Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.besonders geschmackvoll, weil Herzog Heinrich fünfundsiebzig Jahre alt war. Witziger Die Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre hat für Lübben mindestens Auch die drei Beziehungen Lübbens zur deutschen Nationalliteratur dürfen in Paul Gerhardt ist wohl die bedeutendste Gestalt unter den lutherischen Ortho¬ Luther der aufbrausende Sohn des tntengewaltigen, selbstbewußten Neformations- Grenzboten II 1904 94
besonders geschmackvoll, weil Herzog Heinrich fünfundsiebzig Jahre alt war. Witziger Die Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre hat für Lübben mindestens Auch die drei Beziehungen Lübbens zur deutschen Nationalliteratur dürfen in Paul Gerhardt ist wohl die bedeutendste Gestalt unter den lutherischen Ortho¬ Luther der aufbrausende Sohn des tntengewaltigen, selbstbewußten Neformations- Grenzboten II 1904 94
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0713" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294332"/> <lg xml:id="POEMID_18" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_3125"> besonders geschmackvoll, weil Herzog Heinrich fünfundsiebzig Jahre alt war. Witziger<lb/> war der Schneider Pötschick:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_19" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_3126"> Die Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre hat für Lübben mindestens<lb/> drei große Historienbilder geliefert. Es war am 5. September 1758. Friedrich<lb/> der Große auf dem Zuge vom Zorndorfer Siege zur Hochkircher Niederlage halt<lb/> auf dem Schlosse zu Lübben Cercle mit den Vertretern des Niederlausitzer Hoch¬<lb/> adels, die erschienen sind, ihm die Cour zu machen. Da schlägt es 5 Uhr — der<lb/> König zieht die Taschenuhr heraus und sagt lächelnd zu den um ihn Versammelten<lb/> die eindrucksvoller Worte: I^s vuKteÄU an oomts cis Lrünl ost aetusllgmsni: e-n<lb/> ihn... Es war die unverblümte Wahrheit; denn um diese Stunde brannte eine<lb/> Abteilung preußischer Husaren auf des Königs Befehl das Brühlsche Schloß Pforten<lb/> (bei Forst in der Niederlausitz) mit allen seinen Kunstschätzen nieder. Ein halbes<lb/> Jahrhundert später (14. Oktober 1806) haben die Lübbener Dragoner mit den<lb/> Preußen bei Jena getreulich Schulter an Schulter gegen die Franzosen gefochten.<lb/> Napoleon wünschte damals Preußen zu vernichten, Sachsen zu heben. Schon am<lb/> dritten Tage nach der Schlacht bewilligte er der sächsischen Armee Neutralität; sie<lb/> bestand zunächst darin, daß man der trefflich ausgerüsteten sächsischen Kavallerie<lb/> Waffen, Pferde, Montur usw. abnahm und zerlumpte französische Reiter damit<lb/> versah. So kamen die Lübbenschen Dragoner zum Gespött der Einwohner einzeln<lb/> zu Fuß in Drillichröcken mit abgeschnittnen Locken und Zöpfen wieder in die Gar¬<lb/> nisonstadt zurück. Das dritte Bild liefert der 21. Juli 1813. Bonaparte ist<lb/> während des Waffenstillstandes, der dem letzten furchtbaren Ringen um die Be¬<lb/> freiung Deutschlands voranging, in seinem ruhelosen Hin und Her auch uach Lübben<lb/> gekommen, um dem neuen aus Italienern gebildeten 137. Regiment den Adler zu<lb/> verleihen und die von seinen Ingenieuren entworfnen Pläne zur Befestigung Lübbens<lb/> an Ort und Stelle zu prüfen. Mit Berthier, Caulaincourt, Oudinot und seinem<lb/> Leibmamelucken Rustau hält er draußen auf den Spreewiesen vor dem Schlosse,<lb/> läßt die Truppen defilieren, zerreißt die ihm vorgelegten Befestigungspläne als un¬<lb/> ausführbar, wirft sich wieder in seinen Reiselvagen und kehrt nach Dresden, dem<lb/> Zentrum seiner militärischen Stellung, zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_3127"> Auch die drei Beziehungen Lübbens zur deutschen Nationalliteratur dürfen in<lb/> dieser Skizze nicht übergangen werden. Sie knüpfen sich an die drei Namen Paul<lb/> Gerhardt, Lessing und Ernst von Houwald.