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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Line sonderbare Geschichte

Hier unterbrach mich der Kandidat unsers Kreises. Man stelle sich keinen
mit einem Örtelschen Gipsbauche versehenen Herrn vor! In richtiger Selbsterkenntnis
verzichtet der Kandidat Knakenbieter darauf, einen Körperteil mit einer weißen
Weste zu bedecken, der bei ihm nur als öde Baustelle vorhanden ist. Auch handelt
es sich nicht um einen wählenden, sondern um unsern gewählten Kreis, und das,
worum sich der Kandidat Knakenbieter seit Jahren erfolglos bewirbt, ist nicht ein
Reichstagssitz, sondern eine Oberlehrerstelle. Der Grund seiner Erfolglosigkeit liegt
einerseits darin, daß er seine Staatsprüfung sehr mäßig bestanden hat. (Merk¬
würdig, daß einem die Mäßigkeit so zum Nachteil gereichen kann!) Andrerseits
waren ihm, als er sich gerade bückte, um die pädagogischen Sporen anzuschnallen,
seine nichtsnutzigen Bengel über den Kopf gewachsen.
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ne> ssis bsts an inonäs xirs o.us 1SvoIiör, tröstet er sich.

Seitdem führt er ein unsichres Privatstundendasein, eomras I'oiss-in sur 1a
ti-Mons, Pflegt er zu sagen. An gutem Willen und redlichem Bemühen, eine Stelle
zu erlangen, hat es ihm nicht gefehlt, und es dürfte schwer sein, einen Regierungs¬
bezirk zu nennen, wo er nicht schon kandidiert hätte. Aber wenn er bei der Bewerbung
um eine Jammerstelle in einem obskuren Neste vor der aus Bürgermeister, Ober¬
pfarrer und Direktor gebildeten Schulkommifsion seine Probelektion begann, für die
er soviel Stoff auf Lager hatte, daß ein andrer daraus bequem ein Dutzend Lek¬
tionen zusammengeschneidert hätte, da verging ihm im furchtbaren Bewußtsein der
schicksalentscheidenden Stunde Hören und Sehen, die Kniee schlotterten ihm in den
glänzend schwarzen Büxen, unter den Blicken der drei Gewaltigen wurde ihm noch
übler zumute, als weiland dem Ganymed in den Fängen des Zeusadlers, und
das Ergebnis war mit tödlicher Sicherheit eine völlig versäume Probelektion. Am
nächsten Tage aber sah man unsern Kandidaten, sein Kofferchen an der Hand, von
einem unsrer Bahnhöfe seiner Wohnung zusteuern, um die Kenntnis einer preußischen
Provinzialstadt reicher, um eine Hoffnung ärmer.

Wenn doch ein Wohltäter der Menschheit ein Wurschtigkeitsserum erfände I
Teils für. teils gegen. Dosis L würde ich bei meinen Tertianern vier Wochen
vor den Sommerferien und vierzehn Tage vor Weihnachten verwenden. Dosis ^
wäre unserm Kandidaten einzuspritzen, sobald die obengenannten Krankheitserschei¬
nungen bei ihm aufträten.

Übrigens überwand er feine Niedergeschlagenheit allemal rasch. Fragten wir
ihn nach seiner Reise, so antwortete er mehr zeitgemäß als korrekt:


lukMäum, ooronÄ, iubss i'WoviU's äolorsin.

Aber gerade die Anbringung eines Zitats wirkte, in Ermanglung eines
Eigentumspegasus, befreiend auf sein Gemüt (sie ins sörvavit Apollo!), und gut
gelaunt berichtete er seine Erlebnisse, wobei er die Hauptbeteiligten, den durch
die ewigen Vakanzen nervös gewordnen Direktor, den geschäftlich kurz angebundnen
Bürgermeister, den weniger kurz angebundnen Oberpfarrer, in Tonfall und Geste
köstlich darstellte. Denn seine Ehrerbietung vor diesen Herren schwand immer mit
dem Quadrat der Entfernung.

So war er freilich nicht von vornherein unter uns gewesen, und nach seinem
ersten Auftreten an unserm Tische hatte der Assessor gefragt, wer denn in aller
Welt diesen traurigen Mond bei uns abgeladen hätte. Nachdem er aber mit jedem
von uns den landesüblichen Scheffel Salz verzehrt hatte, den man bekanntlich braucht,
wenn man mit jemand vertraut werden will, laute er auf. Eis zum Schmelzen zu
bringen, gibt es eben kein besseres Mittel als Salz, Viehsalz oder attisches, je nach
den Umständen. Dann entwickelte er eine so schlagfertige Unterhaltungsgabe, die
mit einer unglaublichen Belesenheit in allen möglichen und unmöglichen Schrift¬
stellern verbunden war, daß auch der Assessor den Träger eines 3^ Zentimeter
hohen Stehkragens anzuerkennen geruhte, eine Anerkennung, die der Kandidat sofort
in das Zitat übersetzte: , . ^ "^'^l'


In linet I am Ä ivorm^ gSutisMM,
voll roA"i.

