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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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nicht dem Taufwasser des Gelben Flusses zuzuschreiben ist, baumelt ihm nicht als
langer Zopf herab, sondern sträubt sich in kurzen Borsten nach allen Richtungen.
Diese Haartracht schien Schaug schon schön, trotz allen Stauchungen, die er dafür
beim Feldwebel faßte, als er bei den Vierundsechzigern in Prenzlau stand. Dort
war er der Leibsklave des Leutnants der Reserve Dr. Schreyer, als dieser gerade
sechs Wochen abschraubte. Selbstverständlich ist und bleibt für ihn der Dr. Schreyer
nicht der Herr Doktor oder der Herr Oberlehrer, sondern der Herr Leutnant.

Schang, können Sie mir einen Hundertmarkschein wechseln?

Jawoll, Herr Leutnant. Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, neunzig. Herr
Leutnant befehlen doch etwas Silber? 92, 94, 96, 98, 99, 100!

Und ohne blutige Trauer zu vergießen, gab Dr. Schreyer einen in patriotischer
Fraktur prangenden Hnndertmarkschein um den Judaslohn der mit törichter Aus-
länderei beprägten Gold- und Silberstücke hin.

Nachdem das Wechselgeschäft erledigt war, wandte er mir seine volle Breit¬
seite wieder zu:

Wenn die deutsche Orthographie auch nicht vollkommen ist, so begreife ich den
Mut nicht, mit dem Sie es wagen, die französische mit ihr auf eine Stufe zu
stellen. Ich habe wiederholt mit Franzosen gesprochen, die Deutsch lernten, die
waren ganz entzückt, daß die deutsche Orthographie ihnen verhältnismäßig so wenig
Schwierigkeiten bot.

Ich wollte nnr darauf hinweisen, daß wir nicht das Recht haben, allzu schwere
Steine nach dem Glashause der französischen Orthographie zu werfen, da wir mit
unsrer auch nicht gerade in einer Käsematte sitzen. Unter den vielen Schwierig¬
keiten der französischen Orthographie leide und seufze ich auch, und niemand würde
es freudiger begrüßen als ich, wenn die Franzosen einmcil Wandel schassen wollten.

Sperren Sie sich nicht länger und sprechen Sie offen aus: Die französische
Orthographie ist, kurz gesagt, unsinnig.

Unsinnig ist sie eigentlich nicht, sondern nur ultrakonservativ und übermäßig
pietätvoll in ihrer Erinnerung an die lateinische Herkunft. Man schreibt tsriuns
in Anlehnung an tsinina, iümsr wegen s-mars. Ja, man hat sogar im sechzehnten Jahr¬
hundert unter dem Einfluß der humanistischen Studien manchen Buchstaben irr¬
tümlich eingefügt, damit das Bild der Tochtersprache noch mehr die Züge der ehr¬
würdigen römischen Mutter trage. Aus and machte man äsixt, um an das latei¬
nische all^nus zu erinnern, obwohl das lateinische x schon im französischen i von
äoit seinen Ausdruck fand. Aus xoiZ machte man poiä" dem lateinischen pcmcius
zuliebe, obwohl das französische Wort damit gar nichts zu tun hat, sondern von
dem lateinischen xonsum abzuleiten ist. Abgesehen von solchen irrtümlichen Rück-
bildungen kann man vom Französischen sagen: die Sprache hat sich im Laufe der
Jahrhunderte weiter entwickelt, während die schriftliche Wiedergabe stehen geblieben
ist, sodaß Original, d. h. die Sprache, und Bild, d. h. die Schrift, einander immer
unähnlicher geworden sind. Ich billige dies keineswegs, nur kann ich meiner Mi߬
billigung nicht so energisch Ausdruck geben, wie Sie es taten, lieber Kollege. Daran
hindert mich schon die Erinnerung an den wackern Professor Ehrhardt, an den ich
immer bei der historischen Orthographie des Französischen denken muß. Sein Name
mag in der Gelehrtenwelt wenig bekannt geworden sein, um so bekannter aber war
er durch mehrere Generationen in dem Städtchen, wo er gewirkt und seine Tage
beschlossen hat. Als ich durch die Versetzung meines Vaters auf das Gymnasium
in Dingelsberg kam, war der Professor Ehrhardt wegen zunehmender Schwer¬
hörigkeit schon pensioniert. Aber nach wie vor betrachtete er sich als zum Gym¬
nasium gehörig, wo er jeden Aktus und jede öffentliche Prüfung mit der rechten
Hand an der Ohrmuschel getreulich absaß, und regelmäßig bei Beginn und Schluß
des Unterrichts konnte man vor demi Schulgebäude sein Vollmoudsgesicht über der
ein- und ausziehenden Jugend leuchten sehen. Dem Gesicht entsprach das ganze
behäbige Äußere, eine Folge des unbegrenzten Wohlwollens, das aus seinen hell¬
blauen Augen jedermann anstrahlte.


