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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

1902.) Der klaren, unzweideutigen, verständlichen Darstellung entsprechen die klaren
und kräftigen Abbildungen von Sinnesorganen und von Teilen des Nervensystems.
Vor der Einbildung, die Psychologie werde einmal durch die Physiologie ersetzt
werden, warnt der Verfasser ausdrücklich. Auch die genauste Kenntnis des Zu¬
sammenhangs der seelischen mit den Gehirnzuständen, die wir noch lange nicht haben,
"würde an der Eigenartigkeit und Unvergleichbarkeit der psychischen Phänomene nicht
das geringste ändern. Diese bleiben immer ein von allem sinnlich Wahrnehmbaren
verschiednes Geschehen, dessen Gesetze zu erforschen Aufgabe einer besondern Wissen¬
schaft bleiben muß. Physische und psychische Phänomene bilden zwei getrennte
Gruppen von Geschehnissen, zwischen denen vielfache Abhängigkeitsbeziehungen be-
stehn. Niemals kann also die Psychologie zu einem Teile der Physiologie werden,
weil ihr Gegenstand immer ein eigenartiger, unvergleichbarer bleibt." Die Frage
nach dem Wesen der Seele beantwortet er nicht, weil sie in die Metaphysik gehöre;
ebendahin verweist er die Frage nach der metaphysischen Willensfreiheit; dagegen
gibt er über die ethisch-juristische und die psychologische Willensfreiheit befriedigende
Auskunft.

Der 1841 geborne, 1900 gestorbne Eugen Dreher hatte sich 1879 in Halle
als Privatdozent der Psycho-Physiologie habilitiert, "aber der enge Gesichtskreis,
der, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Lehrkörper der Universität beherrschte,
veranlaßte ihn, nach dreieinhalbjähriger Lehrtätigkeit sein Amt aufzugeben." Er
bildete sich zunächst auf Reisen weiter und ließ sich dann in Berlin nieder. So
berichtet uns sein Mitarbeiter K. F. Jordan in dem biographischen Vorwort des
Buches: Philosophische Abhandlungen von Prof. Dr. Eugen Dreher. Mit
dem Bildnis des Verfassers. Herausgegeben von der Gattin des Autors. (Berlin,
R. v. Denkers Verlag, 1903.) Beigegeben ist ein Verzeichnis der dreiundzwanzig
Bücher und der zahlreichen Abhandlungen, die der Verfasser bei Lebzeiten ver¬
öffentlicht hat. Die Witwe beabsichtigt, noch mehr von den zerstreuten Aufsätzen
Drehers herauszugeben. Der vorliegende erste Band der Sammlung enthält: Die
geistige Strömung während des Mittelalters und während der neuern Zeit; Darwins
kulturhistorische Bedeutung; Das Dasein eine Metamorphose; Goethes Bedeutung
als Naturforscher; Der Aberglaube; Über die ästhetische Erziehung der Jugend;
Friedrich der Große als Lehrer; Lenaus "Savonarola" und "Die Albigenser"; Am
Schlüsse des Jahres. Die Abhandlungen sind alle sehr anregend. Zur Würdigung
des Mittelalters fehlt dem Verfasser der historische Sinn und wohl auch das historische
Wissen, obwohl er die Scholastiker genau genug kennt und unter anderen die Stellung
der Astrologie in der Wissenschaft ganz richtig beschreibt. Am interessantesten ist
seine Auseinandersetzung mit Darwin, dessen wissenschaftliche Größe er vollauf an¬
erkennt, den er aber anders versteht, als ihn die deutschen Durchschnittsdarwinianer
verstehn. Die Descendenzlehre wolle nicht den Ursprung des Lebens erklären, sondern
strebe nur, die Erscheinungen verständlich zu machen, die von dem einmal gegebnen
Ursprünge des Lebens ausgehn. Darwin selbst habe angenommen, daß Gott der
ersten Zelle die Keime all des Großen verliehen habe, das aus ihr hervorgegangen
sei. Dreher bekennt sich zum Dualismus. Den Monismus nennt er einen ver¬
zweifelten Versuch, "den Widerspruch zwischen Geist und Materie dadurch zu heben,
daß man die Zweiheit nach innen, in unser Denken verlegt, während man draußen
gewaltsam Einheit voraussetzt." Seinen eignen Glauben spricht er aus, wenn er
v°n dem "Ein Schlachtfeld" überschriebnen Gesänge der Albigenser schreibt: "Hiermit
dokumentiert Lenau, daß ein philosophisch grübelnder Geist von seiner Klarheit und
Tiefe im Gegensatz zu den monistischen Philosophen den Glauben an einen
transcendenter Gott, der das Weltgetriebe nach seinem Willen lenkt, nicht aufgeben
kann, wenn er gleich im Prometheustrotze die Unmöglichkeit einsah sdie Unmöglich¬
keit einsah und mit prometheischem Trotze aussprach), die Postulate der Ethik mit
der durch streng Philosophisches Denken gebotnen Annahme dieses erhabnen Wesens
in Einklang z" bringen."