</p><lb/> <p xml:id="ID_3128"> Paul Gerhardt ist wohl die bedeutendste Gestalt unter den lutherischen Ortho¬<lb/> doxen des siebzehnten Jahrhunderts. Er war ein gewaltiger Prediger und gott¬<lb/> begnadeter Dichter: seine Lieder stehn an Innigkeit der Empfindung und an<lb/> dichterischem Schwunge denen Luthers nicht nach, aber es weht ein ganz andrer<lb/> Geist in ihnen. Hier der holdselige, kindliche Klang „Vom Himmel hoch da komm<lb/> ich her" und der gewaltige Streitruf „Ein' feste Burg ist unser Gott," dort das<lb/> rührende Klagelied „O Haupt voll Blut und Wunden" und der ergebne Trost¬<lb/> gesang</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_20" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_3129" next="#ID_3130"> Luther der aufbrausende Sohn des tntengewaltigen, selbstbewußten Neformations-<lb/> zeitalters, Paul Gerhardt das geruhige, geduldige Kind einer geschlagner und ge¬<lb/> marterten Zeit, des Dreißigjährigen Krieges. Die Vorsehung führte den 1607 in<lb/> Gräfenhainicheu gebornen, auf der Fürstenschule zu Grimma und der Universität</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1904 94</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0713]
besonders geschmackvoll, weil Herzog Heinrich fünfundsiebzig Jahre alt war. Witziger
war der Schneider Pötschick:
Die Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre hat für Lübben mindestens
drei große Historienbilder geliefert. Es war am 5. September 1758. Friedrich
der Große auf dem Zuge vom Zorndorfer Siege zur Hochkircher Niederlage halt
auf dem Schlosse zu Lübben Cercle mit den Vertretern des Niederlausitzer Hoch¬
adels, die erschienen sind, ihm die Cour zu machen. Da schlägt es 5 Uhr — der
König zieht die Taschenuhr heraus und sagt lächelnd zu den um ihn Versammelten
die eindrucksvoller Worte: I^s vuKteÄU an oomts cis Lrünl ost aetusllgmsni: e-n
ihn... Es war die unverblümte Wahrheit; denn um diese Stunde brannte eine
Abteilung preußischer Husaren auf des Königs Befehl das Brühlsche Schloß Pforten
(bei Forst in der Niederlausitz) mit allen seinen Kunstschätzen nieder. Ein halbes
Jahrhundert später (14. Oktober 1806) haben die Lübbener Dragoner mit den
Preußen bei Jena getreulich Schulter an Schulter gegen die Franzosen gefochten.
Napoleon wünschte damals Preußen zu vernichten, Sachsen zu heben. Schon am
dritten Tage nach der Schlacht bewilligte er der sächsischen Armee Neutralität; sie
bestand zunächst darin, daß man der trefflich ausgerüsteten sächsischen Kavallerie
Waffen, Pferde, Montur usw. abnahm und zerlumpte französische Reiter damit
versah. So kamen die Lübbenschen Dragoner zum Gespött der Einwohner einzeln
zu Fuß in Drillichröcken mit abgeschnittnen Locken und Zöpfen wieder in die Gar¬
nisonstadt zurück. Das dritte Bild liefert der 21. Juli 1813. Bonaparte ist
während des Waffenstillstandes, der dem letzten furchtbaren Ringen um die Be¬
freiung Deutschlands voranging, in seinem ruhelosen Hin und Her auch uach Lübben
gekommen, um dem neuen aus Italienern gebildeten 137. Regiment den Adler zu
verleihen und die von seinen Ingenieuren entworfnen Pläne zur Befestigung Lübbens
an Ort und Stelle zu prüfen. Mit Berthier, Caulaincourt, Oudinot und seinem
Leibmamelucken Rustau hält er draußen auf den Spreewiesen vor dem Schlosse,
läßt die Truppen defilieren, zerreißt die ihm vorgelegten Befestigungspläne als un¬
ausführbar, wirft sich wieder in seinen Reiselvagen und kehrt nach Dresden, dem
Zentrum seiner militärischen Stellung, zurück.
Auch die drei Beziehungen Lübbens zur deutschen Nationalliteratur dürfen in
dieser Skizze nicht übergangen werden. Sie knüpfen sich an die drei Namen Paul
Gerhardt, Lessing und Ernst von Houwald.
Paul Gerhardt ist wohl die bedeutendste Gestalt unter den lutherischen Ortho¬
doxen des siebzehnten Jahrhunderts. Er war ein gewaltiger Prediger und gott¬
begnadeter Dichter: seine Lieder stehn an Innigkeit der Empfindung und an
dichterischem Schwunge denen Luthers nicht nach, aber es weht ein ganz andrer
Geist in ihnen. Hier der holdselige, kindliche Klang „Vom Himmel hoch da komm
ich her" und der gewaltige Streitruf „Ein' feste Burg ist unser Gott," dort das
rührende Klagelied „O Haupt voll Blut und Wunden" und der ergebne Trost¬
gesang
Luther der aufbrausende Sohn des tntengewaltigen, selbstbewußten Neformations-
zeitalters, Paul Gerhardt das geruhige, geduldige Kind einer geschlagner und ge¬
marterten Zeit, des Dreißigjährigen Krieges. Die Vorsehung führte den 1607 in
Gräfenhainicheu gebornen, auf der Fürstenschule zu Grimma und der Universität
Grenzboten II 1904 94
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