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nicht dem Taufwasser des Gelben Flusses zuzuschreiben ist, baumelt ihm nicht als
langer Zopf herab, sondern sträubt sich in kurzen Borsten nach allen Richtungen.
Diese Haartracht schien Schaug schon schön, trotz allen Stauchungen, die er dafür
beim Feldwebel faßte, als er bei den Vierundsechzigern in Prenzlau stand. Dort
war er der Leibsklave des Leutnants der Reserve Dr. Schreyer, als dieser gerade
sechs Wochen abschraubte. Selbstverständlich ist und bleibt für ihn der Dr. Schreyer
nicht der Herr Doktor oder der Herr Oberlehrer, sondern der Herr Leutnant.

Schang, können Sie mir einen Hundertmarkschein wechseln?

Jawoll, Herr Leutnant. Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, neunzig. Herr
Leutnant befehlen doch etwas Silber? 92, 94, 96, 98, 99, 100!

Und ohne blutige Trauer zu vergießen, gab Dr. Schreyer einen in patriotischer
Fraktur prangenden Hnndertmarkschein um den Judaslohn der mit törichter Aus-
länderei beprägten Gold- und Silberstücke hin.

Nachdem das Wechselgeschäft erledigt war, wandte er mir seine volle Breit¬
seite wieder zu:

Wenn die deutsche Orthographie auch nicht vollkommen ist, so begreife ich den
Mut nicht, mit dem Sie es wagen, die französische mit ihr auf eine Stufe zu
stellen. Ich habe wiederholt mit Franzosen gesprochen, die Deutsch lernten, die
waren ganz entzückt, daß die deutsche Orthographie ihnen verhältnismäßig so wenig
Schwierigkeiten bot.

Ich wollte nnr darauf hinweisen, daß wir nicht das Recht haben, allzu schwere
Steine nach dem Glashause der französischen Orthographie zu werfen, da wir mit
unsrer auch nicht gerade in einer Käsematte sitzen. Unter den vielen Schwierig¬
keiten der französischen Orthographie leide und seufze ich auch, und niemand würde
es freudiger begrüßen als ich, wenn die Franzosen einmcil Wandel schassen wollten.

Sperren Sie sich nicht länger und sprechen Sie offen aus: Die französische
Orthographie ist, kurz gesagt, unsinnig.

Unsinnig ist sie eigentlich nicht, sondern nur ultrakonservativ und übermäßig
pietätvoll in ihrer Erinnerung an die lateinische Herkunft. Man schreibt tsriuns
in Anlehnung an tsinina, iümsr wegen s-mars. Ja, man hat sogar im sechzehnten Jahr¬
hundert unter dem Einfluß der humanistischen Studien manchen Buchstaben irr¬
tümlich eingefügt, damit das Bild der Tochtersprache noch mehr die Züge der ehr¬
würdigen römischen Mutter trage. Aus and machte man äsixt, um an das latei¬
nische all^nus zu erinnern, obwohl das lateinische x schon im französischen i von
äoit seinen Ausdruck fand. Aus xoiZ machte man poiä« dem lateinischen pcmcius
zuliebe, obwohl das französische Wort damit gar nichts zu tun hat, sondern von
dem lateinischen xonsum abzuleiten ist. Abgesehen von solchen irrtümlichen Rück-
bildungen kann man vom Französischen sagen: die Sprache hat sich im Laufe der
Jahrhunderte weiter entwickelt, während die schriftliche Wiedergabe stehen geblieben
ist, sodaß Original, d. h. die Sprache, und Bild, d. h. die Schrift, einander immer
unähnlicher geworden sind. Ich billige dies keineswegs, nur kann ich meiner Mi߬
billigung nicht so energisch Ausdruck geben, wie Sie es taten, lieber Kollege. Daran
hindert mich schon die Erinnerung an den wackern Professor Ehrhardt, an den ich
immer bei der historischen Orthographie des Französischen denken muß. Sein Name
mag in der Gelehrtenwelt wenig bekannt geworden sein, um so bekannter aber war
er durch mehrere Generationen in dem Städtchen, wo er gewirkt und seine Tage
beschlossen hat. Als ich durch die Versetzung meines Vaters auf das Gymnasium
in Dingelsberg kam, war der Professor Ehrhardt wegen zunehmender Schwer¬
hörigkeit schon pensioniert. Aber nach wie vor betrachtete er sich als zum Gym¬
nasium gehörig, wo er jeden Aktus und jede öffentliche Prüfung mit der rechten
Hand an der Ohrmuschel getreulich absaß, und regelmäßig bei Beginn und Schluß
des Unterrichts konnte man vor demi Schulgebäude sein Vollmoudsgesicht über der
ein- und ausziehenden Jugend leuchten sehen. Dem Gesicht entsprach das ganze
behäbige Äußere, eine Folge des unbegrenzten Wohlwollens, das aus seinen hell¬
blauen Augen jedermann anstrahlte.