Grenzboten II 1904 87
Line sonderbare Geschichte

Hier unterbrach mich der Kandidat unsers Kreises. Man stelle sich keinen
mit einem Örtelschen Gipsbauche versehenen Herrn vor! In richtiger Selbsterkenntnis
verzichtet der Kandidat Knakenbieter darauf, einen Körperteil mit einer weißen
Weste zu bedecken, der bei ihm nur als öde Baustelle vorhanden ist. Auch handelt
es sich nicht um einen wählenden, sondern um unsern gewählten Kreis, und das,
worum sich der Kandidat Knakenbieter seit Jahren erfolglos bewirbt, ist nicht ein
Reichstagssitz, sondern eine Oberlehrerstelle. Der Grund seiner Erfolglosigkeit liegt
einerseits darin, daß er seine Staatsprüfung sehr mäßig bestanden hat. (Merk¬
würdig, daß einem die Mäßigkeit so zum Nachteil gereichen kann!) Andrerseits
waren ihm, als er sich gerade bückte, um die pädagogischen Sporen anzuschnallen,
seine nichtsnutzigen Bengel über den Kopf gewachsen.
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ne> ssis bsts an inonäs xirs o.us 1SvoIiör, tröstet er sich.

Seitdem führt er ein unsichres Privatstundendasein, eomras I'oiss-in sur 1a
ti-Mons, Pflegt er zu sagen. An gutem Willen und redlichem Bemühen, eine Stelle
zu erlangen, hat es ihm nicht gefehlt, und es dürfte schwer sein, einen Regierungs¬
bezirk zu nennen, wo er nicht schon kandidiert hätte. Aber wenn er bei der Bewerbung
um eine Jammerstelle in einem obskuren Neste vor der aus Bürgermeister, Ober¬
pfarrer und Direktor gebildeten Schulkommifsion seine Probelektion begann, für die
er soviel Stoff auf Lager hatte, daß ein andrer daraus bequem ein Dutzend Lek¬
tionen zusammengeschneidert hätte, da verging ihm im furchtbaren Bewußtsein der
schicksalentscheidenden Stunde Hören und Sehen, die Kniee schlotterten ihm in den
glänzend schwarzen Büxen, unter den Blicken der drei Gewaltigen wurde ihm noch
übler zumute, als weiland dem Ganymed in den Fängen des Zeusadlers, und
das Ergebnis war mit tödlicher Sicherheit eine völlig versäume Probelektion. Am
nächsten Tage aber sah man unsern Kandidaten, sein Kofferchen an der Hand, von
einem unsrer Bahnhöfe seiner Wohnung zusteuern, um die Kenntnis einer preußischen
Provinzialstadt reicher, um eine Hoffnung ärmer.

Wenn doch ein Wohltäter der Menschheit ein Wurschtigkeitsserum erfände I
Teils für. teils gegen. Dosis L würde ich bei meinen Tertianern vier Wochen
vor den Sommerferien und vierzehn Tage vor Weihnachten verwenden. Dosis ^
wäre unserm Kandidaten einzuspritzen, sobald die obengenannten Krankheitserschei¬
nungen bei ihm aufträten.

Übrigens überwand er feine Niedergeschlagenheit allemal rasch. Fragten wir
ihn nach seiner Reise, so antwortete er mehr zeitgemäß als korrekt:


lukMäum, ooronÄ, iubss i'WoviU's äolorsin.

Aber gerade die Anbringung eines Zitats wirkte, in Ermanglung eines
Eigentumspegasus, befreiend auf sein Gemüt (sie ins sörvavit Apollo!), und gut
gelaunt berichtete er seine Erlebnisse, wobei er die Hauptbeteiligten, den durch
die ewigen Vakanzen nervös gewordnen Direktor, den geschäftlich kurz angebundnen
Bürgermeister, den weniger kurz angebundnen Oberpfarrer, in Tonfall und Geste
köstlich darstellte. Denn seine Ehrerbietung vor diesen Herren schwand immer mit
dem Quadrat der Entfernung.

So war er freilich nicht von vornherein unter uns gewesen, und nach seinem
ersten Auftreten an unserm Tische hatte der Assessor gefragt, wer denn in aller
Welt diesen traurigen Mond bei uns abgeladen hätte. Nachdem er aber mit jedem
von uns den landesüblichen Scheffel Salz verzehrt hatte, den man bekanntlich braucht,
wenn man mit jemand vertraut werden will, laute er auf. Eis zum Schmelzen zu
bringen, gibt es eben kein besseres Mittel als Salz, Viehsalz oder attisches, je nach
den Umständen. Dann entwickelte er eine so schlagfertige Unterhaltungsgabe, die
mit einer unglaublichen Belesenheit in allen möglichen und unmöglichen Schrift¬
stellern verbunden war, daß auch der Assessor den Träger eines 3^ Zentimeter
hohen Stehkragens anzuerkennen geruhte, eine Anerkennung, die der Kandidat sofort
in das Zitat übersetzte: , . ^ »^'^l'


In linet I am Ä ivorm^ gSutisMM,
voll roA«i.