Maßgebliches und Unmaßgebliches

1902.) Der klaren, unzweideutigen, verständlichen Darstellung entsprechen die klaren
und kräftigen Abbildungen von Sinnesorganen und von Teilen des Nervensystems.
Vor der Einbildung, die Psychologie werde einmal durch die Physiologie ersetzt
werden, warnt der Verfasser ausdrücklich. Auch die genauste Kenntnis des Zu¬
sammenhangs der seelischen mit den Gehirnzuständen, die wir noch lange nicht haben,
„würde an der Eigenartigkeit und Unvergleichbarkeit der psychischen Phänomene nicht
das geringste ändern. Diese bleiben immer ein von allem sinnlich Wahrnehmbaren
verschiednes Geschehen, dessen Gesetze zu erforschen Aufgabe einer besondern Wissen¬
schaft bleiben muß. Physische und psychische Phänomene bilden zwei getrennte
Gruppen von Geschehnissen, zwischen denen vielfache Abhängigkeitsbeziehungen be-
stehn. Niemals kann also die Psychologie zu einem Teile der Physiologie werden,
weil ihr Gegenstand immer ein eigenartiger, unvergleichbarer bleibt." Die Frage
nach dem Wesen der Seele beantwortet er nicht, weil sie in die Metaphysik gehöre;
ebendahin verweist er die Frage nach der metaphysischen Willensfreiheit; dagegen
gibt er über die ethisch-juristische und die psychologische Willensfreiheit befriedigende
Auskunft.

Der 1841 geborne, 1900 gestorbne Eugen Dreher hatte sich 1879 in Halle
als Privatdozent der Psycho-Physiologie habilitiert, „aber der enge Gesichtskreis,
der, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Lehrkörper der Universität beherrschte,
veranlaßte ihn, nach dreieinhalbjähriger Lehrtätigkeit sein Amt aufzugeben." Er
bildete sich zunächst auf Reisen weiter und ließ sich dann in Berlin nieder. So
berichtet uns sein Mitarbeiter K. F. Jordan in dem biographischen Vorwort des
Buches: Philosophische Abhandlungen von Prof. Dr. Eugen Dreher. Mit
dem Bildnis des Verfassers. Herausgegeben von der Gattin des Autors. (Berlin,
R. v. Denkers Verlag, 1903.) Beigegeben ist ein Verzeichnis der dreiundzwanzig
Bücher und der zahlreichen Abhandlungen, die der Verfasser bei Lebzeiten ver¬
öffentlicht hat. Die Witwe beabsichtigt, noch mehr von den zerstreuten Aufsätzen
Drehers herauszugeben. Der vorliegende erste Band der Sammlung enthält: Die
geistige Strömung während des Mittelalters und während der neuern Zeit; Darwins
kulturhistorische Bedeutung; Das Dasein eine Metamorphose; Goethes Bedeutung
als Naturforscher; Der Aberglaube; Über die ästhetische Erziehung der Jugend;
Friedrich der Große als Lehrer; Lenaus „Savonarola" und „Die Albigenser"; Am
Schlüsse des Jahres. Die Abhandlungen sind alle sehr anregend. Zur Würdigung
des Mittelalters fehlt dem Verfasser der historische Sinn und wohl auch das historische
Wissen, obwohl er die Scholastiker genau genug kennt und unter anderen die Stellung
der Astrologie in der Wissenschaft ganz richtig beschreibt. Am interessantesten ist
seine Auseinandersetzung mit Darwin, dessen wissenschaftliche Größe er vollauf an¬
erkennt, den er aber anders versteht, als ihn die deutschen Durchschnittsdarwinianer
verstehn. Die Descendenzlehre wolle nicht den Ursprung des Lebens erklären, sondern
strebe nur, die Erscheinungen verständlich zu machen, die von dem einmal gegebnen
Ursprünge des Lebens ausgehn. Darwin selbst habe angenommen, daß Gott der
ersten Zelle die Keime all des Großen verliehen habe, das aus ihr hervorgegangen
sei. Dreher bekennt sich zum Dualismus. Den Monismus nennt er einen ver¬
zweifelten Versuch, „den Widerspruch zwischen Geist und Materie dadurch zu heben,
daß man die Zweiheit nach innen, in unser Denken verlegt, während man draußen
gewaltsam Einheit voraussetzt." Seinen eignen Glauben spricht er aus, wenn er
v°n dem „Ein Schlachtfeld" überschriebnen Gesänge der Albigenser schreibt: „Hiermit
dokumentiert Lenau, daß ein philosophisch grübelnder Geist von seiner Klarheit und
Tiefe im Gegensatz zu den monistischen Philosophen den Glauben an einen
transcendenter Gott, der das Weltgetriebe nach seinem Willen lenkt, nicht aufgeben
kann, wenn er gleich im Prometheustrotze die Unmöglichkeit einsah sdie Unmöglich¬
keit einsah und mit prometheischem Trotze aussprach), die Postulate der Ethik mit
der durch streng Philosophisches Denken gebotnen Annahme dieses erhabnen Wesens
in Einklang z» bringen."