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[0660] Line sonderbare Geschichte nicht dem Taufwasser des Gelben Flusses zuzuschreiben ist, baumelt ihm nicht als langer Zopf herab, sondern sträubt sich in kurzen Borsten nach allen Richtungen. Diese Haartracht schien Schaug schon schön, trotz allen Stauchungen, die er dafür beim Feldwebel faßte, als er bei den Vierundsechzigern in Prenzlau stand. Dort war er der Leibsklave des Leutnants der Reserve Dr. Schreyer, als dieser gerade sechs Wochen abschraubte. Selbstverständlich ist und bleibt für ihn der Dr. Schreyer nicht der Herr Doktor oder der Herr Oberlehrer, sondern der Herr Leutnant. Schang, können Sie mir einen Hundertmarkschein wechseln? Jawoll, Herr Leutnant. Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, neunzig. Herr Leutnant befehlen doch etwas Silber? 92, 94, 96, 98, 99, 100! Und ohne blutige Trauer zu vergießen, gab Dr. Schreyer einen in patriotischer Fraktur prangenden Hnndertmarkschein um den Judaslohn der mit törichter Aus- länderei beprägten Gold- und Silberstücke hin. Nachdem das Wechselgeschäft erledigt war, wandte er mir seine volle Breit¬ seite wieder zu: Wenn die deutsche Orthographie auch nicht vollkommen ist, so begreife ich den Mut nicht, mit dem Sie es wagen, die französische mit ihr auf eine Stufe zu stellen. Ich habe wiederholt mit Franzosen gesprochen, die Deutsch lernten, die waren ganz entzückt, daß die deutsche Orthographie ihnen verhältnismäßig so wenig Schwierigkeiten bot. Ich wollte nnr darauf hinweisen, daß wir nicht das Recht haben, allzu schwere Steine nach dem Glashause der französischen Orthographie zu werfen, da wir mit unsrer auch nicht gerade in einer Käsematte sitzen. Unter den vielen Schwierig¬ keiten der französischen Orthographie leide und seufze ich auch, und niemand würde es freudiger begrüßen als ich, wenn die Franzosen einmcil Wandel schassen wollten. Sperren Sie sich nicht länger und sprechen Sie offen aus: Die französische Orthographie ist, kurz gesagt, unsinnig. Unsinnig ist sie eigentlich nicht, sondern nur ultrakonservativ und übermäßig pietätvoll in ihrer Erinnerung an die lateinische Herkunft. Man schreibt tsriuns in Anlehnung an tsinina, iümsr wegen s-mars. Ja, man hat sogar im sechzehnten Jahr¬ hundert unter dem Einfluß der humanistischen Studien manchen Buchstaben irr¬ tümlich eingefügt, damit das Bild der Tochtersprache noch mehr die Züge der ehr¬ würdigen römischen Mutter trage. Aus and machte man äsixt, um an das latei¬ nische all^nus zu erinnern, obwohl das lateinische x schon im französischen i von äoit seinen Ausdruck fand. Aus xoiZ machte man poiä« dem lateinischen pcmcius zuliebe, obwohl das französische Wort damit gar nichts zu tun hat, sondern von dem lateinischen xonsum abzuleiten ist. Abgesehen von solchen irrtümlichen Rück- bildungen kann man vom Französischen sagen: die Sprache hat sich im Laufe der Jahrhunderte weiter entwickelt, während die schriftliche Wiedergabe stehen geblieben ist, sodaß Original, d. h. die Sprache, und Bild, d. h. die Schrift, einander immer unähnlicher geworden sind. Ich billige dies keineswegs, nur kann ich meiner Mi߬ billigung nicht so energisch Ausdruck geben, wie Sie es taten, lieber Kollege. Daran hindert mich schon die Erinnerung an den wackern Professor Ehrhardt, an den ich immer bei der historischen Orthographie des Französischen denken muß. Sein Name mag in der Gelehrtenwelt wenig bekannt geworden sein, um so bekannter aber war er durch mehrere Generationen in dem Städtchen, wo er gewirkt und seine Tage beschlossen hat. Als ich durch die Versetzung meines Vaters auf das Gymnasium in Dingelsberg kam, war der Professor Ehrhardt wegen zunehmender Schwer¬ hörigkeit schon pensioniert. Aber nach wie vor betrachtete er sich als zum Gym¬ nasium gehörig, wo er jeden Aktus und jede öffentliche Prüfung mit der rechten Hand an der Ohrmuschel getreulich absaß, und regelmäßig bei Beginn und Schluß des Unterrichts konnte man vor demi Schulgebäude sein Vollmoudsgesicht über der ein- und ausziehenden Jugend leuchten sehen. Dem Gesicht entsprach das ganze behäbige Äußere, eine Folge des unbegrenzten Wohlwollens, das aus seinen hell¬ blauen Augen jedermann anstrahlte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/660>, abgerufen am 25.07.2024.