Grenzboten II 1904 87
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[0661] Line sonderbare Geschichte Hier unterbrach mich der Kandidat unsers Kreises. Man stelle sich keinen mit einem Örtelschen Gipsbauche versehenen Herrn vor! In richtiger Selbsterkenntnis verzichtet der Kandidat Knakenbieter darauf, einen Körperteil mit einer weißen Weste zu bedecken, der bei ihm nur als öde Baustelle vorhanden ist. Auch handelt es sich nicht um einen wählenden, sondern um unsern gewählten Kreis, und das, worum sich der Kandidat Knakenbieter seit Jahren erfolglos bewirbt, ist nicht ein Reichstagssitz, sondern eine Oberlehrerstelle. Der Grund seiner Erfolglosigkeit liegt einerseits darin, daß er seine Staatsprüfung sehr mäßig bestanden hat. (Merk¬ würdig, daß einem die Mäßigkeit so zum Nachteil gereichen kann!) Andrerseits waren ihm, als er sich gerade bückte, um die pädagogischen Sporen anzuschnallen, seine nichtsnutzigen Bengel über den Kopf gewachsen. ' ne> ssis bsts an inonäs xirs o.us 1SvoIiör, tröstet er sich. Seitdem führt er ein unsichres Privatstundendasein, eomras I'oiss-in sur 1a ti-Mons, Pflegt er zu sagen. An gutem Willen und redlichem Bemühen, eine Stelle zu erlangen, hat es ihm nicht gefehlt, und es dürfte schwer sein, einen Regierungs¬ bezirk zu nennen, wo er nicht schon kandidiert hätte. Aber wenn er bei der Bewerbung um eine Jammerstelle in einem obskuren Neste vor der aus Bürgermeister, Ober¬ pfarrer und Direktor gebildeten Schulkommifsion seine Probelektion begann, für die er soviel Stoff auf Lager hatte, daß ein andrer daraus bequem ein Dutzend Lek¬ tionen zusammengeschneidert hätte, da verging ihm im furchtbaren Bewußtsein der schicksalentscheidenden Stunde Hören und Sehen, die Kniee schlotterten ihm in den glänzend schwarzen Büxen, unter den Blicken der drei Gewaltigen wurde ihm noch übler zumute, als weiland dem Ganymed in den Fängen des Zeusadlers, und das Ergebnis war mit tödlicher Sicherheit eine völlig versäume Probelektion. Am nächsten Tage aber sah man unsern Kandidaten, sein Kofferchen an der Hand, von einem unsrer Bahnhöfe seiner Wohnung zusteuern, um die Kenntnis einer preußischen Provinzialstadt reicher, um eine Hoffnung ärmer. Wenn doch ein Wohltäter der Menschheit ein Wurschtigkeitsserum erfände I Teils für. teils gegen. Dosis L würde ich bei meinen Tertianern vier Wochen vor den Sommerferien und vierzehn Tage vor Weihnachten verwenden. Dosis ^ wäre unserm Kandidaten einzuspritzen, sobald die obengenannten Krankheitserschei¬ nungen bei ihm aufträten. Übrigens überwand er feine Niedergeschlagenheit allemal rasch. Fragten wir ihn nach seiner Reise, so antwortete er mehr zeitgemäß als korrekt: lukMäum, ooronÄ, iubss i'WoviU's äolorsin. Aber gerade die Anbringung eines Zitats wirkte, in Ermanglung eines Eigentumspegasus, befreiend auf sein Gemüt (sie ins sörvavit Apollo!), und gut gelaunt berichtete er seine Erlebnisse, wobei er die Hauptbeteiligten, den durch die ewigen Vakanzen nervös gewordnen Direktor, den geschäftlich kurz angebundnen Bürgermeister, den weniger kurz angebundnen Oberpfarrer, in Tonfall und Geste köstlich darstellte. Denn seine Ehrerbietung vor diesen Herren schwand immer mit dem Quadrat der Entfernung. So war er freilich nicht von vornherein unter uns gewesen, und nach seinem ersten Auftreten an unserm Tische hatte der Assessor gefragt, wer denn in aller Welt diesen traurigen Mond bei uns abgeladen hätte. Nachdem er aber mit jedem von uns den landesüblichen Scheffel Salz verzehrt hatte, den man bekanntlich braucht, wenn man mit jemand vertraut werden will, laute er auf. Eis zum Schmelzen zu bringen, gibt es eben kein besseres Mittel als Salz, Viehsalz oder attisches, je nach den Umständen. Dann entwickelte er eine so schlagfertige Unterhaltungsgabe, die mit einer unglaublichen Belesenheit in allen möglichen und unmöglichen Schrift¬ stellern verbunden war, daß auch der Assessor den Träger eines 3^ Zentimeter hohen Stehkragens anzuerkennen geruhte, eine Anerkennung, die der Kandidat sofort in das Zitat übersetzte: , . ^ »^'^l' In linet I am Ä ivorm^ gSutisMM, voll roA«i. Grenzboten II 1904 87

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/661>, abgerufen am 25.07.2024.