Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Literargcschichtliches und Antipathie erregt hat. Dazu kommt, daß Heine zum Teil unmittelbar In die Nnpoleonische Zeit versetzt uns auch der Briefwechsel zwischen Grenzboten et 1904 100
Literargcschichtliches und Antipathie erregt hat. Dazu kommt, daß Heine zum Teil unmittelbar In die Nnpoleonische Zeit versetzt uns auch der Briefwechsel zwischen Grenzboten et 1904 100
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0757" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294376"/> <fw type="header" place="top"> Literargcschichtliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3369" prev="#ID_3368"> und Antipathie erregt hat. Dazu kommt, daß Heine zum Teil unmittelbar<lb/> über politische Ereignisse einen Zeitungsbericht nach Deutschland senden mußte.<lb/> Die sind auch von Natur einem gewissen Witterungswechsel unterworfen. Der<lb/> Verfasser schildert uns aber die ganze Zeit oder mindestens die Atmosphäre,<lb/> in der sich Heine abwechselnd bewegte, sowohl in Deutschland als auch in<lb/> Paris. Die politische Reaktion in Deutschland, die Behandlung der Napo-<lb/> lconistcn in Frankreich, die Berichte ans Se. Helena, der Tod Napoleons,<lb/> Heines Berliner Verkehrskreis (75 f.), sein Verhältnis zu französischen Schrift¬<lb/> stellern (145, 169), Verse Byrons und V. Hugos über Napoleon und seine<lb/> Gegner, die deutsche Publizistik und Dichtung des Befreiungskrieges — alles<lb/> dies zieht der Verfasser herbei, um psychologisch begreiflich zu machen, wie es<lb/> auf Heine nach seiner Lebensstellung und seinem Naturell wirken mußte, wobei<lb/> öfter die mühsamen Einzeluntersuchungen zu einem rückblickenden Ergebnis<lb/> zusammengefaßt werden (56, 175, 226). Hierbei sehen wir denn, wie sich<lb/> Napoleons Erscheinung auch in Deutschland mannigfach spiegelte, und wie<lb/> Heine selbst auf andre wirkte (227 f.). Wenn ich mir zu den 745 am Ende<lb/> vor dem Personenregister stehenden Anmerkungen einen Zusatz erlauben darf,<lb/> so ist es die Bemerkung, daß der Name Bonaparte statt Napoleon nicht erst<lb/> gegen 1814 wieder beliebt wurde, sondern zum Teil schon vorher beliebt war,<lb/> so beim Freiherr» v. Stein, worauf Max Lehmann hingewiesen hat (Histor.<lb/> Ztschr., N. F. 24, 454). Außerdem wird die Gemahlin des ersten Konsuls<lb/> von der Fürstin Pauline zur Lippe ohne jede Herabsetzung auch Madame<lb/> Buonaparte genannt (110). Bei der Behauptung, daß der Liberalismus nach<lb/> wenig Jahren die Begeisterung der Befreiungskriegszeit als eine vou oben her<lb/> befohlne hinstellen und verspotten konnte (9, 174), erinnert man sich daran,<lb/> daß der spätere Liberalismus im Gegenteil hervorhob, daß das Volk nicht der<lb/> geschobne, sondern der schiebende Teil war.</p><lb/> <p xml:id="ID_3370" next="#ID_3371"> In die Nnpoleonische Zeit versetzt uns auch der Briefwechsel zwischen<lb/> Fürstin Pauline zur Lippe und Herzog Friedrich Christian von<lb/> Augustenburg 1790 bis 1812. Herausgegeben vou Paul Rachel. Mit<lb/> 6 Abbildungen. (Leipzig 1903, Dietcrichsche Verlagsbuchhandlung. 268 S.<lb/> 6 Mark.) Die meisten, zum Teil französisch geschriebnen Briefe sind von<lb/> Pnnline, die Treitschke eine der geistreichsten Frauen ihrer Zeit genannt hat.<lb/> Den Briefen voran geht eine Einleitung des Herausgebers. Von der Politik<lb/> abgesehen finden wir uns in der Zeit von Gleim, Wieland (Agathon), Baggesen,<lb/> Lcwater, Reinhold, dein Kantianer, der nach neunjährigen Studium Kants von<lb/> diesem durch das Zeugnis geehrt wurde: er ist der einzige, der mich beinahe<lb/> verstanden hat (144). Der Herzog Friedrich Christian, der uns allen wegen<lb/> seiner Hochherzigkeit gegen Schiller so teuer und unvergeßlich ist, war eine<lb/> enthusiastische Natur. Immerhin muß mau die Gewohnheiten des achtzehnten<lb/> Jahrhunderts hinzunehmen, wenn man begreiflich finden will, daß sich Reinholds<lb/> Lippen mehr als einmal mit denen seines fürstlichen Freundes und Gönners<lb/> begegneten (43). Pauline war weniger schwärmerisch, hatte einen ausgezeich¬<lb/> neten Verstand, einen praktischen Blick und das Talent organisatorischer Wohl¬<lb/> tätigkeit. Daß eins ihrer Bilder (80) eine kleine Ähnlichkeit mit Vöcklins</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten et 1904 100</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0757]
Literargcschichtliches
und Antipathie erregt hat. Dazu kommt, daß Heine zum Teil unmittelbar
über politische Ereignisse einen Zeitungsbericht nach Deutschland senden mußte.
