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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

Dichter psychologisch zu fassen, was ja mit philologisch nicht immer identisch
ist. Darum geht er auch auf seine Produktionsweise ein (z. B. 94, 124).

Hatte Kleist wirklich 1809 den phantastischen Plan, Napoleon zu töten
(118 f°), so frage man sich: Wie oft mag in dieser furchtbaren Zeit unsers
Vaterlandes der Gedanke aufgestiegen sein, alles müßte besser werden, wenn
jemand den rücksichtslosen Unterdrücker beseitigte. Angeblich war es ja auch
gegen Friedrich den Großen mitunter geplant.

Können wir uns dem Gesamturteil über Kleists Wesen anschließen (124),
so sehe ich doch keinen Anlaß, ihn mit Servaes zum Vorläufer unsrer Zeit
(Nietzsche?) zu machen, weil Kleist einmal schrieb: Was ist böse, absolut
böse usw.? Auch fände ich kein Verdienst darin. Weil Kleist einer der
wichtigsten Vorläufer des "modernen Menschen" gewesen und als solcher zu
früh gekommen sei, habe er in seiner Zeit nicht verstanden werden können und
untergehn müssen. Nun, mag jeder sehen, wie er sich dazu stellt.

Noch ist hervorzuheben, daß etwa sechzig Bilder von Personen, Örtlich¬
keiten, Szenen aus deu Werken u. ni. in. in den Text gesetzt sind und so die
lebendige Farbe der Darstellung unterstützen.

(Schluß folgt)




Wanderungen in der Niederlausitz v Veto Lduard Schmidt on
5. Vom Schwielochsee zur Schwarzen Elster
(Schwielochsee, Lübben, Luckau, Lebusa, Schlick>en, Herzberg)

le größte Wasseranstauung, die die Spree auf ihrem vielgewundnen
Laufe bildet, heißt der Schwielochsee. Die Spree hat ja wie ihre
Geschwister Reiße und Bober von Haus aus die Absicht, sich zur
Oder zu wenden; und so macht sie denn da, wo sie bei Leibsch aus
dem untern Spreewald herauskommt, eine entschiedne Schwenkung
nach Osten. Aber wenig Meilen weiter ostwärts stößt sie auf einen
unbesieglichen Gegner. Ein zwischen Friedland und Lieberose nach Westen zu streichender
Höhenzug wirft ihr seine mit schwarzen Kiefern bewehrten Sandwellen entgegen.
Nicht leichten Muts gibt die tapfre Spree den Kampf auf, sondern erst nachdem
sie lange Zeit mit dem zähen Gegner gerungen und dabei ein flaches Riesen¬
becken mit ihren Wassern angefüllt hat, entschließt sie sich zum Abzüge in nörd¬
licher Richtung, die allmählich in eine westliche übergeht, der Havel und der
Elbe entgegen. So ist der Schwielochsee entstanden, dessen Namen das Volk als
"Schweinsloch" deutet, weil ein wilder Eber einst seine jetzt verborgnen Quellen
aufgewühlt habe. Er umfaßt eine Fläche von nicht weniger als siebenundzwanzig
Quadratkilometern. So große Wasserflächen haben für den Binnenländer etwas
anziehendes; sie leisten ihm einen gewissen Ersatz für das ferne Meer. Und so
beschlossen wir denn, da wir noch zu guter Zeit in Beeskow angekommen waren,
von da aus nach Lübben nicht die Bahn, sondern die nahe an den Schwieloch
hinanführende Straße zu benutzen. Sie führt fast ununterbrochen durch dichten


Wanderungen in der Niederlausitz

Dichter psychologisch zu fassen, was ja mit philologisch nicht immer identisch
ist. Darum geht er auch auf seine Produktionsweise ein (z. B. 94, 124).

Hatte Kleist wirklich 1809 den phantastischen Plan, Napoleon zu töten
(118 f°), so frage man sich: Wie oft mag in dieser furchtbaren Zeit unsers
Vaterlandes der Gedanke aufgestiegen sein, alles müßte besser werden, wenn
jemand den rücksichtslosen Unterdrücker beseitigte. Angeblich war es ja auch
gegen Friedrich den Großen mitunter geplant.

Können wir uns dem Gesamturteil über Kleists Wesen anschließen (124),
so sehe ich doch keinen Anlaß, ihn mit Servaes zum Vorläufer unsrer Zeit
(Nietzsche?) zu machen, weil Kleist einmal schrieb: Was ist böse, absolut
böse usw.? Auch fände ich kein Verdienst darin. Weil Kleist einer der
wichtigsten Vorläufer des „modernen Menschen" gewesen und als solcher zu
früh gekommen sei, habe er in seiner Zeit nicht verstanden werden können und
untergehn müssen. Nun, mag jeder sehen, wie er sich dazu stellt.

Noch ist hervorzuheben, daß etwa sechzig Bilder von Personen, Örtlich¬
keiten, Szenen aus deu Werken u. ni. in. in den Text gesetzt sind und so die
lebendige Farbe der Darstellung unterstützen.