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[0067] Maßgebliches und Unmaßgebliches 1902.) Der klaren, unzweideutigen, verständlichen Darstellung entsprechen die klaren und kräftigen Abbildungen von Sinnesorganen und von Teilen des Nervensystems. Vor der Einbildung, die Psychologie werde einmal durch die Physiologie ersetzt werden, warnt der Verfasser ausdrücklich. Auch die genauste Kenntnis des Zu¬ sammenhangs der seelischen mit den Gehirnzuständen, die wir noch lange nicht haben, „würde an der Eigenartigkeit und Unvergleichbarkeit der psychischen Phänomene nicht das geringste ändern. Diese bleiben immer ein von allem sinnlich Wahrnehmbaren verschiednes Geschehen, dessen Gesetze zu erforschen Aufgabe einer besondern Wissen¬ schaft bleiben muß. Physische und psychische Phänomene bilden zwei getrennte Gruppen von Geschehnissen, zwischen denen vielfache Abhängigkeitsbeziehungen be- stehn. Niemals kann also die Psychologie zu einem Teile der Physiologie werden, weil ihr Gegenstand immer ein eigenartiger, unvergleichbarer bleibt." Die Frage nach dem Wesen der Seele beantwortet er nicht, weil sie in die Metaphysik gehöre; ebendahin verweist er die Frage nach der metaphysischen Willensfreiheit; dagegen gibt er über die ethisch-juristische und die psychologische Willensfreiheit befriedigende Auskunft. Der 1841 geborne, 1900 gestorbne Eugen Dreher hatte sich 1879 in Halle als Privatdozent der Psycho-Physiologie habilitiert, „aber der enge Gesichtskreis, der, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Lehrkörper der Universität beherrschte, veranlaßte ihn, nach dreieinhalbjähriger Lehrtätigkeit sein Amt aufzugeben." Er bildete sich zunächst auf Reisen weiter und ließ sich dann in Berlin nieder. So berichtet uns sein Mitarbeiter K. F. Jordan in dem biographischen Vorwort des Buches: Philosophische Abhandlungen von Prof. Dr. Eugen Dreher. Mit dem Bildnis des Verfassers. Herausgegeben von der Gattin des Autors. (Berlin, R. v. Denkers Verlag, 1903.) Beigegeben ist ein Verzeichnis der dreiundzwanzig Bücher und der zahlreichen Abhandlungen, die der Verfasser bei Lebzeiten ver¬ öffentlicht hat. Die Witwe beabsichtigt, noch mehr von den zerstreuten Aufsätzen Drehers herauszugeben. Der vorliegende erste Band der Sammlung enthält: Die geistige Strömung während des Mittelalters und während der neuern Zeit; Darwins kulturhistorische Bedeutung; Das Dasein eine Metamorphose; Goethes Bedeutung als Naturforscher; Der Aberglaube; Über die ästhetische Erziehung der Jugend; Friedrich der Große als Lehrer; Lenaus „Savonarola" und „Die Albigenser"; Am Schlüsse des Jahres. Die Abhandlungen sind alle sehr anregend. Zur Würdigung des Mittelalters fehlt dem Verfasser der historische Sinn und wohl auch das historische Wissen, obwohl er die Scholastiker genau genug kennt und unter anderen die Stellung der Astrologie in der Wissenschaft ganz richtig beschreibt. Am interessantesten ist seine Auseinandersetzung mit Darwin, dessen wissenschaftliche Größe er vollauf an¬ erkennt, den er aber anders versteht, als ihn die deutschen Durchschnittsdarwinianer verstehn. Die Descendenzlehre wolle nicht den Ursprung des Lebens erklären, sondern strebe nur, die Erscheinungen verständlich zu machen, die von dem einmal gegebnen Ursprünge des Lebens ausgehn. Darwin selbst habe angenommen, daß Gott der ersten Zelle die Keime all des Großen verliehen habe, das aus ihr hervorgegangen sei. Dreher bekennt sich zum Dualismus. Den Monismus nennt er einen ver¬ zweifelten Versuch, „den Widerspruch zwischen Geist und Materie dadurch zu heben, daß man die Zweiheit nach innen, in unser Denken verlegt, während man draußen gewaltsam Einheit voraussetzt." Seinen eignen Glauben spricht er aus, wenn er v°n dem „Ein Schlachtfeld" überschriebnen Gesänge der Albigenser schreibt: „Hiermit dokumentiert Lenau, daß ein philosophisch grübelnder Geist von seiner Klarheit und Tiefe im Gegensatz zu den monistischen Philosophen den Glauben an einen transcendenter Gott, der das Weltgetriebe nach seinem Willen lenkt, nicht aufgeben kann, wenn er gleich im Prometheustrotze die Unmöglichkeit einsah sdie Unmöglich¬ keit einsah und mit prometheischem Trotze aussprach), die Postulate der Ethik mit der durch streng Philosophisches Denken gebotnen Annahme dieses erhabnen Wesens in Einklang z» bringen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/67>, abgerufen am 25.07.2024.