Die sind auch von Natur einem gewissen Witterungswechsel unterworfen. Der
Verfasser schildert uns aber die ganze Zeit oder mindestens die Atmosphäre,
in der sich Heine abwechselnd bewegte, sowohl in Deutschland als auch in
Paris. Die politische Reaktion in Deutschland, die Behandlung der Napo-
lconistcn in Frankreich, die Berichte ans Se. Helena, der Tod Napoleons,
Heines Berliner Verkehrskreis (75 f.), sein Verhältnis zu französischen Schrift¬
stellern (145, 169), Verse Byrons und V. Hugos über Napoleon und seine
Gegner, die deutsche Publizistik und Dichtung des Befreiungskrieges — alles
dies zieht der Verfasser herbei, um psychologisch begreiflich zu machen, wie es
auf Heine nach seiner Lebensstellung und seinem Naturell wirken mußte, wobei
öfter die mühsamen Einzeluntersuchungen zu einem rückblickenden Ergebnis
zusammengefaßt werden (56, 175, 226). Hierbei sehen wir denn, wie sich
Napoleons Erscheinung auch in Deutschland mannigfach spiegelte, und wie
Heine selbst auf andre wirkte (227 f.). Wenn ich mir zu den 745 am Ende
vor dem Personenregister stehenden Anmerkungen einen Zusatz erlauben darf,
so ist es die Bemerkung, daß der Name Bonaparte statt Napoleon nicht erst
gegen 1814 wieder beliebt wurde, sondern zum Teil schon vorher beliebt war,
so beim Freiherr» v. Stein, worauf Max Lehmann hingewiesen hat (Histor.
Ztschr., N. F. 24, 454). Außerdem wird die Gemahlin des ersten Konsuls
von der Fürstin Pauline zur Lippe ohne jede Herabsetzung auch Madame
Buonaparte genannt (110). Bei der Behauptung, daß der Liberalismus nach
wenig Jahren die Begeisterung der Befreiungskriegszeit als eine vou oben her
befohlne hinstellen und verspotten konnte (9, 174), erinnert man sich daran,
daß der spätere Liberalismus im Gegenteil hervorhob, daß das Volk nicht der
geschobne, sondern der schiebende Teil war.
In die Nnpoleonische Zeit versetzt uns auch der Briefwechsel zwischen
Fürstin Pauline zur Lippe und Herzog Friedrich Christian von
Augustenburg 1790 bis 1812. Herausgegeben vou Paul Rachel. Mit
6 Abbildungen. (Leipzig 1903, Dietcrichsche Verlagsbuchhandlung. 268 S.
6 Mark.) Die meisten, zum Teil französisch geschriebnen Briefe sind von
Pnnline, die Treitschke eine der geistreichsten Frauen ihrer Zeit genannt hat.
Den Briefen voran geht eine Einleitung des Herausgebers. Von der Politik
abgesehen finden wir uns in der Zeit von Gleim, Wieland (Agathon), Baggesen,
Lcwater, Reinhold, dein Kantianer, der nach neunjährigen Studium Kants von
diesem durch das Zeugnis geehrt wurde: er ist der einzige, der mich beinahe
verstanden hat (144). Der Herzog Friedrich Christian, der uns allen wegen
seiner Hochherzigkeit gegen Schiller so teuer und unvergeßlich ist, war eine
enthusiastische Natur. Immerhin muß mau die Gewohnheiten des achtzehnten
Jahrhunderts hinzunehmen, wenn man begreiflich finden will, daß sich Reinholds
Lippen mehr als einmal mit denen seines fürstlichen Freundes und Gönners
begegneten (43). Pauline war weniger schwärmerisch, hatte einen ausgezeich¬
neten Verstand, einen praktischen Blick und das Talent organisatorischer Wohl¬
tätigkeit. Daß eins ihrer Bilder (80) eine kleine Ähnlichkeit mit Vöcklins
Grenzboten et 1904 100
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