen. Die Regungen alter Anhänglichkeit in den Kolonien
während des Burenkriegs will er benutzen, zu Stützen des Mutterlandes heran¬
bilden und alle durch das Band wirtschaftlicher Vorteile und der Interessen¬
gemeinschaft zu einem möglichst einheitlichen und fest gefügten britischen Welt¬
reiche fest verknüpfen. Damit fiele allerdings der Widersinn weg, daß England
den Schutz seiner Kolonien auf sich hat, dafür aber kein Entgelt erhält. Die
geringe militärische Hilfe, die die Kolonien freiwillig im Burenkriege gewährten,
kam den Engländern sehr willkommen, und Chamberlcnn dürfte darin eine Stütze
für seine Weltmachtpläne gesehen haben, er scheint zu glauben, daß sich daraus
etwas machen ließe.
Chamberlcnn versteht es wohl besser als irgend einer seiner Kollegen, den
Vorurteilen der Menge zu schmeicheln, und wenn er durch die in Aussicht ge¬
stellten Schutzzölle und die Vorzugsbehandlung der Kolonien gewissermaßen
verspricht, Deutschland und Amerika sowie die andern bösen le>r«iAQer8 aus
dem Felde zu schlagen, so tut er das nicht ohne Absicht, denn er kennt die
Schwächen seiner Landsleute. Freilich hat er zunächst großen Widerstand im
eignen Lande zu überwinden. Die noch immer sehr zahlreichen Anhänger des
Freihandels wollen durchaus nicht zugeben, daß er irgendwie schuld an dem
Einschrumpfen des englischen Geschüftsumsatzes sei. Ohne Zölle auf Lebens¬
mittel ist aber Chamberlcnns Idee überhaupt nicht durchführbar, und für Lebens¬
mittelzölle ist die öffentliche Meinung des Landes schwerlich zu gewinnen, im
Gegenteil würden diese ein wirksames Oppositionsmittel sein. Man braucht sich
ja nur zu erinnern, wie in Deutschland bei allen Wahlen mit dem „Brotwucher"
gearbeitet wird. Was nun die Kolonien betrifft, so sind dort die Sympathien
für das Mutterland rascher wieder geschwunden, als sie gekommen waren. Man
steht dort den Plänen Chamberlcnns nicht günstig, ja nicht einmal unparteiisch
gegenüber, denn man fürchtet, der Einfluß des Mutterlandes könnte wieder
zunehmen, und man will so unabhängig wie möglich sein. Der Schutz ihrer
Gebiete macht ihnen wenig Kummer. Es ist ja kein Feind zu sehen, und vor¬
läufig schützt die englische Flotte gratis. Mit dem Zollverein wären sie vielleicht
noch einverstanden, aber gegen gemeinsame Opfer für die Verteidigung haben
sie denselben Widerwillen wie die deutschen Mittel- und Kleinstaaten vor 1866
gegen die allgemeine Wehrpflicht. Ein einheitliches ^rkstsr Lritain im Sinne
Chamberlcnns wäre bloß möglich, wenn England die Macht hätte, seine Kolonien
nötigenfalls militärisch dazu zu zwingen, und die hat es eben nicht. Wie
sich nun auch die Parteiverhültnisse in England gegenüber dem großen Plane
Chamberlcnns entwickeln, wie auch die Wahlen verlaufen werden, jedenfalls hat
der Vertreter Birminghams dem Schutzzollgedanken eine ganz neue Seite ab¬
gewonnen, die nicht unwirksam bleiben kann. Den Schutzzoll wird England
früher oder später haben, vielleicht erst in einem Zeitpunkte, wo sein Nieder¬
gang größer sein kann, als der Deutschlands Ende der siebziger Jahre war,
und dann wäre ein Wiederaufkommen schwierig. Für ein englisches Weltreich
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