(Schluß folgt)




Wanderungen in der Niederlausitz v Veto Lduard Schmidt on
5. Vom Schwielochsee zur Schwarzen Elster
(Schwielochsee, Lübben, Luckau, Lebusa, Schlick>en, Herzberg)

le größte Wasseranstauung, die die Spree auf ihrem vielgewundnen
Laufe bildet, heißt der Schwielochsee. Die Spree hat ja wie ihre
Geschwister Reiße und Bober von Haus aus die Absicht, sich zur
Oder zu wenden; und so macht sie denn da, wo sie bei Leibsch aus
dem untern Spreewald herauskommt, eine entschiedne Schwenkung
nach Osten. Aber wenig Meilen weiter ostwärts stößt sie auf einen
unbesieglichen Gegner. Ein zwischen Friedland und Lieberose nach Westen zu streichender
Höhenzug wirft ihr seine mit schwarzen Kiefern bewehrten Sandwellen entgegen.
Nicht leichten Muts gibt die tapfre Spree den Kampf auf, sondern erst nachdem
sie lange Zeit mit dem zähen Gegner gerungen und dabei ein flaches Riesen¬
becken mit ihren Wassern angefüllt hat, entschließt sie sich zum Abzüge in nörd¬
licher Richtung, die allmählich in eine westliche übergeht, der Havel und der
Elbe entgegen. So ist der Schwielochsee entstanden, dessen Namen das Volk als
„Schweinsloch" deutet, weil ein wilder Eber einst seine jetzt verborgnen Quellen
aufgewühlt habe. Er umfaßt eine Fläche von nicht weniger als siebenundzwanzig
Quadratkilometern. So große Wasserflächen haben für den Binnenländer etwas
anziehendes; sie leisten ihm einen gewissen Ersatz für das ferne Meer. Und so
beschlossen wir denn, da wir noch zu guter Zeit in Beeskow angekommen waren,
von da aus nach Lübben nicht die Bahn, sondern die nahe an den Schwieloch
hinanführende Straße zu benutzen. Sie führt fast ununterbrochen durch dichten


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[0707] Wanderungen in der Niederlausitz Dichter psychologisch zu fassen, was ja mit philologisch nicht immer identisch ist. Darum geht er auch auf seine Produktionsweise ein (z. B. 94, 124). Hatte Kleist wirklich 1809 den phantastischen Plan, Napoleon zu töten (118 f°), so frage man sich: Wie oft mag in dieser furchtbaren Zeit unsers Vaterlandes der Gedanke aufgestiegen sein, alles müßte besser werden, wenn jemand den rücksichtslosen Unterdrücker beseitigte. Angeblich war es ja auch gegen Friedrich den Großen mitunter geplant. Können wir uns dem Gesamturteil über Kleists Wesen anschließen (124), so sehe ich doch keinen Anlaß, ihn mit Servaes zum Vorläufer unsrer Zeit (Nietzsche?) zu machen, weil Kleist einmal schrieb: Was ist böse, absolut böse usw.? Auch fände ich kein Verdienst darin. Weil Kleist einer der wichtigsten Vorläufer des „modernen Menschen" gewesen und als solcher zu früh gekommen sei, habe er in seiner Zeit nicht verstanden werden können und untergehn müssen. Nun, mag jeder sehen, wie er sich dazu stellt. Noch ist hervorzuheben, daß etwa sechzig Bilder von Personen, Örtlich¬ keiten, Szenen aus deu Werken u. ni. in. in den Text gesetzt sind und so die lebendige Farbe der Darstellung unterstützen. (Schluß folgt) Wanderungen in der Niederlausitz v Veto Lduard Schmidt on 5. Vom Schwielochsee zur Schwarzen Elster (Schwielochsee, Lübben, Luckau, Lebusa, Schlick>en, Herzberg) le größte Wasseranstauung, die die Spree auf ihrem vielgewundnen Laufe bildet, heißt der Schwielochsee. Die Spree hat ja wie ihre Geschwister Reiße und Bober von Haus aus die Absicht, sich zur Oder zu wenden; und so macht sie denn da, wo sie bei Leibsch aus dem untern Spreewald herauskommt, eine entschiedne Schwenkung nach Osten. Aber wenig Meilen weiter ostwärts stößt sie auf einen unbesieglichen Gegner. Ein zwischen Friedland und Lieberose nach Westen zu streichender Höhenzug wirft ihr seine mit schwarzen Kiefern bewehrten Sandwellen entgegen. Nicht leichten Muts gibt die tapfre Spree den Kampf auf, sondern erst nachdem sie lange Zeit mit dem zähen Gegner gerungen und dabei ein flaches Riesen¬ becken mit ihren Wassern angefüllt hat, entschließt sie sich zum Abzüge in nörd¬ licher Richtung, die allmählich in eine westliche übergeht, der Havel und der Elbe entgegen. So ist der Schwielochsee entstanden, dessen Namen das Volk als „Schweinsloch" deutet, weil ein wilder Eber einst seine jetzt verborgnen Quellen aufgewühlt habe. Er umfaßt eine Fläche von nicht weniger als siebenundzwanzig Quadratkilometern. So große Wasserflächen haben für den Binnenländer etwas anziehendes; sie leisten ihm einen gewissen Ersatz für das ferne Meer. Und so beschlossen wir denn, da wir noch zu guter Zeit in Beeskow angekommen waren, von da aus nach Lübben nicht die Bahn, sondern die nahe an den Schwieloch hinanführende Straße zu benutzen. Sie führt fast ununterbrochen durch dichten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/707>, abgerufen am 13.11.2024.